Kurzeinschätzung zum Gesetzesentwurf für die Reform Abstammungsrechts
Zwei rechtliche Eltern für alle Kinder ermöglichen
Der Entwurf sieht eine längst überfällige Verbesserung der rechtlichen Situation von Kindern queerer Eltern vor. Insbesondere die bisherige geschlechtsbezogene Diskriminierung bei der Zuordnung eines zweiten Elternteils wird beseitigt.
Ungleichbehandlung und Genetisierung der Korrekturmöglichkeiten
Wir kritisieren die vorgesehene Reform des Anfechtungsrechts als zu weitgehend. Die Position leiblicher Väter bei den Anfechtungsregelungen ist in mehrfacher Hinsicht zu stark: Konkurrieren leibliche Abstammung und eine etablierte sozial-familiäre Beziehung zum Kind miteinander, werden gerichtliche Konflikte durch die vorgesehene Neuregelung erweitert und nicht reduziert. Das dient nicht dem Kindeswohl. Absolut inakzeptabel ist die undifferenzierte Gleichstellung eines Samenspenders mit einem leiblichen Vater. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner jüngsten Rechtsprechung den Schutzbereich des Elterngrundrechts auf leibliche Vaterschaften qua Geschlechtsverkehr bezogen. Schon das ist kritikwürdig, weil die bloße Beisteuerung einer Keimzelle qua Geschlechtsverkehr kein Indiz für die Elternverantwortung ist. Noch weniger begründbar ist es, eine Person, die Ejakulat in einem Becher übergeben hat, im Zweifel als wichtigeren Elternteil zu bewerten als die Person, die zusammen mit der gebärenden Person intendiert die Elternverantwortung für das Kind übernimmt und in sozial-familiärer Gemeinschaft mit dem Kind lebt. Gänzlich unplausibel wird die Bedeutung der Samenzelle im Abstammungsrecht, wenn zugleich der Eizelle überhaupt keine rechtliche Relevanz zukommen soll: Der Entwurf sieht keine Elternrechte für Personen vor, die eine Eizelle gespendet haben. Das ist mindestens inkonsequent.
Wenn für die Zuerkennung von rechtlicher Vaterschaft darauf abgestellt wird, ob sich der leibliche Vater um das Kind bzw. seine rechtliche Vaterschaft bemüht hat, darf die Zeit der Schwangerschaft nicht unberücksichtigt bleiben. So ist zu würdigen, ob sich der leibliche Vater schon vor der Geburt bzw. vor der Zeugung um die rechtliche Vaterschaft bemüht hat. Wir geben zu bedenken, dass der Zeitpunkt des „rechtzeitigen“ Bemühens im Gesetz definiert werden sollte.
Identitätsverfälschung und Geschlechtsdiskriminierung
Erstmals will der Entwurf die Kategorie „biologisches Geschlecht“ im Abstammungsrecht einführen. Im Zweifel sei dies das bei Geburt zugeordnete Geschlecht. Zudem sieht der Entwurf eine eigenständige Regelung über die Benennung des Elternstatus als „Geburtsmutter“, „Mutter“ und „Vater“ vor. Diese vorgesehene Neuregelung ist ersatzlos zu streichen, denn sie verstößt gegen grund- und menschenrechtlich gewährleistete Geschlechtsdiskriminierungsverbote und steht dem jüngst umgesetzten Selbstbestimmungsgesetz diametral entgegen. Auch im Abstammungsrecht müssen selbstbestimmte Zuordnungs-bezeichnungen respektiert und anerkannt werden. Ein Bezug auf ein „biologisches" Geschlecht widerspricht dem Geschlechtsverständnis des Bundesverfassungsgerichts, das festgestellt hat, dass das Geschlecht einer Person ganz wesentlich von dem von ihr selbst empfundenen Geschlecht abhängt. Dies muss umso mehr für den Bereich der Elternschaft gelten, der besonders eng mit geschlechtlichen Vorstellungen von Geschlecht, Körperlichkeit und Sexualität verknüpft ist. In diesem Sinne wurde dieses Jahr das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet, das einen Paradigmenwechel darstellen sollte: Selbst- statt Fremdbestimmung. Wenn nun neben dem personenstandsrechtlich registrierten Geschlecht ein „biologisches" Geschlecht eingeführt wird, stellt dies einen Rückschritt gegenüber dem Selbstbestimmungsgesetz dar. Ein solches „biologisches“ Geschlecht sorgt für Verwirrung und ein Auseinanderfallen der Rechtsordnung. Trans*, inter* und nicht-binären Eltern eine ihrem Geschlecht entsprechende Eintragung als Elternteil zu verwehren, diskriminiert sie aufgrund ihres Geschlechts.
