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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Diskriminierende Blutspenderegelung: Dürfen schwule und bisexuelle Männer und trans* Personen Blut spenden?

Die gleiche Sicherheit von Blutkonserven lässt sich auch ohne Diskriminierung gewährleisten

Schwule und bisexuelle Männer dürfen in Deutschland nur Blut spenden, wenn sie in den letzten vier Monaten keinen neuen Sexualpartner und nicht mehr als einen Sexualpartner hatten. Transgeschlechtliche Menschen werden grundlos gesondert als sexuelle Risikogruppe aufgeführt.Die gleiche Sicherheit von Blutkonserven lässt sich jedoch auch ohne Diskriminierung gewährleisten. Eine Gesetzesänderung vom Mai 2023 verpflichtet die Bundesärztekammer, die Richtlinie bis zum 1. Oktober 2023 diskriminierungsfrei auszugestalten. 

mehrere Röhrchen mit Blut

Inhaltsverzeichnis

  1. Blutspendeausschluss schwuler und bisexueller Männer und Diskriminierung transgeschlechtlicher Menschen aufgrund der Richtlinie Hämotherapie der Bundesärztekammer von 2017
  2. Standardfragebogen des Paul-Ehrlich-Instituts für die Blutspendedienste
  3. Keine Aufhebung der Diskriminierung durch neue Richtlinie im Herbst 2021
  4. LSVD-Kritik an der neuen Regelung
  5. Was fordert der LSVD?
  6. Wie regeln das andere Länder?
  7. Gesetzesinitiativen in der 19. Wahlperiode (2017-2021)
  8. Rechtliche Grundlagen für die Blutspende
  9. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2015): Der generelle Ausschluss kann diskriminierend sein
  10. Andere Richtlinie für Organspende und Blutstammzellspende
  11. Weiterlesen

Update: Mit einer Gesetzesänderung vom 15.05.2023 hat die Ampelregierung die Bundesärztekammer aufgefordert, die Blutspenderegelungen ohne Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität auszugestalten (BGBl. 2023 I Nr. 123 vom 15.05.2023, S. 6). Die Bundesärztekammer hat hierzu bis zum 1.10.2023 Zeit. Dazu wurden in § 12a TFG wie folgt ergänzt:

§ 12a TFG

(1) ... Die Bewertung eines durch das Sexualverhalten bedingten Risikos, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von der Spende führt, hat auf Grundlage des jeweiligen individuellen Sexualverhaltens der spendewilligen Person zu erfolgen. Die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität der spendewilligen Person oder der Sexualpartnerinnen oder der Sexualpartner der spendewilligen Person dürfen bei der Bewertung des Risikos, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von der Spende führt, nicht berücksichtigt werden.

(4) Die Bundesärztekammer hat bis zum 1. Oktober 2023

1. abweichend von Absatz 1 Satz 2 eine Neubewertung der Risiken, die zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung führen, vorzunehmen, soweit sie aufgrund der Änderung dieses Gesetzes durch das Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – Stiftung Unabhängige Patientenberatung Deutschland – und zur Änderung weiterer Gesetze vom 11. Mai 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 123) erforderlich ist und

2. die Feststellungen der Höchstaltersgrenzen für Erst- und Wiederholungsspender aufzuheben unter Verweis auf eine individuelle Feststellung der Spendetauglichkeit nach ärztlicher Beurteilung.

(5) Das Bundesministerium für Gesundheit evaluiert die Auswirkungen der Regelungen des Absatzes 1 Satz 2 und 3 auf die Blutproduktesicherheit und das Blutspendeaufkommen bis zum 1. Oktober 2025.

1. Rechtslage bis Herbst 2021: Blutspendeausschluss schwuler und bisexueller Männer und Diskriminierung transgeschlechtlicher Menschen aufgrund der Richtlinie Hämotherapie der Bundesärztekammer von 2017

Nach dem Transfusionsgesetz (TFG) entscheidet eine Richtlinie der Bundesärztekammer über den Ausschluss von "spendewilligen Personen" von der Blutspende (§ 5 TfG). Dabei müssen die Richtlinien den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik widerspiegeln und sind von der Bundesärztekammer im Einvernehmen mit der zuständigen Bundesoberbehörde festzustellen. "Die Bewertung des Risikos, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von bestimmten Personengruppen von der Spende führt, ist im Fall neuer medizinischer, wissenschaftlicher oder epidemiologischer Erkenntnisse zu aktualisieren und daraufhin zu überprüfen, ob der Ausschluss oder die Rückstellung noch erforderlich ist, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau von Empfängerinnen und Empfängern von Blutspenden sicherzustellen." (§ 12a TFG). Die zuständige Bundesoberbehörden ist das Paul-Ehrlich-Institut zusammen mit dem Robert Koch-Institut als für die Epidemiologie zuständige Bundesoberbehörde (§ 27 TfG).

Bis September 2021 war Grundlage für den Blutspendeausschluss von homo- und bisexuellen Männern die von der Bundesärztekammer 2017 veröffentlichte Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten (Richtlinie Hämotherapie). Darin hieß es unter Abschnitt 2.2.4.3.2.2:

"Zeitlich begrenzt von der Spende zurückzustellen sind Personen, deren Sexualverhalten ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten, wie HBV, HCV oder HIV, birgt,

für 12 Monate:

  • heterosexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten, z. B. Geschlechtsverkehr mit häufig wechselnden Partnern,
  • Personen, die Sexualverkehr gegen Geld oder andere Leistungen (z. B. Drogen) anbieten (männliche und weibliche Sexarbeiter),
  • Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM),
  • transsexuelle Personen mit sexuellem Risikoverhalten,

nach Sexualverkehr mit einer der vorgenannten Personen mit erhöhtem Infektionsrisiko für HBV, HCV und/oder HIV für 4 Monate,"

Vor 2017 durften Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), gar nicht spenden. De facto läuft aber auch die Richtlinie von 2017 auf einen diskriminierenden Pauschalausschluss hinaus. Insgesamt vermittelt die Richtlinie von 2017 den Eindruck, dass es darum ging, den lebenslangen Ausschluss der MSM von der Blutspende tatsächlich doch aufrechtzuerhalten. Denn es ist unrealistisch, dass ein schwuler oder bisexueller Mann ein Jahr lang enthaltsam leben wird, um dann endlich Blut spenden zu dürfen. 

