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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

LGBT in Nicaragua: Unterstützung durch die Hirschfeld-Eddy-Stiftung

Langjährige Zusammenarbeit mit dem Red de Desarrollo Sostenible

Bereits 2007 startete unsere Hirschfeld-Eddy-Stiftung die Kooperation mit der nicaraguanischen LGBT-Organisation Red de Desarrollo Sostenible. Seitdem gibt es unterschiedliche Projekte mit Unterstützung des Auswärtigen Amts zur Verbesserung der Menschenrechtslage für LGBTI.

Platz mit Flagge Nicaraguas

2007 startete die Hirschfeld-Eddy-Stiftung, die LSVD-Menschenrechtsstiftung, als eines der ersten Projekte die Kooperation mit der nicaraguanischen LGBT-Organisation Red de Desarrollo Sostenible (Netzwerk für nachhaltige Entwicklung, RDS). Wir förderten eine Akzeptanzbroschüre mit dem Titel „El amor merece respeto“ („Liebe verdient Respekt“). Das Projekt zielte auch auf die Entkriminalisierung von Homosexualität. Das Land hatte 1992 ein solches Verbot im Strafrecht verankert. 2008 wurde der entsprechende § 204 wieder gestrichen. Bis heute gibt es eine langjährige Kooperation zur Stärkung der dortigen LGBTI-Bewegung für eine Sensibilisierung von Gesellschaft, Medien und Politik.

Inhaltsverzeichnis

  1. Dramatisch verschlechterte Menschenrechtslage nicht nur für LGBTI in den letzten Jahren
  2. Niemanden zurücklassen: Projekt zur Stärkung von Advocacy für LGBTI-Menschenrechte in Nicaragua (2020)
  3. Aktualisierung der LSBTI-Menschenrechtsagenda und Dokumentation von Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen (2019)
  4. Blutige Proteste in Nicaragua: Viele LGBTI fliehen in die Nachbarländer und berichten auf Konferenz von traumatischen Erlebnissen
  5. Projekt über Organisationsentwicklung und Kommunikationsstrategien: Runder Tisch nicaraguanischer LGBTI-Organisationen in der Hauptstadt Managua (2014)
  6. Workshops und Seminare „Kommunikation und Menschenrechte von LSBTI“ für den journalistischen Nachwuchs angeboten (2014)
  7. Journalistisches Handbuch zur Medienberichterstattung über LGBT in Nicaragua veröffentlicht (2013)
  8. Nationale Agenda "Sexuelle Vielfalt und Menschenrechte" für Nicaragua (2011/2012)

1. Dramatisch verschlechterte Menschenrechtslage nicht nur für LGBTI

Projektbesuch bei RDS in Nicaragua

Seitdem gab es unterschiedliche Projekte in Zusammenarbeit mit der Hirschfeld-Eddy-Stiftung mit Unterstützung des Auswärtigen Amts. So wurden drei landesweite mehrjährige LGBTI-Projekte zum Thema „Sexuelle Vielfalt und Menschenrechte“ durchgeführt. Ziel der Zusammenarbeit war neben der Stärkung der dortigen LGBTI-Bewegung vor allem eine Sensibilisierung von Gesellschaft, Medien und Politik. Nur dadurch können langfristig ein verstärkter Menschenrechtsschutz für LGBTI implementiert, eine ausgewogenere Berichterstattung erreicht und letztlich auch die alltägliche Akzeptanz verbessert werden.

Seit 2018 hat sich die Menschenrechtssituation in Nicaragua jedoch stark verschlechtert. Proteste der Bevölkerung gegen eine Reform der Sozialversicherung wurden von der Regierung blutig niedergeschlagen. Eine gewaltsam niedergeschlagene Demonstration in Managua, wurde schnell zu einem regelrechten Aufstand im ganzen Land. Hauptforderung: Vorgezogene Neuwahlen und der Rücktritt des Präsidenten Daniel Ortega und seiner Frau, Vizepräsidentin Rosario Murillo.

