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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

LSBTI-Geflüchtete - Vernetzung, Beratung, Unterstützung

LSVD-Projekt "Queer Refugees Deutschland"

Das LSVD-Projekt „Queer Refugees Deutschland“ vernetzt, unterstützt und berät deutschlandweit geflüchtete LSBTI und Anlaufstellen für geflüchtete LSBTI.

Während in Deutschland nun auch die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet wurde, droht vielen LSBTI in der ganzen Welt noch Verfolgung und gesellschaftliche Ächtung. So kann in neun Ländern auf gleichgeschlechtliche Liebe noch die Todesstrafe verhängt werden, in vielen weiteren Staaten drohen jahrelange Gefängnisstrafen.

Viele Tausende LSBTI sind daher in den letzten Jahren nach Deutschland geflüchtet, in der Hoffnung, hier in Sicherheit vor Gewalt und Diskriminierung zu leben. Anders als für die Mehrheit der Geflüchteten ist jedoch für viele geflüchtete LSBTI die Fluchterfahrung mit der Ankunft in Deutschland tatsächlich noch nicht vorbei. Solange sie in Gemeinschaftsunterkünften leben - viele tun dies über Monate oder gar Jahre - ist die Angst vor Gewalt und Diskriminierung allgegenwärtig.

Spezifische Bedarfe von queeren Geflüchteten

Hinzu kommen Erfahrungen massiver Isolation und fehlender Privatsphäre, aber auch Sorgen in Bezug auf das Asylverfahren. Denn leider gelten zum Beispiel Gesetze, die im Heimatland Homosexualität mit mehrjährigen Gefängnisstrafen ahnden, für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für sich genommen nicht als hinreichender Schutzgrund. Geflüchtete LSBTI müssen vielmehr - inzwischen in der Regel bereits wenige Tage nach Ankunft in Deutschland - in einem anschaulichen und kohärenten Vortrag die in der Heimat erfahrene Verfolgung darstellen. Hierbei dringen die Anhörungen in äußerst private und oft mit traumatischen Erlebnissen verbundene Lebensbereiche vor.

Für viele LSBTI-Geflüchtete sind vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen in der Heimat Menschen aus der queeren Szene die einzigen Personen, denen sie vertrauen können und bei denen sie nach Unterstützung suchen. Hierzu haben sich in ganz Deutschland zahlreiche Initiativen und Gruppen gebildet, die LSBTI-Geflüchtete bei Gewaltvorfällen, im Asylverfahren, bei der Wohnungssuche und bei der Integration in Deutschland unterstützen. Die Vernetzung dieser Gruppen, aber auch der geflüchteten LSBTI selbst, findet vielerorts auf lokaler oder regionaler Ebene statt.

Beratung für Geflüchtete im Asylverfahren

Hier setzt das Ende 2017 gestartete bundesweite LSVD-Projekt "Queer Refugees Deutschland" an, das von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung gefördert wird: Wir beiden Projektmitarbeitenden Lilith Raza und Patrick Dörr schaffen von der Bundesgeschäftsstelle in Köln aus eine bundesweite Vernetzung für geflüchtete LSBTI-Aktivist*innen, und bieten Geflüchteten sowie auch für Organisationen und Einrichtungen, die mit Geflüchteten arbeiten, Beratung, Schulung und Unterstützung.

So können sich LSBTI direkt an das Projekt wenden und zu unterschiedlichen Themen Rat suchen. Dies gilt für sowohl für Menschen, die bereits in Deutschland sind, als auch für diejenigen, die sich noch in ihren Heimatländern befinden und sich zu dem Asylverfahren in Deutschland informieren möchten. Viele suchen auch Rat aus Deutschland heraus, noch vor oder kurz nach Asylantrag mit der Bitte um Unterstützung. Hier erklären Reza und Dörr das Asylverfahren – vor allem auch mit Hilfe des umfassenden LSVD-Ratgebers zu Homosexualität und Asyl – verweisen zu Gruppen- und Beratungsangeboten vor Ort und unterstützen auch konkret bei komplizierten Fällen. Bei der außergerichtlichen Rechtsberatung wird das Team außerdem noch verstärkt durch Maria Seitz, die ihre juristische Expertise im Asyl- und Ausländerrecht für LSBTI-Geflüchtete zur Verfügung stellt. 

Neben der persönlichen, telefonischen und E-Mail-Beratung stellt die vollkommen überarbeitete und neunsprachige Webseite www.queer-refugees.de die zweite Säule des Projektes dar. Auf ihr finden geflüchtete LSBTI, aber auch Personen, die mit ihnen arbeiten oder sie ehrenamtlich unterstützen, umfassende Informationen. So sind auf ihr alle dem LSVD im Bundesgebiet bekannten Angebote für LSBTI-Geflüchtete auf einer Karte verortet und die Kontaktdaten für Geflüchtete leicht zugänglich gemacht. Zudem gibt es einen Materialfundus zu nützlichen Broschüren, Plakaten und Länderinformationen.

