Zwischenauswertung des LSVD⁺ zum Umsetzungsstand der IMK-Beschlüsse in den Bundesländern
Hasskriminalität muss in Bund und Ländern bekämpft werden

Der LSVD⁺ hatte die Einberufung eines Arbeitskreises über Gewalt gegen LSBTIQ* lange gefordert. Vor fast zwei Jahren hat die Innenminister*innenkonferenz (IMK) den Abschlussbericht des Arbeitskreises zur „Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt“ angenommen, in dem sich unser Verband auch engagiert hat, und mit klaren Handlungsempfehlungen versehen. Der Bericht erkannte an, dass bestehende Schutzmaßnahmen für LSBTIQ* nicht ausreichen – und forderte Bund und Länder auf, bis Herbst 2025 Fortschritte in der Umsetzung zu berichten.
Der LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt hat nun im Vorfeld die Innenministerien aller 16 Bundesländer kontaktiert und nach ihren konkreten Schritten hin zur Umsetzung der IMK-Empfehlungen befragt. Die Ergebnisse dieser Abfrage liegen nun vor – und sie zeigen: Viele Bundesländer bleiben intransparent oder untätig, obwohl queerfeindliche Gewalt real, flächendeckend und zunehmend brutal ist.
Inhaltsverzeichnis
- Zwischen Anspruch und Umsetzung klafft eine Lücke
- Rückmeldungen der Landesregierungen auf Anfrage des LSVD⁺
• Baden-Württemberg
• Bayern
• Berlin
• Brandenburg
• Bremen
• Hamburg
• Hessen
• Mecklenburg-Vorpommern
• Niedersachsen
• Nordrhein-Westfalen
• Rheinland-Pfalz
• Saarland
• Sachsen
• Sachsen-Anhalt
• Schleswig-Holstein
• Thüringen - Fünf Länder ohne jede Rückmeldung
- Gewalt gegen queere Menschen bleibt trauriger Alltag - alle Ebenen sind in der Pflicht
1. Zwischen Anspruch und Umsetzung klafft eine Lücke
Nur wenige Länder nennen konkrete Ansprechpersonen bei der Polizei, geeignete Maßnahmen zur Prävention oder umfassende Aus- und Fortbildung. Viele andere beschränken sich auf Allgemeinplätze oder weisen auf die Verantwortung der Bundesebene. Systematische Dunkelfeldforschung, ressortübergreifende Kooperationen oder transparente Erfassung von queerfeindlicher Gewalt fehlen fast flächendeckend.
Dabei liegt die Verantwortung neben der Bundespolizei klar bei den Ländern: Die IMK-Empfehlungen formulieren Erwartungen an die Behördenpraxis auf Landesebene – etwa die Einrichtung von LSBTIQ*-Ansprechpersonen bei der Polizei, die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Selbstorganisationen, die Weiterentwicklung von Prävention und Bildung sowie die explizite Erfassung von queerfeindlichen Straftaten mit statistischer Auswertung.
2. Rückmeldungen der Landesregierungen auf Anfrage des LSVD⁺ (Stand: 1. Mai 2025, Start der Abfrage im Januar 2025)
Baden-Württemberg
Keine Rückmeldung eingegangen.
Bayern
Zusammenarbeit mit (Opfer-)Beratungsstellen und LSBTIQ-Selbstvertretungen:
- geförderte Fachstelle „Strong!“ übernimmt psychosoziale Beratung, Meldeverfahren für Hate Speech, Verweisberatung und proaktive Vermittlung an Beratungsstellen in Zusammenarbeit mit der Polizei
- regelmäßiger Austausch über das LSBTIQ*-Netzwerk in Bayern und Informations- und Hilfeportal „Bayern gegen Gewalt“
Ansprechstellen Polizei:
- seit Ende 2022 Ansprechpartner*innen bei der Polizei zur Bekämpfung von Hasskriminalität als demokratiekritischer Faktor, inkl. LSBTIQ-feindlicher Gewalt, Bayerischer Beauftragter für Hasskriminalität steht in Austausch mit Betroffenengruppen
- seit Juli 2024: Gleichstellungsbeauftragte der Bayerischen Polizei auch für LSBTIQ*-Belange benannt (z. T. queere Beschäftigte), aber keine konkreten Handlungsverpflichtungen
Prävention:
- Sensibilisierungsmaßnahmen u. a. bei CSD-Einsätzen, Informations- und Hilfeportal „Bayern gegen Gewalt“
Fort-/Ausbildung Polizei:
- LSBTIQ*-Themen Bestandteil der Ausbildung (2. und 3. QE)
- Handlungsempfehlung zum Umgang mit trans*, inter* und nicht-binären Personen wurde herausgegeben und wird evaluiert (Änderungen durch Selbstbestimmungsgesetz)
Statistik und Dunkelfeld:
- einheitliche Erfassung im KPMD-PMK, Verweis auf präventive Maßnahmen und Darstellung in „Lagebild Bayern Hasskriminalität“ (2023), keine eigenen Dunkelfeldstudien benannt
Quelle: Antwortschreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Inneren, für Sport und Integration
Berlin
Zusammenarbeit:
- Senat plant Entwicklung einer „Landesstrategie für queere Sicherheit und gegen Queerfeindlichkeit“ bis Q4/2025 unter Beteiligung von Community, Verwaltung und Politik
- Runder Tisch „Schutz vor queerfeindlicher Hasskriminalität“ eingerichtet
Antwort verweist auf spätere Berichterstattung an das Bundesinnenministerium.