In der Richtlinie wird nicht ausdrücklich gesagt, ab wann die 12-monatige Rückstellungsfrist beginnt. Aus dem Gesamtzusammenhang des Textes kann man aber schließen, dass die Rückstellungsfrist offenbar mit dem letzten Sexualverkehr beginnen soll. Ebenso wenig wird in der Richtlinie erläutert, was unter "Sexualverkehr" verstanden wird. Deshalb ist offen, ob damit nur Beischlaf und beischlafsähnliche Handlungen (Anal- und Oralverkehr) gemeint sind oder auch wechselseitige Masturbation. Problematisch ist zudem, dass sich die zeitliche Rückstellung nicht am diagnostischen Fenster orientiert, nach dem HIV, HCV und HBV im Blut durch Tests nachweisbar sind, sondern willkürlich 12 Monate beträgt.

Die Rückstellungsfristen werden in der Richtlinie Hämotherapie nur allgemein mit dem erhöhten Übertragungsrisiko begründet. Es wird aber nicht erläutert, warum bei den verschiedenen "Risikogruppen" die jeweilige Rückstellungsfrist erforderlich ist bzw. ausreicht. Das vom LSVD lang kritisierte Abstellen auf "Risikogruppen" statt auf Risikoverhalten wurde in der Richtlinie von 2017 beibehalten. So wurde aus der Gruppe der MSM eine einheitliche Risikogruppe gemacht, deren Angehörige alle das gleiche hohe Übertragungsrisiko haben, während bei heterosexuellen Menschen nach ihrem "sexuellem Risikoverhalten" unterschieden wird. Das haben wir bei der Veröffentlichung der neuen Richtlinie 2017 auch kritisiert.

Die explizite Nennung von trans* Personen als eigene "Risikogruppe" ist überflüssig und durch die Hervorhebung stigmatisierend. Trans* Personen können hetero-, bi- oder homosexuell sein. Das heißt: Hätten sie ein "sexuelles Risikoverhalten", wären sie entweder bereits als heterosexuelle Personen von der Blutspende ausgeschlossen oder dürften als schwule bzw. bisexuelle Personen ebenfalls nur spenden, wenn sie 12 Monate enthaltsam gelebt haben. Diese Regelung muss in der Richtlinie gestrichen werden.

Wann heterosexuelle Personen spenden dürfen und wann nicht bzw. was unter "sexuellem Risikoverhalten" verstanden wird, legt nicht die Richtlinie fest. Dafür müssen die Fragebögen bei der Blutspende herangezogen werden.

2. Standardfragebogen des Paul-Ehrlich-Instituts für die Blutspendedienste

Der Standardfragebogen des Paul-Ehrlich-Instituts wird von vielen Blutspendediensten verwendet. Darin heißt es bei Frage 16:

"Über den Sexualverkehr können Infektionen, wie z.B. HIV oder Hepatitis, übertragen werden. Direkt nach der Ansteckung mit HIV und/oder Hepatitis kann ein Spender ohne es zu wissen infiziert sein und durch sein Blut den Empfänger der Spende anstecken. Leider können Labortests eine Infektion zum Teil erst bis zu 4 Monate nach der Ansteckung nachweisen. Daher schützen Sie mit Ihrer ehrlichen Antwort die Empfänger Ihrer Spende.

Hatten Sie in den letzten 12 Monaten Sexualverkehr

  • mit mehr als 3 Partnern?
  • für den Sie Geld oder andere Leistungen (Unterkunft, Drogen) erhalten haben?

Hatten Sie in den letzten 4 Monaten Sexualverkehr

  • außerhalb einer festen Partnerschaft?
  • mit einer Person, die mit HIV- oder Hepatitisviren infiziert ist?
  • mit einer Person, die im Ausland geboren ist oder mehr als 6 Monate dort gelebt hat?
  • für den Sie mit Geld oder anderen Leistungen (Unterkunft, Drogen) bezahlt haben?

Nur für Frauen: Hatten Sie in den letzten 4 Monaten Sexualverkehr mit einem bisexuellen Mann?

Nur für Männer: Hatten Sie schon einmal Sexualverkehr mit einem anderen Mann? Wenn ja, fand dieser Kontakt innerhalb der letzten 12 Monate statt?"

Ja-Antworten führen dabei nicht immer zu einem Ausschluss, sondern zu vertiefenden Fragen durch Ärzt*innen. Das zeigen etwa die Ausführungen des DRK Blutspendedienst West zu ihrem Fragebogen. Dieser Fragebogen unterscheidet sich leicht vom Standardfragebogen, ist jedoch insgesamt vergleichbar. In den Anmerkungen zum Fragebogen erläutert der DRK Blutspendedienst West, welche Folgen die Antworten haben: 

"16. Hatten Sie in den letzten 4 Monaten Sexualverkehr

  • mit einer neuen Partnerin / einem neuen Partner? (hier erfolgt eine Prüfung durch den Arzt, ob Ihre Angaben eine Blutspende ausschließen oder ob sie möglich ist)
  • mit einer Person, die eine schwere Infektionskrankheit (z. B. AIDS oder Hepatitis) hat oder haben könnte? (hier erfolgt eine Prüfung durch den Arzt, ob Ihre Angaben eine Blutspende ausschließen oder ob sie möglich ist)
  • für den Sie Geld oder andere Leistungen (Unterkunft, Drogen) bezahlt haben? (Falls ja ist eine Blutspende bis zum Ablauf der genannten Frist nicht möglich)
  • Nur für Frauen:
    • mit einem bisexuellen Mann? ja nein (Falls ja ist eine Blutspende bis zum Ablauf der genannten Frist nicht möglich)
    • Haben Sie schon einmal Geld oder andere Leistungen (z. B. Drogen) für Sexualverkehr erhalten? (Falls ja ist eine Blutspende bis zum Ablauf der genannten Frist nicht möglich)
  • Nur für Männer:
    • Hatten Sie schon einmal Sexualverkehr mit einem anderen Mann? (Falls ja ist eine Blutspende bis zum Ablauf von 12 Monaten nicht möglich)"

Es fällt auf, dass nur bei der Frage nach heterosexuellen Risikokontakten eine Prüfung durch die Ärzt*innen erfolgt, ob eine Blutspende dennoch möglich ist. Es liegt im Ermessen der Ärzt*innen, ob eine heterosexuelle Person trotz eines sexuellen Kontakts innerhalb der letzten vier Monate mit neuen Partner*innen oder mit einer Person, die eine schwere Infektionskrankheit haben könnte (zB. HIV, HBV, HCV), Blut spenden darf (flexible Rückstellungsfrist).

