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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Gefährliche Therapien: LSBTI* wirksam vor Konversionsangeboten schützen

Rechts- und gesellschaftspolitische Anforderungen an staatliches Handeln

Was braucht es für ein wirksames Verbot und einer umfassenden Ächtung von sogenannten "Konversionstherapien"? Für den Bericht der vom Gesundheitsminister Jens Spahn ernannten Fachkommission hat der LSVD seine Forderungen und Vorschläge dargestellt. Sie geht auch auf die Rolle von Religionsgemeinschaften ein.

von Gabriela Lünsmann, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, LSVD-Bundesvorstand und Mitglied der Fachkommission des Bundesministeriums für Gesundheit zum geplanten gesetzlichen Verbot sogenannter „Konversionstherapien”.

1. Vorbemerkungen

Das Verhältnis von lesbischen Frauen, schwulen Männern und trans* sowie inter*geschlechtlichen Menschen zur Medizin ist historisch wie aktuell betrachtet schwierig. Es ist geprägt durch Hybris und Pathologisierung auf der einen, sowie leidvolle Erfahrung und Misstrauen auf der anderen Seite. Die sog. Konversions- oder Reparativtherapien, die Gegenstand der Arbeit dieser Fachkommission sind, begründen dieses Misstrauen einmal mehr.

Der LSVD begrüßt der Initiative des Bundesgesundheitsministeriums ebenso, wie die gemeinsame Bundesratsinitiative der Länder Hessen, Berlin, Bremen, Saarland und Schleswig-Holstein. Es ist erfreulich, dass deren Antrag aus der Befassung in den Ausschüssen am vergangenen Freitag mit einer uneingeschränkten Beschlussempfehlung an den Bundesrat hervorging. Dies zeigt, dass es inzwischen im politischen Betrieb einen über Parteigrenzen hinaus getragenen Konsens zu den Rechten von Lesben, Schwulen und Bisexuellen, sowie trans- und intergeschlechtlichen Menschen gibt. Dies war vor einigen Jahren noch nicht der Fall; damals scheiterte ein ähnlicher Antrag.

Dennoch muss hier auch gesagt werden, dass die Zeit für politisches Handeln zu diesem Thema längst reif ist! Der LSVD fordert nicht seit Jahren, sondern seit Jahrzehnten wirksame politische Intervention gegen sog. Konversionstherapien; insbesondere zum Schutz von homo-und bisexuellen sowie trans* und inter*geschlechtlichen Minderjährigen!

2. Rechtliche Einordnung

Die sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität des Menschen gehören nach Internationalen Menschenrechtsstandards zum Kern der Persönlichkeit und sind untrennbarer Bestandteil der Menschenwürde. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht in einer ganzen Reihe von Entscheidungen in großer Differenziertheit immer wieder betont.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Der Artikel 1 unserer Verfassung ist keine leere Floskel. Er ist vielmehr Ausdruck einer bewussten Verpflichtung auf unverletzliche und unveräußerliche Menschenrechte als nicht verhandelbare Grundlage des gesellschaftlichen Zusammenlebens in diesem Land.

Auf dieser Grundlage haben Lesben, Schwule und Bisexuelle sowie trans* und inter*geschlechtliche Menschen ein Recht auf Diskriminierungsschutz. Dieses Recht umfasst den Schutz ihrer körperlichen und seelischen Unversehrtheit und vor allem auch den Schutz davor, dem Versuch der Änderung ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität ausgesetzt zu sein.

Denn der Versuch, durch sog. Konversionstherapien die sexuelle Orientierung oder die geschlechtliche Identität zu ändern, ist – und das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden – nichts Geringeres als eine Menschenrechtsverletzung

3. Medizinische Einordnung

Der Versuch der Befürworter und Anbieter solche Therapien medizinisch zu rechtfertigen, ist längst wissenschaftlich gescheitert. Jedenfalls an dieser Stelle ist Teilen der medizinischen Wissenschaft zu attestieren, dass sie der Politik voraus sind.

