LSBTIQ* im Gesundheitssystem und der Gesundheitsversorgung
Eine geschlechter- und diversitätsgerechte Gesundheitsversorgung sicherstellen!

Das Verhältnis von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*, intergeschlechtlichen und weiteren queeren Menschen (LSBTIQ*) zur Medizin ist historisch betrachtet schwierig und geprägt durch Pathologisierung. Erst 1990 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO beschlossen, Homosexualität nicht mehr als psychische Krankheit zu definieren. Doch wie sieht es mit der queeren Gesundheit heute aus?
Inhaltsverzeichnis
- Gute Gesundheitsversorgung braucht Fachwissen zu LSBTIQ*
- Heteronormativität als (unbewusste) Grundannahme
- Stigmatisierung von Menschen mit HIV, Psychopathologisierung von Trans*geschlechtlichkeit und unnötige Operationen an intergeschlechtlichen Menschen
- Genfer Deklaration des Weltärztebunds nennt explizit Nicht-Diskriminierung als Grundsatz
- Regenbogenkompetenz in der medizinischen Ausbildung verankern
- Kriminalisierung
- Fehlende Gesundheitsdaten zu LSBTIQ*
LSBTIQ* erfahren in der Gesellschaft zunehmend Akzeptanz und rechtliche Gleichstellung. Ihre gesundheitlichen Anliegen werden bisher jedoch kaum wahrgenommen und thematisiert. In unserem Gesundheitssystem finden sie keine besondere Berücksichtigung.
„Wir behandeln alle gleich!” ist oft der Tenor. Es stellt sich jedoch die Frage:
- Reicht es aus, einfach alle gleich zu behandeln?
- Sind die Angebote im Gesundheitsbereich wirklich für alle gleich gut nutzbar?
- Welche Folgen hat es, wenn das medizinische Fachpersonal wenig über Lebenslagen, gesundheitsbezogene Bedürfnisse und spezifische Krankheitsrisiken von LSBTIQ* weiß?
- Was bedeutet es für deren Gesundheit und deren Krankheitsprävention, wenn es nur relativ wenig wissenschaftliche Studien zu ihrem Gesundheitsverhalten und ihren Krankheitsrisiken gibt?
- Welche Auswirkungen haben Diskriminierungs- und Marginalisierungserfahrungen auf die psychische und physische Gesundheit?
- Regenbogenkompetenz in der medizinischen Ausbildung verankern
Alle Menschen, die eine*n Ärzt*in oder eine*n Psychotherapeut*in aufsuchen, erhoffen sich fachkompetente Hilfe und Unterstützung in ihrer gesundheitlichen Situation. Sie möchten mit ihren Anliegen ernst genommen und als Menschen respektvoll behandelt werden – so auch LSBTIQ*.
Gute Gesundheitsversorgung braucht Fachwissen zu LSBTIQ*
Doch Geschlechtervorstellungen haben ganz grundsätzlich Auswirkungen auf Gesundheit und Gesundheitsverhalten. Eine gute Gesundheitsversorgung erfordert Fachwissen und Fachkompetenz im Umgang mit den verschiedenen Lebensrealitäten und Lebensweisen. Nicht immer ist dieses Fachwissen vorhanden, wenn es zum Beispiel um die Prävention von sexuell übertragbaren Erkrankungen zwischen Frauen oder auch den Einsatz der HPV-Impfung zur Krebsprävention bei Männern geht. Hierüber haben die wenigsten Ärzt*innen im Medizinstudium etwas gelernt und auch in Fachbüchern findet sich kaum etwas.
Auch wünschen sich viele queere Menschen Kinder und berichten von großen Schwierigkeiten, fachkompetente ärztliche Begleitung in dieser Situation zu finden. Teilweise fahren sie über hunderte von Kilometern, um eine unterstützende Gynäkolog*in aufzusuchen. Die Frauen- und Lesbenbewegung hat zudem aufgezeigt, dass Arzneimittel überwiegend an jungen, weißen, cismännlichen Menschen getestet und Unterschiede bezüglich Stoffwechsel und Hormonstatus übergangen werden. Folgen sind Überdosierung von Medikamenten bzw. fehlendes Wissen um geschlechtsspezifische Symptome von Krankheiten bzw. Risiken und Nebenwirkungen von Frauen und trans* Personen.