Seitdem gehen Polizei und paramilitärische Kräfte immer wieder mit Tränengas und Waffengewalt gegen Protestierende vor. Diese werden von der Regierung als Putschist*innen und Terrorist*innen diffamiert. Bislang gab es Hunderte Tote und unzählige Verletzte. Menschen wurden verschleppt und verschwanden. Auch die LSBTI-Bewegung ist unter Druck. Unsere Partner*innen in Nicaragua berichten von Verhaftungen, Todesdrohungen, Übergriffen und Vergewaltigungen. 

2. Niemanden zurücklassen: Projekt zur Stärkung von Advocacy für LGBTI-Menschenrechte in Nicaragua (2020)

Preisverleihung des Deutsch-Französischen Menschenrechtspreis 2019

2018 wurden in Nicaragua Proteste der Bevölkerung gegen eine Reform der Sozialversicherung von der Regierung blutig niedergeschlagen. Auch viele LSBTI nahmen an den Demos teil, wurden verhaftet, mussten untertauchen oder ins Exil. Zum Jahrestag der Proteste am 18. April 2020 gab es wieder willkürliche Festnahmen, auch von LSBTI, so unsere Kolleg*innen aus der nicaraguanischen Hauptstadt Managua.

Hinzu kommt die vom Regime geleugnete Corona-Pandemie. Vorkehrungen zum Schutz der Bevölkerung werden nicht getroffen. Es sind Expert*innen der Zivilgesellschaft, die für die nötige Aufklärung sorgen. „Die Situation wird immer schlimmer, und von der Regierung gibt es keine Informationen. Es ist einfach nur traurig. Wir kämpfen gegen die Diktatur, die Epidemie, Depressionen und Angstzustände“, bringt es José Ignacio auf den Punkt.

Vor diesen Hintergrund begann das Projekt „Niemanden zurücklassen“ für 2020. mit dem Ziel, Menschenrechte der LSBTI-Community zu stärken und sie für die Advocacyarbeit zu befähigen, damit LSBTI-Anliegen auf die nationale politische Agenda gesetzt werden.

2.1 Politische Krise als Chance für ein inklusiveres Nicaragua?

Denn die politische Krise im Land hat auch dafür gesorgt, dass politische Räume entstanden sind, politische Teilhabe thematisiert wird und soziale Bewegungen sichtbarer wurden. Diskutiert werde ein in jeder Hinsicht inklusives Nicaragua und ein transparenter Wahlprozess in 2021 als möglicher Ausweg aus der Krise. Es fehlen jedoch konkrete Vorschläge, wie diese Inklusion erreicht werden soll und wie sie in menschenwürdige Arbeitsplätze, Nichtdiskriminierung und inklusive Gesundheitsdienste, Bildung und andere für die integrale Entwicklung der Menschen wichtige Bereiche münden kann.

Für die LSBTI-Community stelle diese Situation eine besondere Herausforderung dar. Ihre Rolle im laufenden politischen Prozess werde zwar anerkannt, aber ihre vorrangigen Anliegen werden (noch) nicht wirklich diskutiert. Sie sollen sichtbar gemacht, konkrete Forderungen in politischen Partizipationsräumen und gegenüber politischen Akteur*innen postuliert werden, damit sie in Wahlprogrammen Berücksichtigung finden. Der Zeitpunkt sei also günstig, um Bündnisse zu schließen und um die Anliegen der LSBTI-Community zu befördern.

2.2 Regime leugnet Corona: Pandemie verstärkt prekäre Lage für LGBTI

José Ignacio berichtet aber auch, die Regierung halte sich nicht an die Empfehlungen der WHO, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Im Gegenteil: Schulen wurden nicht geschlossen, der Tourismus wurde angekurbelt, Menschenansammlungen allenthalben. Der Hauptgrund: Man scheue die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Lockdown. Zudem leugne die Regierung die Ausbreitung der Epidemie und spreche von einigen wenigen Fällen von Infizierten, die aus dem Ausland eingereist seien.

Die große Mehrheit der LSBTI-Community habe kaum Zugang zu den Leistungen des Gesundheitssystems. Verschärft werde ihre prekäre Situation durch den Verlust von Jobs, meist im informellen Sektor, Obdachlosigkeit, Gewalt, Stigmatisierung und Hasspredigten religiöser Eiferer. Das Team in Managua musste von zu Hause aus zu arbeiten. Die Strategie für die Durchführung ihrer Aktivitäten müsse sorgfältig überprüft werden. Was ist überhaupt noch machbar, was nicht?