Für MSM gilt dies nicht: hier dürfen die Ärzt*innen nicht prüfen und entscheiden, ob im Einzelfall ein Risiko vorlag. Stattdessen sind Männer, die Sexualverkehr mit einem anderen Mann hatten, grundsätzlich für 12 Monate zurückzustellen (starre Rückstellungsfrist). Unabhängig davon, wie das individuelle Risikoverhalten war. Dasselbe gilt für Frauen, die Sex mit einem bisexuellen Mann hatten: diese werden ohne Prüfung des Risikos im Einzelfall pauschal für vier Monate von der Blutspende ausgeschlossen. Dabei spielt es im Übrigen nicht einmal eine Rolle, ob der bisexuelle Mann in den letzten 12 Monaten Sex mit einem Mann hatte.

Die Richtlinie wurde im September 2021 angepasst. Die Anpassungen werden im nächsten Punkt beschrieben. 

3. Aktuelle Rechtslage: Keine vollständige Aufhebung der Diskriminierung durch neue Richtlinie vom Herbst 2021

Die Richtlinie Hämotherapie wurde 2021 überarbeitet. Dafür wurde ein sogenannter Arbeitskreis Blut mit Vertretungen des Paul-Ehrlich-Instituts, des Robert Koch-Instituts, der Bundesärztekammer und des Bundesgesundheitsministeriums gebildet. Dieser traf sich laut Medienberichten Anfang November 2020 zum ersten Mal und hat sich in seiner Sitzung am 26. Mai 2021 auf ein Beratungsergebnis zum Thema „Blutspende von Personen mit sexuellem Risikoverhalten“ geeinigt.

Die überarbeitete Richtlinie wurde im September 2021 veröffentlicht. Unter Punkt 2.2.4.3.2.2 "Exposition mit dem Risiko, eine übertragbare Infektion zu erwerben" heißt es nun:

"Zeitlich begrenzt von der Spende zurückzustellen sind Personen

  • mit einem Sexualverhalten, das ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt, für 4 Monate:
    • Sexualverkehr zwischen Frau und Mann mit häufig wechselnden Partnern/Partnerinnen,
    • Sexualverkehr einer Transperson mit häufig wechselnden Partnern/Partnerinnen,
    • Sexualverkehr zwischen Männern (MSM) mit einem neuen Sexualpartner oder mehr als einem Sexualpartner,
    • Sexarbeit
    • Sexualverkehr mit einer Person mit einer der vorgenannten Verhaltensweisen,
    • Sexualverkehr mit einer Person, die mit HBV, HCV oder HIV infiziert ist,
    • Sexualverkehr mit einer Person, die in einem Endemiegebiet/Hochprävalenzland für HBV, HCV oder HIV lebt oder von dort eingereist ist."

Im Vergleich zur Fassung von 2017 wird die Rückstellfrist für alle Spender*innen von zwölf Monaten auf vier Monate seit dem letzten riskanten Sexualverhalten verkürzt. Ein weiteres Novum ist, dass alle Spender*innen ohne Rückstellung spenden dürfen, wenn sie vier Monate lang Sexualverkehr nur innerhalb einer monogamen Zweierbeziehung hatten. Das heißt, dass nunmehr erstmalig sexuell aktive schwule Männer ohne Rückstellung Blut spenden dürfen, unter der Voraussetzung, dass sie in den letzten vier Monaten nur Sex innerhalb einer monogamen Zweierbeziehung hatten. Dies gilt entsprechend für bisexuelle Männer in einer monogamen Beziehung mit einem anderen Mann.

Unterschiede zwischen MSM und Heterosexuellen gibt es aber weiterhin. Die Richtlinie von 2021 definiert das Risiko von "Sexualverkehr zwischen Männern" anders als von"Sexualverkehr zwischen Frau und Mann". Insbesondere für Singles und bei nichtmonogamen Beziehungsformen wie offenen und polyamoren Beziehungen wirken sich die Unterschiede aus. Ein schwuler oder bisexueller Mann, der innerhalb der letzten vier Monate Sex mit einem neuen Sexualpartner oder mit mehr als einem Sexualpartner hatte, darf kein Blut spenden. Schwule Männer in einer offenen oder polyamoren Beziehung bleiben weiterhin faktisch von der Blutspende ausgeschlossen. Das gilt entsprechend für bisexuelle Männer, die eine Beziehung mit einem Mann führen und Sexualkontakte mit anderen Männern haben. Ein schwuler Single-Mann muss vier Monate enthaltsam leben, um Blut spenden zu können.

Ein heterosexueller Mann hingegen wird erst von der Blutspende zurückgestellt, wenn er in den letzten vier Monaten "häufig wechselnde" Partnerinnen hatte. Das heißt, ein Single-Mann oder ein heterosexueller Mann in einer offenen Beziehung, der in den letzten vier Monaten mit verschiedenen Frauen One-Night Stands hatte, dürfte Blut spenden. Für Hetero-Männer ist es zudem möglich, eine sexuell aktive polyamore Beziehung mit mehreren Partnerinnen zu führen und trotzdem Blut zu spenden.

Damit unterscheiden sich die Regelungen für heterosexuelle Männer und schwule und bisexuelle Männer auch weiterhin. 

Transgeschlechtliche Personen werden in der Richtlinie von 2021 weiterhin gesondert erwähnt, obwohl für sie die gleichen Regelungen gelten wie für heterosexuelle cisgeschlechtliche Menschen.

Unter Punkt 2.2.4.3.2.4 "Sonstige Rückstellungsgründe" heißt es im Übrigen:

"Zeitlich begrenzt von der Spende zurückzustellen sind Personen

  • nach Einnahme einer medikamentösen HIV-Präexpositionsprophylaxe für 4 Monate"

Die Einnahme von PreP führt also ebenfalls zu einer viermonatigen Rückstellung von der Blutspende.

Am 16. März 2023 entschied der Bundestag über eine Änderung des Transfusionsgesetzes. Demnach muss künftig die Risikobewertung auf Grundlage des individuellen Sexualverhaltens erfolgen – ohne Berücksichtigung der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität der Spendewilligen oder ihrer Sexualpartner*innen.

Es liegt nun an der Bundesärztekammer, ihre Regelungen anzupassen. Dazu hat sie gem § 12a Abs. 4 TFG bis zum 1. Oktober 2023. Wir hoffen, dass sie ihre Blockadehaltung aufgibt und diskriminierungsfreie Rückstellungskriterien entwickelt.