Die Streichung von Homosexualität aus der Liste psychischer Erkrankungen durch die Weltgesundheitsorganisation WHO liegt mehr als ein Vierteljahrhundert zurück. In der neusten Auflage des internationalen Diagnoseschlüssels für Krankheiten ICD 11, der im Juni 2018 veröffentlich wurde, ist nun auch Transgeschlechtlichkeit endlich nicht mehr als Störung der Geschlechtsidentität und als mentale Erkrankung klassifiziert. Bereits 1992 stellte die Weltgesundheitsorganisation mit sehr deutlichen Worten klar, dass gleichgeschlechtliche Sexualität weder eine Krankheit noch moralisch verwerflich ist und dass Versuche, die soziosexuelle Orientierung zu ‚reparieren’, nichts anderes darstellen, als psychologisch verbrämte soziale und religiöse Vorurteile. Alle weltweit führenden psychiatrischen und psychologischen Fachgesellschaften lehnen solche fälschlicherweise als „Therapien“ bezeichneten Versuche ab und stufen sie als unwirksam und potenziell gefährlich für die Ratsuchenden ein.

Der Weltärztebund distanzierte sich 2013 auf Initiative der deutschen Bundesärztekammer und der Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPPN) sowie deren britischer und französischen Partnerorganisationen, klar von jeder Pathologisierung von Homo-und Transsexualität und stellte fest, dass sog. Konversionstherapien unethisch und menschenrechtswidrig sind.

Die Berufsorganisationen stellten damit in erfreulicher Unmissverständlichkeit klar, dass Mediziner*innen und Psycholog*innen, die sog. Konversionstherapien anbieten, sich weit jenseits der Position aller einschlägigen Fachverbände, der Bundesärztekammer und des Weltärztebundes bewegen.

Doch trotz der beschriebenen Erkenntnisse gibt es weiterhin Ärzt*innen, Therapeut*innen, und Verbände, die die Auffassung vertreten, es handle sich bei Homo-, Bi-und Transsexualität um psychische Störungen oder Krankheitsbilder, die mit entsprechenden Interventionen „geheilt“ oder gezielt „verändert“ werden könnten. Offen oder auch verdeckt werden von fragwürdigen Einrichtungen in medizinischen wie religiösen Kontexten weiter Konversions-oder Reparativtherapien beworben, angeboten und durchgeführt.

Die Verwendung des Begriffs „Therapie“ ist hierbei jedoch irreführend. Es handelt sich vielmehr um Versuche von teils selbst erklärten, teils aber auch zugelassener Therapeut*innen, Sozialarbeiter*innen oder religiösen Verfechtern, Homosexualität von Klient*innen in asexuelles oder heterosexuelles Verhalten umzuwandeln. Diese Angebote richten sich vor allem an Menschen aus konservativ-religiösen Lebensumfeldern, die aufgrund von Diskriminierungs-und Ausgrenzungserfahrungen mit ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität in Konflikt geraten. Sie sind deshalb besonders verletzlich und empfänglich für solche scheinbaren Hilfsangebote, die eine Identitätsänderung versprechen und vorgeben, einen vermeintlich „normalen“ Zustand herzustellen. Diese Betroffenen erleben ihre eigenen Gefühle oft als Widerspruch zu ihrer religiösen Überzeugung und erhoffen sich von diesen Therapien aufgrund verinnerlichter Homo- oder Trans*Phobie eine Veränderung. Statt sie jedoch darin zu bestärken, sich so anzunehmen wie sie sind, werden ihnen in dort falsche Hoffnungen gemacht und es werden Schuld, Selbsthass und Scham begünstigt – mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen.

Schwer tun sich Ärzt*innen auch noch mit der Thematik von trans* Kindern im Bereich der Pädiatrie; hier wird in Fachartikeln und Lehrbüchern leider noch immer die Auffassung vertreten, dass rollenkonformes Verhalten durch Sanktionierung von Abweichungen gefördert werden könne und dass durch Abwarten der Pubertät eine sog. „Versöhnung mit dem Geburtsgeschlecht“ erreicht werden könne. Dies führt bei ohnehin verunsicherten Eltern dazu, dass die Leidtragenden dieser fachwissenschaftlich nicht begründeten Auffassung schließlich die Kinder sind, denen oft noch mehr als älteren Jugendlichen jedes Mitspracherecht verwehrt wird.

