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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

9 Kritikpunkte an Alice Schwarzers gefährlichen und falschen Thesen zu "Transsexualität"

Ausführliche Kritik des Lesben- und Schwulenverbands zum Sammelband „Transsexualität: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? - Eine Streitschrift“ von Alice Schwarzer und Chantal Louis 

Wir legen ausführlich dar, warum die Thesen von Alice Schwarzer zu "Transsexualität" falsch und gefährlich sind. 9 Kritikpunkte an dem neuen Sammelband „Transsexualität: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? - Eine Streitschrift“ von Alice Schwarzer und Chantal Louis zusammengetragen.

Transflagge als Symbolbild zur Kritik des Lesben- und Schwulenverbandes an Alice Schwarzers Thesen zu Transsexualität

Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) hält die Erklärungen von Alice Schwarzer zum Thema „Transgeschlechtlichkeit“ für grundlegend falsch und unverantwortlich. Sie sind gefährlich, weil sie sich gegen Verbesserungen in der rechtlichen Anerkennung, der gesundheitlichen Versorgung und der gesellschaftlichen Akzeptanz von trans* Menschen richten.

In diesem Beitrag haben wir 9 Kritikpunkte an dem neuen Sammelband „Transsexualität: Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? - Eine Streitschrift“ von Alice Schwarzer und Chantal Louis zusammengetragen. Wir legen ausführlich dar, warum die Thesen von Alice Schwarzer zu "Transsexualität" falsch und gefährlich sind. Denn in letzter Konsequenz ist das Buch ein Plädoyer dafür, es trans* Menschen so schwer wie möglich zu machen, sie in die Unsichtbarkeit zu drängen und als Problem und ungleichwertig darzustellen. Das ist ein fataler trans*feindlicher Irrweg!

Das Buch heizt eine Debatte weiter an, deren negative Auswirkungen trans* Menschen zu spüren bekommen. Zusammen mit dem Bundesverband Trans* haben wir auch die Broschüre „Soll Geschlecht jetzt abgeschafft werden“ veröffentlicht. Darin informieren wir über Transgeschlechtlichkeit und das von der Bundesregierung geplante Selbstbestimmungsgesetz.

Vorbemerkung: Viele Menschen finden, dass der Begriff „Transsexualität“ irreführend und falsch ist. Denn es geht nicht um Sexualität, sondern um Geschlecht. Daher verwenden auch wir die Begriffe "transgeschlechtlich" oder "trans*".

Inhaltsverzeichnis

  1. Hormonbehandlungen und OPs werden nicht von heute auf morgen verschrieben, OPs finden vor Vollendung des 18. Lebensjahres nur sehr selten statt.
  2. Besonders jungen trans* Personen wird in der Regel gerade nicht geglaubt.
  3. Zunehmende Akzeptanz von trans* Personen führt zu zunehmender Sichtbarkeit
  4. In homophoben Vorurteilen gilt auch Homosexualität als "Phase", "Trend" oder Resultat schlechter Erfahrungen
  5. "Verführungsthese": Kinder und Jugendliche "werden" aber nicht trans*, weil sie davon erfahren
  6. Menschen "werden" auch nicht trans*, weil sie eigentlich lesbisch oder schwul sind, aber nicht akzeptiert werden
  7. Seit Jahrzehnten ist "biologisches Geschlecht" weder das einzige noch das maßgebliche Kriterium für die Geschlechtszugehörigkeit
  8. Entscheidungen sind nicht nur dann selbstbestimmt, wenn Alice Schwarzer sie als selbstbestimmt absegnet
  9. Schwarzer verschweigt, dass es Länder mit Selbstbestimmungsgesetz gibt - ohne dass die beschworenen dramatischen Folgen eingetreten sind

1. Hormonbehandlungen und OPs werden nicht von heute auf morgen verschrieben, OPs finden vor Vollendung des 18. Lebensjahres nur sehr selten statt.