4. LSVD-Kritik an der Regelung von 2021

Während wir es begrüßen, dass erstmalig auch sexuell aktive schwule und bisexuelle Männer Blut spenden dürfen sollen, wird offenbar trotzdem daran festgehalten, dass gleichgeschlechtliches Sexualverhalten unter Männern per se als riskanter gilt als heterosexuelles Sexualverhalten. Während für heterosexuelle Menschen nur Sex mit häufig wechselnden Partnern bzw. Partnerinnen als Risikoverhalten definiert wird, reicht bei schwulen und bisexuellen Männern bereits ein Sexualkontakt zu einem neuen Mann, um für vier Monate von der Blutspende ausgeschlossen zu werden. Für diese Einstufung bleibt es aus nicht nachvollziehbaren Gründen irrelevant, ob dieser Sexualkontakt safe oder unsafe war. So dürfte eine heterosexuelle Person selbst dann Blut spenden, wenn sie in den vergangenen vier Monaten einen One Night Stand ohne Kondom hatte. Währenddessen wäre ein schwuler Mann von der Blutspende ausgeschlossen, wenn er ein Mal safen Sex mit einem neuen Partner hatte.

Es ist verfehlt, Sexualkontakte zwischen Männern grundsätzlich als Risikoverhalten zu definieren. Gleichgeschlechtlicher Sex zwischen Männern ist nicht per se riskant wie die geplante Richtlinie nachwievor suggeriert. Maßgeblich ist, wie safe die Sexualkontakte im Einzelfall gestaltet werden. Der Ausschluss von Personen von der Blutspende muss sich deshalb nach dem persönlichen sexuellen Risikoverhalten richten.

Ebenso wird an der unnötigen Hervorhebung von trans* Personen festgehalten. Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität sind zwei verschiedene Merkmale. Trans* Personen werden bereits als heterosexuelle Menschen bzw. als MSM adressiert, sie extra zu nennen ist unnötig und damit stigmatisierend.

5. Was fordert der LSVD? Individuelles Risikoverhalten muss maßgebliches Kriterium sein

Männer, die Sex mit Männern haben, sollten nicht von der Blutspende ausgeschlossen werden, wenn sie nur geschützte Sexualkontakte mit anderen Männern hatten und HIV-negativ sind. Die explizite Nennung von trans* Personen als eigene "Risikogruppe" ist stigmatisierend und muss gestrichen werden. Für die zeitlich befristete Rückstellung von der Blutspende muss das individuelle Risikoverhalten maßgeblich sein. Die gleiche Sicherheit von Blutkonserven lässt sich auch ohne Diskriminierung gewährleisten.

Die Unterstellung, dass Sexualkontakte zwischen Männern in jedem Einzelfall eine größere Infektionsgefahr bedeuten, ist genauso diskriminierend wie absurd. Entscheidend für die Höhe des Risikos ist vor allem die Frage, wie Sexualkontakte im Hinblick auf die Vermeidung von Übertragungsrisiken gestaltet werden. Dabei spielt nicht nur eine Rolle, ob Schutz-Methoden genutzt wurden (Kondom etc.), sondern auch, welche Sexualpraktiken ausgeübt wurden. Verschiedene Sexualpraktiken haben ein unterschiedlich hohes Übertragungsrisiko. Während ungeschützter, aufnehmender Analverkehr mit einer HIV-infizierten Person ein hohes Übertragungsrisiko von 1,4 Prozent aufweist, weisen andere Praktiken (Oralverkehr, gegenseitige Masturbation) faktisch kein Übertragungsrisiko auf (unter 0,005 Prozent).

Das individuelle Risiko kann über eine Sexualanamnese mit einem Fragebogen abgefragt werden. Eine Sexualannamnese, die sich am individuellen Risiko der Spender*innen orientiert, ist sogar geeignet, eine höhere Sicherheit der Blutspenden zu gewährleisten als der bisherige pauschale Ausschluss bzw. Rückstellung bestimmter „Hochrisikogruppen“. Das ergibt sich aus den Erläuterungen der oben zitierten gemeinsamen Arbeitsgruppe, wonach durch Fragebögen mit gezielten Fragen nach sexuellen Risiken mehr Spender*innen, bei denen eine Rückstellung oder ein Ausschluss angezeigt ist, identifiziert werden konnten als mit den bisherigen Fragebögen. Ein Fragebogen, der reale Risiken abfragt, anstatt pauschal ganze Gruppen von der Spende auszuschließen, kann zudem die Akzeptanz erhöhen, falsche Angaben verringern und Blutspenden noch sicherer machen.

Statt das sexuelle Verhalten detailliert in einem Fragebogen abzufragen, könnte für alle Spendenden mit flexiblen Rückstellungsfristen und einer Ermessensentscheidung durch Ärzt*innen gearbeitet werden. Diese könnten nach der Verwendung von safer Sex Methoden fragen und im Einzelfall entscheiden, ob ein Infektionsrisiko aufgrund des sexuellen Verhaltens vorliegt. So wird dies derzeit bereits von vielen Blutspendediensten für heterosexuelle Risikokontakte gehandhabt (vgl. oben Punkt 2).

6. Wie regeln das andere Länder?

Eine Vielzahl von Ländern hat die Regelungen zur Blutspende an die aktuellen wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnisse angepasst. Sie lassen Blutspenden von MSM und transgeschlechtlichen Personen ohne pauschale Rückstellfristen oder mit Rückstellfristen von drei bis vier Monaten zu.

