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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Freiheitsgefährdungen für LGBTI durch Rechtspopulismus und Rechtsextremismus

Podiumsdiskussion auf dem Kongress „Respekt statt Ressentiment. Strategien gegen Homo- und Transphobie“, Berlin 2015

Um homophob und transphob motivierte Diskriminierung gezielt zu bekämpfen, ist eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung notwendig. Wie kann eine offene Gesellschaft verteidigt und ausgebaut werden? Welche Allianzen und Strategien braucht es?

podiumsrunde.jpgDie Fragen, wie eine offene Gesellschaft verteidigt und ausgebaut werden kann und welche Strategien es dafür braucht, standen im Zentrum des Panels zu Freiheitgefährdungen für LGBTI. Es diskutierten Vertreter_innen aus Zivilgesellschaft, Politik, Kirche und Wissenschaft.

Alltägliche Diskriminierungserfahrungen

Zunächst berichtete Aleksej Urev, Landeskoordination Ani-Gewalt-Arbeit für Lesben und Schwule in NRW, von vielfältigen Diskriminierungserfahrungen, die von Anpöbelei bis zu Gewalttaten reichen. Auch die Orte sind zahlreich und erstrecken sich über die Schule, die eigene Wohnung und Arbeitsplatz bis in die TV-Sender, in denen alte und neue homophobe und transphobe Einstellungen präsent sind. Auch lassen die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Bezug auf Gleichstellung und Bekämpfung von Diskriminierung zu wünschen übrig.

Dr. Zülfukar Cetin von der Stiftung Wissenschaft und Politik wies auf den Zusammenhang von Homophobie und Rassismus und die Mehrfachdiskriminierung hin. Die Strukturen in der Gesellschaft sind heteronormativ, männlich und Weiß, viele fühlen sich ihr nicht zugehörig.

Geschlechtervorstellungen als zentrales Thema der extremen Rechten

Carolin Hesidenz von der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus im NS-DOK der Stadt Köln hob hervor, wie zentral das Thema Geschlecht für die extreme Rechte ist. Die Neonazi-Szene fordert die Wiedereinführung des Paragrafen 175, der Rechtspopulismus pflege das Feindbild Islam, von dem er sich abgrenzen wolle, weshalb er sich hin und wieder auch homosexuellenfreundlich gebe. Pegida aber verteufelt nicht nur den Islam, sondern auch die sexuelle Selbstbestimmung und Gender Mainstreaming.

Was macht der Bund und Berlin gegen LSBTI-Feindlichkeit?

Die Staatssekretärin in der Berliner Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen, Barbara Loth, bestätigt, dass es in Berlin eine hohe Dunkelziffer an Anfeindungen gibt, diese reichten bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Der Senat engagiere sich auf mehreren Ebenen gegen Minderheitenfeindlichkeit. Zum einen entwickelte er ein Programm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sowie die Initiative Sexuelle Vielfalt, für die 2,5 Mio. Euro bzw. 1 Mio. Euro zur Verfügung gestellt wurden. Er habe die Zivilgesellschaft eingebunden und Expert_innen-Netzwerke geschaffen. Auf diesem Wege fördere der Senat auch Opferhilfe, Beratung und Sensibilisierungsarbeit in Gesellschaft und Verwaltung der Stadt.

Die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Elke Ferner, lobte die Bemühungen in Berlin und NRW, in anderen Bundesländern aber, etwa in Bayern, gebe es leider keine derartigen Initiativen. In Bezug auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf Bundesebene verwies sie auf die Zwänge des Koalitionsvertrages.

Die Bundesregierung habe im BMFSFJ ein eigenes Querschnittsreferat „Gleichgeschlechtliche Lebensweisen, Geschlechtsidentitäten“ geschaffen, das die Koordinierung für den Bereich LGBTI innerhalb der Bundesregierung übernommen hat. Es widme sich u.a. auch der Projektförderung, so wurde auch dieser Kongress „Respekt statt Ressentiment“ ermöglicht. Auch das Programm „Demokratie leben“ fördert insgesamt zehn Projekte mit vier Mio. Euro.

Wichtig seien aber auch Symbole, etwa das Hissen der Regenbogenflagge vor dem Ministerium in 2014, die Unterzeichnung der IDAHO-Erklärung durch Ministerin Schwesig oder klare Positionierungen und Statements, das Diskriminierung nicht hinzunehmen ist.

Religiös legitimierte Homo- und Transphobie

img_3601podiumsrunde2.jpgDr. Bertold Höcker, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Berlin Stadtmitte, ging auf das Thema Religion und Homo- und Transphobie ein und erklärte, dass dies alle dem Naturrecht unterworfene Religionen betreffe. Alles was nicht der Fortpflanzung diene, werde von diesen Religionen abgelehnt. Der Protestantismus in Deutschland aber habe dieses Problem durch eindeutige Positionierungen überwunden.