Es besteht daher dringender Handlungsbedarf, denn therapeutische Interventionen mit dem Ziel der Änderung der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität sind nicht nur erfolglos. Sie sind erwiesenermaßen für die Betroffenen schädlich und gefährlich. Gerade bei Kindern und Jugendlichen führen solche Interventionen zu schwerwiegenden psychischen Belastungen wie Depressionen, Angsterkrankungen und zu einem erhöhten Suizidalitätsrisiko. Dies ist umso alarmierender, als LSBTI*-Jugendliche aufgrund von Diskriminierungserfahrungen ohnehin bereits ein im Verhältnis zu ihrer altersentsprechenden Vergleichsgruppe 3-fach erhöhtes Suizidrisiko haben.

Die wissenschaftlichen Grundlagen, die hier politisches Handeln nicht nur legitimieren, sondern zwingend erfordern, sind langjährig bekannt!

4. Notwendige Rechtliche Maßnahmen

Es besteht rechtlicher und – wie später auszuführen sein wird – auch gesellschaftspolitischer Handlungsbedarf. Denn die Sicherstellung des psychischen und physischen Wohl-ergehens von LSBTI*-Personen und der Schutz vor Schäden durch Konversionstherapien sind Aufgabe des Staates.

4.1 Einwilligungsfähige Volljährige

Konversionstherapien an einwilligungsfähigen Volljährigen sind nach den gängigen medizinrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen: Jede medizinische Behandlung hat bereits nach geltendem Recht mehrere Voraussetzungen: Sie bedarf

  1. einer Diagnose,
  2. eines Therapieziels,
  3. einer indizierten Behandlung, die geeignet ist, das Therapieziel zu erreichen und
  4. einer informierten Einwilligung des Betroffenen nach umfassender Aufklärung.

Konversionstherapien erfüllen keine dieser Voraussetzungen!!! Da weder einer gleich-geschlechtlichen sexuellen Orientierung, noch Trans* oder Inter*geschlechtlichkeit ein Krankheitswert zukommt, fehlt es bereits an einer Diagnose.

Die Änderung der sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität ist aufgrund ihres Charakters als Bestandteil der Persönlichkeit kein zulässiges Behandlungsziel. Zudem kann das vorgegebene Ziel mit der Behandlung aus wissenschaftlicher Sicht auch nicht erreicht werden. Schließlich wird es regelmäßig selbst bei grundsätzlich einwilligungsfähigen Volljährigen an einer wirksamen Einwilligung fehlen, da die wirk-same Einwilligung eine umfassende Aufklärung über die Erreichbarkeit der Behandlungsziele und die möglichen schädlichen Nebenwirkungen voraussetzt. Eine sog. Konversionstherapie kann als medizinische Behandlung daher niemals indiziert sein und es wird regelmäßig an einer wirksamen Einwilligung fehlen.

Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen und Heilpraktiker*innen, die diese Behandlungen dennoch durchführen, machen sich wegen Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung oder – bei einem durch die Konversionstherapie bedingten Suizid – wegen Körperverletzung mit Todesfolge strafbar. Betroffene können bereits nachgeltendem Recht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche geltend machen. Dies zeigt, dass der Aufklärung über die Unzulässigkeit solcher Therapien besondere Bedeutung zukommt für die Befähigung der Betroffenen zur Wahrnehmung ihrer Rechte.

Gleichzeitig verstoßen alle genannten Berufsgruppen mit der Durchführung von sog. Konversionstherapien gegen geltendes Berufsrecht. Für die Ächtung dieser Therapien ist es jedoch erforderlich, dass die Berufsverbände ihrerseits ebenfalls Aufklärung betreiben und die ihnen zu Gebote stehenden Sanktionen auch anwenden.

Problematisch und rechtlich äußert schwer zu fassen bleibt allerdings die Sanktionierung von Therapieangeboten durch Seelsorger*innen, durch nicht förmlich qualifizierte Berater*innen und andere Laien. Hier könnte der vom Bundesverband der Psychotherapeut*innen vorgestellte Gedanke der Verankerung einer Regelung zum Schutz vor Eingriffen in die sexuelle Orientierung durch psychologische Laien im Antidiskriminierungsrecht des AGG evtl. weiterentwickelt werden.

4.2 Minderjährige

Besonderes Augenmerk muss dem Schutz von Minderjährigen gelten: Zu ihrem Schutz ist ein ausdrückliches strafbewährtes Verbot von Konversionstherapien erforderlich; das Wächteramt des Staates über das Kindeswohl gebietet dies, zumal die Durchführung von Konversionstherapien an Jugendlichen regelmäßig unter Beteiligung von deren Eltern stattfindet. Ein solches Verbot sollte neben der Durchführung auch die Vermittlung dieser Therapien und die Werbung dafür umfassen.