In Dänemark dürfen schwule Männern bereits nach vier Monaten spenden, wenn sie in einer festen Beziehung leben, sogar ohne zeitliche Einschränkung. In BulgarienItalien und Portugal wird jede Person individuell nach ihrem sexuellen Risikoverhalten befragt, unabhängig der sexuellen Orientierung. Großbritannien und Kanada haben die Zeit auf drei Monate reduziert (Quelle: NDR vom 18.08.2020)

Ungarn hat 2020 die bisherigen Sonderregelungen für schwule und bisexuelle Männer beim Blutspenden abgeschafft. Jetzt wird nicht mehr die sexuelle Orientierung der Spender abgefragt, sondern das tatsächliche Risikoverhalten. Damit passt Ungarn die Regelung an die anderer europäischer Ländern an, etwa Spanien und Italien (Quelle: queer.de vom 08.05.2020)

In Brasilien kippte der Oberste Gerichtshof im Mai 2020 das Teilverbot für schwule und bisexuelle Männer beim Blutspenden als verfassungswidrige Diskriminierung. Bislang hatten Männer, die Sex mit Männern haben, wie auch in Deutschland zwölf Monate auf sexuelle Beziehungen verzichten müssen, wenn sie Blut spenden wollten. Künftig müssen sie wie Heterosexuelle auch nach ihrem tatsächlichen Risikoverhalten bewertet werden und nicht nach ihrer sexuellen Orientierung (Quelle: queer.de vom 11.05.2020)

Im Dezember 2020 haben auch England und Neuseeland neue Blutspenderegelungen verfasst. In England werden schwule und bisexuelle Männer nicht mehr anders behandelt als heterosexuelle Menschen. Ausschlaggebend ist, ob eine Person innerhalb von drei Monaten wechselnde Sexualpartner oder eine feste Beziehung habe. Zuvor durften schwule und bisexuelle Männer nur spenden, wenn sie drei Monate abstinent waren (Quelle: queer.de vom 14.12.2020). In Neuseeland galt bisher wie in Deutschland ein Blutspendeverbot für alle Männer, die innerhalb eines Jahres Sex mit einem anderen Mann gehabt haben. die geforderte Abstinenzzeit wurde nun auf drei Monate gesenkt. (Quelle: them.us vom 14.12.2020)

Auch in folgenden Ländern gibt es keine oder kurze Rückstellfristen: Argentinien (keine Rückstellung), Australien (drei Monate), Bhutan (keine Rückstellung), Bolivien (keine Rückstellung), Chile (keine Rückstellung), Costa Rica (keine Rückstellung), Frankreich (vier Monate), Grönland (vier Monate), Israel (keine Rückstellung), Kanada (drei Monate), Kolumbien (keine Rückstellung), Lettland (keine Rückstellung), Mexiko (keine Rückstellung), Niederlande (vier Monate), Nordirland (drei Monate), Österreich (vier Monate), Peru (keine Rückstellung), Polen (keine Rückstellung), Russland (keine Rückstellung), San Marino (keine Rückstellung), Südafrika (keine Rückstellung),  USA (drei Monate). (Quellen: MDR vom 14.06.2020; Reuters vom 14.12.2020; Wikipedia mit weiteren Quellenangaben)

7. Gesetzesinitiativen in der 19. Wahlperiode (2017-2021)

7.1 Zweites Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (vom 14. Mai 2020)

Im "Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" sahen die Regierungsfraktionen u.a. eine Änderung des Transfusionsgesetzes vor. Darin heißt es in Artikel 11:

„Die Bewertung des Risikos, das zu einem gruppenbezogenen Ausschluss oder einer gruppenbezogenen Rückstellung von der Spende führt, ist regelmäßig zu aktualisieren und daraufhin zu überprüfen, ob das angewandte Verfahren noch erforderlich ist, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau von Empfängerinnen und Empfängern von Blutspenden sicherzustellen.“

Diese Passage nennt weder den Ausschluss von schwulen und bisexuellen Männern, noch kritisiert sie diesen oder fordert gar konsequent die Änderung. Eigentlich sollte man doch davon ausgehen können, dass die Richtlinien regelmäßig überprüft und aktualisiert werden. Das Gesetz wurde am 14.05.2020 im Bundestag angenommen.

7.2 Alternative Anträge von Grünen und FDP in letzter Sitzungswoche des Bundestags abgelehnt

Die Anträge der FDP-Fraktion und der Fraktion von Bündnis 90/ Die Grünen kritisieren die Diskriminierung schwuler und bisexueller Männer und transgeschlechtlicher Personen ausdrücklich. Beide Anträge wurden am 27.05.2020 im Bundestag in erster Lesung debattiert und in die Bundestagsausschüsse zur weiteren Beratung überwiesen. Am 24.03.2021 fand im Gesundheitsausschuss eine öffentliche Anhörung der beiden Anträge zusammen mit einem weiteren Antrag der Fraktion von Bündnis 90/ Die Grünen statt, in dem der LSVD als Sachverständiger teilnahm. Die Oppositionsanträge wurden in der letzten Sitzungswoche des Bundestags abgelehnt.

In dem Antrag "Einfach Leben retten – Blutspendeverbot für homosexuelle und transgeschlechtliche Menschen abschaffen" der FDP-Fraktion heißt es:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

  1. bei der Bundesärztekammer darauf hinzuwirken, dass diese die „Richtlinie Hämotherapie“ und die vor jeder geleisteten Blutspende durchgeführte Befragung  der Spenderin oder des Spenders so ändert, dass die medizinische Beurteilung zur sicheren Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen nicht mehr von der sexuellen oder geschlechtlichen Identität abhängig gemacht wird;
  2. einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem das Transfusionsgesetz so geändert  wird, dass eine Diskriminierung potenzieller Blutspenderinnen und Blutspender wegen ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität ausgeschlossen wird;
  3. dem Bundestag bis zur Aufhebung der beanstandeten Diskriminierungsregelung jährlich über die Fortschritte ihrer Bemühungen zu berichten.

Bündnis 90/ Die Grünen schlagen in ihrem Antrag "Diskriminierung von homosexuellen und transgeschlechtlichen Menschen bei der Blutspende beenden" vor:

Die gesonderte Nennung von „transsexuellen Personen mit sexuellem Risikoverhalten“ in der  Richtlinie Hämotherapie ist nicht akzeptabel, diskriminierend und völlig unverständlich. Wer Blut spendet, übernimmt Verantwortung sowohl für seine Spende als auch für die Gesellschaft. Verantwortungsvolles Handeln gilt es zu ermöglichen und nicht pauschal abzuweisen. (...) Bei der Bundesärztekammer [ist] darauf hinzuwirken, dass die Richtlinie Hämotherapie überarbeitet wird, indem die pauschalen, wissenschaftlich nicht haltbaren und diskriminierenden Rückstellungen von Personengruppen von einer Blutspende gestrichen werden und die Neufassung den Anstieg der antiretroviralen Therapie und die Zulassung der HIV-Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) berücksichtigt."

In ihrem Antrag "Diskriminierung bei der Blutspende beenden - Transfusionsgesetz ändern" schlagen Bündnis 90/ Die Grünen vor: 

"Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Transfusionsgesetzes vorzulegen, wonach die Bundesärztekammer zur Überprüfung der Richtlinie Hämotherapie mindestens einmal im Jahr verpflichtet und dabei ein Verbot ungerechtfertigter, direkter oder indirekter Diskriminierung verankert wird."

