Menschenrechte von LSBTI — ein schwieriges Thema für die OSZE
OSZE in Hamburg: Parallelkonferenz der Zivilgesellschaft
Am 8. und 9. Dezember 2016 trafen sich dann die Außenminister*innen der OSZE-Staaten zum Ministerrat. Seit 2010 findet jedes Jahr im Vorfeld dieses Treffens eine Parallelkonferenz der Zivilgesellschaft statt. Daher kamen am 6. und 7. Dezember mehr als hundert Vertreter*innen der Zivilgesellschaft aus allen Regionen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Hamburg zusammen. Die Civic Solidarity Platform (CSP) hatte eingeladen und LSVD/Hirschfeld-Eddy-Stiftung waren dabei. Die OSZE hat 57 Teilnehmerstaaten aus Asien, Europa und Nordamerika und 2016 hatte Deutschland den OSZE-Vorsitz inne. Ein Schlussdokument mit Empfehlungen der Zivilgesellschaft an den Ministerrat wurde einstimmig verabschiedet und dem deutschen Außenminister FrankWalter Steinmeier übergeben.
“Please take action!” Appell von Trans*aktivist*in aus der Türkei
„Bitte tut etwas, sonst sind wir verloren!“, so der verzweifelte Appell einer*s türkischen Trans*Aktivist*in. In der Türkei werden seit den Repressionsmaßnahmen der Erdogan-Regierung nach dem Putschversuch unabhängige Organisationen systematisch verboten, kritische Medien eingeschüchtert und nach Razzien geschlossen. Schon 1.500 NGOs mussten ihre Arbeit aufgeben, Massenverhaftungen finden statt und schüren Angst auch unter denen, die noch nicht betroffen sind. „Please take action or there will be no one left!“ Gerade Teilnehmer*innen aus EU-Staaten sollen darauf drängen, dass ihre Regierungen sich klar gegen die Verfolgung kritischer Stimmen aussprechen und zur Einhaltung der Menschenrechte auffordern.
Auch in EU-Staaten wie Polen und Ungarn wird der Rechtsstaat in jüngster Zeit systematisch geschwächt, die Demokratie eingeschränkt und mit Negativkampagnen diffamiert. Menschenrechtsaktivist*innen aus den Ländern riefen alle zu einem stärkeren und lauteren Einsatz für die Aufrechterhaltung der Demokratie, Wahrung der Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Justiz auf. Diese Grundlagen des demokratischen Rechtsstaats sind an vielen Orten akut gefährdet.
Verlasst Eure Echokammern, redet miteinander, arbeitet zusammen!
Auch für Katarzyna Jarosiewicz-Wargan, stellvertretende Leiterin des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte ODIHR, dem OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte mit Sitz in Warschau, ist die Lage alarmierend. Sie wandte sich eindringlich an die NGO-Delegierten und forderte alle auf: „Verlasst Eure Echokammern, sprecht mit anderen, die nicht der gleichen Meinung sind, sprecht nicht nur mit denen, die ähnlich denken, don´t just preach to the converted!“ (Sprecht nicht nur die an, die schon überzeugt sind!) Schwere Zeiten bräuchten unorthodoxe Lösungen, so Jarosiewicz-Wargan, und sie wandte sich mit einem eindringlichen Aufruf an die Zivilgesellschaft: “Seid aktiv und bildet Allianzen über Eure Arbeitsgebiete hinweg!“ Kurz: „Sprecht mit einer Stimme, sonst werdet ihr leichte Beute für die Autoritären sein. Arbeitet gemeinsam, tut Euch zusammen, um die zivilgesellschaftlichen Räume zurückzugewinnen!“
Speak in one voice!
Die EU müsse viel stärker auftreten, mehr für Bürgerrechte und Menschenrechte eintreten, nach außen und gemeinsam, aber auch in jedem einzelnen Mitgliedsland.
Die Beauftragte der OSZE für Medien Dunja Mijatovic, die aus Bosnien kommt, wies darauf hin, dass der Nationalismus und die Propaganda, wie sie aus vielen Ländern der OSZE-Region zu hören sind, sie unangenehm an die Zeit vor dem Ausbruch des Jugoslawienkrieges Anfang der 1990er Jahre erinnere.
Menschenrechte von LSBTI — ein schwieriges Thema für die OSZE
Außer LSVD und Hirschfeld-Eddy-Stiftung waren eine ganze Reihe von LSBTI-Organisationen als NGO-Vertreter*innen in Hamburg. Z.B. Trans*Organisationen aus Süd- und Osteuropa, koordiniert von Transgender Europe (TGEU). Menschenrechtsverletzungen an Trans*, sowie Lesben und Schwulen wurden auf der Konferenz der Zivilgesellschaft immer wieder angesprochen und die besondere Lage von LSBTI wird im offiziellen Schlussdokument auch an mehreren Stellen erwähnt. Eine Wirkung auf den Ministerrat ist allerdings nicht zu erwarten, da in der OSZE jede Entscheidung einstimmig fallen , d.h. jede Formulierung von allen Teilnehmerstaaten akzeptiert werden muss. Da unter anderem Russland, der Vatikan, Aserbaidschan und die Türkei dazu gehören, ist eine Einigung bei diesem Thema unmöglich.
Nicht-Diskriminierung gehört zwar zur sogenannten menschlichen Dimension (Human Dimension), der dritten Säule der OSZE neben der ersten, der militärisch-sicherheitspolitischen und der zweiten, der wirtschaftlich-ökologischen. Gernot Erler, Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den deutschen OSZE-Vorsitz erläuterte, dass es keine Definition von Antisemitismus gibt, der alle 57 Staaten zustimmen.
Genderfragen im Krisenfall eher am Rande
Zum Abschluss wurde das Schlussdokument, die vorbereiteten Empfehlungen und Forderungen an den OSZE-Ministerratsvorsitzenden Frank Walter Steinmeier übergeben. Von einigen Teilnehmenden wurde kritisiert, dass das Abschlussdokument in Bezug auf Gender zu schwach sei. Erklärt wurde dies damit, dass die Geschlechterfrage angesichts der prekären Sicherheitslage und einer Reihe von bereits bestehenden und drohenden bewaffneten Konflikten innerhalb der Gruppe der OSZE-Staaten nur am Rande vorkäme. Ein Thema, das innerhalb der Civic Solidarity Platform weiter diskutiert werden wird.
Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft soll auch über den Zeitraum des deutschen Vorsitzes hinaus fortgesetzt werden, so der Botschafter Eberhard Pohl von der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der OSZE in Wien. Ihn werden wir beim Wort nehmen.
Sarah Kohrt
LGBTI-Plattform Menschenrechte der HES
- Weitere Blog-Artikel zur OSZE 2016: Treffen im Auswärtigen Amt, “Shrunk Civil Society Space” — Bedrohung kritischer NGOs in der OSZE-Region, Hamburger Erklärung verabschiedet
- Civic Solidarity Platform
- Schlussdokument der Parallekonferenz Hamburg (englisch) inklusive Hamburger Erklärung zum Schutz der Zivilgesellschaft
- Evaluation des deutschen OSZE-Vorsitzes durch das DIMR (Deutsches Institut für Menschenrechte) mit Links zur Kommentierung durch die Zivilgesellschaft