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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Feministische Außenpolitik/ Entwicklungspolitik - Was bedeutet das für LSBTIQ*?

Stellungnahme zu den Positionspapieren des AA und BMZ

Am 01.03.2023 haben das Auswärtige Amt (AA) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Leitlinien zu feministischer Außenpolitik bzw. Entwicklungspolitik vorgestellt. Der LSVD begrüßt, dass das Auswärtige Amt und das BMZ Menschenrechte und Mehrfachdiskriminierungen in ihrer Arbeit noch mehr in den Fokus rücken wollen und damit zentrale Forderungen des LSVD und der HES umsetzen. Aber was ist eigentlich mit feministischer Außenpolitik gemeint – an welchen Stellen werden LSBTIQ* in der Außen- und Entwicklungspolitik bedacht? Gehen die Konzeptpapiere aus Sicht des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) und seiner Hirschfeld-Eddy-Stiftung (HES) weit genug?

Was bedeutet „feministische Außenpolitik“ und woher kommt das Konzept?

„Feministische Außenpolitik“ ist eine Art von Verständnis für Außenpolitik, jedoch handelt es sich nicht um einen festgelegten Katalog mit konkreten politischen Forderungen bzw. möglichen Maßnahmen. Auf diesem Ansatz aufbauend können konkrete Maßnahmen auf verschiedenen praktischen Ebenen der Außen- und Entwicklungspolitik analysiert und angepasst werden. Dazu zählen zum Beispiel repräsentative Maßnahmen wie Quotenregelungen in einem besonders cis-männlich dominierten Politikfeld[1] oder auch gezielte finanzielle Förderung. Erste Forderungen in Richtung einer feministischen Außenpolitik finden sich bereits 1915 bei der „Women’s International League for Peace and Freedom“ (WILPF) [2]. Feministische Außen- und Entwicklungspolitik stützt sich zudem auf die Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrat von 2000, welche die Beteiligung von Frauen an Friedensprozessen thematisiert[3], sowie auf verschiedene Nachfolgeresolutionen teils mit konkreten Handlungsschritten[4], und auf die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung[5]. Zentraler Player ist das Centre For Feminist Foreign Policy, welches von Kristina Lunz initiiert wurde.

Deutschland folgt jetzt dem Beispiel von Schweden (2014-2022), Canada (2017), Frankreich (2019), Mexiko (2020), Spanien (2021), Luxemburg (2021), Chile (2022) und Kolumbien (2022) mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung[6]. Schon früh hatte Deutschland sich zu den Yogyakarta-Prinzipien bekannt. Im März 2021 wurde dann nach jahrelangem Drängen aus der Zivilgesellschaft per Kabinettsbeschluss das „LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung für die Auswärtige Politik und die Entwicklungszusammenarbeit” verabschiedet. Der LSVD und seine Hirschfeld-Eddy-Stiftung waren dabei treibende Kräfte. Das BMZ formuliert in seinen Leitlinien, dass das LSBTI-Inklusionskonzept „konsequent“ umgesetzt werden soll (BMZ, S. 29). Deutschland hat bereits im Koalitionsvertrag der Ampelregierung von 2021 eine feministische Außenpolitik angekündigt. Die enge Zusammenarbeit zwischen AA und BMZ bei der Einbeziehung von LSBTIQ* in die feministische Außen- und Entwicklungspolitik konnte auf der Zusammenarbeit beim LSBTI-Inklusionskonzept aufbauen. Wir hoffen, dass das auch bei der Umsetzung der feministischen Politiken und des LSBTI-Inklusionskonzepts gelingt. Im LSBTI-Inklusionskonzept ist bereits mit konkreten Beispielen und Umsetzungsideen dargestellt, wie diese Inklusion und das Mitdenken von LSBTIQ* aussehen sollte. Hier haben sich stark die Vorschläge und Forderungen der Zivilgesellschaft (u.a. LSVD und HES) niedergeschlagen. LSBTIQ* sind in beiden Papieren durchweg erwähnt und als marginalisierte Gruppe benannt:

„Der Einsatz für die Rechte von LSBTIQ*-Personen ist für uns integraler Teil feministischer Außenpolitik.“ (AA, S. 43)