Besondere Aufmerksamkeit muss zudem trans* Kindern zuteilwerden. Sie sind in einer besonderen Situation, weil sie sich in noch größerer Abhängigkeit befinden, als dies bei Jugendlichen der Fall ist. Konversionsversuche erleben sie bereits dann, wenn frühe Rollenwechsel von Eltern, Kinderärzt*innen und dem sonstigen Umfeld unterbunden und sanktioniert werden. Hier ist es dringend notwendig, neben einem Verbot geeignete Beratungsangebote für Kinder und Eltern einzurichten und nachhaltig zu sichern.

Ein Verbot von Konversionsversuchen an LSBTI* Kindern und Jugendlichen bedarf zudem einer familienrechtlichen Verankerung, indem eine Einwilligung in Konversionsversuche grundsätzlich auch im Rahmen der elterlichen Sorge ausgeschlossen ist.

Weiter sollten andere besonders vulnerable Gruppen in eine solche Regelung einbezogen werden; hier sind insbesondere Heranwachsende und Menschen mit psychischen Erkrankungen in den Blick zu nehmen. Für Menschen mit psychischen Erkrankungen könnte eine Regelung im Betreuungsrecht denkbar sein, welche die Einwilligung in eine Konversionstherapie grundsätzlich ausschließt.

4.3 Sonstige Rechtsgebiete

Aus Sicht des LSVD bedarf es für die effektive Ächtung neben dem genannten Verbot der Konversionstherapien für Minderjährige eines umfassenden Maßnahmenpakets:

Die Unzulässigkeit der Kostenerstattung für solche „Therapien“ nach dem Sozialgesetzbuch SGB V im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung sollte selbstverständlich sein; hier sind die Krankenversicherungen allerdings zusätzlich gehalten, sicherzustellen, dass eine Vergütung nicht über den Umweg anderer Diagnosen stattfindet. Mit den genannten Regelungen einhergehen muss eine öffentliche Positionierung zu Konversionstherapien im Bereich der schulischen Bildung. Anders als zuletzt an Grundschulen in Sachsen, dürfen Schulen keine Plattform bieten für die Betätigung christlich-fundamentalistischer Vereine, die bekannt dafür sind, dass sie für Konversionstherapien werben und diese vermitteln. Schließlich darf es keinerlei öffentliche Förderung für Institutionen geben, die Konversionstherapien anbieten oder empfehlen. Auch dürfen Organisationen, die Konversionstherapien anbieten, vermitteln oder fördern keine Anerkennung als gemeinnützig genießen. Ebenso ist ein eventueller Status als freier Träger der Jugendhilfe mit der Befürwortung von Konversionstherapien nicht vereinbar. Darüber hinaus sollten Organisationen, die Konversionstherapien befürworten über eine Unvereinbarkeitsklausel mit dem Ausschluss aus Wohlfahrtsverbänden rechnen müssen, wie dies bereits in Fall des Ausschlusses eines Vereins aus dem DPWV geschehen ist.

5. Homo-und Transphobie

Neben den genannten Einzelmaßnahmen ist es aus Sicht des LSVD dringend erforderlich, auch die Ideologie zu adressieren, die hinter der Verbreitung und Förderung von sog. Konversionstherapien steht und die sich durch eine ausgeprägte Homo- und Transphobie auszeichnet. Konversionstherapien sind Ausdruck gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

In diesem Sinne greifen sie nicht nur LSBTI* an, sondern sind ihrem Charakter nach zutiefst demokratiefeindlich. LSBTI*-Feindlichkeit ist eine Ideologie der Ungleichheit, welche die Abwertung von Menschen zum Inhalt hat. Sie erfährt permanent Bestätigung, solange der Staat Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans*, inter* geschlechtliche Menschen keine gleichen Rechte gewährt. Eine Politik, die gegen „Homo-und Transphobie“ und andere Formen der Menschenfeindlichkeit entschieden vorgehen will, LSBTI* aber gleiche Rechte verweigert, macht sich selbst unglaubwürdig.

Notwendiges Ziel eines glaubwürdigen und wirksamen Aktionsplans gegen LSBTI* Feindlichkeit muss daher die Beseitigung aller rechtlichen und tatsächlichen Diskriminierungen sein.