Quelle: Antwortschreiben der Senatsverwaltung für Inneres und Sport
Brandenburg
Zusammenarbeit:
- Polizei ist mit Ansprechperson für LSBTIQ* im Netzwerk der Brandenburger CSD- und Pride-Organisator*innen vertreten und im Netzwerk “Queeres Potsdam”
- Aktionsplan des Landes, wird evaluiert
- Vernetzung mit Beratungsangeboten
Ansprechstellen Polizei:
- Ansprechperson für LSBTIQ* im Polizeipräsidium und der Hochschule für Polizei
Prävention:
- Vernetzung, Schulprojekte, Kampagnen und Sensibilisierungsmaßnahmen
- neu überarbeiteter Opferschutzkompass mit LSBTIQ*-Sensibilität
Fort-/Ausbildung Polizei:
- Inhalte zu LSBTIQ*-Feindlichkeit integriert
- Durchführung von Veranstaltungen, Fortbildungsangebote durch Ansprechperson für LSBTIQ*, regelmäßige Anpassung
Statistik und Dunkelfeld:
- Nutzung der KPMD-PMK-Daten; Dunkelfeldforschung im Rahmen der Weiterentwicklung des Aktionsplans “Queeres Brandenburg” geplant
Quelle: Antwortschreiben des Polizeipräsidiums Land Brandenburg
Bremen
Keine Rückmeldung eingegangen.
Hamburg
Zusammenarbeit:
- Maßnahmen zur Bekanntmachung der AP LSBTIQ* u. a. durch Plakataktionen, Kampagnen, Social Media, Info-Stände, Fortbildungen
- Vernetzung mit Hilfeeinrichtungen und queeren Community-Strukturen
Ansprechstellen Polizei:
- hauptamtliche Ansprechpersonen seit 2016 im LKA
- Multiplikator*innen für LSBTIQ* in Polizeidienststellen etabliert
Prävention:
- Zuständigkeit liegt bei Sozial- und Gleichstellungsbehörden; Kampagnen und Veranstaltungen, Verweis auf Drs. 22/11506 der Hamburgischen Bürgerschaft
Fort-/Ausbildung Polizei:
- Themen wie Hasskriminalität, Diskriminierung und Kommunikation mit Opfern fester Bestandteil der Ausbildung, Zusammenarbeit mit Ansprechpersonen
Statistik und Dunkelfeld:
- Erfassung über KPMD-PMK (Themenfelder sexuelle Orientierung und geschlechtsbezogene Diversität)
- Dunkelfeldforschung: HATE TOWN (2022-2024), Verweis auf ergänzende Ergebnisse zur SKID
Quelle: Antwortschreiben der Behörde für Inneres und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg
Hessen
Zusammenarbeit:
- Austausch in Hintergrundgesprächen und Runden Tischen, Vorträge, Infoveranstaltungen und -stände (CSDs), Anti-Gewalt-Seminare
- Fachforen über das Landesprogramm „Hessen – aktiv für Vielfalt“
Ansprechstellen Polizei:
- Ansprechpersonen in sieben Polizeipräsidien, HLKA und Hochschule
- insgesamt 21 Ansprechpersonen
Prävention:
- Aktionswochen und Veranstaltungen mit Community-Akteur*innen
Fort-/Ausbildung Polizei:
- Inhalte zur Hasskriminalität und LSBTIQ* in der Fortbildung enthalten
Statistik und Dunkelfeld:
- Nutzung KPMD-PMK; Teilnahme an Dunkelfeldstudien bestätigt
- Onlinewache und Meldestelle “Hessen gegen Hetze”, Verweis auf SKiD
Quelle: Antwortschreiben des Hessischen Ministeriums des Innern, für Sicherheit und Heimatschutz
Mecklenburg-Vorpommern
Keine Rückmeldung eingegangen.
