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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Shrinking Space in der Türkei

Wie lässt sich die Menschenrechtsarbeit in der Türkei stärken?

img_2095.jpgTeil der Besuchsreise von zwölf Aktvist*innen vom Westbalkan und der Türkei war die halbtägige Konferenz „Time for Change – Making Promises Reality“, die am 21.11.2017 im Auswärtigen Amt stattfand. Wie schon bei vorherigen Konferenzen, die wir in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen Amt organisierten, konnten wir auch dieses Mal die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Dr. Bärbel Kofler, und Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, als Redner bzw. Panelistin begrüßen.

Teil 1 der Konferenz befasste sich mit den Zuständen in der Türkei. Zunächst liefert Emirhan  C., ein türkischer Aktivist von SPoD Istanbul, hochaktuelle Informationen zur menschenrechtlichen Situation von LSBTI im Land. Er hob hervor, dass der handlungsspielraum für LSBTI-Aktivist*innen in der Türkei im weiter eingeengt wird. So wurden im vergangenen Jahr die Gay Pride Veranstaltungen verboten, die Aktivist*innen als Agenten des Westens denunziert. Kürzlich wurden auf Betreiben der Regierung in der Hauptstadt Ankara sämtliche kulturellen, von LSBTI-Organisationen durchgeführten Aktivitäten mit dem Hinweis auf nationale Werte und moralische Einstellungen der Bevölkerung verboten. Von ihnen könnten Gefahren für sowie Hass und Feindseligkeiten gegen Teile der Bevölkerung ausgehen. Zuvor war am 17.11.17 bereits ein queeres Filmfestival verboten worden, das von der Deutschen Botschaft unterstützt worden war.

img_2018.jpgPanel I ging der Frage nach, wie die Menschenrechte gestärkt und LSBTI-Menschenrechts-verteidiger*innen in der Türkei unterstützt werden können. Die Menschenrechtsbeauftragte Kofler verurteilte zunächst auf die massiven Verhaftungs- und Entlassungswellen sowie die Unterdrückung der Meinungs- und Pressefreiheit seit dem Putschversuch die vom Juli 2016. Das repressive Vorgehen der Regierung habe zu einem sprunghaften Anstieg der Asylanfragen aus der Türkei geführt. Die Zusammenarbeit auf staatlicher Ebene gestalte sich als äußerst schwierig. Umso wichtiger sei der Dialog mit und die Unterstützung der Zivilgesellschaft, die Erwartungen an die deutsche Politik formulieren müsse. Ihr gehe es um die Möglichkeiten, wie aus dem shrinking space wieder ein creative space werden könne.

Tim Hülquist vom Institut für Auslandsbeziehungen (IFA) meinte, es brauche neue Werkzeuge zur Unterstützung der türkischen Zivilgesellschaft und wies auf Austauschprogramme wie das CrossCulture Programm des IFA hin. Auch solle nicht vergessen werden, dass im viele Deutsche während des Zweiten Weltkrieges Aufnahme in der Türkei fanden. Jetzt müsse Deutschland auch verfolgten Türk*innen Schutzraum bieten.

img_1980.jpgDer Vertreter von Pink Life LGBTI Solidarity Association Ankara Bora B. wünschte sich mehr Solidarität und größeren internationalen Druck auf die Türkei, es müsse allerdings dafür Sorge getragen werden, dass der nicht an die Menschenrechtsverteidiger*innen weitergegeben werde. In internationalen Gremien und Verhandlungen mit der EU, dem Europarat und auf EU-Ebene müssten klare Worte gegenüber der türkischen Regierung gefunden werden, damit die Entwicklungen wieder eine andere Richtung nehmen.

Bärbel Kofler bat um Antworten auf die Frage, wie erreicht werden kann, dass im Dialog mit der Türkei wieder über Werte gesprochen werde. Mit dem Filmfestival habe man einen Beitrag zur Öffnung leisten wollen, doch leider habe das nicht funktioniert. Tim Hülquist beschwor die Möglichkeiten und Macht des Kulturaustauschs. Goethe-Institute, DAAD, Archäologische Institute, politische Stiftungen könnten Schutzräume eröffnen. Doch leider haben einige Regierungen, die erkannt haben, welche Macht die Kultur hat, die Brücken abgebrochen. So Ägypten, von wo die deutschen Stiftungen sich zurückgezogen haben. Die Frage sei nunmehr, welche Brücken die deutsche Zivilgesellschaft bauen könne. Das IFA stehe für Kooperationen zur Verfügung. Eine weitere Frage sei, welche Rückwirkungen die Diaspora-Communities und geflüchtete LSBTI auf die Herkunftsgesellschaften haben. Diese seien geeignet, langfristig einen Beitrag zu leisten zur Überwindung überkommener und traditioneller Einstellungen. Und endlich müsse auch die Frage nach Visafreiheit und erleichterte Einreisebestimmungen für Menschenrechtsverteidiger*innen aus Verfolgerstaaten gestellt werden. Hier sei die Bundesregierung gefordert.

Klaus Jetz
Hirschfeld-Eddy-Stiftung