Auch LSBTIQ*, die psychotherapeutische Behandlung zum Beispiel wegen Depressionen oder Suchterkrankungen suchen, machen diskriminierende negative Erfahrungen. So werden etwa ihre psychischen Probleme auf ihre Lebensweise zurückgeführt – so, als seien sie deshalb depressiv erkrankt oder suchtbetroffen, weil sie nicht-heterosexuell leben. Das ist nicht nur fachlich falsch, sondern verschließt auch den Zugang zu etlichen Stärken und Ressourcen, die Menschen mitbringen und benötigen, um mit psychischen Erkrankungen zu leben.
Heteronormativität als (unbewusste) Grundannahme
Die häufigste Form von Diskriminierung geschieht aber zumeist nicht mit Absicht: Viele Menschen in Gesundheitsberufen sind selbst heterosexuell und gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass alle ihre Patient*innen ebenfalls heterosexuell leben. Für nicht-heterosexuelle Menschen ist es dann immer wieder eine große Herausforderung, sich mit der Situation konfrontiert zu sehen, dass ihnen eine heterosexuelle Lebensweise unterstellt wird. Sie müssen dann entscheiden, ob sie diesen Irrtum korrigieren oder ihn hinnehmen. In jedem Fall ist das Signal, dass ihre Lebensweise eben nicht selbstverständlich, sondern anders ist. Diese Erfahrung hat häufig die problematische Folge, dass Einrichtungen des Gesundheitssystems eher gemieden werden und z.B. Präventionsangebote nicht im erforderlichen Maß wahrgenommen werden.
Stigmatisierung von Menschen mit HIV, Psychopathologisierung von Trans*geschlechtlichkeit und unnötige Operationen an intergeschlechtlichen Menschen
Im schlimmsten Fall kommt es aber auch immer noch zu offenen Diskriminierungen: Beispielhaft sind hier die Stigmatisierungserfahrungen von Menschen mit HIV zu nennen und die Psychopathologisierung von Trans*identität durch am Bedarf vorbeigehenden Richtlinien der medizinischen Behandlung und den schwierigen Zugang zu Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung.
Intergeschlechtliche Menschen schließlich sind bis heute am offensichtlichsten Verletzungen ihres Rechts auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung ausgesetzt. Dies betrifft vor allem irreversible Eingriffe ohne medizinische Notwendigkeit und ohne die vorherige freie und informierte Einwilligung der intergeschlechtlichen Person selbst.
Genfer Deklaration des Weltärztebunds nennt explizit Nicht-Diskriminierung als Grundsatz
Diskriminierung in der Gesundheitsversorgung ist deshalb besonders fatal, weil sich Menschen, die auf gesundheitliche Hilfe angewiesen sind, in einer besonders verletzlichen Situation befinden. Deshalb ist das Recht auf den bestmöglichen Zustand der körperlichen und geistigen Gesundheit im UN-Sozialpakt verbrieft und beinhaltet einen diskriminierungsfreien Zugang zu gesundheitlicher Versorgung. Die Genfer Deklaration des Weltärztebundes setzt zudem den medizin-ethischen Maßstab für Ärzt*innen. Darin ist die Nicht-Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung explizit aufgeführt.
Dass Diskriminierungserfahrungen eine gesundheitliche Belastung darstellen und Diskriminierungen den Zugang zum gesundheitlichen Versorgungssystem erschweren, wurde bereits in verschiedenen internationalen – leider aber nicht nationalen — Studien gezeigt. So ist es bezeichnend, dass der aktuelle Gesundheitsbericht des Robert Koch Instituts auf 500 Seiten mit keinem Wort auf die Bedeutung der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität in der Gesundheitsversorgung eingeht.