8. Rechtliche Grundlagen für die Blutspende

Nach Art. 168 Abs. 4 Buchst. a AEUV (ex-Artikel 152 Abs. 4 Buchst. a EGV) haben das Europäische Parlament und der Rat Maßnahmen zur Festlegung hoher Qualitäts- und Sicherheitsstandards für Organe und Substanzen menschlichen Ursprungs sowie für Blut und Blutderivate zu treffen. In Umsetzung dieses Auftrags haben das Europäische Parlament und der Rat die Richtlinie 2002/98/EG vom 27.01.2003 „zur Festlegung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards für die Gewinnung, Testung, Verarbeitung, Lagerung und Verteilung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG“ erlassen (ABl. L 33, S. 30).

In Anhang IV dieser Richtlinie („Grundlegende Anforderungen für die Testung von Vollblut- und Plasmaspenden“) wird vorgeschrieben, dass bei Vollblut- und Apheresespenden, einschließlich Spenden für spätere Eigenbluttransfusionen, Tests auf HIV 1/2 (Anti-HIV 1/2) durchgeführt werden müssen.

Art. 19 („Untersuchung der Spender“) der Richtlinie bestimmt: "Vor jeder Spende von Blut oder Blutbestandteilen wird eine Untersuchung des Spenders, die eine Befragung einschließt, durchgeführt. Insbesondere obliegt es einem hierfür qualifizierten Angehörigen eines Gesundheitsberufs, dem Spender die Informationen zu geben und bei diesem die Informationen einzuholen, die notwendig sind, um über dessen Eignung als Spender zu entscheiden; danach entscheidet er über die Spendereignung.“

Zur Durchführung der Richtlinie 2002/98/EG hat die EU-Kommission die Richtlinie 2004/33/EG vom 22.03.2004 erlassen. Nach Artikel 4 der Richtlinie müssen die Blutspendeeinrichtungen sicherstellen, dass Spender von Vollblut und Blutbestandteilen die in Anhang III aufgeführten Eignungskriterien erfüllen. Im Anhang III ("Eignungskriterien für die Spender von Vollblut und Blutbestandteilen") werden im Abschnitt 2 die "Ausschlusskriterien für Spender von Vollblut und Blutsbestandteilen" aufgezählt, darunter im Abschnitt 2.1 mehrere "Infektionskrankheiten", u.a. HIV-1/2.

Außerdem wird dort das "Sexualverhalten" als Ausschlusskriterium genannt und wie folgt umschrieben: "Personen, deren Sexualverhalten ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt." (Diese Formulierung war Gegenstand des nachfolgenden Urteils des EuGH.)

Nach Artikel 3 der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Spender nach der Einwilligung in die Spende von Blut oder Blutbestandteilen der Blutspendeeinrichtung die in Anhang II Teil B aufgeführten Angaben machen. Im Anhang II Teil B („Von den Spendern durch die Blutspendeeinrichtung bei jeder Spende einzuholende Informationen“) wird in Nr. 2 angeordnet, dass die Spender folgende Informationen zur Verfügung zu stellen haben:

„Erfassung von Gesundheitszustand und Vorerkrankungen mittels eines Fragebogens und einer persönlichen Befragung durch einen qualifizierten Angehörigen eines Gesundheitsberufs; sie enthält relevante Faktoren, die zur Identifizierung und zum Ausschluss von Personen beitragen können, deren Spende mit einem Gesundheitsrisiko für sie selbst oder mit dem Risiko einer Krankheitsübertragung für andere verbunden sein könnte.“

Die Richtlinie ist in Deutschland durch das Transfusionsgesetz (TFG) umgesetzt worden. Es formuliert die Ausschlusskriterien für Spender nicht selbst, sondern bestimmt in § 5 Abs. 1 Satz 2 TFG:

„Die Zulassung zur Spendeentnahme soll nicht erfolgen, soweit und solange die spendewillige Person nach Richtlinien der Bundesärztekammer von der Spendeentnahme auszuschließen oder zurückzustellen ist.“ 

Nach § 12a Abs. 1 TFG hat die Bundesärztekammer in den Richtlinien den allgemein anerkannten Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft und Technik zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen im Einvernehmen mit der zuständigen Bundesoberbehörde festzustellen.  

§ 24 regelt die Einberufung eines Arbeitskreises Blut. Die Mitglieder werden durch das Gesundheitsministeriums benannt:

"Das Bundesministerium für Gesundheit richtet einen Arbeitskreis von Sachverständigen für Blutprodukte und das Blutspende- und Transfusionswesen ein (Arbeitskreis Blut). Der Arbeitskreis berät die zuständigen Behörden des Bundes und der Länder. Er nimmt die nach diesem Gesetz vorgesehenen Anhörungen von Sachverständigen bei Erlass von Verordnungen wahr. Das Bundesministerium für Gesundheit beruft die Mitglieder des Arbeitskreises auf Vorschlag der Berufs- und Fachgesellschaften, Standesorganisationen der Ärzteschaft, der Fachverbände der pharmazeutischen Unternehmer, einschließlich der staatlichen und kommunalen Bluttransfusionsdienste, der Arbeitsgemeinschaft Plasmapherese und der Blutspendedienste des Deutschen Roten Kreuzes, überregionaler Patientenverbände, insbesondere der Hämophilieverbände, des Bundesministeriums der Verteidigung und der Länder. Der Arbeitskreis gibt sich im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit eine Geschäftsordnung. Das Bundesministerium für Gesundheit bestimmt und beruft die leitende Person des Arbeitskreises. Es kann eine Bundesoberbehörde mit der Geschäftsführung des Arbeitskreises beauftragen."

9. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (2015): Der generelle Ausschluss ist unzulässig, wenn andere gleich sichere Möglichkeiten zur Verfügung stehen

Der Europäische Gerichtshof hat sich am 29.04.2015 mit der Frage befasst, ob der generelle Ausschluss von MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) mit dem Verbot der Diskriminierung wegen der sexuelle Orientierung in Art. 21 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar ist (EuGH, Urt. v. 29.04.2015, Rs. C-528/13 - Léger).