3. Aktualisierung der LSBTI-Menschenrechtsagenda und Dokumentation von Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen (2019)

Foto eines Workshops zur Aktualisierung der LSBTI-Menschenrechtsagenda

2019 fördert das Auswärtige Amt unserer Partnerorganisation „Red de Desarrollo Sostenible“ ein Projekt zur Dokumentation von Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen in Nicaragua und zur Aktualisierung der vor acht Jahren mit Unterstützung der Hirschfeld-Eddy-Stiftung entwickelte LSBTI-Menschenrechtsagenda. 

Die  LSBTI-Menschenrechtsagenda muss dringend aktualisiert werden, um dem Anstieg der Gewalt und Menschenrechtsverletzungen sowie dem Mangel an Kenntnissen zu Menschenrechten von LSBTI in Behörden, Institutionen, zivilgesellschaftlichen Organisationen oder Familien entgegenzuwirken. Ein neuer Fokus liegt auf der kulturellen, multiethnischen Vielfalt, da die Autonomen Regionen an der Karibikküste einbezogen werden. Diese sind aufgrund ihrer Abgeschiedenheit und Distanz zum politischen Zentrum traditionell von der politischen Agenda ausgeschlossen.

So wird der Forderungskatalog aus dem Jahr 2011 um die Themen Interkulturalität, Migration, Rückkehr erweitert. Es fließen nicht nur die Ergebnisse dieser dreitägigen Konferenz mit Geflüchteten ein, sondern auch von unserem Kooperationspartner Red de Desarollo Sostenible und der Mesa Nacional LGBTIQ* Nicaragua erarbeitete Studie zu Gewalterlebnissen in Nicaragua, die Ergebnisse von Workshops in den verschiedenen nikaraguanischen Städten, Umfragen und Tiefeninterviews sowie noch zu erstellende Berichte.

4. Blutige Proteste in Nicaragua: Viele LGBTI fliehen in die Nachbarländer und berichten auf Konferenz von traumatischen Erlebnissen

Bild von der Konferenz

Seit den brutalen Reaktionen des Regimes auf Proteste der Bevölkerung 2018 müssen immer mehr Menschen aus Nicaragua fliehen. Die Polizei stürmte die Universitäten und löste die Demonstrationen mit Gewalt auf. Es gab Tote, viele Verletzte und Verhaftungen. Auf der Konferenz “Encuentro de personas LGBTIQ+ nicaragüenses migrantes en la región centroamericana y México” 2019 in Costa Rica erarbeiteten die Geflüchteten an drei Tagen an der Aktualisierung der LSBTI-Agenda für Nicaragua.

4.1 Traumatische Erfahrungen von Geflüchteten

Die rund 20 Teilnehmenden berichten von teilweise traumatischen Erlebnissen. Alle Geflüchteten kommen aus Nicaragua, mussten aber nach Guatemala, Honduras und vor allem Costa Rica fliehen. Und alle machen sie die gleichen Erfahrungen: Rassismus, Homophobie und Transphobie, materielle Unsicherheit. Vor allem in Guatemala und Honduras kommen alltägliche Gewalt und Willkür gegen LSBTI hinzu. Immer wieder müssen sie umziehen. Alle berichten übereinstimmend, dass sie in den letzten zwölf Monaten an mindestens acht verschiedenen Orten gewohnt haben. Andere haben ihr Studium unterbrechen müssen, ihre Arbeit verloren.

4.2 In Guatemala, Honduras und Costa Rica warten Einsamkeit, Arbeitslosigkeit und Diskriminierung

Im Exil fehlt es an allem, auch an psychologischer Unterstützung zur Bewältigung der brutalen Erlebnisse. Viele finden kaum Arbeit, obwohl sie die gleiche Sprache sprechen. Doch die wenigsten wollen Nicaraguaner*innen einstellen, vor allem nicht, wenn sie auch noch der LSBTI-Community angehören. Besonders schwer haben es trans* Personen. Sie flüchten sich in Sexarbeit, erleben wieder Gewalt und Erniedrigungen, werden von der Polizei schikaniert und bedrängt. Hinzu kommen Einsamkeit und Heimweh, sie vermissen ihre Familie, Freund*innen und die vertraute Umgebung.

