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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Asyl: 6 Monate nach Abschaffung der Diskretionsprognosen zieht der LSVD Bilanz

Wie wirkt sich die neue Dienstanweisung des BAMF auf die Verfahren queerer Geflüchteter aus?

Pressemitteilung vom 05.04.2023

Berlin, 05. April 2023. Noch bis vor kurzem lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) regelmäßig lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowie queere (LSBTIQ*) Geflüchtete mit der Begründung ab, diese würden bei Rückkehr in ihr Herkunftsland ihre sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche Identität verbergen und sich somit vor Verfolgung schützen. Nachdem der LSVD und andere diese europarechts- und verfassungswidrige Anwendung des sogenannten "Diskretionsgebots" über Jahre kritisiert hatten, änderte Bundesinnenministerin Nancy Faeser zum 1. Oktober 2022 die entsprechende Dienstanweisung Asyl und schaffte die "Diskretionsprognosen" ab. Künftig sei im Asylverfahren bei der Prüfung der Gefährdung von queeren Geflüchteten in ihren Herkunftsstaaten immer davon auszugehen, dass die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität offen gelebt wird, so Faeser damals. Inzwischen liegt dem LSVD die Dienstanweisung vor. Dazu erklärt Patrick Dörr vom Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD):

Wir freuen uns, dass die Dienstanweisung Asyl des BAMF im Themenbereich sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität (SOGI) grundlegend geändert wurde. Die letzten Monate haben gezeigt, dass sich mit der neuen Anweisung auch die Entscheidungspraxis in Asylverfahren ändert. Der LSVD hatte die Vorgaben der alten Dienstanweisung als rechtswidrig und realitätsfern kritisiert und dem Bundesinnenministerium konkrete Änderungsvorschläge vorgelegt. Über die Änderung der Dienstanweisung hinaus begrüßen wir zudem, dass das BAMF mit beratender Begleitung durch den LSVD eine Terminologie erstellt und veröffentlicht hat, die in sechs Sprachen die wichtigsten fachsprachlichen Begriffe zum Themenbereich „Sexuelle Orientierung / Geschlechtsidentität“ sowie einen Begleittext zur Sprachmittlung enthält. Diese Dokumente sind sowohl hilfreich für die Durchführung der Asylanhörung als auch für Beratungsstellen bei der Vorbereitung der Antragsteller*innen.

Die grundlegend überarbeitete Dienstanweisung Asyl korrigiert zahlreiche problematische Vorgaben im Asylverfahren für LSBTIQ*-Geflüchtete. Zu den zentralen Änderungen gehört, dass das BAMF bei der Verfolgungsprognose künftig davon auszugehen hat, dass die antragstellende Person ihre sexuelle Orientierung bzw. ihre geschlechtliche Identität in ihrem Herkunftsland offen ausleben würde. Wird der asylsuchenden Person ihre LSBTIQ*-Identität geglaubt, sorgt die reformierte Anweisung nun für eine erheblich bessere Chance auf eine Anerkennung als Flüchtling.

Gibt es überdies Straftatbestände gegen LSBTIQ* im Herkunftsland, die angewendet werden, dürfen Antragsteller*innen nicht auf Schutzmöglichkeiten bei staatlichen Akteuren verwiesen werden. Damit wird ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2020 umgesetzt. Stereotype Vorstellungen über LSBTIQ* werden ausführlicher und differenzierter adressiert, auf eine geschlechtersensible Ansprache der antragstellenden Personen durch Entscheider*innen wird hingewiesen. Schreiben von queeren Verbänden können künftig als Indiz für die Glaubhaftmachung berücksichtigt werden und sind zur Akte zu nehmen.

Mehr zum Thema:

Detallierte Analyse der Dienstanweisung durch den LSVD

Kapitel "Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität" aus der Dienstanweisung

Anfrage bei "Frag den Staat"

Sprachmittlung im Asylverfahren

BAMF-Terminologie SOGI

LSVD-Bundesverband

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Patrick Dörr