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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Homo- und Transphobie in der Schule

Die Rolle der Lehrkräfte und der Widerstand gegen die Berücksichtigung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt

Dokumentation des Workshops auf dem Kongress „Respekt statt Ressentiment. Strategien gegen Homo- und Transphobie“, Berlin 2015

ulrich-klocke.jpg"Wissen die Schüler_innen, dass an ihrer Schule lesbische, schwule oder bisexuelle Lehrkräfte unterrichten, verhalten sie sich solidarischer gegenüber Lesben und Schwulen, und ihre Einstellungen werden positiver." (Dr. Ulrich Klocke)

Zwei von fünf Berliner Sechstklässler_innen verwenden „Lesbe“ als Schimpfwort, „Schwuchtel“ sogar drei von fünf. Darüber hinaus lästert etwa die Hälfte der Schulkinder über Personen, weil diese für lesbisch oder schwul gehalten werden oder sich nicht geschlechtskonform verhalten. Das zeigt eine Befragung aus dem Jahr 2011 in 50 Schulklassen an 20 Berliner Schulen. Mehr als 700 Schüler_innen haben darin Auskunft gegeben, wie sich je zwei Mitschüler_innen und ihr_e Klassenlehrer_in im vergangenen Jahr verhalten haben. Nach ihren Angaben intervenieren nur 4% der Klassenlehrer_innen jedes Mal, wenn homophobe Schimpfworte fallen, 13% intervenieren nie. Etwa ein Drittel der Klassenlehrer_innen macht sich sogar selbst über nicht‐geschlechtskonformes Verhalten lustig. Nur ein Fünftel arbeitet mit Unterrichtsmaterialien, in denen auch Lesben und Schwule vorkommen.

Der Einfluss durch Lehrkräfte und Schule

Dabei zeigt die Befragung, dass Lehrkräfte durchaus Einfluss auf die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt haben: In je mehr Fächern und Jahrgängen Lesben und Schwule thematisiert wurden, desto besser wussten die Schüler_innen über LSBTI Bescheid, und desto positivere Einstellungen haben sie gegenüber diesen Gruppen. Auch eine Ächtung von Mobbing im Schulleitbild geht mit mehr Wissen und positiveren Einstellungen einher. Wissen die Schüler_innen, dass an ihrer Schule lesbische, schwule oder bisexuelle Lehrkräfte unterrichten, verhalten sie sich solidarischer gegenüber Lesben und Schwulen, und ihre Einstellungen werden positiver [wie eine Wiederholungsbefragung neun Monate später feststellt]. Des Weiteren macht es einen Unterschied, wie die Lehrkräfte mit Diskriminierung umgehen. Wenn sie dagegen vorgehen, haben ihre Schüler_innen tendenziell positivere Einstellungen. Machen sie sich hingegen über Lesben, Schwule und nicht‐geschlechtskonformes Verhalten lustig, verhalten sich auch ihreSchüler_innen diskriminierender.

Die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt lässt sich also durch Sichtbarkeit verbessern, indem diese Vielfalt ganz selbstverständlich thematisiert wird und Möglichkeiten für persönlichen Kontakt geschaffen werden. Wichtig ist, dass dies möglichst früh geschieht, da homophobe Diskriminierungen bei den Sechstklässler_innen stärker verbreitet sind als bei den Neuntklässler_innen. Diskriminierungen sollten die Lehrkräfte grundsätzlich unterbinden, auch wenn diese nicht homophob gemeint sind, z. B. indem sie hinterfragen, warum „schwul“ oder „lesbisch“ als Schimpfwörter verwendet werden und den Schüler_innen ihre Wirkung auf [ungeoutete] LSBTI‐Jugendliche und auf das Schulklima verdeutlichen.

Was motiviert Lehrkräfte, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu berücksichtigen?