Dieser Hintergrund unterstreicht die Bedeutung von gesellschaftlicher Akzeptanz und gelebtem Respekt für LSBTI* als notwendige Rahmenbedingung jeder erfolgreichen Intervention gegen sog. Konversionstherapien. Je selbstverständlicher Akzeptanz und Respekt sind, desto wirksamer ist der Schutz und desto weniger Boden hat eine Ideologie, die unter dem Deckmantel von Pseudowissenschaftlichkeit und Religiosität dem Angebot von Konversionstherapien das Wort redet.

Die Einordnung von Konversionsversuchen als Menschenrechtsverletzungen macht die Bedeutung von deren Bekämpfung über den Einzelfall hinaus deutlich. Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Trans*-, Inter*-Feindlichkeit (LSBTI-Feindlichkeit) sind wie Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit oder Antiziganismus mit den Grundwerten nicht zu vereinbaren, denen das Grundgesetz Deutschlands verpflichtet ist. Sie stehen in offenem Widerspruch zur freiheitlich, demokratisch und sozialverfassten Gesellschaftsordnung Deutschlands.

Vor diesem Hintergrund ist Konversionstherapien ebenso wie bestehenden LSBTI-feindlichenStraf-und Gewalttaten, Übergriffen und Anfeindungen, Diskriminierungen und Benachteiligungen zu begegnen. Homophobe und transphobe Stimmen sprechen Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans*, inter* und queeren Menschen gleiche Rechte und gleiche Menschenwürde ab. Religiöse Fundamentalist*innen, Rechtspopulist*innen und Rechtsextreme kämpfen mit großer Verve und zunehmend gut vernetzt dafür, LSBTI*gleiche Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten zu verweigern und sie aus dem öffentlichen Leben zu drängen. So laufen sie z. B. vielerorts mit Hassparolen gegen eine Pädagogik der Vielfalt an und sie kritisieren antifeministisch den angeblichen „Genderwahn“. LSBTI*-feindliche Einstellungen und Handlungen finden sich aber weit über das genannte Spektrum hinaus – auch in der so genannten „Mitte der Gesellschaft“. Konversionstherapien sind dabei ein weiterer Ausdruck dieser demokratie-und menschenrechtsfeindlichen Grundhaltung.

Es ist Aufgabe des Staates, bestehende strukturelle und institutionelle Barrieren zu beseitigen, die der vollen gesellschaftlichen Teilhabe von LSBTI*und der umfassenden Verwirklichung ihrer verfassungsmäßig garantierten Menschenrechte weiterhin im Weg stehen.

Hierzu ist neben den genannten konkreten Maßnahmen zur Ächtung von Konversionstherapien der noch immer ausstehende Nationale Aktionsplan gegen Homo-und Trans*-Phobie ein wichtiges politisches Mittel.

6. Respektarbeit

Um gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nachhaltig zu begegnen, braucht es eine breit angelegte Respektarbeit. Es muss mit dem Nationalen Aktionsplan eine nachhaltige nationale Strategie entwickelt werden, die aktiv für Respekt und die Akzeptanz der Vielfalt sexueller Orientierungen, geschlechtlicher Identitäten sowie des Geschlechtsausdrucks durch geeignete Medien und Materialien wirbt.

Es ist zu begrüßen, dass das Bundesprogramm des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) „Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit“ erstmals ausdrücklich auch Modellprogramme zum Bereich „Homophobie und Transphobie“ ausgeschrieben hat.

Wesentlich ist, die Bundesprogramme zur Demokratieförderung und gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu verstetigen und weiter auszubauen; insbesondere auch das Aufgabenfeld der Bekämpfung von LSBTI*-Feindlichkeit und des Empowerments zukünftig in allen Bundesprogrammen als Regelthema ausdrücklich auszuweisen und dafür strukturelle Förderungen und angemessene Mittel zur Verfügung zu stellen.

Die Arbeit gegen LSBTI* Feindlichkeit bei der Bundeszentrale für politische Bildung in der Erwachsenenbildung und beruflichen Bildung sollte zudem verstärkt werden.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sollte in der Öffentlichkeit breit über die Gefährlichkeit sogenannter „Konversions“-oder „Reparativ“-Therapien und über deren Anbieter aus dem christlich-fundamentalistischen Spektrum aufklären.