Niedersachsen
Zusammenarbeit:
- 2023 Veröffentlichung des „Konzept LSBTIQ“ zur Förderung von Vertrauen und Kooperation
- lokale Netzwerke mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen im Aufbau mit intersektionalem Fokus
- Kooperation mit Landesfachstellen, Schlau, Vielfalt im Sport geplant
Ansprechstellen Polizei:
- Ansprechpersonen LSBTIQ* landesweit etabliert, mit zentraler Landeskoordination
- Aufgaben u. a. Öffentlichkeitsarbeit, Prävention und Unterstützung Betroffener
Prävention:
- LKA-Präventionsstelle PMK verantwortlich, Einbindung in Landesprogramme, mit lokalen AP LSBTIQ* verknüpft
Fort-/Ausbildung Polizei:
- Inhalte in Curricula integriert; Fortbildungen mit Landeskoordination geplant
Statistik und Dunkelfeld:
- KPMD-PMK mit Unterthemen
- Dunkelfeld als Schwerpunkt der Forschung im Dezernat Forschung/Prävention/Jugend (FPJ)
- Dunkelfeldstudien: „Hass in der Stadt“ (Hannover)
Quelle: Antwortschreiben des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport
Nordrhein-Westfalen
Keine Rückmeldung eingegangen.
Rheinland-Pfalz
Zusammenarbeit:
- Enge Kooperation mit SCHLAU RLP und Landeskoordination LSBTIQ* sowie mit Beschwerde-, Beratungs- und Opferschutzstellen
- Gleichstellungsbeauftragte sind auch mit LSBTIQ* beauftragt, Austausch Im Rahmen des Landesaktionsplans “Rheinland-Pfalz-unterm Regenbogen”
Ansprechstellen Polizei:
- Ansprechpartner*innen in allen Regionen und landesweit, regelmäßiger Austausch
Prävention:
- Aufklärungs- und Beratungsprojekte
- Kampagnen wie „Hass hat viele Gesichter“, CSD-Beteiligung
- Schwerpunkt der Leitstelle Kriminalprävention
Fort-/Ausbildung Polizei:
- LSBTIQ*-Inhalte sind Bestandteil der Ausbildung
- Handlungsanweisung zum Umgang mit trans* und inter* Personen
Statistik und Dunkelfeld:
- Nutzung KPMD-PMK; Beteiligung an SKiD 2020, praktische Hilfestellungen für Polizeidienststellen
Quelle: Antwortschreiben des Ministeriums des Inneren und für Sport Rheinland-Pfalz
Saarland
Ansprechstellen Polizei:
- zentrale Ansprechperson seit 2024 vorhanden, Landespolizeidirektion
Antwort verweist auf spätere Berichterstattung an das Bundesinnenministerium.