Das Buch basiert auf der Behauptung, dass es einen aktuellen Trend gäbe, bereits bei einer Rollenirritation zu schnell mit schwerwiegenden Hormonbehandlungen und Operationen zu reagieren. Bereits diese Ausgangsthese ist falsch. Es wird suggeriert, dass Kinder und Jugendliche nur einmal sagen müssen, dass sie trans* sind, und dann am nächsten Tag Hormone bekommen oder auf dem OP-Tisch liegen würden. Das ist nicht der Fall!

Es gibt medizinische Leitlinien. Operationen finden vor Vollendung des 18. Lebensjahres nur sehr selten statt. Trans* Personen müssen zudem in der Regel mehrere Jahre warten, bis die Kostenübernahme für geschlechtsangleichende Operationen genehmigt wird. Nach wie vor müssen trans* Personen in vielen Fällen kräftezehrende und kostspielige Rechtsstreitigkeiten mit den Krankenkassen führen, um die Kosten für geschlechtsangleichende Maßnahmen nicht selbst tragen zu müssen.

2. Besonders jungen trans* Personen wird in der Regel gerade nicht geglaubt.

Ferner wird behauptet, dass sobald jemand sagt, er*sie sei trans*, die Person nur bestärkt und nicht hinterfragt werde. Das entbehrt ebenfalls jeglicher Grundlage und widerspricht den Erfahrungen von trans* Kindern und Jugendlichen. Gerade weil Trans*geschlechtlichkeit als gesellschaftlich unerwünscht und nicht als gleichwertig gilt, bricht das Umfeld nicht in helle Freude und Jubelstürme aus. Besonders jungen trans* Personen wird in der Regel nicht geglaubt. Ihre Aussagen werden permanent angezweifelt.

3. Zunehmende Akzeptanz von trans* Personen führt zu zunehmender Sichtbarkeit

An Schwarzers Analyse stimmt, dass es mehr Sichtbarkeit von trans* Personen gibt und sich auch mehr trans* Personen outen. Das ist für uns weder schlimm noch eine Gefahr, sondern gut so. Schwarzer lässt unter den Tisch fallen, dass sich seit den 1990er Jahren einiges in der rechtlichen Anerkennung und der gesellschaftlichen Akzeptanz getan hat. Damals mussten sich trans* Personen für eine Änderung des Personenstands zwingend sterilisieren lassen, in geschlechtsangleichende OPs einwilligen und sich von Ehepartner*innen scheiden lassen. Letzteres weil gleichgeschlechtliche Ehe damals verboten waren. Auch gab es kaum positive Vorbilder oder Verständnis im sozialen Umfeld. Dass sich damals weniger Menschen für ein Coming entschieden, ist kaum überraschend.

Letztlich läuft Schwarzers Analyse darauf hinaus, es trans* Menschen so schwer wie möglich zu machen, Transgeschlechtlichkeit in die Unsichtbarkeit zu drängen und als Problem und ungleichwertig darzustellen. Das ist ein fataler und gefährlicher Irrweg!

4. In homophoben Vorurteilen gilt auch Homosexualität als "Phase", "Trend" oder Resultat schlechter Erfahrungen

In Schwarzers Augen gibt es eine Unterscheidung zwischen „echter“ Transgeschlechtlichkeit und „unechter“ Transgeschlechtlichkeit. Letztere sei nur eine „Phase“, ein „Trend“ oder Ergebnis schlechter Erfahrungen etwa von „sexueller Gewalt“. Diese Beschreibungen von „Transgeschlechtlichkeit“ erinnern uns an die homophoben Argumente, die regelmäßig gegen Lesben und Schwule ins Feld geführt werden. Lesben und Schwule kennen die Vorwürfe und Behauptungen, dass ihre Sexualität nur eine Phase sei, sie es eigentlich noch nicht wissen könnten oder aber schlechte Erfahrungen der Auslöser für ihre Homosexualität seien.

Zu Recht weisen Lesben und Schwule diese Vorurteile als homophob von sich. Diese Vorurteile machen nur Sinn, wenn Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit nicht als gleichwertig anerkannt werden bzw. Heterosexualität und Cisgeschlechtlichkeit als erstrebens- und wünschenswert gelten. Denn niemand verweigert der Cisgeschlechtlichkeit oder Heterosexualität einer Person die Anerkennung, weil diese nur eine „Phase“ oder „Trend“ seien.

