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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

30 Jahre ohne Kriminalisierung durch § 175 StGB

LSVD fordert rechtliche Absicherung für LSBTIQ* im Grundgesetz

Pressemitteilung vom 09.03.2024

Berlin, 09.03.2024. Am 10. März 1994 beschloss der Bundestag nach jahrelangem Engagement der LSBTIQ*-Bürgerrechtsbewegung endlich die Streichung des Paragrafen 175 aus dem Strafgesetzbuch, der männliche Homosexualität kriminalisierte. Dazu erklärt Patrick Dörr vom Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD):

Anlässlich des dreißigjährigen Jubiläums der Abschaffung des § 175 StGB fordern wir die Bundesregierung unter Olaf Scholz auf, endlich auch lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche und andere queere Menschen (LSBTIQ*) in Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes zu schützen, wie im Koalitionsvertrag beschlossen. Diese Lücke im Grundgesetz hat unter anderem dazu geführt, dass LSBTIQ* über Jahrzehnte nicht einmal vor schwersten Menschenrechtsverletzungen wie der Strafverfolgung nach § 175 StGB geschützt waren. Aktuell werden wieder vermehrt Scheinargumente bemüht, um Stimmung gegen queere Menschen zu machen. Dazu gehört das Vorschieben von Jugendschutzgründen, die auch schon gegen die Streichung von § 175 ins Feld angeführt worden waren – auch von demokratischen Parteien. Umso wichtiger ist es, jetzt ein deutliches Zeichen zu setzen und die schon lange diskutierte Grundgesetzerweiterung nicht weiter auf die lange Bank zu schieben. Damit könnten bereits erstrittene rechtliche Fortschritte bei der Gleichstellung, wie die Ehe für alle, nicht ohne Weiteres rückgängig gemacht werden.

Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs kriminalisierte 123 Jahre lang in verschiedenem Ausmaß gleichgeschlechtlich liebende Männer und wegen des binären statischen Geschlechterverständnisses auch trans* Frauen. Auf seiner Grundlage wurden während des NS-Regimes rund fünfzigtausend Menschen verurteilt, teilweise in Konzentrationslager verschleppt und dort ermordet. Auch im demokratischen Nachkriegsdeutschland waren Männer weiterhin der oft lebenszerstörenden Verfolgung durch den § 175 StGB unterworfen; eine Verurteilung hatte häufig nicht nur strafrechtliche Konsequenzen, sondern führte nicht selten auch zum Verlust des Arbeitsplatzes und sozialer Isolation. Ein besonders tragisches Beispiel für das Schicksal schwuler Männer war Wolfgang Lauinger, der vom NS-Regime als Swingkid, Schwuler und Halbjude verfolgt und in der Bundesrepublik wegen eines Verstoßes gegen den § 175 inhaftiert wurde. Sein Entschädigungsantrag wurde kurz vor seinem Tod im Dezember 2017 abgelehnt, weil er im Prozess freigesprochen wurde. Die Zerstörung seines Lebensentwurfes durch die Ausgrenzung reichte für eine Entschädigung offensichtlich nicht aus. Männer in Westdeutschland waren von der Verfolgung meist stärker betroffen als in der DDR, die den Paragrafen zunächst entschärfte und Ende der 1980er Jahre ganz abschaffte. Diese Tatsache war mitentscheidend für seine bundesweite Streichung im Jahr 1994.

Die Kriminalisierung von Homosexualität im deutschen Strafrecht und die damit einhergehende gesellschaftliche Ächtung gleichgeschlechtlichen Begehrens dürfen in der Erinnerungskultur, auch der der LSBTIQ*-Community(s) verschiedener Generationen, niemals vergessen werden. Was vor dreißig Jahren vom Bundestag beschlossen wurde, ist ein Meilenstein im bis heute anhaltenden Einsatz für die rechtliche Gleichstellung aller queeren Menschen. Diese gemeinsamen Errungenschaften wie etwa die "Ehe für alle" können nun als Inspiration dienen, diesen Weg konsequent weiter zu verfolgen.

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