Die Geflüchteten berichten, dass sie kaum Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Monatelang müssen sie auf Termine warten. Selbst HIV-Positive bekommen keinen Termin, ganz zu schweigen von Medikamenten. „Am besten nicht krank werden“, lautet die Devise. Das kann man sich nicht leisten, denn Medikamente auch gegen Grippe oder Durchfallerkrankungen sind viel zu teuer.

Eine der dringendsten Forderungen an die Aufnahmeländer betrifft also den Zugang zur Gesundheitsversorgung. Diese muss kostenlos sein, da die Geflüchteten kaum über Mittel verfügen. Die Situation ist für manche so dramatisch, dass Selbstmord für manche der einzige Ausweg zu sein scheint.

4.3 Warum müssen trans* Personen flüchten?

Die Costaricanerin Natasha Jiménez von ILGA LAC ging auf der Konferenz in ihrem Vortrag der Frage nach, warum trans* Personen flüchten. Zunächst führen Marginalisierung und Ausgrenzung dazu, dass junge trans* Personen ihre Familie und Umgebung verlassen. Die fehlende Unterstützung durch die Familie und schlechte Bildungschancen sind die Hauptursachen weshalb trans* Personen Sexarbeit verrichten würden. Gewalt, Trans*feindlichkeit und Verfolgung von Aktivist*innen seien die häufigsten Fluchtgründe, die dann letztendlich dazu führen, dass viele ihr Land verlassen und etwa nach Costa Rica, in das „Land des Friedens und der Bildung“ gehen.

Dort aber stellten sie fest, dass diese Errungenschaften nur auf dem Papier stehen, dass es auch hier Ausgrenzung und Diskriminierung gebe, die sie erneut in die Sexarbeit zwingen. Die Lebenserwartung von trans* Personen in Mittelamerika betrage nur 25 Jahre, in Costa Rica immerhin 32 Jahre, was den gefestigten demokratischen Strukturen geschuldet sei. Die Selbstmordrate von jungen trans* Personen in Mittelamerika sei zehn Mal höher als bei anderen Jugendlichen.

4.4 Schwierigkeiten auf dem Weg zu Asylanerkennung

Cindy Mora Molina von der costaricanischen Migrations- und Ausländerbehörde rief alle LSBTI-Geflüchteten dazu auf, in der Anhörung offen und überzeugend über ihre persönlichen Erlebnisse zu berichten. Es reiche für die Anerkennung als LSBTI-Geflüchtete*r nicht aus zu sagen, man habe das Heimatland verlassen, weil man dort Angst gehabt habe. Angst an sich begründe noch keinen Anspruch auf Aufenthalt in Costa Rica.

Ein LSBTI-Aktivist aus Honduras, der seit 34 Jahren in Tegucigalpa aktiv ist und ebenfalls seine Heimat verlassen hat, rief dazu auf, auch dieses mittelamerikanische Land nicht zu vergessen. Dort seien LSBTI-Aktivist*innen vor allem trans* Aktvist*innen vogelfrei. Seit 2008 habe die LSBTI-Community 325 Mordopfer zu beklagen, allein in diesem Jahr habe es bereits 18 Morde gegeben.

4.5 Recht auf Leben, Recht auf Gesundheit und Wohnen, Recht auf Arbeit und Bildung

Klaus Jetz vom LSVD (v.l.)  nahm an der Konferenz mit RDS teil

Basierend auf den Erfahrungen von Geflüchteten auf der Konferenz wurde in San José de Costa Rica erste Themen und Forderungen in Bezug auf Migration identifiziert. Welche Rechte werden als unerlässlich, dringend und prioritär erachtet?

An erster Stelle wurde das Recht auf Leben genannt, denn die Morde an LSBTI und die Gewalterfahrungen sowohl in Nicaragua als auch in Guatemala oder Honduras haben Ausmaße angenommen, die dem Schutz der Menschenrechte und menschenrechtlichen Standards Hohn sprechen.