Lehrkräfte können also die Akzeptanz für Vielfalt verbessern. Doch wie lassen sie sich dazu bewegen, ihre Möglichkeiten zu nutzen? Dazu befragten wir im Herbst 2014 deutschlandweit online über 1.000 Lehrkräfte, wie oft sie in den vergangenen 12 Monaten sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Schule thematisiert und wie regelmäßig sie gegen Diskriminierung von LSBTI interveniert hatten. Darüber hinaus erfassten wir mögliche Einflussvariablen, beispielsweise ihre Einstellungen, Überzeugungen sowie situative Rahmenbedingungen.

Als wichtigster Einfluss auf beide Zielvariablen stellte sich der persönliche Kontakt heraus. Wenn die Lehrkraft von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans‐ oder intergeschlechtlichen Personen in ihrem Umfeld weiß, dann thematisiert sie sexuelle und geschlechtliche Vielfalt gegenüber ihren Schüler_innen häufiger und interveniert konsequenter gegen Diskriminierung. Zudem scheinen sich Weiterbildungsmaßnahmen auszuzahlen, denn Lehrkräfte, die sich damit zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt qualifiziert haben, thematisieren diese häufiger gegenüber ihren Schüler_innen.

Zusätzlich zu diesen situativen Einflüssen sind auch die Überzeugungen und Einstellungen der Lehrkräfte relevant. Insbesondere Wissen spielt eine wichtige Rolle. Wenn die Lehrkräfte davon überzeugt sind, sich gut mit dem Thema auszukennen und zu wissen, wie man bei Diskriminierung am besten interveniert, dann thematisieren sie sexuelle und geschlechtliche Vielfalt häufiger und intervenieren konsequenter. Auch die Überzeugung, dass ihr Verhalten die Akzeptanz für Vielfalt erhöht, macht beide Verhaltensweisen wahrscheinlicher. Die Thematisierung wird darüber hinaus wahrscheinlicher durch die Überzeugung, dass unter den eigenen Schüler_innen LSBTI sind, dass man Lehrmaterialien zur Verfügung hat, die die Thematisierung erleichtern und dass gültige Richtlinien [z. B. Lehrpläne] eine Thematisierung vorschreiben. Die Intervention gegen Diskriminierung wird hingegen unwahrscheinlicher, wenn eine Lehrkraft glaubt, dass LSBTI‐Schüler_innen die Diskriminierung provoziert haben.

Die Untersuchung zeigt, wie hilfreich es ist, wenn LSBTI gegenüber Lehrkräften in ihrem Bekannten‐ oder Kollegenkreis zu ihrer Identität stehen, da persönlicher Kontakt der wichtigste Motivator für eine Berücksichtigung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in der Schule ist. Zudem lassen sich wichtige Hinweise für Weiterbildungsmaßnahmen ableiten. Wichtig ist, dass darin Wissen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt vermittelt wird und konkrete Handlungsweisen eingeübt werden, wie bei Diskriminierung interveniert werden kann.

Darüber hinaus sollte verdeutlicht werden, dass in fast allen Schulklassen [wenn auch unerkannt] LSBTI unter den Schüler_innen sind und dass Lehrkräfte die Lebenssituation dieser Schüler_innen durch ihr Verhalten verbessern können. Zudem zeigt die Untersuchung die Wichtigkeit, dass Lehrpläne die Berücksichtigung aller Arten von Vielfalt [auch für die Gestaltung von Lehrmaterialien] verbindlich festlegen.

Widerstand gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Schule

Die von fast 200.000 Menschen unterzeichnete Petition „Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“ zeigt, dass die Berücksichtigung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in der Schule Widerstand auslösen kann. Die Begründungen dieses Widerstands findet man bei den Leser_innen‐Kommentaren zur Petition. Sie lassen sich fünf Positionen zuordnen: Der Bildungsplan führe erstens zu einer Sexualisierung von Kindern, indem diesen „suggeriert werden soll, dass jeder mit jedem und allem sexuelle Kontakte und Praktiken ausübt“. Zweitens schwäche er durch eine Stärkung von LSBTI die traditionellen Familien. Drittens bestünde die Gefahr, dass „Normale“ diskriminiert werden, weil die „traditionelle Familie mit festem Partner als ‚Auslaufmodell‘ dargestellt“ werde. Viertens würden LSBTI zu sehr hervorgehoben. Und fünftens müsse Toleranz ausreichen und es könne nicht erwartet werden, dass man Homosexualität „normal“ findet.

