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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Erfahrungen von Regenbogenfamilien mit der Stiefkindadoption

Ergebnisse aus einer Umfrage mit 215 Teilnehmer*innen aus Deutschland - von Saskia Ratajszczak

Zentrale Ergebnisse einer Umfrage des Team Regenbogenfamilien des LSVD Verband Queere Vielfalt Berlin-Brandenburg zu den Erfahrungen von Regenbogenfamilien mit der Stiefkindadoption.

In den Beratungen des Team Regenbogenfamilien des LSVD Verband Queere Vielfalt Berlin-Brandenburg e.V. ist die Stiefkindadoption eines der häufigsten Themen. Dort schildern Regenbogenfamilien die vielen Ängste, offenen Fragen und Herausforderungen, auf die sie während der Stiefkindadoption stoßen. Um diese Erfahrungen zu dokumentieren und auch greifbar zu machen, wurde diese Umfrage entwickelt.

Über öffentliche Aufrufe auf der Website, im Newsletter und den Social-Media-Kanälen sowie über kooperierende Regenbogenfamilienprojekte in Deutschland wurden Regenbogenfamilien eingeladen, anonym an der Online-Umfrage teilzunehmen. Insgesamt haben 215 Personen aus 12 verschiedenen Bundesländern die Umfrage im Mai und Juni 2024 ausgefüllt.

Hier geben wir einen Überblick über die zentralen Ergebnisse. Die ausführliche Auswertung der Umfrageergebnisse kann unter diesem Link aufgerufen werden.

Inhaltsverzeichnis

  1. Stand der Stiefkindadoption bei den Teilnehmer*innen
  2. Erfahrungsberichte zum Prozess der Stiefkindadoption
  3. Ablauf des Prozesses der Stiefkindadoption
  4. Erfahrungen mit den beteiligten Behörden
  5. Weitere Informationen zu den Teilnehmer*innen an der Umfrage

1. Stand der Stiefkindadoption bei den Teilnehmer*innen

  • Die meisten Teilnehmer*innen haben den Antrag auf Stiefkindadoption in den letzten 5 Jahren gestellt (10 % in 2024, 60 % in 2020-2023).
  • Mehr als 80 Prozent der Teilnehmer*innen haben den Prozess der Stiefkindadoption bereits abgeschlossen.

Dauer des Prozesses der Stiefkindadoption

  • Bei fast einem Viertel (24 %) brauchte der Prozess der Stiefkindadoption mehr als ein Jahr.
  • Nur bei 16 % dauerte der Prozess weniger als ein halbes Jahr.
  • Bei der Mehrheit der Befragten (60 %) dauerte der Prozess zwischen 6 und 12 Monaten.

2. Erfahrungsberichte zum Prozess der Stiefkindadoption

Mehr als zwei Drittel (68 %) der Befragten gaben an, sich während des Prozesses der Stiefkindadoption weniger oder gar nicht wohlgefühlt zu haben. 24 % fühlten sich einigermaßen wohl und nur 8 % der Befragten gaben an, sich ziemlich oder sehr wohl gefühlt zu haben.

Negative Erfahrungen

60 Prozent der Teilnehmer*innen gaben an, während des Stiefkindadoptionsprozesses negative Erfahrungen gemacht zu haben – am häufigsten mit Mitarbeitenden des Jugendamtes.

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In der darauffolgenden offenen Nennung berichteten die Befragten von folgenden negativen Erfahrungen mit am Verfahren beteiligten Personen:

  • Abwertende Kommentare z.B.: „SCHADE, dass das Kind nie eine richtige Familie erleben wird.“, „Mitarbeiterin des Jugendamtes sagte wortwörtlich, dass sie das [die Stiefkindadoption] leider befürworten müsse, obwohl eine Adoption zu erwartende negative Auswirkungen auf das Kind habe.“
  • Grenzüberschreitende Fragen z.B.: „Meine Frau wurde während des Gesprächs mit der Jugendamtsmitarbeiterin während meiner kurzen Abwesenheit gefragt, ob sie denn wirklich ausschließen kann, nicht wieder mit Männern zusammen sein zu wollen.“
  • Fehlinformationen und Unwissenheit bezüglich des Verfahrens z.B.: „Das Familiengericht schickte uns eine Rechnung für das Verfahren, welches eigentlich für uns umsonst ist. Die Richterin behauptete eisern, dass wir dafür bezahlen müssen.“, „Wir mussten fast 1 Jahr auf den Hausbesuch warten, da das Kind auf die anzunehmende Mutter angeblich zukrabbeln können müsse.“
  • Gestaltung und Umsetzung des Stiefkindadoptionsprozesses z.B.: „Die Gesundheitsfragen (z. B. zur Pupillengröße) waren unglaublich umfassend und für uns war überhaupt nicht ersichtlich, was diese Informationen mit einer Adoption zu tun haben sollen.“, „Am demütigsten im ganzen Verfahren bestand die Richterin förmlich darauf, dass das Kind zum Samenspender ‚Vater‘ sagt.“
  • Schilderungen der unsicheren rechtliche Lage z.B.: „Leibliches Elternteil verstarb 4 Wochen nach der Geburt. Deswegen war das Kind Vollwaise und bekam einen Vormund.“