„Das BMZ verstärkt sein Engagement für den Abbau von sozialen Barrieren, die Mädchen und Frauen sowie LGBTQI+ Personen in all ihrer Diversität hindern, ihre sexuellen und reproduktiven Rechte zu kennen und einzufordern.“ (BMZ, S. 23)  

Auswärtiges Amt und BMZ haben sich im Rahmen der feministischen Außen- und Entwicklungspolitik erneut klar zur Stärkung von LSBTIQ* und ihren Menschenrechten in aller Welt bekannt. Damit wird nicht nur ein Vorhaben des Koalitionsvertrags umgesetzt, sondern auch ein Kulturwandel in Deutschlands internationalen Beziehungen weitergeführt, der sich nicht davor scheut, Feminismus als zentrale Voraussetzung zu benennen[7]. Der Begriff ist neu, aber die Politik will fortsetzen und intensivieren, was als Geschlechtergleichstellung, Gender Aktionsplan, Genderstrategien, Gender Mainstreaming etc. seit vielen Jahren gemacht wird.  Die Veröffentlichung der Konzeptpapiere zu feministischer Außen- und Entwicklungspolitik ist ein wichtiger Schritt, denn Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, intergeschlechtliche und queere Menschen (LSBTIQ*) sind in vielen Ländern, nicht nur im Globalen Süden, sondern auch in EU-Mitgliedsstaaten wie Ungarn und Polen staatlicher Verfolgung, Gewalt und gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Beide Politikfelder müssen konstant als LSBITQ*-inklusiv gedacht werden.

Welches Konzept von Feminismus steckt hinter den Positionspapieren?

 Für die Erstellung und Konzeption von konkreten Maßnahmen ist die Konzeption von „Feminismus“ von integraler Bedeutung. Sowohl den Leitlinien des AA als auch denen des BMZ liegt ein intersektionales Verständnis von Feminismus zu Grunde:

„Es geht […] darum, historisch gewachsene Machtstrukturen zu benennen, zu überwinden und so eine gerechte Teilhabe und Gleichstellung aller Menschen weltweit zu befördern. Dabei verfolgt sie einen transformativen und intersektionalen Ansatz. So setzen wir außenpolitisch fort, was wir in der Innenpolitik Gender-Mainstreaming nennen.“ (AA, S. 9)

Das BMZ stellt klar: „Wir gehen dabei gendertransformativ und intersektional vor: Das heißt, wir wollen die strukturellen und systemischen Ursachen der fehlenden Gleichstellung überwinden und beachten die Überschneidung von unterschiedlichen Diskriminierungsmerkmalen – damit alle Menschen gleichermaßen und selbstbestimmt am sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben teilhaben können. Dafür ist es notwendig, als Gesellschaft bestehende Ungleichheiten zu hinterfragen und Rollenbilder aufzubrechen.“ (BMZ, S. 5)

Deshalb wird die Anerkennung struktureller Ungleichheiten aller Art in den Fokus von Außen- und Entwicklungspolitik gestellt[8]. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geht derzeit von sechs verschiedenen Diskriminierungskategorien aus: Ethnische Herkunft bzw. Rassismus, Geschlecht und Geschlechtsidentität, Religion/Weltanschauung, Behinderung/chronische Erkrankungen, Alter und sexuelle Identität[9]. Feministische Außenpolitik und damit auch die Diskriminierungskategorien beziehen sich deshalb sowohl auf das auswärtige Handeln als auch auf die Organisation des Ministeriums selbst.

Das AA benennt Geschlechterparität und einen Zuwachs von Frauen in den Auslandsvertretungen als Ziel (AA, S. 11). Dabei ist aber nur von Frauen und Männern die Rede, weshalb sich die Frage stellt, ob wirklich alle Geschlechter und marginalisierten Gruppen in der Einstellungspolitik des Auswärtigen Amts vorgesehen sind und eine Chance haben: Wo ausdrücklich von der Gleichstellung der Geschlechter (also aller) die Rede ist und LSBTIQ*, also auch trans*, überall mitgedacht werden sollten, sollte das in den Daten des Auswärtigen Amts auch abzulesen sein. Und um überzeugend auch im eigenen Haus verschiedene Diskriminierungsdimensionen und auch um deren Verschränkungen in den Blick zu nehmen, wären weitere Daten nötig. Ansätze dazu werden wie folgt formuliert: „Frauen und LSBTIQ*-Personen nehmen an der Planung, Durchführung und Nachhaltung von Maßnahmen auf allen Ebenen teil. Frauenorganisationen und zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse marginalisierter Gruppen fördern wir. Besonders gefährdete Gruppen wie Menschenrechts-, Frauenrechts- und Friedensaktivist*innen sowie LSBTIQ*-Personen werden wir, wo immer möglich, schützen.“ (AA, S. 34) 

„Postkolonial und antirassistisch“ – Was bedeutet das konkret?