5. "Verführungsthese": Kinder und Jugendliche "werden" aber nicht trans*, weil sie davon erfahren

Allen Ernstes zitiert Schwarzer einen Psychologen, der behauptet: „Heute erklären schon Achtjährige, nach dem Blick auf ihr Smartphone, sie seien ›transsexuell‹.“. Auch das widerspricht jeglicher Lebensrealität. Das von ihr verbreitete Zitat erinnert uns an die Verführungsthese zu Homosexualität. Sie soll legitimieren, dass Kinder und Jugendliche möglichst nichts von Homosexualität erfahren sollen, weil sie sonst verwirrt und, Gott bewahre, noch selbst lesbisch oder schwul werden.

Dass Schwarzer das nun auf Transgeschlechtlichkeit überträgt, macht fassungslos. Und ja, das muss man leider schon deutlich so sagen, dass Schwarzer hier Gedanken verbreitet, die sich unter der Warnung vor einer angeblichen „Frühsexualisierung“ im AfD-Programm wiederfindet. In Wirklichkeit wird damit eine Frühschikanierung junger Menschen durch Verschweigen, Abwertung und Abschreckung propagiert. Und diese findet tagtäglich statt. Trans* Personen haben ein hohes Risiko, Ziel von gewalttätigen Angriffen zu werden. In einer groß angelegten Befragung des Deutschen Jugendinstituts von 2015 berichteten 96 % (!) der befragten trans* und gender*diversen Jugendlichen, dass sie aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität Diskriminierung erlebt hätten. 

6. Menschen "werden" auch nicht trans*, weil sie eigentlich lesbisch oder schwul sind, aber nicht akzeptiert werden

Transgeschlechtlichkeit wird auch damit „erklärt“, dass eigentlich lesbisch oder schwule Menschen diesen Weg wählen, weil sie nicht homosexuell sein wollen. Schwarzer zitiert den Psychiater Korte damit, dass Transgeschlechtlichkeit ein regelrechtes „Homosexualitäts-Verhinderungs-Programm“ sei. Das ist falsch.

Zum einen gibt es auch lesbische und schwule trans* Personen. Zum anderen ist die Akzeptanz gegenüber Lesben und Schwulen in den letzten Jahrzehnten gestiegen. In dieser Logik hätte die Zahl von trans* Personen vor Jahrzehnten viel höher sein müssen. Außerdem steigt mit zunehmender Akzeptanz auch die Zahl nicht-heterosexueller Menschen, die ihre Identität leben und zum Ausdruck bringen.

Zudem zeigen Studien und Umfragen, dass trans* Personen deutlich mehr Diskriminierung und Gewalt erfahren als cisgeschlechtliche Lesben und Schwule, und Homosexualität gesellschaftlich akzeptierter ist als Transgeschlechtlichkeit.

Transgeschlechtlichkeit bei trans* Männern wird ebenfalls damit „erklärt“, dass es ein Ausweg bzw. Irrweg sei, um engen Weiblichkeitsbildern zu entkommen. Das ist falsch. Mit dieser Erklärung hätte es vor 20 oder 30 Jahren viel mehr trans* Männer geben müssen, da die Möglichkeiten für Mädchen und Frauen deutlich beschränkter waren. 

Da sich trans*weibliche Personen meist später outen, gleicht sich erst im Erwachsenenalter das Verhältnis zwischen trans*männlichen, trans*weiblichen und nicht-binären Personen an. In der weltweit größten Studie unter erwachsenen trans* Personen (ca. 28.000 Teilnehmer*innen) gaben jeweils ungefähr ein Drittel der Teilnehmer*innen an, sich als trans*männlich, trans*weiblich oder als nicht-binär zu identifizieren.

Zudem teilen wir die Behauptung nicht, dass sich eine Anerkennung von trans* Menschen und eine Abschaffung von Geschlechterstereotypen ausschließen.