Das Recht auf Gesundheit und Gesundheitsversorgung auch für Geflüchtete wurde an zweiter Stelle genannt. Die unhaltbare Situation der Geflüchteten in Costa Rica verstoße gegen die Menschenrechte, so die einhellige Meinung der Teilnehmenden. Immer wieder wiesen die Teilnehmenden auf Probleme bei der Unterbringung hin. Mehrmals, alle paar Wochen, mussten sie in den vergangenen Monaten die Unterkunft wechseln. Das macht ein Ankommen, das Knüpfen von Kontakten oder Freundschaften unmöglich. Daher formulierten sie auch ein Recht auf Wohnen.

Darüber hinaus forderten sie u.a. ein Recht auf würdige Arbeit. Zwar haben sie dieses als anerkannte Geflüchtete auf dem Papier, doch gibt es kaum Zugang zu Jobs. Denn als LSBTI und als Nicaraguaner*innen werden sie in Cosa Rica gleich doppelt diskriminiert. Es bleiben nur schlecht bezahlte Jobs auf dem Bau oder in der Landwirtschaft oder die Sexarbeit.

Hinzu kommen Forderungen wie Zugang zu kostenloser Bildung, was sie in der Heimat hatten, im Exil jedoch nicht; das Recht auf sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität, Rechte also die freie Entfaltung der Persönlichkeit betreffend. Auch ein Recht auf Vielfalt wird genannt, auf familiäre Vielfalt und Familie überhaupt, die sie zurücklassen mussten und für die sie in der Fremde keinen Ersatz finden; das Recht auf Sicherheit, denn als LSBTI gehören sie auch im Exil zu einer besonders vulnerablen Gruppe. Weitere Forderungen betreffen das Recht auf Nahrungsmittel, auf Kultur, freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, auf ein Ausweisdokument als geflüchtete Person, auf menschenwürdige Behandlung, ein Recht auf Information und Wahrheit und auf Gerechtigkeit.

5. Projekt über Organisationsentwicklung und Kommunikationsstrategien: Runder Tisch nicaraguanischer LGBTI-Organisationen in der Hauptstadt Managua (2014)Runder Tisch: Teilnehmende

Rund 40 Aktivist*innen aus fast allen Regionen Nicaraguas und einige ihrer Bündnispartner*innen kamen im November 2014 zu einem Runden Tisch zusammen, um sich über ihre Erfahrungen in der politischen Arbeit und bei der Allianzenbildung auszutauschen.
Das Treffen fand im Rahmendes Projektes über Organisationsentwicklung und Kommunikationsstrategien statt, das die Hirschfeld-Eddy-Stiftung und ihr Kooperationspartner, das Red de Desarrollo Sostenible (Netzwerk für Nachhaltige Entwicklung) mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes seit Anfang 2014 in dem mittelamerikanischen Land durchführen.

Vertreter*innen von 15 LGBTI-Organisationen präsentierten beim Runden Tisch, die Ergebnisse ihrer Arbeit, teilten Erfahrungen und diskutierten Vor- und Nachteile erprobter Strategien der politischen Sensibilisierungs- und Bündnisarbeit auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene.

LSVD-Geschäftsführer Klaus Jetz nahm während seines Projektsbesuchs vor Ort ebenfalls teil und hatte Gelegenheit, den überwiegend sehr jungen Teilnehmer*innen über die Erfahrungen, die LGBT in Deutschland gemacht haben, über Lehren aus der Geschichte, die Entwicklung in Deutschland und Europa, unsere Überzeugungsarbeit auf EU-Ebene sowie Fortschritte und Herausforderungen in unserem Engagement zu berichten. Großes Interesse bestand an den Themen Kooperation mit der Politik, Sensibilisierung von Entscheidungsträger*innen und Strategien zur Bekämpfung homo- und transphober Tendenzen, die auch in Europa wieder auf dem Vormarsch sind. 

