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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Angriffe auf (sexuelle und geschlechtliche) Vielfalt in der Schule und mögliche Gegenstrategien

Vortrag von Dr. Carolin Küppers auf der 4. Regionalkonferenz des LSVD-Projekts "Miteinander stärken. Rechtspopulismus entgegenwirken!"

In der Auseinandersetzung um den Bildungsplan in Baden-Württemberg gelang es der "Demo für Alle" durch Diffamierungen und Falschdarstellungen, die ausdrückliche Förderung von Akzeptanz für LSBTI in Schulen zu verankern.

Frühsexualisierung, Genderwahn und besorgte Eltern: Mit diesen Begriffen wollen Rechtspopulist*innen verhindern, dass im Unterricht die Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans* und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI*) gefördert wird.

Was kann dieser Entwicklung entgegengesetzt werden? Welche Strategien haben sich bewährt?

Diese Fragen standen im Mittelpunkt einer Konferenz vom LSVD-Projekt "Miteinander stärken". Zu Beginn berichtete Dr. Carolin Küppers in ihrem Vortrag von den anhaltenden Angriffen vor allem gegenüber sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in der Bildung. Sie stellte auch mögliche Gegen-Strategien vor.

Mit dem Begriff "Frühsexualisierung" soll LSBTI-inklusive Bildung in Kita und Schule verhindert werden

Carolin Küppers führte zunächst in die Debatten über Bildungspläne und Richtlinien für die Sexualerziehung an Schulen ein. In vielen Bundesländern attackieren Rechte und Populist*innen wissenschaftlich bewiesene Fakten und geben dabei vor, die „Sorgen“ der Bevölkerung aufzugreifen. Küppers zeigte Parallelen auf, wie mittels Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gesellschaftliche Vielfalt angegriffen wird. Diesen Angriffen setzte sie das Konzept der Intersektionalität entgegen. Aus diesem Konzept lassen sich Gegen-Strategien entwickeln.

In Baden-Württemberg stieß die Landesregierung auf eine starke Gegenbewegung mit ihrer Absicht, sexuelle Vielfalt im Bildungsplan des Bundeslandes als Querschnitts-Thema zu berücksichtigen. Die sogenannte „Demo für alle“ ging auf die Straße. Ziele des Bildungsplans wurden bewusst falsch dargestellt, um daraus einen Skandal zu machen. 

Einzelne Wissenschaftler*innen wurden von der "Demo für alle" persönlich angegriffen und als Teil einer angeblichen Verschwörung dargestellt. Diese anti-liberalen Proteste gipfelten in einer Petition gegen den Bildungsplan. Leider erfolgreich. Die Landesregierung verzichtete im neuen Bildungsplan auf den spezifischen Begriff der "sexuellen Vielfalt". Stattdessen benutzte sie die sehr vage Formulierung „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“. LSBTI wurden damit im Bildungsplan nicht mehr erwähnt und so komplett unsichtbar macht.

genderwahn-besorgte-eltern-keynote-magdeburg-grafik.pngNeu in der Diskussion um die Bildungspläne war ein sehr grober, diffamierender Ton bei den Angriffen auf Wissenschaftler*innen. Etliche überregionale Zeitungen machten bei der Kampagne mit. Die aus der Luft gegriffenen Behauptungen der Gegner*innen wurden als "Fakten" präsentiert.

Ein Problem war auch, dass die Medien Homosexuellen-, Trans* und Inter*Feindlichkeit als angebliches „Luxusproblem“ beschrieben. Die Feindseligkeit gegenüber Minderheiten und die geringe gesellschaftliche Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt wurde nicht als Angriff auf die demokratische Vielfalt erkannt.

Was ist gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit?