Wichtig sei es, Strukturen zu verändern, die oft sakralisiert würden, um sie nicht anzutasten und Veränderung zu verhindern. Prozesse aber, die von oben gewollt sind, können auch umgesetzt werden. So habe der Kirchenkreis Mitte für sein Netzwerk an Kitas und Schulen das Konzept „Open and Affirming“ aus der New Yorker Partnergemeinde eingeführt. Formulare wurden modernisiert, Personal wird in Richtung Regenbogenkompetenz geschult, bei Einstellungsgesprächen werde auch nach Sexualpädagogik und LGBTI-Themen gefragt. „Das gehört ganz klar dazu, schließlich ist die Evangelische Kirche ein Tendenzbetrieb“, so Dr. Höcker.

Was kann getan werden? Und von wem?

Dr. Zülfukar Cetin grenzte die Möglichkeiten der Wissenschaft dahingehend ein, dass sie allein die Problembereiche erkennen, benennen, analysieren und beschreiben könne. Der Aktivismus hingegen könne Netzwerke mobilisieren und aktiv werden. Carolin Hesidenz betonte, dass die Bildung zwar ein wichtiger Faktor ist. Sie sei aber nicht der einzige, denn jenseits der persönlichen Ebene sei die institutionalisierte Menschenfeindlichkeit ein Problem. Sie wünsche sich von Politik und Verwaltung mehr Offenheit zur Selbstreflexion. Sie sollten sich fragen, wie sie zu Diskriminierung stehen und eigene Strukturen verändern. Als Positivbeispiel nannte sie das NRW-Eckpunktepapier gegen Rechtsextremismus.

Aleksej Urev sieht großen Handlungsbedarf und wünscht sich, dass Homo- und Transphobie immer auch in anderen Zusammenhängen diskutiert wird: „Andere müssen mit ins Boot geholt, gemeinsam müssen Gegenstrategien entwickelt werden. Wir müssen uns vernetzen und zusammen nach außen auftreten“, so Urev. Von der Politik erwartet er mehr Ressourcen für Community basierte Projekte, auch um einen Beitrag zur Erhellung der besagten Dunkelziffer zu leisten sowie klare Positionierungen für Vielfalt und gegen Diskriminierung.

Barbara Loth verwies auf die Registerstellen in Berlin, wo sich auch Opfer homo- und transphober Gewalt melden können. Elke Ferner hob die Arbeit der interministeriellen Arbeitsgruppe zum Themenkomplex Trans- und Intergeschlechtlichkeit hervor, die unter der Federführung des BMFSFJ die Arbeit aufgenommen hat, um den gesetzgeberischen Handlungsbedarf in Bezug auf die Menschenrechte von trans- und intergeschlechtlichen Menschen vollständig zu gewährleisten. Zudem arbeite eine Arbeitsgruppe aus BMFSFJ und BMI aktuell daran, den bestehenden Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus um die Aspekte Homo- und Transphobie zu erweitern.

AGG - Vorbild für solidarische Bündnisse

publikum2.jpgFür die Organisator_innen resümierten Anetta Kahane (Amadeu Antonio Stiftung) und Günter Dworek (LSVD) das Strategie-Panel. Kahane stellt auch in andern Bereichen eine neue Welle von Feindlichkeit fest, diskriminierte Gruppen ziehen sich zurück und werden zu Objekten statt Subjekten der Gesellschaft. Oftmals fehlt es an Selbstreflexion über die Eigenverantwortung in Bezug auf gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Diskriminierungsopfer sind nicht gefeit vor der Reproduktion von Vorurteilen, Selbstreflektion dürfe nicht immer nur von anderen erwartet werden, denn eine solche Einstellung verhindere eine Solidarisierung verschiedener Gruppen und befördere die Konkurrenz zwischen Opfern.

Günter Dworek erinnerte an die heftigen Auseinandersetzungen um das AGG vor zehn Jahren. Damals gab es ein gutes solidarisches Bündnis für Nichtdiskriminierung, das wieder belebt werden sollte. Auf der Bundesebene muss endlich mit der Arbeit am Nationalen Aktionsplan begonnen und die Zivilgesellschaft eingebunden werden. Auch der Name des Aktionsplans muss entsprechend aktualisiert werden.

Der Bund kann Impulse geben in Bezug auf die Menschenrechtsbildung, die Stärkung der Zivilgesellschaft und der Zivilcourage, in rechtlicher Hinsicht durch die Reform des Transsexuellengesetzes und die Ehe für Alle sowie die Prävention im Hinblick auf die Täter_innen. Es gibt aber auch schlechte Symbolpolitik, die für Exklusion sorge, etwa das gerade vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Hasskriminalität, in dem Homo- und Transphobie aus nicht nachvollziehbaren Gründen einfach unbenannt bleiben. Dies muss im Rahmen des Nationalen Aktionsplanes dringend revidiert werden. Der LSVD gebe nicht eher Ruhe, bis dies erreicht ist, so Dworek.

Klaus Jetz
LSVD-Geschäftsführung

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