7. Seit Jahrzehnten ist "biologisches Geschlecht" weder das einzige noch das maßgebliche Kriterium für die Geschlechtszugehörigkeit

Alice Schwarzer behauptet, dass das biologische Geschlecht „fundamental geleugnet“ werde. Diese Behauptung entbehrt ebenfalls jeder Grundlage. In Frage gestellt wird, dass das biologische Geschlecht zum einzigen Kriterium für die Geschlechtszugehörigkeit gemacht wird. Das nicht zu tun ist jedoch bereits seit dem Transsexuellengesetz (TSG) in den 1980ern anerkannter Konsens. Das TSG wurde zudem von ihr befürwortet. Sie verweist auch darauf, dass sie damals gerade dafür gekämpft hätte, dass trans* Frauen als „richtige“ Frauen gelten.

Das Bundesverfassungsgericht hat ebenfalls geurteilt, dass Geschlecht mehr als Genitalien oder Chromosomen ist. Danach wird die Geschlechtszugehörigkeit einer Person nicht allein durch körperliche Geschlechtsmerkmale bestimmt, sondern wesentlich auch durch die geschlechtliche Identität.

Schwarzer verwahrt sich gegen einen subjektiven, angeblich beliebigen Umgang mit der Geschlechterzugehörigkeit. Aber was ist dann für sie die objektive Geschlechtszugehörigkeit? Die Frage „Was ist ein Mann, was ist eine Frau?“ kann sie selbst nicht beantworten, ohne dann doch auf Biologie zu rekurrieren. Damit bekräftigt sie eine biologistische Verkürzung von Geschlecht, gegen die sie eigentlich ihr Leben lang gekämpft hat. Sie tritt laut Eigenaussage dafür ein, dass das biologische Geschlecht „keine den Menschen definierende Rolle spielen“ dürfte, um es dann selbst zu machen. Dazu passt auch, dass nicht-binäre Menschen bei Alice Schwarzer überhaupt nicht vorkommen.

8. Entscheidungen sind nicht nur dann selbstbestimmt, wenn Alice Schwarzer sie als selbstbestimmt absegnet

Trans* Menschen und ihre Verbündeten kämpfen um Anerkennung und Akzeptanz. Sie fordern informierte, selbstbestimmte Entscheidungen. Schwarzer rutscht hier leider in eine Bevormundung. Es scheint, dass für sie Entscheidungen von Frauen und von anderen als Frauen sozialisierten Menschen nur dann selbstbestimmt sind, wenn sie diese nachvollziehen kann und selbst mit dem Prädikat selbstbestimmt absegnet.

Es ist auch widersprüchlich, dass sie einerseits beklagt, dass Menschen zu schnell in Hormonbehandlungen und OPs gedrängt würden, andererseits diese aber gerade als „Echtheitsbeweis“ einzufordern scheint.

9. Schwarzer verschweigt, dass es Länder mit Selbstbestimmungsgesetz gibt - ohne dass die beschworenen dramatischen Folgen eingetreten sind

Schwarzer spricht sich gegen das geplante Selbstbestimmungsgesetz aus. Mit diesem Gesetz will die neue Bundesregierung eine Änderung des rechtlichen Geschlechtseintrags grundsätzlich per Selbstauskunft beim Standesamt möglich machen und gängelnder Fremdbestimmung und demütigenden Begutachtungen ein Ende setzen. Schwarzer verweist auf Schweden und Großbritannien, wo ähnliche Gesetzesvorhaben – aus ihrer Sicht zum Glück – im letzten Augenblick gestoppt wurden.

Mal davon abgesehen, dass eine rechtliche Transition nicht unumkehrbar sein muss, lässt sie hier unter den Tisch fallen, dass es bereits mehrere Länder mit solch einem Gesetz gibt. Warum verweist sie nicht auf dramatische Folgen dieser Gesetze in Argentinien, Malta, Dänemark, Luxemburg, Belgien, Irland, Portugal, Island, Neuseeland, Norwegen, Uruguay und der Schweiz? Sie kann es nicht, weil es diese dramatischen Folgen nicht gibt!