Schulung von Personal in Unterkünften und Beratungsstellen

Diese Informationen richten sich nicht nur an Geflüchtete, sondern auch an das Personal in Flüchtlingseinrichtungen. Wie gut diese in Bezug auf den Umgang mit LSBTI-Geflüchteten geschult sind, das kann ein entscheidender Faktor für ein erfolgreiches Ankommen in Deutschland sein. Als dritte Säule bietet das Projekt daher für Unterkünfte und Beratungsstellen Schulungen zur Sensibilisierung für den Umgang mit LSBTI-Geflüchteten an. Da das Thema für die Teams in der Regel unsichtbar ist, geht die Bedeutung im Arbeitsalltag allzu oft unter.

Hier klärt das Projekt auf und entwickelt zusammen mit den Einrichtungen Handlungsvorschläge, wie sie ganz konkret vor Ort etwas für LSBTI-Geflüchtete tun können. Denn: die Mitarbeitenden spielen eine entscheidende Rolle bei der Weitergabe von Informationen für Geflüchtete. Auch spielt der Umgang mit Diskriminierung und Gewalt in der Unterkunft eine große Rolle. Zum Abschluss der Schulungen erhalten sie Plakate, Flyer, Broschüren und Aufkleber, mit denen sie die Sichtbarkeit des Themas gewährleisten können und so klar machen: ihr seid hier willkommen, ihr könnt uns ansprechen.

Empowerment-Treffen für geflüchtete LSBTI

Die vierte Säule von Queer Refugees Deutschland sind die Vernetzungs- und Empowerment-Treffen mit geflüchteten LSBTI. Bereits zweimal haben sich Aktivist*innen getroffen, um miteinander zu diskutieren, wie die Lage für geflüchtete LSBTI verbessert werden kann. Das erste Treffen am 17. und 18. Dezember in der Bundesgeschäftsstelle in Köln stand unter dem Motto: „Empowerment“. Die 13 Teilnehmenden, die aus sieben Bundesländern anreisten und aus 8 Staaten stammten, diskutierten hier vor allem hier Verständnis von Aktivismus und Empowerment, und wie sie ihr Engagement für die Menschenrechte für geflüchtete LSBTI im deutschen Kontext miteinander fortsetzen können.

Der zweite Workshop fand dann am 3. März in Kooperation mit den Rainbow Refugees Mainz in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt statt. Hier tauschten die nunmehr 15 Teilnehmenden aus neun Herkunftsländern unter dem Titel „Voneinander Lernen“ ihre Erfahrungen als geflüchtete LSBTI in Deutschland aus. Die Anwesenden brachten ihre unterschiedlichen Erfahrungen aus insgesamt acht Bundesländern, aber auch ihre jeweiligen Perspektiven als lesbische, schwule, transgeschlechtliche und gender-queere Personen ein. Ziel ist es, LSBTI-Geflüchteten einen Raum und eine Struktur anzubieten, um für sich selber zu sprechen.

Die von den Aktivist*innen angesprochenen Anliegen hat der LSVD Anfang April bereits mit der Leitung des BAMF in Nürnberg besprechen können. Mit großer Sorge richtet sich hier der Blick auf die laut Koalitionsvertrag geplanten, sogenannten ANKERzentren, im Grunde große, weitgehend isolierte Lager, in denen in Zukunft Asylbewerber*innen bis zum Abschluss ihres Verfahrens untergebracht werden sollen. Inwieweit hier der für LSBTI-Geflüchtete so entscheidende Anschluss an die Community-Strukturen, aber auch die Informationsweitergabe sichergestellt werden soll, ist noch vollkommen unklar. Auch stellt sich die Frage, wie in solch großen Lagern LSBTI-Geflüchtete vor Gewalt und Diskriminierung geschützt werden können, zumal sich viele Asylverfahren sehr lange hinziehen und somit für manche geflüchtete LSBTI-Person ein freies, selbstbestimmtes Leben dort für Monate oder Jahre kaum möglich sein wird.

Wir als LSVD fordern, dass in diesen ANKERzentren das Thema queere Geflüchtete sichtbar gemacht wird. LSBTI-Geflüchtete müssen systematisch über ihre Rechte im Asylverfahren, die für sie relevanten Anlaufstellen sowie über Möglichkeiten einer für diese besonders schutzbedürftige Gruppe angemessenen Unterbringung informiert werden.

Lilith Raza und Patrick Dörr
www.queer-refugees.de

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