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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Geschlechter- und Familienpolitik der Alternative für Deutschland (AfD)

Dokumentation des Kongresses „Respekt statt Ressentiment. Strategien gegen Homo- und Transphobie“, Berlin 2015

Geschlechter- und Familienpolitik der AfD hält die drei konkurrierenden Strömungen mit neoliberalen Postionen, antisäkularen Positionen und neurechten Positionen zusammen.

Dokumentation des Inputs von Andreas Kemper auf dem Kongress „Respekt statt Ressentiment.“ in Berlin. Bündnisse und Strategien gegen die neue Welle von Homo– und Transphobie standen im Mittelpunkt des Kongresses, den der LSVD zusammen mit der Amadeu Antonio Stiftung 2015 in Berlin veranstaltete, unterstützt durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).

"Die gegen die Natur des Menschen gerichtete Gender‐Ideologie ist einer der wichtigsten bevölkerungspolitischen Herausforderung, vor der Deutschland steht, nämlich die Geburtenrate signifikant zu steigern, in extremer Weise abträglich." [aus der AfD-Gender-Resolution 2015]

andreas-kemper.jpgDie Alternative für Deutschland [AfD] hat sich nach dem Essener Parteitag im Juli 2015 gespalten. Der neoliberale Flügel um Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel trat nach einem Rechtsruck aus der Partei aus und gründete die neue Partei ‚Allianz für Fortschritt und Aufbruch [ALFA]‘. Diese Spaltung hatte sich lange angebahnt und beruht auf Widersprüchen, die sozialstrukturelle Gründe haben. So vertritt der neoliberale Flügel die Interessen einer bestimmten Kapitalfraktion, der Familienunternehmens-Verbände, und hatte entsprechend die AfD im Januar 2013 im Zuge der Konflikte um die Griechenland-Politik gegründet. Die nationalkonservative Mehrheit hingegen vertritt vor allem die Interessen des Kleinbürgertums. Aber auch Adelsfamilien bzw. klerikal-aristokratische Netzwerke spielen in der AfD eine wichtige Rolle. Ein übergreifendes und weitgehend für Konsens sorgendes Thema in der AfD bis zum Essener Parteitag war die Geschlechterpolitik.

Neoliberale Positionen

Die neoliberalen Positionen sind geschlechterpolitisch durch eine Ablehnung von Quotenpolitik und eine Fixierung auf die Familie als „Keimzelle der Nation“ geprägt. Während transnationale Konzerne relativ offen für Diversity-Programme sind, zeigen sich die Verbände von Familienunternehmen in dieser Frage sehr rückwärtsgewandt und mit ihnen auch die neoliberalen Volkswirte, die nun die AfD verlassen haben und mit ALFA einen Neuanfang versuchen. Bernd Lucke als Chef von ALFA forderte Ende Juli 2015, dass Akademiker in Deutschland mehr Kinder bekommen müssten. Auch ALFA wendet sich im Parteiprogramm generell gegen ‚Political Correctness‘ und ‚Gender-Main-streaming‘. Dennoch ist ALFA in Geschlechterfragen moderater als die AfD.

Ein ideologisch verwandter, ebenfalls neoliberaler Flügel ist in der AfD geblieben. Es handelt sich um die Libertäre Alternative, die rechtslibertäre Positionen vertritt. Vertreten wird diese Position durch Sven Tritschler, Vorsitzender der Jungen Alternative, und Marcus Pretzell, Chef des Landesverbandes der AfD in NRW. Die Rechtslibertären wollen einen Minimalstaat, der sich jeder Affirmative Action-Politik zu enthalten habe.

Antisäkuläre Positionen

Antisäkuläre Positionen vertritt vor allem das Netzwerk ‚Zivile Koalition e.V.‘ von Beatrix von Storch. Bestandteil dieses Netzwerkes ist die Website ‚Familien-Schutz.de‘ von Hedwig von Beverförde und die Internetpräsenz ‚Demo für alle‘.

Mit diesen beiden Initiativen wird in Stuttgart die Demo für alle koordiniert, die bislang gegen eine vermeintliche „Frühsexualisierung“ durch den Bildungsplan 2015 der baden-württembergischen Landesregierung agitierte, die sich nun aber auch gegen eine Ehe für alle wendet, was bei der letzten Demonstration für einen enormen Anstieg auf 4.000 Demonstrant_innen sorgte.

Beatrix von Storch sitzt für die AfD im Europäischen Parlament und koordiniert dort die Familien- und Geschlechterpolitik für die drittgrößte Fraktion ‚European Conservatives and Reformists Group‘ [ECR]. Sie tauscht sich mit ihrem Cousin Paul von Oldenburg aus, der ebenfalls in Brüssel die Politik der rechtskatholisch-monarchistischen ‚Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum‘ [TFP] europaweit mitgestaltet. Mit einem anderen Cousin, Philipp von Preußen, ein rechts-evangelischer Monarchist, hatte Storch während des letzten ‚Marsches für das Leben‘ in Berlin ein Vorprogramm durchgeführt.

