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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

EU-Verordnung zur grenzüberschreitenden Anerkennung der Elternschaft

Stellungnahme des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD)

Die EU-Kommission hat einen Vorschlag für eine Verordnung zur grenzüberschreitenden Anerkennung der Elternschaft und zur Einführung eines europäischen Elternschaftszertifikats vorgelegt. Damit die Verordnung in Kraft treten kann, müssen alle EU-Mitgliedstaaten zustimmen. Der LSVD hat am 20.02.2023 auf Anfrage des Bundesjustizministeriums zum Verordnungsvorschlag Stellung genommen. 

Stellungnahme des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung von Entscheidungen und die Annahme von Urkunden in Elternschaftssachen sowie zur Einführung eines europäischen Elternschaftszertifikats vom 7.12.2022 – COM(2922) 695 final

 

Sehr geehrte Frau Janzen,

der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) bedankt sich für die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Verordnungsvorschlag des Rates über die gegenseitige Elternschaftsanerkennung.

Der LSVD begrüßt den Verordnungsvorschlag ausdrücklich und schließt sich der Stellungnahme von ILGA-Europe an. Nach derzeitiger Rechtslage müssen EU-Mitgliedstaaten die in einem anderen Mitgliedstaat begründete Elternschaft nur für die Zwecke der Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV anerkennen und den Zugang zum Hoheitsgebiet, das Aufenthaltsrecht und die Gleichbehandlung gewährleisten. Es gibt jedoch Lücken in Bezug auf die Rechte, die sich aus der Elternschaft nach nationalem Recht ergeben, z.B. in Fragen der Erbfolge, des Unterhalts, des Sorgerechts sowie der gesetzlichen Vertretung des Kindes. Im schlimmsten Fall können Kinder staatenlos werden (vgl. den Fall „Baby Sara“, EuGH, Urt. v. 14.12.2021, Rs. C-490/20). Der Verordnungsvorschlag schließt diese Lücken und stellt damit einen großen Schritt in Richtung Rechtssicherheit für Kinder dar.

1. Regenbogenfamilien stehen bei der grenzüberschreitenden Begründung und Anerkennung von Elternschaft regelmäßig vor erheblichen Hindernissen

Familien finden sich zunehmend in grenzüberschreitenden Situationen – sie haben Familienangehörige in anderen Mitgliedstaaten, reisen oder ziehen für die Ausbildung oder die Arbeit in ein anderes Land. Diese Mobilität spiegelt sich in den Biografien und Identitäten der Familien wider: ein irisch-deutsches Mütterpaar, das ein Kind in Belgien zur Welt bringt und nach Deutschland ziehen möchte. Ein deutsch-britisches Mutterpaar, das in Südafrika geheiratet hat, dessen Kinder in Großbritannien geboren wurden und die jetzt in Deutschland wohnhaft sind. Das geltende Internationale Privatrecht führt in diesen Fällen zu mehreren Anknüpfungsmöglichkeiten für die Abstammung der Kinder – mit verschiedenen Ergebnissen. Während jedoch bei heterosexuellen Paaren fast alle Rechtsordnungen zur rechtlichen Zuordnung von Mutter und (nicht)ehelichem Partner kommen, sieht die Realität für gleichgeschlechtliche oder trans*, inter* und nichtbinäre Eltern anders aus: Dort gibt es Rechtsordnungen, die die Anerkennung beider Mütter oder eines trans*, inter* oder nichtbinären Elternteils nicht kennen. Ob ein Kind nach einem Umzug weiterhin zwei Elternteile hat, hängt dann oft von Zufällen ab.

Der LSVD und der europäische Dachverband NELFA (Network of European LGBTIQ* Families Associations) erfahren regelmäßig von Hindernissen und Problemen, wenn Regenbogenfamilien von einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen ziehen (möchten) und dabei wesentliche Rechte verlieren können, nur weil sie eine Grenze überschreiten. Besonders häufig sind hiervon nach unserer Erfahrung Zwei-Mütter-Familien betroffen, die ihren Kinderwunsch durch eine Samenspende verwirklicht haben.

Als problematisch erweist es sich beispielsweise, wenn zwei in einem anderen Mitgliedstaat als rechtliche Elternteile anerkannte Mütter nach Deutschland ziehen. Deutsche Behörden erkennen die rechtliche Elternschaft der nicht biologischen Mutter häufig nicht an. Nächste Anlaufstelle für diese Familien ist dann das Familiengericht, um eine belastende und langwierige Stiefkindadoption in die Wege zu leiten. Bis zum Abschluss des Verfahrens bleibt das Kind ohne zweiten rechtlichen Elternteil.

Die aktuelle Lage bringt aber auch deutsche Staatsbürger im Ausland immer wieder in Schwierigkeiten. Beispielsweise wurde ein deutsches Väterpaar mit Zwillingen in Dänemark nicht anerkannt, weil die Geburten auf eine Leihmutterschaft in den USA zurückgehen. Dabei hatten die deutschen Behörden die Adoption des nicht-biologischen Vaters anerkannt, und damit die rechtliche Elternschaft beider Väter. Nach dem Umzug hatte das Kind nur noch einen rechtlichen Elternteil.