Für die Befürworter_innen der Berücksichtigung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Bildungseinrichtungen ist es hilfreich, adäquat auf diesen Widerstand zu reagieren. Unterschieden werden sollte dabei zwischen Falschinformationen einerseits und Ängsten oder Unbehagen andererseits, die nicht allein durch korrekte Informationen behoben werden können.

Falschinformationen sollten so sachlich und allgemeinverständlich wie möglich entkräftet werden, z. B. durch Handreichungen für Journalist_innen, Bildungseinrichtungen und „besorgte Eltern“ [wie z.B. die FAQs zur Sexualpädagogik/Sexuellen Bildung der Gesellschaft für Sexualpädagogik]. Wichtig ist insbesondere, deutlich zu machen, dass LSBTI genauso asexuell dargestellt werden können wie heterosexuelle, cis‐geschlechtliche Personen. Zudem sollte klar gestellt werden, dass die Möglichkeit, sachlich über Sexualität zu sprechen, Missbrauch, sexuelle Gewalt und eine unkritische Rezeption von Pornografie – also Sexualisierung – eher verhindert statt befördert.

Um Ängste vor einer Abwertung traditioneller Familien abzubauen, könnte es sich auszahlen, Überheblichkeit gegenüber sogenannten „tradierten“ Rollenkonzepten zu vermeiden und diese explizit wertzuschätzen. Dies mag auf den ersten Blick überflüssig, weil selbstverständlich erscheinen, diese Selbstverständlichkeit wird aber offenbar nicht allgemein wahrgenommen. Klargestellt werden muss auch, dass Akzeptanz gegenüber LSBTI und anderen Minoritäten nicht erzwungen werden soll, sondern als langfristiges Ziel angestrebt wird, um Chancengleichheit und ein friedliches Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft sicher zu stellen. Vorwürfen einer einseitigen Betonung von LSBTI kann durch Kooperation mit Vertreter_innen anderer Gruppen [z. B. Frauen, Migrant_innen oder Menschen mit Behinderung] und durch die konsequente Berücksichtigung sämtlicher Diversitätsdimensionen begegnet werden. Zudem möchte ich zu einer Diskussion innerhalb der LSBTI‐Community anregen darüber, ob das zentrale Ziel der individuellen Selbstbestimmung ergänzt werden sollte durch eine explizitere Betonung des Ziels der zwischenmenschlichen Verantwortung, z. B. in verbindlichen Beziehungen und Familien. Diese Erweiterung könnte Bündnisse auch mit religiösen Kreisen oder Menschen kollektivistischer Kulturen erleichtern.

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Quellen

Dr. Ulrich Klocke
Sozialpsychologe, Humboldt-Universität zu Berlin, befasst sich in seiner Forschung und Lehre mit folgenden Fragen: Welche Ursachen und Folgen haben Stereotype, Vorurteile und Diskriminierung (insbesondere gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans*-Personen)? Welchen Einfluss haben Einstellungen zu Geschlechterrollen und wie kann man diese messen? Wie kann man Vorurteile abbauen, z. B. durch persönlichen Kontakt oder die Berücksichtigung von Diversität (Vielfalt) in der Schule? Welche Konsequenzen haben Diversität und Dissens in Kleingruppen und Organisationen und wie sollte man mit ihnen umgehen? Welche Folgen hat es, an einen freien Willen zu glauben?
Kontakt: klocke@hu-berlin.de, Web: www.psychologie.hu-berlin.de/de/mitarbeiter/57490