Positive Erfahrungen:

Gleichzeitig gaben auch knapp 70 Prozent der Teilnehmer*innen an, besonders positive Erfahrungen gemacht zu haben. Positive Erfahrungsberichte beziehen sich auf:

  • Eine empathische Haltung der beteiligten Personen und Behörden und wertschätzenden UmgangB.: „Die Mitarbeiterin vom Jugendamt hat mehrfach betont, dass eine Änderung der Gesetzeslage sehr begrüßt wird und sie sich der diskriminierenden Vorgehensweise bewusst ist.“
  • Einen professionellen UmgangB.: „Ernsthaftes Interesse meiner Nicht-Binarität in der Formulierung des Gerichtsbeschlusses gerecht zu werden“
  • Einen unkomplizierten ProzessB.: „Jugendamt und Richterin haben versucht uns den Prozess so einfach wie möglich zu machen.“

3. Ablauf des Prozesses der Stiefkindadoption

Die Familien müssen für die Stiefkindadoption Unterlagen einreichen. Welche Unterlagen von den Teilnehmer*innen gefordert wurden, war sehr unterschiedlich:

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n = 209

Von ca. drei Viertel (72 %) der Teilnehmer*innen wurde u.a. ein Lebensbericht angefordert, der aber sehr unterschiedlich ausfiel, von einer Seite oder keiner Vorgabe bis hin zu: „12 Seiten, tabellarischer Lebenslauf für beide Eltern, Lebensbericht in Textform zu beiden Eltern, Partnerschaftsentwicklung, Beschreibung der Beziehung von Mutter und Kind, allgemeine Familiensituation, Adoptionsmotivation“.

Auf die Frage, ob die Teilnehmer*innen bei einer bestimmten Unterlage die Sorge hätten, dass diese den Ausgang der Adoption negativ beeinflussen könnte, nannten fast ein Viertel (24 %) den Lebensbericht und gut 20 Prozent das Gesundheitszeugnis (n=201).

4. Erfahrungen mit den beteiligten Behörden

Jugendamt

  • Mehr als die Hälfte (57 %) nahmen die Jugendamtsmitarbeiter*innen als wohlwollend bis sehr wohlwollend gegenüber Regenbogenfamilien eingestellt wahr. 11 % der Befragten berichteten von einer skeptischen bis negativen Einstellung gegenüber Regenbogenfamilien.
  • Für 40 Prozent der Teilnehmer*innen war der Hausbesuch des Jugendamtes etwas oder sehr angespannt.
  • Bei einem knappen Viertel (24 %) dauerte der Hausbesuch mehr als eine Stunde.

Familiengericht

  • Fast drei Viertel (73 %) der Teilnehmer*innen nahmen die Richter*innen als wohlwollend bis sehr wohlwollend gegenüber Regenbogenfamilien eingestellt wahr. 7 % berichteten von einer skeptischen bis negativen Einstellung.
  • Ein knappes Drittel (30 %) fand den Gerichtstermin etwas oder sehr angespannt.
  • Bei zwei Drittel (66 %) der Teilnehmer*innen dauerte der Gerichtstermin weniger als 15 Minuten. Bei 4 Prozent wurde das Stiefkindadoptionsverfahren ohne Gerichtstermin entschieden.

5. Weitere Informationen zu den Teilnehmer*innen an der Umfrage

  • Bei der Art der Familiengründung entschieden sich über 50 Prozent für eine offizielle Samenspende in Deutschland oder im Ausland und rund 40 Prozent der Familien für eine private Samenspende. Bei der Nennung „private Samenspende“ können sowohl aktive Elternteile als auch samenspendende Personen ohne soziale Rolle gemeint sein.
  • Gut drei Viertel der Teilnehmer*innen (78 %) bezeichnen sich als lesbisch, über 20 Prozent als queer (22 %), und mehr als 10 Prozent (13 %) als bisexuell oder bi+. Trans* und nicht-binäre Personen machten 4 Prozent der Teilnehmer*innen aus (Mehrfachnennung möglich).
  • Die meisten Teilnehmer*innen (87 %) leben in einer Paar-Familie.

Was die Teilnehmer*innen zum Abschluss noch sagen wollten:

  • „Im ersten Jahr mit meinem Kind gibt es wichtigeres als Notartermine und Sorgen um einen Jugendamtsbesuch. Mich voll und ganz auf mein Kind zu konzentrieren gelang mir leider erst mit Abschluss der Adoption.“
  • „Wir wurden im ganzen Verfahren wirklich gut behandelt. Dennoch war es schlimm. Man war so ausgeliefert, musste immer auf das Wohlwollen der offiziellen Stellen hoffen. Außerdem ist es so entwürdigend - das Mutter/Eltern werden ist für alle Beteiligten schon fordernd genug. Dann noch parallel dazu um die Anerkennung der eigenen Elternschaft und Familie kämpfen zu müssen kostet Kraft, die man so dringend an anderer Stelle benötigen würde.“
  • „Es wäre ein Traum, wenn das Verfahren in Zukunft weniger anstrengend wäre... Man möchte eine Familie sein. Mehr nicht.“

Die ausführliche Auswertung der Umfrageergebnisse kann hier nachgelesen werden.

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