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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Gefährdete Afghan*innen weiter aufnehmen: Bundes- und Landesaufnahmeprogramme sind nötig!

Lesben- und Schwulenverband unterstützt Aufruf

Angesichts des jahrelangen NATO-Einsatzes und des politischen sowie bürokratischen Versagens in den vergangenen Monaten steht Deutschland, wie andere Länder auch, in der Verantwortung, Bedrohte aufzunehmen. 

Update vom 20.01.2022: Die Bundesregierung hat bekannt gegeben, dass über 80 LSBTI-Menschenrechtsverteidiger*innen aus Afghanistan eine Aufnahme-Zusage für Deutschland bekommen haben. Aber: Das geplante Aufnahmeprogramm könnte afghanische LSBTI durch Fokus auf menschenrechtliches Engagement und „Kernfamilie“ so gut wie ausschließen. Am 21.12.2021 haben wir die Petition „Afghanische LSBTI* jetzt retten!“ gestartet. Sie wird von der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e.V.), dem CSD Bremen, dem Rat&Tat Zentrum für Queeres Leben Bremen, der Rosa Strippe in Bochum und Schwulenberatung Berlin unterstützt.

Vor zwei Wochen, am 26. August 2021, ist die deutsche Evakuierungsaktion aus Afghanistan nach der Machtergreifung der Taliban eingestellt worden. Viele gefährdete Menschen sitzen aber mit ihren Familien immer noch in Afghanistan fest: Mitarbeitende lokaler Partnerorganisationen und deutscher Organisationen, Frauenrechtsverteidiger*innen und Menschenrechtsaktivist*innen, Journalist*innen, bei Subunternehmen beschäftigte Ortskräfte und Regierungsangestellte, die für einen demokratischen Staat und eine unabhängige Justiz eingetreten sind. Zudem sind Angehörige von in Deutschland lebenden Afghan*innen und Deutschen in Gefahr, sie werden zum Teil bereits von den Taliban gesucht. Für sie sieht die Bundesregierung aktuell keine Aufnahme vor. In den vergangenen Wochen erreichten Tausende verzweifelte Hilferufe die unterzeichnenden Organisationen. Diesen Menschen muss schnellstmöglich eine Aufnahme ermöglicht werden!

Das Ausfliegen gefährdeter Afghan*innen startete zu spät, um alle Gefährdeten zu retten. Darüber hinaus hat die Bundesregierung den Kreis für die Aufnahme in Frage kommender Menschen zu eng gefasst. Die Europäische Union, die Türkei und die Nachbarstaaten Afghanistans schließen ihre Grenzen.

Angesichts des jahrelangen NATO-Einsatzes und des politischen sowie bürokratischen Versagens in den vergangenen Monaten steht Deutschland, wie andere Länder auch, in der Verantwortung, Bedrohte aufzunehmen. Hinzu kommt, dass Tausende Gefährdete Angehörige haben, die bereits in Deutschland leben. Es gibt eine starke afghanische Gemeinschaft und eine aktive Zivilgesellschaft in Deutschland, die den neu Ankommenden bei Ankunft und gesellschaftlicher Teilhabe unterstützend zur Seite stehen werden. Es gilt jetzt, Menschenleben zu retten!

Wir fordern:

1. Ad hoc-Maßnahmen: Sichere Ausreise und weitere Aufnahmezusagen für besonders gefährdete Afghan*innen

Sichere Ausreise: Außenminister Heiko Maas hat die Aufnahme von rund 40.000 Ortskräften sowie von bis zu 10.000 besonders schutzbedürftigen Menschen zugesagt. Nun muss die Bundesregierung bei Verhandlungen und in Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft alles dafür tun, damit gefährdete Menschen auch nach dem vollständigen Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan in Sicherheit gelangen können, zum Beispiel durch zivile Flüge aus Afghanistan oder einem Nachbarstaat.

Es müssen Vereinbarungen mit den Nachbarländern Afghanistans getroffen werden, die gefährdeten Personen eine Einreise in diese Länder und die Weiterreise nach Deutschland ermöglichen. Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass die gefährdeten Menschen die Nachbarstaaten sicher erreichen können. Dazu gehört auch eine digitale Bestätigung der Bundesregierung über die Aufnahmezusage, die die Betroffenen bei Bedarf vorzeigen können. Um die Aufnahme nach Deutschland schnell zu ermöglichen, sollten Charterflüge organisiert sowie Visa-on-Arrival erteilt werden. Mit Blick auf das schlechte Krisenmanagement der vergangenen Wochen müssen feste Ansprechpartner*innen in den Behörden eingerichtet werden, die Informationen zu Aufnahmezusagen und Ausreisen gegenüber betroffenen Einzelpersonen und Organisationen transparent machen und für zivilgesellschaftliche Akteur*innen ansprechbar sind. 

Aufnahmezusagen für besonders gefährdete Personen: Die Listen des Auswärtigen Amtes mit besonders gefährdeten Personen müssen weitergeführt werden. Eine Aufnahme nach § 22 Satz 2 AufenthG muss auch Menschen offen stehen, die es bisher nicht geschafft haben, sich beim Auswärtigen Amt registrieren zu lassen. Es ist inakzeptabel, dass mit dem 26. August eine willkürliche Frist gesetzt wurde – ihre Gefährdung muss zählen, ein Ausschlussdatum verhindert dies. Im Weiteren muss es Aufnahmezusagen als Ortskräfte auch für gefährdete Personen geben, die überSubunternehmer für deutsche Einrichtungen und Organisationen tätig waren, und alle gefährdetenFamilienmitglieder – nicht nur Ehepartner*innen und minderjährige Kinder – müssen umfasst sein.