Quelle: Antwortschreiben des Ministeriums für Inneres, Bauen und Sport Saarland
Sachsen
Zusammenarbeit:
- Zusammenarbeit mit LAG Queeres Netzwerk Sachsen, jährliche Netzwerktreffen
Ansprechstellen Polizei:
- Zentrale Ansprechstelle LSBTIQ* beim LKA (seit 2019), Opferschutzbeauftragte in allen Direktionsbereichen
Prävention:
- Gemeinsamer Flyer „Keine Chance für Hassgewalt“, dezentrale Vernetzung
Fort-/Ausbildung Polizei:
- Themen im Rahmen von Ausbildung und Fortbildung integriert; externe Workshops
Statistik und Dunkelfeld:
- KPMD-PMK-Sonderauswertungen, Handreichungen und Leitfaden zur Erfassung queerfeindlicher Straftaten
Quelle: Antwortschreiben des Sächsischen Staatsministeriums des Innern
Sachsen-Anhalt
Zusammenarbeit:
- Austausch über queeren Runden Tisch “LSQPRT” Sachsen-Anhalt und Landeskoordinierungsstellen
- Vernetzung über Ansprechperson in Community
Ansprechstellen Polizei:
- eine hauptamtliche Ansprechperson landesweit, elf Ansprechpersonen in Polizeibehörden und Fachhochschule
Prävention:
- Projekte und Aktionswochen, Verweis auf Präventionsangebote der ProPK
- externe Öffentlichkeitsarbeit für mehr Anzeigebereitschaft
Fort-/Ausbildung Polizei:
- Thematisierung in Aus- und Fortbildung
Statistik und Dunkelfeld:
- Nutzung KPMD-PMK
Quelle: Antwortschreiben des Ministeriums für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt
Schleswig-Holstein
Zusammenarbeit:
- Kooperation mit HAKI e. V. und Antidiskriminierungsstelle SH
- Runder Tisch und Netzwerk “Echte Vielfalt”
Ansprechstellen Polizei:
- eine zentrale Ansprechstelle im Landespolizeiamt, Unterstützung mit einer halben Stelle, 11 dezentrale Ansprechpersonen im Nebenamt
Prävention:
- CSD-Teilnahme, Social Media, Veranstaltungen
- Kampagne “Stop the Hate”
- regionale Beratungsteams gegen Rechtsextremismus
Fort-/Ausbildung Polizei:
- Inhalte integriert, Schulung von Ansprechpartner*innen
Statistik und Dunkelfeld:
- Nutzung KPMD-PMK; keine eigene Studie, Verweis auf Erfassung und Dokumentation durch ZEBRA e.V. und VBRG
Quelle: Antwortschreiben des Ministeriums für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport Schleswig-Holstein
Thüringen
Keine Rückmeldung eingegangen.
3. Fünf Länder ohne jede Rückmeldung
Der LSVD⁺ startete die Abfrage im Januar 2025. Von 16 Bundesländern antworteten nur elf, zum Teil ausweichend oder ohne belastbare Detailinformationen. Baden-Württemberg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Thüringen haben zum Stichtag 1. Mai 2025 nicht geantwortet.
4. Gewalt gegen queere Menschen bleibt trauriger Alltag - alle Ebenen sind in der Pflicht
Die Auswertung der LSVD⁺-Abfrage fällt in eine Zeit, in der queerfeindliche Hasskriminalität weiterhin zunimmt. Aktuelle Statistiken aus Berlin, Bayern, Baden-Württemberg und NRW zeigen einen Anstieg dokumentierter Fälle.
Erst kürzlich veröffentlichte die Berliner Anlaufstelle MANEO ihren Jahresreport 2024. Demnach wandten sich 928 betroffene Personen im vergangenen Jahr an die Fachstelle – es wurden 738 Fälle mit explizit queerfeindlichem Bezug dokumentiert, ein Anstieg um 8 % gegenüber dem Vorjahr. 1.963 Beratungsgespräche wurden geführt – ein Zeichen für den enormen Bedarf an langfristiger Opferhilfe.
Der Anstieg erfasster queerfeindlicher Straftaten zeigt, dass LSBTIQ* in Deutschland tagtäglich Anfeindungen, Bedrohung und Gewalt ausgesetzt sind – im öffentlichen Raum, im Netz, in der Schule oder in medizinischen Einrichtungen. Damit wächst auch die Nachfrage nach diskriminierungssensiblen Polizei- und Justizbehörden, sowie spezialisierter zivilgesellschaftlicher Unterstützungsarbeit, die aber meist nicht bedarfsgerecht finanziert ist.
Der LSVD⁺ fordert die Innenministerien der Länder auf, die Handlungsempfehlungen der IMK nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern konsequent und messbar umzusetzen. Dazu gehören:
- die vollständige Umsetzung der IMK-Handlungsempfehlungen durch Polizei, Justiz, Bildungs- und Sozialbehörden
- die Einrichtung von qualifizierten und hauptamtlich ausgestatteten LSBTIQ*-Ansprechpersonen bei allen Polizeibehörden
- die Entwicklung und Finanzierung flächendeckender Präventionsangebote
- sicherheitsbehördliche Konzepte für Pride-Veranstaltungen, die Schutz und Empowerment garantieren – nicht nur Risikoabwägung
- ein verbindlicher Diskriminierungsschutz im Grundgesetz durch die Ergänzung von Artikel 3
Queerfeindliche Hasskriminalität bleibt eine reale Bedrohung für LSBTIQ* bundesweit. Die Länder und der Bund müssen deshalb ihre Schutzpflicht ernst nehmen.