Regenbogenkompetenz in der medizinischen Ausbildung verankern
Die Erfahrung bzw. Erwartung von Diskriminierung in der Gesundheitsversorgung (https://queermed-deutschland.de/) führt dazu, dass Präventionsangebote nicht wahrgenommen und medizinische Behandlungen hinausgezögert oder vermieden werden. Das Aufsuchen von Praxen oder Kliniken, beispielsweise zum STI-Test oder zur Impfung gegen MPX, ist in manchen Fällen noch immer mit Diskriminierung verbunden. Das Verhältnis von LSBTIQ* zur Medizin ist historisch belastet und geprägt durch ihre teilweise bis heute anhaltende Pathologisierung. Laut dem 2. LGBTI-Survey 2020 der EU-Grundrechteagentur fand für 16% der über 16.000 Befragten aus Deutschland der letzte Diskriminierungsvorfall bei der Inanspruchnahme sozialer Dienste bzw. Gesundheitsdienste statt.
Bereits im Medizinstudium oder in der Ausbildung von Fachkräften im Pflege- und Gesundheitsbereich muss ein professioneller und diskriminierungsfreier Umgang mit Themen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt vermittelt werden. Nach Abschluss der Ausbildung sollte gerade für Fachkräfte in Führungspositionen eine entsprechende regelmäßige Weiterbildung verpflichtend sein.
Für ein wirksames Vorgehen gegen Minderheitenstress und Diskriminierung, die nachweislich zu psychischen und physischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führt, muss bei der Aus-, Fort- und Weiterbildung von medizinischem Fachpersonal ein besonderes Augenmerk auf Wissen um Mehrfachdiskriminierungen gelegt werden. Viele LSBTIQ* erleben neben Queerfeindlichkeit auch andere Formen der Marginalisierung und Stigmatisierung durch weitere Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, wie Rassismus, Sexismus oder beispielweise Ableismus. So müssen auch trans* Männer in der gynäkologischen Versorgung mitgedacht und adressiert werden.
Kriminalisierung
Immer noch kriminalisieren zahlreiche Länder dieser Welt Queerness. Verfolgung und Ausgrenzung führt häufig zu einem Leben am Rand der Gesellschaft und stehen einer vollen Verwirklichung des Rechts eines jeden Menschen auf „das für ihn erreichbare Höchstmaß an […] Gesundheit“ (WHO)[1] im Wege. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung stellt auch nach Art. 12 des Sozialpakts von 1996 der Vereinten Nationen ein Menschenrecht dar. Die zunehmende Kriminalisierung in Staaten wie etwa Uganda gefährdet dieses Recht massiv. Einerseits führen LSBTIQ*-feindliche Gesetze dazu, dass die Gesundheit auf individueller Ebene durch Gewalt und Verfolgung geschädigt wird. Andererseits kann Kriminalisierung von Homo- und Bisexualität zur Folge haben, dass auch medizinische Fachkräfte in der Not- und Regelversorgung sich als “Mitwissende” strafbar machen. Sogenannte “Anti-Propaganda-Gesetze", die in Staaten wie Russland existieren, machen es LSBTIQ*-Personen, kaum möglich sich selbst zu organisieren und für eine bessere gesundheitliche Versorgungslage einzutreten.
Dass Kriminalisierung die gesundheitliche Versorgungslage drastisch verschlechtert, zeigt sich auch am Beispiel der HIV-Prävention: In vielen Teilen der Welt kriminalisieren Gesetze HIV-Positive und Personen mit erhöhtem Infektionsrisiko. Das betrifft oft auch Sexarbeiter*innen, trans* und nicht-binäre oder gleichgeschlechtlich liebende Menschen. Solche Gesetze verschärfen die Stigmatisierung und Diskriminierung der betroffenen Personengruppen, erschweren den Zugang zu HIV-Aufklärung und Behandlung und erschweren die Erreichbarkeit von Präventions- und Vorsorgeangeboten. Andernorts halten Gesetze, die die Übertragung des HI-Virus unter Strafe stellen, Menschen davon ab, sich auf HIV testen zu lassen. Seit 2005 haben 14 afrikanische Staaten HIV-spezifische Gesetze erlassen, die es ermöglichen, HIV-Positive für jegliche sexuelle Aktivität zu bestrafen, selbst wenn sie Kondome nutzen und ungeachtet der Meldepflicht und des tatsächlichen Infektionsrisikos.[2] Insbesondere in solchen kriminalisierenden Staaten ist es überlebenswichtig, dass das medizinische Fachpersonal sensibilisiert ist und Betroffene aktiv unterstützt.