6. Workshops und Seminare „Kommunikation und Menschenrechte von LSBTI“ für den journalistischen Nachwuchs angeboten (2014)

Bild von Journalismusstudierenden in Nicaragua mit der teilnahmebescheinigung für das Medientraining

Die im Rahmen der Zusammenarbeit von RDS angebotenen Seminare „Kommunikation und Menschenrechte von LSBTI“ vertieften auch die Zusammenarbeit mit den Universitäten des Landes. „Rund 100 Studierende an drei Unis konnten bislang geschult werden. Sie erlernten eine diskriminierungsfreie Sprache und menschenrechtliche Inhalte, schrieben Artikel und Reportagen und nahmen an einem journalistischen Wettbewerb zu LSBTI-Themen teil, bauten kontinuierlich Wissen auf und entwickelten eine größere Akzeptanz“, schreibt Juan Carlos Martínez vom RDS.

Zudem habe die Universidad de Ciencias Comerciales in der Stadt Managua LSBTI-Themen ins Curriculum des Studiengangs Unternehmenskommunikation und PR aufgenommen. Ähnliches plant die Universidad Nacional Autónoma de Nicaragua für den Studiengang Kommunikation und Entwicklung. Voller Stolz berichtet unsere Partnerorganisation auch, dass die Universidad Hispanoamericana regelmäßig RDS-Personal für Vorträge und Veranstaltungen zu LSBTI-Themen einlädt.

Das Interesse an dem Vorhaben war so groß, dass daraus ein Proseminar „Kommunikation und LGBTI-Menschenrechte“ mit 24 Unterrichtsstunden wurde. Die rund 50 Studierenden, die an dem vom RDS durchgeführten Seminar teilgenommen hatten, waren voller Lob: „Wir haben unsere Einstellung geändert. Vorher hatten wir kaum was über das Thema gehört, wir wussten so gut wie nichts über LGBTI. Dann haben wir uns mit den Inhalten vertraut gemacht und den dazugehörigen Wortschatz verinnerlicht.“, sagte eine Teilnehmerin. Ein Student berichtete, dass das Seminar einem Teilnehmer zum Coming-out verhalf. „Die Sprache der Medien ist unerträglich. Phrasen wie ‚lo mataron por ser cochón‘ (sie töteten das feige Schwein) sind oft in der medialen Berichterstattung zu finden, wenn über Angriffe auf Schwule berichtet wird. Die traditionsreiche konservative Tageszeitung ‚La Prensa’ benutzt die Worte ‚schwul‘, ‚Lesbe‘ oder Begriffe wie ‚sexuelle Vielfalt‘ nicht und drängt LGBTI weiter in die Unsichtbarkeit“, so ein anderer Seminarteilnehmer.

Eine Studentin wies auf die traditionell starke Rolle der Familie und der Kirchen hin, die ihren Anteil an der Stigmatisierung von LGBTI in den Medien haben: „Die Aufklärung über sexuelle Vielfalt in diesem Land ist gleich Null. Das schlägt sich auch im Vokabular nieder, und das ist sehr beunruhigend. Wir haben gelernt, dass die karnevalstische Sprache und Berichterstattung über den Gay Pride unzureichend sind, politische Themen und Menschenrechte fallen unter den Tisch.“

7. Journalistisches Handbuch zur Medienberichterstattung über LGBT in Nicaragua veröffentlicht 

Öffentliche Präsentation des Journalistisches Handbuch zur Medienberichterstattung über LGBT in Nicaragua

Informationen über Menschenrechtsverletzungen an LGBTI gelangten zwar über die Medien an die Öffentlichkeit. Dabei komme es aber immer zu einer öffentlichen Zurschaustellung der Opfer, Vorurteile würden bewusst oder unbewusst durch die Medien verbreitet.

7.1 Schlüssel für die Kommunikation in einer Welt der Vielfalt

Deshalb war die medienkritische Arbeit ein Bestandteil des Projektes. Zusammen mit Studierenden und Lehrenden an Hochschulen, Fachleuten aus der Medienpraxis sowie Verantwortlichen für Öffentlichkeitsarbeit in staatlichen Institutionen entwickelte RDS ein Handbuch für die journalistische Berichterstattung über das Thema Menschenrechte und sexuelle Vielfalt in Nicaragua. Das ambitionierte Projekt fand bereits Nachahmung in Nicaraguas Nachbarstaaten Honduras, Costa Rica und El Salvador.