Küppers stellte diese Feindseligkeit gegenüber LSBTI in den Kontext weiterer Formen von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF). Dieses Konzept geht auf den Soziologen Wilhelm Heitmeyer zurück. Er definierte Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit so:

„Menschenfeindlichkeit zielt nicht auf ein Feindschafts-Verhältnis zu einzelnen Personen, sondern bezieht sich auf Gruppen. Werden Personen aufgrund ihrer gewählten oder zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit als ungleichwertig markiert und feindseligen Mentalitäten der Abwertung und Ausgrenzung ausgesetzt, dann sprechen wir von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Hierdurch wird die Würde der betroffenen Menschen antastbar und kann zerstört werden. Das besondere Kennzeichen dieses Begriffs ist seine Spannweite. Sie ergibt sich aus dem Phänomen selbst, denn nicht nur Personen fremder Herkunft sind mit Feindseligkeiten und Gewalt konfrontiert, wenn sie bestimmten Gruppen zugeordnet werden, sondern auch Menschen gleicher Herkunft, deren Verhaltensweisen oder Lebensstile in der Bevölkerung als „abweichend“ von einer als beruhigend empfundenen Normalität interpretiert werden.“ (In: Heitmeyer, Wilhelm (Hg.): Deutsche Zustände, Folge 3, Suhrkamp-Verlag Frankfurt 2005, S. 13 ff.)

Grundlegend für nahezu jede Form Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist also das Abgrenzen von „den Anderen“ (othering). Die Konstruktion als „Andere“ ist dabei als konstitutive Wechselbeziehung mit dem „Eigenen“ zu denken.

Prozesse des „otherings“ finden sich im gesellschaftlichen Kontext immer dann, wenn auf ein vermeintlich homogenes Ideal Bezug genommen und dieses von seinem Gegenteil abgegrenzt wird. Dadurch entsteht eine Ideologie von Ungleichwertigkeit. So kann begründet werden, dass bestimmte Menschen ausgegrenzt werden. Die Zugehörigkeit zu den als normativ gesetzten „Eigenen“ regelt den Zugang zu Ressourcen und festigt Macht-Verhältnisse.

Gesellschaftliche Ausgrenzung bezieht sich häufig auf mehrere Aspekte von Diskriminierung (wie Staatsangehörigkeit, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Schichtzugehörigkeit u.a.). Diese verschiedenen Kategorien rufen Ungleichheit können sich verschränken. Aus diesen Wechsel-Wirkungen entstehen spezifische Erfahrungen von Diskriminierung.

Was meint Intersektionalität?

Im abschließenden Teil des Vortrags wurde das Konzept der Intersektionalität vorgestellt. Das Konzept hilft, um gerade diese Wechselbeziehungen zu analysieren. Intersektionalität zielt darauf ab, das Zusammenwirken verschiedener Positionen sozialer Ungleichheit zu analysieren. Diese verschiedenen Formen von Diskriminierung lassen sich dabei nicht nur rein additiv aneinanderreihen.

Aus einer intersektionalen Sichtweise lassen sich so auch solidarische Widerstands-Praxen entwickeln. Dafür hilft es, sowohl die unterschiedlichen Verletzlichkeiten als auch die jeweiligen Ressourcen in den Blick zu nehmen. Um soziale Ungleichheiten in allen ihren Dimensionen zu erfassen und langfristig zu überwinden, ist es sinnvoll, nach der Analyse spezifischer Diskriminierungs-Erfahrungen auch spezifische Handlungs-Möglichkeiten anzuerkennen.

Es gibt Faktoren, die das Widerstandspotential erhöhen können. Beispiele für solche Faktoren sind etwa Bildung, ökonomische Ressourcen, Sprachkompetenz, Flexibilität und Mobilität, soziale Ressourcen sowie einklagbare Rechte. In dem man diese Faktoren findet, können Menschen konkret unterstützt werden.

Küppers betonte, dass breite zivilgesellschaftliche Bündnisse notwendig sind, um demokratische Werten und gesellschaftlicher Vielfalt zu verteidigen. Sie unterstrich auch, ein Recht auf Vielfalt einzufordern, statt sich nur zu verteidigen. Hierfür sei es wichtig, Vielfalt als gesellschaftliche Realität sichtbar zu machen und für eine Gesellschaft einzutreten, in der alle Merkmale eines Menschen gleichermaßen wertgeschätzt werden. Auf diese Weise könne ein solidarischer Umgang miteinander gestaltet werden.

(Es gilt das gesprochene Wort)

Eine Publikation dokumentiert die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen der 4. Regionalkonferenz. Die Broschüre "Gegensteuern – Rechtspopulismus die Stirn bieten" kann hier als pdf heruntergeladen werden oder solange der Vorrat reicht auch als Printversion bestellt werden per Mail an presse@lsvd.de.

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