2. Weitere Aufnahme über ein Bundesaufnahmeprogramm

Bundesaufnahmeprogramm für gefährdete Afghan*innen: Für gefährdete Personen, die nicht die aktuellen engen Kriterien der Bundesregierung erfüllen, aber z.B. aufgrund ihrer Tätigkeiten nicht mehr sicher in Afghanistan leben können, braucht es ein Bundesaufnahmeprogramm nach § 23 Abs. 2 AufenthG. Damit darf nicht bis nach der Bundestagswahl gewartet werden. Die Bundesländer sollten diesen Prozess unterstützen.

Berücksichtigung beim Resettlement: Bislang werden afghanische Flüchtlinge, die zum Teil seit vielen Jahren unter prekären Bedingungen in den Nachbarländern Afghanistans leben, von Deutschland nicht für das UN-Resettlement-Programm berücksichtigt. In Anbetracht der Not in der Region müssen afghanische Flüchtlinge im Rahmen des Resettlement-Programms von allen Aufnahmeländern berücksichtigt und die Aufnahmequoten stark erhöht werden.

3. Angehörige von in Deutschland lebenden Menschen schützen

Die Machtübernahme der Taliban gefährdet alle Menschen mit Verwandten, die im Westen leben. Laut Berichten von Menschen vor Ort wird zum Teil schon gezielt nach entsprechenden Familienmitgliedern gesucht. Entsprechend sind viele Menschen in Deutschland in großer Angst um ihre Angehörigen.

Einen schnellen Familiennachzug: Alle deutschen Auslandsvertretungen müssen Visa für afghanische Staatsangehörige ausstellen (sogenannte Globalzuständigkeit). Visaverfahren zur Familienzusammenführung müssen nun priorisiert, zügig in Deutschland bearbeitet und unter Ausschöpfung aller Ermessenspielräume umgehend entschieden werden. Zusätzlich müssen die Kapazitäten der Auslandsvertretungen in der Region massiv ausgebaut werden. Bürokratie muss abgebaut und die Anforderungen an Dokumente müssen heruntergefahren werden. Von Erteilungsvoraussetzungen wie Sprachnachweisen ist angesichts der aktuellen Situation abzusehen. Angesichts der dramatischen Lage in Afghanistan muss der Begriff der außergewöhnlichen Härte großzügig ausgelegt werden, um den Familiennachzug anderer Angehöriger, wie etwa erwachsener lediger Kinder, zu ermöglichen.

Landesaufnahmeprogramme für Angehörige: Da viele Afghanin*innen trotz Angehöriger in Deutschland vom Familiennachzug ausgeschlossen sind, bedarf es – wie schon für Angehörige von syrischen Flüchtlingen – Landesaufnahmeprogramme nach § 23 Abs. 1 AufenthG. Diese müssen auch den Nachzug von Angehörigen außerhalb der Kernfamilie ermöglichen. Fehler aus den bisherigen Programmen bezüglich unerfüllbarer Verpflichtungserklärungen dürfen sich nicht wiederholen.

4. Schutz und Perspektive für Afghan*innen in Deutschland

Zugleich ist es auch dringend notwendig, in Deutschland lebenden Afghan*innen eine sichere Perspektive zu bieten. Für viele bedeutet die Machtübernahme der Taliban, dass für sie eine Rückkehr nach Afghanistan auf absehbare Zeit ausgeschlossen ist. Dies muss sich auch in einer geänderten Anerkennungspraxis des BAMF niederschlagen. Zudem braucht es einen generellen Abschiebungsstopp und eine Bleiberechtsregelung.

Siehe auch: Bundesregierung muss jetzt afghanische LSBTI evakuieren. Es gibt konkrete Hilfegesuche, die auch der Bundesregierung zugänglich sind (LSVD-Pressemitteilung vom 25.08.2021)

Unterzeichnende Organisationen (8. September 2021)

Bundesebene

Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF)
Amnesty International
AWO Bundesverband
Bischöfliches Hilfswerk MISEREOR e. V.
borderline-europe – Menschenrechte ohne Grenzen e.V.
Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer - BAfF e.V.
Der Paritätische Gesamtverband
Deutscher Caritasverband
Diakonie Deutschland
Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland
Jugendliche ohne Grenzen
JUMEN - Juristische Menschenrechtsarbeit in Deutschland e.V.
KOK - Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V.
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland LSVD
medica mondiale
medico international e.V.
Neue Richtervereinigung (NRV)
Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte
PRO ASYL e.V.
Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV)
Seebrücke
SOLWODI Deutschland e.V.
terre des hommes Deutschland e.V.
YAAR e.V.

Landesebene

Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW
AWO Landesverband Thüringen e.V.
bee4change e.V. Hamburg
Caritasverband für das Erzbistum Hamburg e.V.
Dachverband Entwicklungspolitik Baden-Württemberg
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Niedersachsen e. V.
Der PARITÄTISCHE Schleswig-Holstein
Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V.
Diakonie Mitteldeutschland
Diakonisches Werk Schleswig-Holstein
Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
fluchtpunkt Hamburg
Flüchtlingsrat Baden-Württemberg
Flüchtlingsrat Bayern
Flüchtlingsrat Berlin
Flüchtlingsrat Brandenburg
Flüchtlingsrat Bremen
Flüchtlingsrat Hamburg e.V.
Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V.
Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V.
Flüchtlingsrat NRW
Flüchtlingsrat RLP e.V.
Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V.
Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Flüchtlingsrat Thüringen e.V.
Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e. V.
Hessischer Flüchtlingsrat
Initiativausschuss für Migrationspolitik in Rheinland-Pfalz
Landesintegrationsrat NRW
mAqom - Kirche und Zuflucht e. V.
Sächsischer Flüchtlingsrat e.V.