Im europäischen Kontext hat es in den vergangenen Jahren zum Teil dramatische Fälle gegeben, in denen Kinder durch die Nicht-Ankerkennung der in anderen Mitgliedstaaten begründeten Elternschaft vorübergehend staatenlos geworden sind (vgl. den Fall „Baby Sara“, EuGH, Urt. v. 14.12.2021, Rs. C-490/20). Kinder verlieren rechtliche Elternteile, in manchen Fällen sogar für immer. Besonders tragisch ist der Fall eines dänischen Jungen, dessen Mütter sich getrennt haben. Die bulgarische Mutter nahm ihn mit in ihr Heimatland. Durch die Nicht-Anerkennung der gemeinsamen Geburtsurkunde wurde die dänische, nicht-biologische Mutter aus der Familie herausgedrängt, kann ihren Sohn nicht mehr sehen, muss aber weiterhin Unterhalt zahlen, weil sie nach dänischem Recht weiterhin die Mutter des Kindes ist.

2. Die erleichterte grenzüberschreitende Begründung und Anerkennung der Elternschaft liegt im besten Interesse der Kinder

Der Verordnungsvorschlag stellt das Wohl des Kindes in den Vordergrund. Die Kommission schlägt vor, auf der Grundlage des Kindeswohls die elterlichen Bindungen eines Kindes anzuerkennen, unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat es lebt, welche Staatsangehörigkeit es oder seine Eltern haben und wie es gezeugt oder geboren worden ist. Alle Kinder haben das Recht auf eine Identität, auf Nichtdiskriminierung, auf ein Privat- und Familienleben und auf Erb- und Unterhaltsrechte. Das entspricht dem UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Art. 3 Abs. 1 und Art. 8), der EU-Grundrechtecharta (Art. 24) und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Der Vorschlag schafft Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit in Bezug auf die Vorschriften über die internationale Zuständigkeit und das anwendbare Recht für die Begründung der Elternschaft in grenzüberschreitenden Sachverhalten sowie für die Anerkennung der Elternschaft.

Positiv hervorzuheben ist die Regelung der Versagungsgründe: Die Begründung und die Anerkennung der Elternschaft dürfen von den Mitgliedstaaten zwar aus Gründen des öffentlichen Interesses abgelehnt werden. Dies Ausnahme darf jedoch nicht angewendet werden, wenn dies gegen die EU-Grundrechtecharta und insbesondere gegen das Diskriminierungsverbot in Art. 21 verstoßen würde. Die Ausnahme soll daher – ausweislich der Verordnungsbegründung (S. 17, 19) – nicht gelten, um die Elternschaft allein deshalb abzulehnen, weil die Eltern gleichgeschlechtlich sind. Dies wäre nämlich ein Verstoß gegen Art. 21 der EU-Grundrechtecharte über die Nichtdiskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.

Ebenfalls positiv hervorzuheben ist die vorgesehene Einführung eines Europäischen Elternschaftszertifikats, das auf Antrag ausgestellt werden kann. Dieses Formular soll in allen EU-Sprachen zur Verfügung stehen, sodass es bei Vorlage in einem anderen Mitgliedstaat nicht übersetzt werden muss. Das Europäische Elternschaftszertifikat soll in allen Mitgliedstaaten als Nachweis der Elternschaft akzeptiert werden.

Die im Verordnungsvorschlag vorgesehenen Regelungen zur grenzüberschreitenden Begründung der Elternschaft und zur gegenseitigen Anerkennung der Elternschaft sowie die Einführung eines europäischen Elternschaftszertifikats würden die Kosten und Belastungen für Familien sowie der mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichte massiv senken.

3. Der Verordnungsvorschlag greift nicht in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten ein, eine Familie zu definieren und die Elternschaft zu begründen

Der Verordnungsvorschlag kollidiert nicht mit den nationalen Vorschriften über die Begründung einer Elternschaft. Der Vorschlag soll nicht für innerstaatliche Situationen ohne grenzüberschreitendes Element gelten. Er befasst sich zudem nicht mit umfassenderen Familienfragen und greift daher nicht in das materielle Familienrecht ein. Dieses fällt weiterhin in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Die Verordnung würde deshalb auch nicht dazu führen, dass ein Mitgliedstaat die gleichgeschlechtliche Ehe einführen oder Elternschaft durch Leihmutterschaft begründen muss, wie teils behauptet wird. Die Verordnung kommt vielmehr erst ins Spiel, wenn es um die Anerkennung der in einem anderen Mitgliedstaat bereits begründeten Elternschaft durch andere Mitgliedstaaten geht. Die Regelungen der Verordnung stellen sicher, dass eine in einem Mitgliedstaat begründete Elternschaft nicht von einem anderen Mitgliedstaat aufgehoben werden kann.

 

Der LSVD unterstützt den Verordnungsvorschlag daher vollumfänglich.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Sarah Ponti, LL.M. (Melbourne)

Grundsatzreferentin

LSVD-Stellungnahme als PDF

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