Weiter ist es wichtig, zivilgesellschaftliche Aktivitäten zu unterstützen, um Hassreden, Hassmusik, LSBTI* feindliche Hetze in sozialen Netzwerken und auf Onlineportalen effektiv entgegenzuwirken, sowie engagiert alle rechtlichen Möglichkeiten zu nutzen, gegen solche Hetze vorzugehen, Täter*innen zu ermitteln und zur Verantwortung zu ziehen.

7. Religionsgemeinschaften

Schließlich ist die Verantwortung der Religionsgemeinschaften einzufordern. Das Grund-recht auf Religionsfreiheit ist kein Freibrief für die Diskriminierung von LSBTI*. Es ist nicht von der Religionsfreiheit gedeckt, LSBTI*elementare Grundrechte abzusprechen.

Alle Religionsgemeinschaften sind aufgefordert, ihre ablehnende Haltung gegenüber gleichgeschlechtlicher Liebe und der Vielfalt geschlechtlicher Identitäten zu überdenken und weiterzuentwickeln. Das bedeutet, dass sie ihren gesellschaftlichen Beitrag zur Bekämpfung von Diskriminierung und LSBTI*-feindlicher Hasskriminalität leisten müssen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland und viele ihre Landeskirchen haben sich in den letzten Jahren von früherer Ausgrenzung distanziert und sich nach oft heftigen inneren Debatten für LSBTI*geöffnet. Die meisten evangelischen Landeskirchenbieten gleichgeschlechtlichen Paaren heute kirchliche Trauungen oder zumindest Partnerschaftssegnungen an. Weite Teile der Katholischen Kirche, orthodoxe Kirchen, evangelikale Gruppen und die meisten islamischen Organisationen in Deutschland lehnen dagegen gelebte Homosexualität als schwere Sünde ab, auch wenn es dort ebenfalls mutige liberale Stimmen gibt, die unseren Respekt und unsere volle Unterstützung haben. Insbesondere die Katholische Amtskirche und evangelikale Organisationen haben aber in Deutschland bisher jede rechtliche Verbesserung für LSBTI*massiv politisch bekämpft und tun dies auch heute noch. Sie tragen Verantwortung an vergangener wie fortdauernder Diskriminierung. Es ist unverantwortlich, wenn religiöse Autoritäten zu konkreten Fällen von Diskriminierung und Gewalt gegenüber LSBTI*konsequent schweigen oder sie nicht eindeutig verurteilen.

Eine öffentliche Distanzierung aller Religionsgemeinschaften – insbesondere der institutionalisierten und einflussreichen beiden großen Kirchen – von Konversionstherapien ist unabdingbar. Vor allem religiöse Autoritäten wie die Deutsche Bischofskonferenz und die EKD müssten sich daher öffentlich von solchen gefährlichen Pseudo-Therapien distanzieren.

8. Fazit

Zum Abschluss möchte ich noch einmal nachdrücklich darauf hinweisen, dass die Problematik von Konversionstherapien kein akademisches Problem ist. Es geht dabei um Menschen, es geht dabei um gestohlene Jugend und um zerstörte Leben. Und manchmal geht es dabei um Leben und Tod, wenn Menschen aufgrund solcher Therapien keinen anderen Ausweg als den Suizid sehen.

Gerade junge LSBTI*Menschen haben zur Entwicklung ihrer Persönlichkeit Anspruch auf Schutz und Sicherheit. LSBTI* Jugendliche brauchen noch mehr als andere Empowerment und Stärkung für ihr Coming-out und den Weg in ein selbstbewusstes Leben in einer Gesellschaft, die sich des Wertes von Vielfalt bewusst ist.

Zur Erreichung dieses Ziels wäre auch die seit Langem geforderte Aufnahme des Diskriminierungsverbotes aufgrund der sexuellen Identität in den Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz ein wichtiges Signal.

Der Aufsatz von Gabriela Lünsmann ist im Abschlussbericht der vom Bundesgesundheitsministerium eingesetzten Fachkommission erschienen. Der Bericht ist eine wissenschaftliche Bestandsaufnahme der tatsächlichen und rechtlichen Aspekte von Handlungsoptionen unter Einbeziehung internationaler Erfahrungen zum geplanten „Verbot sogenannter ,Konversionstherapien‘ “ in Deutschland zum Schutz homosexueller Männer, Frauen, Jugendlicher und junger Erwachsener vor Pathologisierung und Diskriminierung.

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