Der Gerichtshof hat in seinem Urteil festgestellt, dass der Ausschluss von MSM von der Blutspende nur zulässig ist,

„(...) wenn aufgrund der derzeitigen medizinischen, wissenschaftlichen und epidemiologischen Erkenntnisse und Daten feststeht, dass ein solches Sexualverhalten (…) ein hohes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt und dass es unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit keine wirksamen Techniken zum Nachweis dieser Infektionskrankheiten oder mangels solcher Techniken weniger belastende Methoden als eine solche Kontraindikation gibt, um ein hohes Gesundheitsschutzniveau der Empfänger sicherzustellen.“ 

Als weniger belastende Methode hat der EuGH auf die systematische Quarantäne bzw. das Doppeltestverfahren hingewiesen. Dabei wird das abgenommene Blut für einen bestimmten Zeitraum eingefroren. Nach diesem Zeitraum wird der Spender erneut auf Infektionskrankheiten getestet. Wenn er gesund ist, wird die eingefrorene Spende rückwirkend freigegeben. Dies ist eine Technik, die beispielsweise in Israel zur Anwendung kommt.

Als weitere weniger belastende Methode weist der EuGH auf die Sexualanamnese durch Fragebögen hin. Es müsse geprüft werden, „ob es durch gezielte Fragen zum seit der letzten sexuellen Beziehung verstrichenen Zeitraum im Verhältnis zur Dauer des „diagnostischen Fensters“, zur Beständigkeit der Beziehung der betreffenden Person oder zum Schutz in der sexuellen Beziehung möglich wäre, die Höhe des Risikos zu bewerten, das individuell durch den jeweiligen Spender aufgrund seines eigenen Sexualverhaltens besteht“.

Daraus folgt: Wenn eine gezielte Befragung der Blutspender*innen ausreicht, um das Risiko einer Übertragung von Infektionskrankheit im selben Maß zu minimieren wie der generelle Ausschluss aller MSM, ist dieser unverhältnismäßig.

Ein entsprechender Fragebogen existiert bereits. Aus den „Erläuterungen“ der gemeinsamen Arbeitsgruppe aus Vertretern des „Arbeitskreises Blut“ und des Arbeitskreises „Richtlinien Hämotherapie“ von April 2012 ergibt sich, dass eine Expert*innengruppe des „Arbeitskreises Blut“ bereits einen einheitlichen Spenderfragebogen entwickelt hat, der unter anderem sexuelle Risiken direkt erfasst. In einer Studie an 6.500 Neuspender*innen sei die Art der Befragung als verständlich und nicht zu persönlich beurteilt worden. Es hätten mehr Spender*innen mit sexuellen Risiken identifiziert werden können als mit den etablierten Fragebögen.

In einer Folgeuntersuchung habe sich aber gezeigt, dass die Akzeptanz dieser direkten Fragen bei einigen Spender*innen und Spendediensten nicht gegeben war. Die gemeinsame Arbeitsgruppe hat deshalb empfohlen, den dauerhaften Ausschluss für MSM von der Blutspende zugunsten einer zeitlich befristeten Zurückstellung von einem Jahr seit dem letzten Geschlechtsverkehr mit einem Mann aufzugeben. Diese Empfehlung wurde in der Hämotherapierichtlinie 2017umgesetzt.

Das genügt den Anforderungen des europäischen Rechts nicht. Der EuGH hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch geprüft werden muss, ob „Fragen zur Beständigkeit der Beziehung der betreffenden Person oder zum Schutz in der sexuellen Beziehung“ ausreichen, um die Sicherheit der Blutproben zu gewährleisten. Wenn durch solche Fragen festgestellt wird, dass ein Blutspender kein riskantes Sexualverhalten aufweist, besteht kein Anlass, ihn von der Blutspende auszuschließen. Das wäre rechtswidrig.

Fragebögen mit direkten Fragen nach sexuellem Risikoverhalten will man offenbar nicht einführen, weil einigen Spender*innen und Spendediensten solche Fragen zu weit gehen. Das können wir nicht nachvollziehen. Nach der geltenden Richtlinie werden heterosexuelle Personen für die Blutspende ausgeschlossen, wenn sie Geschlechtsverkehr mit häufig wechselnden Partner*innen hatten. Es muss daher ohnehin nach dem sexuellen Risikoverhalten gefragt werden. Das gilt für heterosexuelle Praktiken ebenso wie für homosexuelle. Eine Befragung der Spender*innen ist nur sinnvoll, wenn nicht nur gefragt wird, ob sie einer Risikogruppe angehören, sondern wenn konkret nach riskantem Sexualverhalten während der maßgeblichen Zeit gefragt wird.

Wir haben die Bundesärztekammer mit Schreiben vom 06.05.2015 aufgefordert, das Urteil des EuGH schnell umzusetzen und die Erwartung geäußert,

  • dass die Überarbeitung der Hämotherapie-Richtlinien nicht mehr weiter verschleppt, sondern bald in Angriff genommen und abgeschlossen wird,
  • dass die verfehlte ausschließliche Beurteilung der Spender nach Risikogruppen aufgegeben und dass stattdessen vornehmlich auf riskantes Sexualverhalten abgestellt wird,
  • dass der Dauerausschluss von MSM für die Blutspende in eine zeitlich befristete Rückstellung umgewandelt wird,
  • dass die Rückstellfrist für MSM nicht höher ist als die Rückstellfristen bei sonstigen Risiken und
  • dass MSM nicht von der Blutspende ausgeschlossen werden, wenn sie nur safe mit anderen Männern verkehrt haben oder in einer monogamen Partnerschaft leben.

Hier die Antwort der Bundesärztekammer vom 21.05.2015, unsere Erinnerung vom 18.05.2016 und die Antwort der Bundesärztekammer vom 28.06.2016.
Auf eine weitere Erinnerung vom 14.02.2017 hat die Bundesärztekammer mit Schreiben vom 14.03.2017 mitgeteilt, sie gehe davon aus, dass die novellierte Hämotherapierichtlinie im 2. oder 3. Quartal 2017 veröffentlicht werden kann.

10. Andere Richtlinie für Organspende und Blutstammzellspende

Für die Organspende, die Blutstammzellspende und die Blutspende gelten unterschiedliche Rechtsvorschriften und Regelungen. Die Organspende und die Blutstammzellspende sind im Transplantationgesetz (TPG) geregelt. Die Blutspende ist im Transfusionsgesetz (TFG) geregelt.

10.1 Organspende

Anders als bei der Blutspende sind „Männer, die Sex mit Männern“ (MSM) hatten, bei der Organspende inzwischen nicht mehr generell ausgeschlossen. 