Seit dem Essener Parteitag, an dem Storch in den Vorstand der AfD gewählt wurde, wo sie nun in der Programmkommission sitzt, hat ihre Strömung an Gewicht gewonnen. Unter anderem zeigt sich dies am ‚Pforzheimer Kreis/Christen in der AfD‘, dessen Mitglied Eberhard Brett zum Bundesschiedsrichter der Partei gewählt wurde. Auf Initiative eines weiteren Mitgliedes dieses Kreises wurde während des Landesparteitages in Baden-Württemberg im Juli 2015 einstimmig eine Anti-Gender-Resolution verabschiedet, die u.a. folgende Inhalte aufweist: Alle Antidiskriminierungsmaßnahmen müssen sofort beendet werden, einschließlich Bundesgleichstellungsgesetz, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Gleichstellung im Landeshochschulgesetz Baden-Württembergs. Ebenso seien Gender-Mainstreaming, Quotierung und Gender-Studies sofort zu beenden. Sämtliche Stellen für Gleichstellung seien sofort zu streichen, ebenso Diversity-Offices. Eine staatliche „Nivellierung der Unterschiede zwischen Frauen und Männern“ sei zu stoppen. Propaganda dürfe von staatlichen Stellen nur noch für die klassische Familie gemacht werden, aber keinesfalls für andere „sexuelle Verhaltensweisen“.

Zitat: „Die gegen die Natur des Menschen gerichtete Gender‐Ideologie ist einer der wichtigsten bevölkerungspolitischen Herausforderung, vor der Deutschland steht, nämlich die Geburtenrate signifikant zu steigern, in extremer Weise abträglich.“ Stattdessen bräuchte es eine „Willkommenskultur für Un- und Neugeborene“. Abtreibungen dürften nicht länger „bagatellisiert“ oder staatlich unterstützt werden. Auch sei „sittenwidriger“ Sexualkundeunterricht zu stoppen. Ein ähnlicher Antrag kam bereits aus Mecklenburg-Vorpommern, wo wie in Baden-Württemberg 2016 ebenfalls Landtagswahlen sind. Diese Position dürfte in der AfD mehrheitsfähig sein.

Neurechte Positionen

Die Neue Rechte, die ideologisch an der Konservativen Revolution der 1920er und 1930er Jahre anknüpft, ist in der AfD gespalten. Während Dieter Stein [Junge Freiheit] und Karlheinz Weißmann realpolitisch die Etablierung einer Partei rechts von der CDU/CSU erhoffen, setzen Götz Kubitschek [‚Sezession‘] und Björn Höcke auf eine metapolitische Sammlungsbewegung, in der die AfD nur als Werkzeug gesehen wird. Im Folgenden gebe ich nur die Ideologie der metapolitischen Fraktion wieder.

Die Ideologie Björn Höckes [Landesfraktionschef der AfD Thüringen; Initiator des neurechten Flügels um die ‚Erfurter Resolution‘] basiert auf der Annahme, das „deutsche Volk“ sei „organisch gewachsen“. „Fremde“ könnten daher nicht integriert, sondern nur unter komplettem Verzicht ihrer eigenen kulturell geprägten Lebensweise „assimiliert“ werden. Daher könne die „demografische Katastrophe“ nicht durch Einwanderung abgewendet werden, sondern nur durch eine „aktive Bevölkerungspolitik“ für die „Drei-Kinder-Familie“. „Gesellschaftsexperimente“ wie die Ehe für alle seien zu stoppen, zumal es Lesben und Schwulen nur um Sexualität ginge, während hingegen die „Polarität der Geschlechter“ in der „natürlichen [heteronormativen, A.K.] Geschlechterordnung“ zur „deutschen Hochkultur“ beigetragen habe. „Gendermainstream“ sei ein „Sonntagskind der Dekadenz“ und Höcke verspreche, die „perverse“ „Geisteskrankheit“ „aus den Schulen und Hochschulen zu vertreiben“. „Gendermainstream“ sei als „Politische Korrektheit“ neben dem Nationalsozialismus und dem Stalinismus ein „dritter Totalitarismus“, der wie „Mehltau“ [Pflanzenkrankheit auf zellulärer Basis, A.K.] auf unserem Land liege. Die „historische Mission“ der AfD bestehe darin, dem „roten Block“ die „Begriffsherrschaft“ zu entwinden und dem auf „Volksempfinden“ basierenden „gesunden Menschenverstand“ wieder zur Geltung zu verhelfen. Hierzu bedürfe es eines „neuen Politikertypus“, der durch seine Vaterlandsliebe die „Anlagen des Volkes“ zu entfachen verstehe, um die „Neurotisierung“ zu überwinden, in der wir seit siebzig Jahren in der Weltpolitik dämmern“, um entsprechend zum „Eigenen“ zurückzufinden. Auch in der Bildungspolitik fordert der Oberstudienrat Höcke ein Ende der „Bildungsexperimente“ und eine Pädagogik der „positiven Unterordnungsfähigkeit“.

Andreas Kemper
Soziologe und Doktorand der Uni Münster. Sein Forschungsschwerpunkt ist klassenbezogene Diskriminierung, wozu er 2009 das Einführungswerk "Klassismus. Eine Einführung" verfasste, zusammen mit H. Weinbach. Weitere Studien von Kemper befassen sich mit dem organisierten Antifeminismus wie "(R)echte Kerle. Zur Kumpanei der Männerrechtsbewegung" (2011), "Die Maskulisten. Organisierter Antifeminismus im deutschsprachigen Raum" (hg. 2012) und Anti-PC-Abwehrstrategien ("Sarrazins Correctness. Ideologie und Tradition der Menschen- und Bevölkerungskorrekturen", 2014). Aktuell arbeitet Kemper zur AfD und deren Umfeld. Hier verfasste er 2013 das erste Buch zur AfD ("Rechte Euro-Rebellion"), zwei Expertisen für die Friedrich-Ebert-Stiftung zur Geschlechterpolitik der AfD ("Keimzelle der Nation?" Band I und II) sowie eine ideologiekritische Faschismusanalyse zu Björn Höcke, AfD, für die RLS Thüringen 2015.  

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