Diskriminierung wird rückwirkend nicht beseitigt
Der Referentenentwurf sieht keine zufriedenstellende Rückwirkungsmöglichkeit vor. Für Kinder, die vor Inkrafttreten der potentiellen Reform in queere Familien hineingeboren wurden, wird es zwar möglich sein, eine Elternschaftsanerkennung abzugeben. Das gilt jedoch nur, wenn die zweite Elternstelle noch nicht besetzt ist, etwa weil die Familien bewusst von einer Adoption abgesehen haben. Ist das Adoptionsverfahren abgeschlossen, erkennt das Gesetz das den Familien widerfahrene Unrecht rückwirkend nicht an. Zudem: Für die Familien, die seit 2020 gerichtliche Feststellungsverfahren eingeleitet haben und seither insbesondere auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts warten, sieht der Entwurf vor, dass die Feststellungsanträge nach dem alten Recht zu entscheiden sein sollen. Damit würden alle „Nodoption“-Anträge zurückgewiesen werden. Das ist inakzeptabel, weil damit die gegenwärtige Diskriminierung negiert wird. Es ist vielmehr im Gesetz vorzusehen, dass ein bereits anhängiger Feststellungsantrag nach dem neuen Recht entschieden wird und der Staat im Fall des Obsiegens der Familie die Kosten der Verfahren trägt. Auch für trans* und nicht-binäre Eltern muss die korrekte Eintragung rückwirkend möglich sein.
Verknüpfung mit Gesetz zur Verhinderung „missbräuchlicher Anerkennung“
Die Reform des Abstammungsrechts dient der Umsetzung des Koalitionsvertrages und der Beseitigung etlicher unstreitiger Verfassungswidrigkeiten. Nicht im Koalitionsvertrag vereinbart ist der aktuell eingebrachte Gesetzentwurf zur Verhinderung sogenannter missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen. Der Entwurf sieht vor, dass bei Familien mit sogenanntem Aufenthaltsgefälle eine Anerkennung dem Grundsatz nach nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde erfolgen darf – er macht also das Familienrecht rigider und erschwert die rechtliche Familiengründung. Zu Recht wurde der Gesetzentwurf von zahlreichen Verbänden und Initiativen scharf kritisiert und im Ganzen abgelehnt.[1] Dass dieser Gesetzentwurf im vorliegenden abstammungsrechtlichen Referentenentwurf bereits als verabschiedet gerahmt wird, ist empörend und demokratisch unanständig.
Weder die Rechte nicht deutscher Eltern noch die Rechte von trans*, inter* und nicht-binären Personen dürfen zum Pfand für die längst überfällige und verfassungsrechtlich gebotene Gleichstellung queerer Familien im Abstammungsrecht gemacht werden.
Wir fordern:
- Keine Gleichstellung von leiblichen Vätern und Samenspendern bei der Elternschaftsanfechtung.
- Der Zeitpunkt des „rechtzeitigen“ Bemühens muss im Gesetz definiert werden. Nach der Geburt darf nicht rechtzeitig sein.
- Die Einführung der Kategorie „biologisches Geschlecht“ ist ersatzlos zu streichen. Selbstbestimmte Geschlechtsbezeichnungen sind auch bei der Bezeichnung des Elternstatus anzuerkennen.
- Für anhängige gerichtliche Feststellungsverfahren ist im Gesetz vorzusehen, dass der Feststellungsantrag begründet ist und der Staat die Kosten der Verfahren trägt.
- Das Abstammungsrecht muss unabhängig von dem Gesetz zur Verhinderung sogenannter missbräuchlicher Vaterschaftsanerkennungen reformiert werden.
Gemeinsame Kurzeinschätzung zum Gesetzesentwurf für die Reform Abstammungsrechts im pdf-Format.
[1] Etwa djb, Stellungnahme vom 21.05.2024, https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/st24-19; DAV, SN 31/24, https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-31-24-refe-missbraeuchliche-anerkennungen-der-vaterschaft; LSVD⁺, Stellungnahme vom 21.05.2024, https://www.lsvd.de/de/ct/11889-STELLUNGNAHME-ZUR-SOG-MISSBRAeUCHLICHEN-VATERSCHAFTSANERKENNUNG; Paritätischer, 22.05.2024, https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/stellungnahme-des-paritaetischen-zum-entwurf-eines-gesetzes-zur-besseren-verhinderung-missbraeuchlicher-anerkennungen-der-vaterschaft/ usw.