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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Freude und Enttäuschung über neues Thüringer Landesprogramm für Akzeptanz und Vielfalt

Pressemitteilung vom 13.02.2018

Freude und Enttäuschung über neues Thüringer Landesprogramm für Akzeptanz und Vielfalt

Zivilgesellschaftliche Institutionen zeigen sich erfreut über wichtigen Schritt für mehr Akzeptanz von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Thüringen, äußern jedoch auch Kritik und Skepsis gegenüber dem Landesprogramm.

Das neue Thüringer Landesprogramm für Akzeptanz und Vielfalt soll dazu dienen, Diskriminierung von LSBTIQ ab- und Unterstützungsangebote aufzubauen. Dazu wurden zunächst gemeinsam mit Vereinen aus der Zivilgesellschaft, Betroffenen und wissenschaftlichen Instituten Bedarfe identifiziert, Forderungen formuliert und anschließend im Kabinett abgestimmt. Am 30. Januar 2018 wurde das Landesprogramm veröffentlicht, zu dem sich zivilgesellschaftliche Vereine und Institutionen zwiegespalten äußern.

Die Vorsitzende der GEW Thüringen Kathrin Vitzthum lobt das Programm, da dieses die Vielfalt der Kinder und Jugendlichen wertschätzend ernst nehme. „Dass Fort- und Weiterbildungen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt als Maßnahmen genannt sind, freut uns sehr – die GEW fordert diese seit Jahren.“ Vitzthum weiter: „Allerdings wird die Lehramtsausbildung wieder einmal ausgespart, die Lehramtsanwärter*innen sind noch immer zu wenig auf die Heterogenität der Lernenden vorbereitet. Auch vermissen wir eine Verbindlichkeit in den Lehrplänen – denn der kompetente Umgang mit Vielfalt und Diskriminierung ist eine Schlüsselqualifikation in einer demokratischen Bildungslandschaft.“

Dass die Forderung von psychosozialen Beratungsstellen für LSBTIQ und ihre Angehörigen in einen Prüfauftrag für den Bedarf solcher Stellen umgewandelt wurde, bemängelt das Erfurter Frauenzentrum Brennessel e.V. .Sabine Stelzl hierzu: „In Thüringen basieren zielgruppenspezifische Unterstützungsangebote derzeit ausschließlich auf ehrenamtlichen Strukturen. Wir hoffen sehr, dass die vielen Bedarfsprüfungen im Landesprogramm auch eine personelle und finanzielle Förderung zur Folge haben, um beständige hauptamtliche Strukturen zu schaffen bzw. auszubauen.“

Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft und das Forschungsinstitut tifs bemängeln außerdem die fehlende Forschungsfinanzierung: „Die Vielzahl an Prüfaufträgen des Landesprogramms macht deutlich, dass die Datenlage in vielen Bereichen, was Ist-Zustand und Bedarfe angeht, unzulänglich ist. Eine fundierte wissenschaftliche Erhebung zur Situation von LSBTIQ in Thüringen, wie dies in anderen Bundesländern gemacht wurde, wäre nötig gewesen. Auch die begleitende Evaluation des Programms wäre im Sinne der Qualitätssicherung sinnvoll“, so Bettina Staudenmeyer vom tifs. Die beiden Institute hoffen darauf, dass hier nachjustiert wird.

Andrea Wagner, Vorsitzende des Landesfrauenrats Thüringen begrüßt die Einrichtung einer zivilgesellschaftlichen Koordinierungsstelle, die die Maßnahmen begleiten soll. Es sei allerdings „schwer vorstellbar, wie diese all die ihr zugewiesenen Aufgaben bewältigen kann“. Wagner kündigt an: „Wir werden die Umsetzung kritisch beobachten und uns auf Maßnahmen berufen. Insbesondere die Regelung der anonymen Spurensicherung für Opfer von sexueller Gewalt ist für uns von großem Interesse.“

„Wir freuen uns, dass die Landesregierung die Belange von LSBTIQ in Thüringen ernst nimmt und mit dem Landesprogramm einen wichtigen Baustein für die Akzeptanz von Vielfalt vorgelegt hat“, so Matthias Gothe vom Vielfalt Leben – QueerWeg. „Da die Mehrzahl der Beratungs-, Unterstützungs- und Kulturstrukturen in Thüringen ehrenamtlich aus den Betroffenengruppen heraus erfolgen, begrüßen wir die vorgesehene Unterstützung und Förderung in diesem Bereich.“ Besonders unterstrich Gothe die Wichtigkeit, diese Angebote auch in den ländlichen Raum zu bringen. „Hierzu bedarf es einer ausreichenden Finanzierung“, so Gothe.

„Ich bin sehr enttäuscht darüber, wie wenig die Vorbeugung sexuell übertragbarer Infektionen im Programm eine Rolle spielt.“ sagt Edgar Kitter von der AIDS-Hilfe Weimar und Ostthüringen. „Projekte, die sich an die von HIV am stärksten betroffene Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben, wenden, sind in anderen Bundesländern längst erfolgreich tätig. In Thüringen will man die Initiative solcher Kampagnen lediglich prüfen – ebenso wie dringend nötige niedrigschwellige Testprojekte. Besonders schmerzlich ist, dass sich die Landesregierung nicht durchringen konnte, die Kennzeichnung ANST für ‚ansteckend‘ in den Datenbanken der Polizei und Kriminalstatistik abzuschaffen.“ Die Kennzeichnung stigmatisiere Menschen mit HIV und Hepatitis und verringere das Schutzpotential der Beamten, da sie eine gefährliche Scheinsicherheit erzeuge, so Kitter.

Nicht zuletzt freut sich pro familia Thüringen, dass mit dem Landesprogramm „unsere sexualpädagogische Arbeit explizit unterstützt wird“. Die Geschäftsführerin Elke Lieback gibt aber zu verstehen, dass es ebenso geboten gewesen wäre, die Sexualkunderichtlinien zu überarbeiten: „Gerade in einem politischen Klima, dass Sexualität populistisch instrumentalisiert, hätte eine Überarbeitung, die die Ansprüche der Kinder und Jugendlichen an sexuelle Bildung offenlegen, die Handlungssicherheit der Schulen in diesem Feld gestärkt. Wir können noch lange nicht von einer flächendeckenden Sexualerziehung sprechen, die sich aufgeschlossen gegenüber der real gelebten Vielfalt gibt und Fragen der Lernenden vorbehaltlos beantwortet. Deshalb kann das Landesprogramm nur ein Anfang sein.“

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