In § 11 Abs. 1 des Transplantationsgesetzes heisst es:

„Die Entnahme von Organen verstorbener Spender einschließlich der Vorbereitung von Entnahme, Vermittlung und Übertragung ist gemeinschaftliche Aufgabe der Transplantationszentren und der Entnahmekrankenhäuser in regionaler Zusammenarbeit. Zur Organisation dieser Aufgabe errichten oder beauftragen der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft oder die Bundesverbände der Krankenhausträger gemeinsam eine geeignete Einrichtung (Koordinierungsstelle)."

Die Aufgaben dieser Koordinierungsstelle werden von der „Deutsche Stiftung Organtransplantation“ (DSO) mit Hauptsitz in Frankfurt am Main wahrgenommen. Die DSO ist eine gemeinnützige Stiftung bürgerlichen Rechts. 

Auf der Homepage der DSO findet sich der Anamnesebogen. Dort stehen unter "5. Zugehörigkeit zu Risikogruppen (HIV/HBV/HCV)" jetzt folgende Formulierungen zum Ankreuzen:

  • Prostitution* - ja nein unbekannt
  • Häufig wechselnde Sexualpartner (in den letzten 12 Monaten)* - ja nein unbekannt
  • Sexualpartner mit HIV, HBV oder HCV oder Risikofaktoren dafür (in den letzten 12 Monaten)* ja nein unbekannt
  • Aufenthalt in Strafanstalt (in den letzten 12 Monaten)* - ja nein unbekannt
  • Gleichgeschlechtlicher Sex mit Männern (in den letzten 12 Monaten)* - ja nein unbekannt
  • Kinder HIV-positiver oder –gefährdeter Mütter (insbesondere < 18 Monate alt oder in letzten 12 Monaten gestillt)* - ja nein unbekannt
  • Langzeitaufenthalt in Gebiet mit hoher HIV oder HBV oder HCV-Prävalenz* - ja nein unbekannt
  • Andere Hinweise für erhöhtes Risiko (z.B. Kontakt mit offenen Wunden/Blut/Schleimhäuten von HIV/HVC/HBV-gefährdeten Personen, pos. Treponema pallidum-Nachweis, jeglicher V.a. mögliche „window period“-Infektion)* - ja nein unbekannt
  • *Falls ja, Details ..........

Die DSO hatte in ihrem früheren "Leitfaden für die die Organspende" die Risiken aufgelistet, die eine Organspende ausschließen. Dazu gehört auch eine „HIV-Erkrankung“. Ärzt*innen sollen in einem Gespräch mit den Angehörigen der hirntoten Spender*innen klären, ob bei diesen solche Risiken vorliegen. In Abschnitt 6 des früheren Spender-Anamnesebogen wurde Ärzt*innen empfohlen, die Angehörigen der hirntoten Spender zu fragen: 

  • "Gehörte Ihr Angehöriger einer Risikogruppe für AIDS/HIV und HBV/ HCV an?
    • Prostitution
    • Aufenthalt in Strafanstalt
    • Umgang im homosexuellen Milieu
    • Langzeitaufenthalt in HIV-Risikogebiet?"

Wir haben mit Schreiben vom 15.08.2014 an die DSO die Frage beanstandet, ob der Verstorbene "Umgang im homosexuellen Milieu" hatte, und der DSO empfohlen, den Ärzt*innen stattdessen vorzugeben, die Angehörigen zu fragen, ob der Verstorbene sexuelle Kontakte zu Männern hatte. Wenn diese Frage bejaht wird, solle den Ärzten vorgegeben werden, vorsichtshalber bei hirntoten Spendern zusätzliche PCR-Tests durchzuführen.

Ein PCR-Test weist nicht Antikörper gegen HIV nach, sondern das Virus selber. Der Nachweis des Virus ist in den meisten Fällen schon 15 Tage nach der Infektion möglich. Sicher ausschließen, dass eine HIV-Infektion vorliegt, kann dieser Test aber nach 15 Tagen noch nicht, da die Virusvermehrung im Körper von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich verläuft. Außerdem erfasst der PCR-Test auf den Virustyp HIV 1 nicht den in Deutschland seltenen Virustyp HIV 2. Um sicherzugehen, ist deswegen ein HIV-Antikörpertest nach drei Monaten notwendig. Der PCR-Test kostet etwa 100 bis 180 Euro.

10.2 Die Blutstammzellenspende

Im "Zentralen Knochenmarkspender-Register Deutschland" (ZKRD), einer gemeinnützige GmbH, laufen alle für die Suche nach einem nicht verwandten Spender relevanten Daten aus derzeit 27 Spenderdateien zusammen. Eine Hauptaufgabe des ZKRD ist es, die Daten der Spender mit denen der Patienten zu vergleichen, um so in Kooperation mit 18 Sucheinheiten in Deutschland den am besten geeigneten Spender für den jeweiligen Patienten zu finden. Für die Werbung, Information, Registrierung und Typisierung neuer Spender sind die 27 mit dem ZKRD vertraglich verbundenen Spenderdateien zuständig. 

Das ZKRD benutzt den Begriff "Blutstammzellen" für alle blutbildenden Stammzellen unabhängig von ihrer Herkunft oder der Methode ihrer Gewinnung, also auch für "Knochenmarkspenden", "periphere Blutstammzellen" und "Nabelschnurblut". 

Für die Spende von Blutstammzellen sind die „Deutsche Standards für die nicht verwandte Blutstammzellspende“ maßgebend. Sie werden von dem Komitee für ZKRD-Standards erarbeitet, das sich aus Vertretern des ZKRD, der Spenderdateien, Sucheinheiten, Nabelschnurblutbanken und Entnahmeeinheiten zusammensetzt. 

In der Version 9 der Standards vom 01.09.2013 stand im Abschnitt 2.2.3:

„Des Weiteren muss er (erg. der Spender) zusichern, dass er keiner Risikogruppe angehört (im Sinne der Hämotherapie-Richtlinien)“.

Seit dem 18.12.2014 gilt eine neue Version der Standards. In dieser nun gültigen Version V 10 ist der entsprechende Satz im Absatz 2.2.3 gestrichen worden, siehe dazu auch die Pressemitteilung des ZKRD vom 22.01.2015: "Geänderte Aufnahmekriterien für freiwillige Blutstammzellspender" und die Pressemitteilung mit derselben Überschrift vom 26.02.2015.

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