Im BMZ-Papier wird eine Entwicklungspolitik angekündigt, die „postkolonial und antirassistisch“ ist. (BMZ, S. 11). Das ist fortschrittlich und ein Erfolg für die beteiligte Zivilgesellschaft, die das in den Konsultationen immer wieder gefordert hatte. Wenn allerdings keine qualitativen post-kolonialen Realitäten erläutert werden, lässt sich aus dem lobenswerten Vorsatz noch kein praktisches Handeln ableiten. Die HES und die Yogyakarta-Allianz hatten gefordert, dass das BMZ ein Sonderprogramm „Kulturen und Kolonialismus“ startet, mit welchen Organisationen, Personen und Gruppen gefördert werden, die die Geschichte, Lebensberichte und Traditionen der regionalen „Homosexualitäten, Geschlechtlichkeiten und Gendergeschichten“ sammeln und dokumentieren. [10] Wir fordern einen machtkritischen (Lern-)Prozess und die Anerkennung, dass sich auch in der heutigen deutschen Entwicklungszusammenarbeit koloniale Kontinuitäten und rassistische Denkmuster niederschlagen, die ein entsprechendes konkretes Handeln erfordern, um hier entgegenzuwirken. Gerade beim Einsatz für die Rechte von LSBTIQ* ist eine kritische Auseinandersetzung mit der europäischen Kolonialgeschichte nötig, um glaubwürdig zu sein.

Darüber hinaus bedeutet eine konsequent feministische Außenpolitik auch, dass Deutschland LSBTIQ*-Flüchtende aus Verfolgerstaaten schützt. In den Westbalkan-Ländern, die in Deutschland gesetzlich als so genannte sichere Herkunftsstaaten eingestuft sind, gibt es gesellschaftliche, oft von staatlichen Stellen geduldete oder gar unterstützte Unterdrückung von LSBTIQ*, die sich in der Summe zur asylrelevanten Verfolgung verdichten kann. Mit Ghana und Senegal stehen sogar zwei Länder in der Liste „sicherer Herkunftsstaaten“, in denen homosexuelle Handlungen strafbar sind und mit hohen Haftstrafen verfolgt werden.

LSVD und HES fordern eine schnelle Umsetzung der feministischen Außen- und Entwicklungspolitik 

Jetzt ist es aus unserer Sicht entscheidend, diese Vorhaben schnell in konkrete Handlungen zu übersetzen, um Unterstützung auf Augenhöhe zu leisten. Wenn die Bundesregierung die feministische Außen- und Entwicklungspolitik ernst meint, muss sie auch die Verfolgerstaaten Ghana und Senegal von der Liste der vermeintlich „sicheren Herkunftsstaaten“ streichen. Nur so ist sichergestellt, dass queere Geflüchtete aus diesen Staaten ein faires Asylverfahren durchlaufen. Die Einstufung der beiden Staaten als sicher bagatellisiert die LSBTIQ*-feindliche Verfolgung in diesen Ländern und muss vor dem Hintergrund der historischen Verantwortung, die Deutschland im Zusammenhang mit der eigenen Verfolgung von LSBTIQ* hat, betrachtet werden. Dazu steht im Papier des Auswärtigen Amts:

„An unserem Einsatz für LSBTIQ* haben unsere Botschaften in besonderem Maße Anteil: Indem sie sich mit Erklärungen und der Teilnahme an Pride-Veranstaltungen solidarisieren, Menschenrechtsprojekte fördern, die Rechte von LSBTIQ*-Personen gegenüber der Gastregierung anmahnen oder LSBTIQ*-Verteidiger*innen durch Visa, humanitäre Aufnahmen und Schutzaufenthalte unterstützen. (AA S. 43)“

Dabei dürfen Maßnahmen wie die folgende nicht auf abstrakter Ebene bleiben:

„Die Bundesregierung stärkt auf Grundlage des LSBTI-Inklusionskonzepts die Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich gegen Gewalt und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität einsetzen.“ (AA, S. 43) 

Das Thema verstärkte Förderung findet sich auch beim BMZ wieder: „Das BMZ unterstützt und initiiert nationale und internationale Interessenvertretungen und Netzwerke, die sich für die gleichberechtigte (wirtschaftliche) Teilhabe von Frauen einsetzen, unter anderem in Bereichen, in denen vorwiegend Frauen beschäftigt werden, wo sie eine wichtige Rolle als Sprachrohr für gesellschaftliche Themen wie die Rechte von Frauen und LGBTQI+, Meinungsvielfalt und demokratische Grundwerte einnehmen.“ (BMZ, S. 28)

Ein zentrales Werkzeug zur Umsetzung dessen sind multilaterale und internationale Gremien wie die Equal Rights Coalition (ERC), wo Zivilgesellschaft und Regierungen gemeinsam die Rechte für LSBTIQ* verbessern.

Ausblick: Forderungen der Equal Rights Coalition (ERC)

Deutschland hat aktuell zusammen mit Mexiko aktuell den Co-Vorsitz der Equal Rights Coalition (ERC) für den Zeitraum 2022-24 inne. Als LSVD freuen wir uns sehr, die zivilgesellschaftliche Seite in Deutschland in diesem internationalen und multilateralen Gremium vertreten zu können. Die ERC arbeitet daran, die Rechte von LSBTIQ* durch internationale Beziehungen, Förderung, Diplomatie und Austausch zu verbessern. Dazu heißt es im Konzeptpapier des AA:  

 „Wir haben unseren Vorsitz mit 800.000 EUR unterlegt. Hiermit richten wir 2024 eine große Konferenz aus und wollen ein ERC-Generalsekretariat schaffen. (…) An unserem Einsatz für LSBTIQ* haben unsere Botschaften in besonderem Maße Anteil. (…) Begleitend zu unserem ERC-Vorsitz stellen wir unseren Auslandsvertretungen zusätzlich bis zu 1 Mio. EUR zur Verfügung: für queere Kulturveranstaltungen, NRO Projekte und lokale Initiativen.“ (AA, S. 43) 

Das Thema ERC-Vorsitz darf nicht nur Anhang oder Fußnote der feministischen Außenpolitik und Entwicklungspolitik sein, sondern muss ein integrierter Bestandteil dieser Politik werden. Dem kommt das Auswärtige Amt in seinen Leitlinien mit der Förderung queerer Kulturveranstaltungen und der Förderung des Vorsitzes zwar nach, doch es braucht mehr Personal und Engagement in den Ministerien, nicht nur im AA, sondern auch im BMZ, im BMFSFJ, im BMJ, im BMG u.a., um dieser wichtigen Rolle des Co-Vorsitzes in der ERC auch wirklich gerecht zu werden.

Mehr zum Thema: 

von Kerstin Thost (LSVD/ HES) und Sarah Kohrt (HES)

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[1] Quelle: Feministische Außenpolitik. Konzepte, Kernelemente und Kontroversen (swp-berlin.org)

[2] Quelle: Kristina Lunz: Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Wie globale Krisen gelöst werden müssen, S. 36.

[3] Quelle: Security Council resolution 1325 (2000) on Women and peace and security - United Nations and the Rule of Law

[4] Quelle: Weiß, Norman: Frauen, Frieden und Sicherheit – was hat Resolution 1325 gebracht? Universitätsverlag Potsdam. S. 2.

[5] Quelle: THE 17 GOALS | Sustainable Development (un.org)

[6] Quelle: Brief-Feminist-foreign-policies-en.pdf (unwomen.org)

[7] Quelle: Rede von Außenministerin Annalena Baerbock zur Vorstellung der Leitlinien zur Feministischen Außenpolitik - Auswärtiges Amt (auswaertiges-amt.de)

[8] Quelle: Feministische Außenpolitik. Konzepte, Kernelemente und Kontroversen (swp-berlin.org)

[9] Quelle: Antidiskriminierungsstelle - Diskriminierungsmerkmale

[10] Quelle: Das LSBTI-Inklusionskonzept unter der Lupe - Einschätzungen unter Bezug auf den 13-Punkte Forderungskatalog der Yogyakarta-Allianz - (lsvd.de)