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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

“Wer die Grundrechte auch nur einer Gruppe in der Gesellschaft angreift, der greift uns alle an.”

Dokumentation der Rede von LSVD-Bundesvorstand Günter Dworek bei der Auftaktkundgebung zur Menschenkette “Hand in Hand gegen Rassismus – für Menschenrechte und Vielfalt”, 19. Juni 2016, Berlin

Vor einer Woche wurden 49 Menschen in Orlando ermordet. Weil sie schwul oder lesbisch waren oder die Freundinnen und Freunde von Lesben, Schwulen und Transgender. Gestern haben 5.000 Menschen vor dem Brandenburger Tor der Opfer dieses grauenvollen Hassverbrechens gedacht. Heute stehen 9.000 Menschen am Oranienplatz zusammen für eine Gesellschaft der Vielfalt, gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit.

Wir sagen erneut NEIN zu jeder Form von Hass.

Wir sagen JA zur Freiheit: zur Freiheit zu glauben, was man will, zur Freiheit zu leben, wo man will, und zur Freiheit, zu lieben, wen man will.

Wenn in neuen „Mitte-Studie“ steht, dass 40 % es eklig finden, wenn wir uns küssen, dann sage ich dazu nur: Wir werden uns weiter küssen, dass es nur so kracht.

Wir stehen zusammen. Und wir müssen zusammen stehen. Denn wenn in Deutschland Brandsätze gegen Flüchtlinge fliegen, wenn ein rassistischer und homophober Internetmob voller Gewaltphantasien alles niederschreien will, was nicht in sein Weltbild passt, wenn eine Partei zweistellig wird, die das Grundrecht auf Asyl abschaffen und ganze Bevölkerungsgruppen wie die Muslime entrechten will, dann ist das keine Zeit für Indifferenz oder Lauheit.

Ich sage für uns, für den Lesben- und Schwulenverband, ganz klar: Wir sind an der Seite all derer in der Gesellschaft, die sich für eine menschenrechtsorientierte Flüchtlingspolitik, für menschenwürdige Aufnahme, für die Rechte und die volle Teilhabe aller Menschen stark machen. Hier bei Euch, und nur hier fühlen wir uns am richtigen Ufer.

Wer die Grundrechte auch nur einer Gruppe in der Gesellschaft angreift, der greift uns alle an.

Und das gilt ganz besonders für das Grundrecht auf Asyl. Es muss endlich Schluss sein mit dieser unsäglichen Kette von Asylrechtsverschärfungen, die kein Problem lösen, die die Rechtspopulisten kein bisschen ruhig stellen, sondern sie immer nur noch gieriger machen.

Bei Algerien, Marokko und Tunesien ist nur eines wirklich sicher:

Nämlich dass diese Länder nicht sicher sind: für Frauen, für kritische Geister, für Homosexuelle. Wer diese Staaten für „sicher“ erklären will, der stellt schweren Menschenrechtsverletzungen einen Persilschein aus. Der macht sich mitschuldig, dass dort Menschen politisch verfolgt werden, dass Menschen eingesperrt und misshandelt werden, nur weil sie anders lieben. Das darf nicht passieren!

Pegida-Marschierer, die gegen Flüchtlinge genauso wie einen angeblichen „Gender-Wahn“ angrölen, die religiösen Fundis aller Art, die uns zur Hölle wünschen, die AfD-Nationalisten, die Putin verehren, sie alle haben etwas gemeinsam: Sie können die Vorstellung nicht ertragen, dass People of Color, dass Lesben, Schwule oder Transgender Menschen gleicher Würde sind wie sie selbst, ausgestattet mit gleichen Rechten. Sie liegen damit so was von falsch!

Sie betrachten uns als minderwertig. Sie füttern ihr Selbst mit der Abwertung anderer. Sie fühlen sich beleidigt, weil sie uns nicht mehr ohne weiteres beleidigen können. Das ist doch durch und durch erbärmlich.

Wir erleben gerade eine Renaissance des Ressentiments. Das muss uns große Sorge machen. Aber lasst uns dennoch keine Angst vor ihnen haben. Denn wir haben doch viel, viel mehr zu bieten als sie: Freiheit statt Unterwerfung, Demokratie statt Autoritarismus, Vielfalt statt Einfalt.

Wir haben das Angebot einer offenen Gesellschaft. Nur in einer offenen Gesellschaft ist erreichbar, was eine menschliche Gesellschaft auszeichnen muss: Nämlich die Freiheit aller, jederzeit, an jedem Ort ohne Angst verschieden sein zu können.

Die Verteidigung der offenen Gesellschaft kann nicht heißen, den Status quo zu verteidigen. Die Antwort auf all die Hetze und den Hass muss lauten: Jetzt erst recht! Jetzt erst recht mehr Integration, mehr Unterstützung für Flüchtlinge, mehr demokratische und soziale Teilhabe für alle. Und jetzt erst recht endlich gleiche Rechte für alle Menschen.

Die offene Gesellschaft braucht Vorwärtsverteidigung. Dann können wir alle dazu beitragen, dass diese hässliche Renaissance des Ressentiments eine historisch äußert kurze Epoche bleibt.

(Es gilt das gesprochene Wort)

Foto: Hand in Hand gegen Rassismus - Kundgebung in Berlin (c) Campact