Das Handbuch trägt den Titel „Schlüssel für die Kommunikation in einer Welt der Vielfalt. Anleitung für die Berichterstattung über LSBTI-Themen in Nicaragua“. Die Aktivist*innen widmeten es Eddy Ramirez, einem jungen bisexuellen Mann, der am 12. Februar 2012 bei einem Hassverbrechen ermordet wurde.

7.2 Analyse der bisherigen Berichterstattung in Tageszeitungen über LSBTI

Zunächst untersuchte RDS die LSBTI-Berichterstattung der beiden großen Tageszeitungen „La Prensa“ und „El Nuevo Diario“ in 2011 und 2012 und stellte fest, dass diese im ersten Halbjahr 2012 zahlenmäßig stark zugenommen hatte, was auf die Miss Gay Wahlen und auf Proteste der LSBTI-Bewegung im Mai 2012 zurückzuführen war, als die Nationalversammlung über ein neues Familienrecht ohne Berücksichtigung von LSBTI debattierte. Das geballte mediale Interesse konzentrierte sich allerdings auf eine angebliche Liste von homosexuellen Abgeordneten, mit deren Veröffentlichung ein Aktivist gedroht hatte. Das Interesse ließ spürbar nach, als es zum Internationalen Tag gegen Homophobie am 17. Mai zu Demonstrationen für die Menschenrechte von LSBTI kam.

7.3 Bad Practices und Empfehlungen zur Berichterstattung

Das Handbuch leistet vieles: Es analysiert schlechte Beispiele von Berichterstattung und liefert Alternativen sowie Empfehlungen. Am Anfang steht die Erklärung von Begriffen wie „transgénero“, „transsexual“, „heterosexismo“, „orientación sexual“ und „identidad de género“ oder „diversidad sexual“, deren korrekter Gebrauch unabdingbar ist für eine ausgewogene Berichterstattung.

Zudem pochen die Autor*innen und Autoren in ihren Empfehlungen für Medienschaffende auf eine inklusive Sprache und eine Sprache, die LSBTI-Rechte und den Kampf der LSBTI-Community für ihre Rechte nicht ausklammert. Es gelte eben, LSBTI auch als Rechtsträger zu sehen und darzustellen und nicht nur als Opfer von Gewalt und Verbrechen. Es gehe eben nicht nur darum, die Häufigkeit von Meldungen zur sexuellen Vielfalt zu erhöhen, sondern das Thema mit einem Menschenrechtsansatz zu verbinden.

8. Nationale Agenda "Sexuelle Vielfalt und Menschenrechte" für Nicaragua (2011/2012)

Menschen mit Regenbogenflagge

2011 erarbeitete RDS mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes in einem mehrmonatigen Konsultationsprozess die nationale Agenda „Sexuelle Vielfalt und Menschenrechte“. Dieses Projekt lieferte mit seinem betont menschenrechtlichen Ansatz einen wichtigen Beitrag dazu, homosexuellenfeindliche Einstellungen in der nicaraguanischen Gesellschaft aufzubrechen. Die Agenda mit ihren menschenrechtlichen Forderungen erschien in gedruckter Form und wendet sich nicht nur an Lesben, Schwule, Bisexuelle, transgender und intergeschlechtliche Menschen (LGBTI), sondern auch an Behörden, Menschenrechtsorganisationen und andere zivilgesellschaftliche Gruppen.

In einer weiteren Projektphase bis Dezember 2012 ging es um die Umsetzung der gemeinsam entwickelten Ziele, d.h. Akzeptanzbildung, Homophobieabbau, Diskriminierungsschutz, Sensibilisierungsarbeit, Entwicklung und Weitergabe von Strategien auf lokaler und nationaler Ebene sowie die Entwicklung eines Handbuches für Medien über „Sexuelle Vielfalt und Menschenrechte“. Dafür fanden in Managua fünf Veranstaltungen statt, bei denen LGBTI-Aktivist*innen und Vertreter*innen von 21 Gruppen aus dem ganzen Land zusammenkamen, um über methodologische und strategische Schritte für die Projektarbeit zu diskutieren. Auch die Themen Fortbildung, Lobbyarbeit, Kommunikation für LGBTI-Organisationen, Allianzenbildung, soziale Mobilisierung und Berichterstattung über Menschenrechte und sexuelle Vielfalt standen im Mittelpunkt der Runden Tische und Workshops.

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