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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Wie kann Jugendarbeit religiös motivierter Homophobie und Transfeindlichkeit entgegenwirken

Strategien und Handlungsempfehlungen aus dem Regenbogenparlament

Ressentiments gegen LSBTIQ* werden häufig auch mit Verweis auf religiöse Überzeugungen gerechtfertigt. Religionsgemeinschaften bieten zudem auch Angebote für Kinder und Jugendliche. Wie können Fachkräfte der Jugendarbeit reagieren, wenn sie sich mit religiös motivierter Queerfeindlichkeit auseinandersetzen müssen?

Veranstaltungsfoto zum Webtalk

(Lesedauer: 4 Min.)

Ressentiments und Anfeindungen gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans*, intergeschlechtlichen und queeren Menschen (LSBTIQ*) werden häufig auch mit Verweis auf religiöse Überzeugungen gerechtfertigt. Gleichzeitig sind Religionsgemeinschaften auch Träger*innen von Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe.

Wie können Fachkräfte reagieren, wenn sie sich mit religiös motivierter Queer-Feindlichkeit auseinandersetzen müssen? Welche verbindenden Elemente gibt es zwischen religiösen Wertvorstellungen und der Akzeptanz von LSBTIQ*?

Darüber diskutierten im Rahmen des Regenbogenparlaments 2021, Rebekka Biesenbach (Diplom Theologin, Geistliche Bundesleiterin in der Katholischen jungen Gemeinde) und Christian Kautz (Bildungsreferent der Fachstelle für Pädagogik zwischen Islam, antimuslimischem Rassismus und Islamismus bei ufuq e.V.).

Videoaufzeichnung des Talks "Jugendarbeit zwischen Religion und Fundamentalismus"

Inhaltsverzeichnis

  1. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Jugendarbeit der Katholischen jungen Gemeinde (KjG)
  2. Sexuelle Vielfalt im Islam - Pädagogische Handlungsempfehlungen zur Vereinbarkeit von Religion, Sexualität und Geschlecht

1. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in der Jugendarbeit der Katholischen jungen Gemeinde (KjG)

Die Katholische junge Gemeinde (KjG) ist Teil der katholischen Kirche und vertritt somit auch die kirchliche Lehrmeinung. Kinder und Jugendliche wachsen in einen Glauben hinein und entdecken gleichzeitig auch ihre eigene Identität. Dieses Hineinwachsen macht nicht nur Spannungsfelder im Zusammenhang mit der Sexualmoral und dem Glauben auf, sondern auch mit Fragen der Geschlechtergerechtigkeit und -vielfalt.

Die lehramtliche Haltung der Kirche entspricht oft weder dem eigenen Glauben noch dem eigenen (Gerechtigkeits-) Empfinden. Diese Kluft zwischen kirchlicher Haltung und dem eigenen Empfinden wird beispielsweise auch bei der Frage der kirchlichen Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften offensichtlich.

Die KjG versucht Glauben, Spiritualität und Identität in Einklang zu bringen, trotz der ambivalenten Anmutung und bestehenden Widersprüchen. Darüber hinaus existiert innerhalb der Kirche ein Disput zwischen progressiven und konservativ-fundamentalistischen Christ*innen. Hier geht es vor allem um Erhalt und Fortschritt der Kirche.

Rebekka Biesenbach befürchtet, dass junge Menschen der Kirche bei diesen Themen mehr und mehr die Deutungshoheit entziehen. So hat beispielsweise die katholische Sexualmoral deutlich im alltäglichen Leben an Bedeutung verloren. Genau das haben konservativ-fundamentalistische Gläubige als Einfallstor genutzt, um jungen Menschen das Katholisch-Sein abzusprechen. 

1.1 Geschlechtervielfalt in der KjG

Die KjG hat hier in den letzten Jahren über die paritätische Zusammensetzung der Leitungen, Konferenzen und der Einführung des Binnen-I eine deutliche Entwicklung vollzogen. Auch haben sich schwule und lesbische Gemeinde-Mitglieder zusammengefunden und das queere Netzwerk KjGay gegründet. Dieses Netzwerk bietet sichere Räume zum Austausch, trägt Themen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in den Verband und bietet persönliche Beratung innerhalb der Community an.

Zeichnung einer Kirche mit einem RegenbogenbogenDer Umgang mit Geschlechter-Vielfalt wird im Verband zur Selbstverständlichkeit. KjGler*innen haben ein Grundverständnis von Geschlechter-Vielfalt und die Strukturen spiegeln dieses Verständnis wider. Sie geben Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen Freiräume, um ihre eigene Geschlechtsidentität kennenzulernen, anzunehmen und weiterzuentwickeln. Gleichzeitig können sie diesen Prozess auch begleiten. Der Verband arbeitet auch daran, Geschlechter-Rollen in bildlichen Darstellungen aufzubrechen und diese zu hinterfragen.

Dieser Prozess führte auch zur Erarbeitung eines Leitbildes "Geschlechter-Vielfalt". Verbands-Strukturen wurden ebenfalls überarbeitet und kindgerechte Materialien sowie eine Zusammenstellung von Praxis-Tipps erstellt. Es bleibt aber noch einiges zu tun. 

Die KjG hat das Ziel, innerkirchlich, innenpolitisch und in die Gesellschaft hineinzuwirken, um queere Lebenswelten als Normalität anzuerkennen. Besonders innerkirchlich ist dies ein harter Kampf.