Fehlende Gesundheitsdaten zu LSBTIQ*
Schon die Ottawa Charta der WHO zur Gesundheitsförderung aus dem Jahr 1986 beschreibt — vor über 30 Jahren -, dass Gesundheitsförderung auf Chancengleichheit auf dem Gebiet der Gesundheit gerichtet sein muss und darauf zielen soll, gleiche Möglichkeiten und Voraussetzungen zu schaffen, damit alle Menschen zur Stärkung ihrer Gesundheit befähigt werden. Hierfür bedarf es auch regional einer wirklich inklusiven Gesundheitsversorgung, welche die besonderen Bedarfe von LSBTIQ* wahrnimmt und die in der Gesundheitsversorgung tätigen Menschen befähigt, diesen Bedarfen respektvoll und auf Augenhöhe zu begegnen.
An vielen Stellen fehlen noch immer gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zu den spezifischen Gesundheitsbedarfen von LSBTIQ*. Um die Gesundheit von LSBTIQ* nachhaltig zu verbessern, wären nationale Forschungsberichte von zentraler Bedeutung. Der LSVD⁺ fordert daher seit geraumer Zeit einen LSBTIQ*-Gesundheitsbericht und verstärkte Forschung über das Gesundheitsverhalten und die Gesundheitsversorgung von LSBTIQ*-Personen. 2022 hat Österreich erstmals einen solchen „LGBTIQ+ Gesundheitsbericht“ vorgelegt.[3]
Eine erfreuliche Ausnahme in der queeren Gesundheitsforschung stellt die Queergesund-Studie von Gabriele Dennert dar; ansonsten fehlen in Deutschland sowohl spezifische Gesundheitsberichte, als auch Studien über das Gesundheitsverhalten und die Gesundheitsversorgung von LSBTIQ*. Wir brauchen aber diese Daten, um Präventions- und Interventionsbedarfe besser zu verstehen, Maßnahmen zielgruppengerecht und effektiv konzipieren zu können und auch Beratungskompetenzen des medizinischen Personals sowie die Gesundheitsversorgung für LSBTIQ* zu verbessern. Denn Diskriminierung macht krank.
Weiterlesen:
- Schlechtere Gesundheit von Lesben, Schwulen, bisexuellen, trans* und inter Menschen.
- Forschungsbericht: Sexuelle Gesundheit und HIV/STI in trans und nicht-binären Communitys
- Schutz intergeschlechtlicher Kinder vor medizinischen Eingriffen
- Wie ist die Gesundheit von älteren LSBTIQ*?
- Factsheet "Konversionsbehandlungen und Psychotherapie"
- Für eine geschlechter- und diversitätsgerechte Gesundheitsversorgung. LSVD-Stellungnahme zum kombinierten siebten und achten CEDAW-Staatenbericht der Bundesregierung von Deutschland
Fußnoten:
[1] BafF (2021): Das Menschenrecht auf Gesundheit. (zuletzt aufgerufen am 21.08.2025)
[2] Peter Wiessner (2010): Viren diskriminieren nicht, Gesetzgeber schon. Die Kriminalisierung von Menschen mit HIV muss gestoppt werden. In: Aktionsbündnis gegen AIDS: HIV/Aids gerecht werden. Situationsanalysen zur Pandemie. S. 14.
[3] Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (2022): LGBTIQ+ Gesundheitsbericht 2022. Online verfügbar unter: https://www.gesundheit.gv.at/dam/jcr:1f1c5f5a-d437-4f96-963c-5a9c744228c3/LGBTIQ+%20Gesundheitsbericht%202022.pdf