1.2 Wie könnten Fachkräfte reagieren, wenn LSBTI*-feindliche Äußerungen religiös begründet werden?

Handlungsempfehlungen


Eine Waage als Symbol für Gerechtigkeit sowie ein regenbogenfarbenes Herz als Symbol für Mitmenschlichkeit

  • Menschen, die betroffen sind, empowern und unterstützen.
  • Vernetzung fördern und Begegnungsmöglichkeiten schaffen, um bestehende Bilder zu verändern.
  • Klare Haltung zeigen und LSBTIQ*-feindlichen Einstelllungen widersprechen: eigenen Wertekompass deutlich machen.
  • Werte wie Mitmenschlichkeit und Gerechtigkeit sind gute Anknüpfungspunkte.
  • Wichtig ist, mit und nicht über Menschen zu sprechen.
  • Rassismuskritisches Arbeiten muss in der christlichen (katholischen) Bildungsarbeit ausgeweitet werden.

2. Sexuelle Vielfalt im Islam-Pädagogische Handlungs-Empfehlungen zur Vereinbarkeit von Religion, Sexualität und Geschlecht

Zum Einstieg stellte Christian Kautz den Verein ufuq und dessen Leitbild vor. Der Verein setzt verschiedene bildungspolitische sowie radikalisierungs-präventive Projekte um und bietet in diesem Zusammenhang sowohl Workshops für Jugendliche als auch Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte und Institutionen an. Hierbei verbindet der Verein spezifische Aspekte von politischer Bildung, Pädagogik und Präventions-Ansätze miteinander.

gezeichnetes GesprächBesonders hebt Christian Kautz den Peer-to-Peer-Ansatz in der Arbeit mit Jugendlichen hervor, um über eigene Erfahrungen zu sprechen. Denn Erfahrungen der Selbstwirksamkeit beugen demokratie-feindlichen Haltungen vor. Jugendlichen muss vermittelt werden, dass ihre Sichtweisen und Aussagen in medialen, gesellschaftlichen Debatten als gleichwertig wahrgenommen werden.

In der pädagogischen Arbeit geht es nicht um eine theologische Auseinandersetzung. Auch nicht in Bezug auf häufige Fragen wie: "Was sagt der Islam zu Homosexualität und ist der Islam schwulenfeindlich?".

Es gibt viele verschiedene Arten Islam zu verstehen. Lebens-Wirklichkeiten von Muslim*innen sind durchaus divers und heterogen. Bilder von Geschlechter-Rollen sowie Verständnisse von Sexualität und Geschlecht werden primär gesellschaftlich geprägt durch historisch gewachsene Machtverhältnisse und diskriminierende Denkmuster. Diese Wahrheiten und Auslegungen sind immer aushandelbar und somit auch veränderlich.

Im Umgang mit LSBTIQ*-feindlichen und diskriminierenden Äußerungen ist es wichtig, diese zu hinterfragen: Wie wollen wir leben? Wirkungsvoll ist dabei die lebensweltnahe Erkenntnis, dass sich weniger gut zusammenleben lässt, wenn Menschen ausgegrenzt werden.

Queerness und muslimisch sein sind zentrale Bereiche in der pädagogischen Praxis. Neben dem gesamtgesellschaftlichen Problem der Queerfeindlichkeit haben es queere Gläubige besonders schwer, in religiösen Communitys Anerkennung zu finden.

Dabei ist zu bedenken, dass Erfahrungen, die Schüler*innen in der Schule machen, mitunter tiefgreifend und nachhaltig traumatisch sind. Es gibt aber zeitgleich Möglichkeiten, dagegen zu wirken. Hier ist die Sichtbarmachung vielfältiger queerer Lebensentwürfe und Identitäten im schulischen Alltag wichtig und kann präventiv gegen LSBTIQ*-Feindlichkeit wirken.

2.1 Handlungsansätze auf personaler Ebene

  • Reflexion des eigenen Handelns und Sprechens: Wem höre ich zu? Was sehe und bezeichne ich als normal? Wessen Wortbeiträge nehme ich ernst?
  • Vorbild-Funktion bei Namensnennung und richtiger Verwendung von Pronomen einnehmen sowie unterstützend bei einem eventuellen Coming-out begleiten.

2.2 Handlungsansätze auf inhaltlicher Ebene

Zeichnung eines Buchs, dass neben einer Familie aus Vater, Mutter und Kindern auch ein homosexuelles Paar zeigt

  • Unterrichts-Materialien mit vielfältigen Lebensentwürfen und Identitäten sollten fächerübergreifend angeboten werden und präsent sein.
  • Eine umfassende und intersektionale Thematisierung von sexuellen und geschlechtlichen Lebensentwürfen sollte fächerübergreifend stattfinden und nicht als ein Nischenthema des Sexualkundeunterrichts betrachtet werden.

2.3 Handlungsansätze auf struktureller Ebene

  • Vielfalt des Lehrer*innen-Kollegiums sichtbarmachen, insbesondere Unterstützungsangebote für queere People of Color, aber auch für migrantisierte Jugendliche und queere Jugendliche im Allgemeinen schaffen.

Das Regenbogenparlament 2021 war eine Veranstaltung im Rahmen des Kompetenznetzwerks "Selbst.verständlich Vielfalt". Das Kompetenznetzwerk "Selbst.verständlich Vielfalt" ist das Kompetenznetzwerk "Homosexuellen- und Trans*feindlichkeit" im Bundesprogramm "Demokratie leben!".

Ansprechpersonen für das LSVD-Projekt im Kompetenznetzwerk sind Jürgen Rausch / René Mertens: koordinierungsstelle@lsvd.de

Illustrationen: Sibylle Reichel www.sibylle-reichel.de

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