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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

„Sexuelle Orientierung“ in der Pflege? Lesben und Schwule im Krankenhaus

Interview mit Dennis Nano, Autor von "Kultursensible Pflege für Lesben und Schwule im Krankenhaus"

Das Pflegemanagement ist in der Verantwortung, Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung in der Ausnahmesituation „Krankenhaus“ zu vermeiden.

Buchtitel: Kultursensible Pflege für Lesben und Schwule im Krankenhaus. Dennis Nano

In seinem Buch „Kultursensible Pflege für Lesben und Schwule im Krankenhaus – Eine Aufgabe des Pflegemanagements“ sieht Dennis Nano vor allem das Pflegemanagement in der Verantwortung, Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung in der Ausnahmesituation „Krankenhaus“ zu vermeiden. Im Interview berichtet er, wann und warum "sexuelle Orientierung" für Pflegeberufe wichtig ist und welche Maßnahmen für eine LSBTI-inklusive Pflege notwendig sind. Siehe dazu auch: Regenbogen-Kompetenz: Bedürfnisse und Lebenslagen von LSBTI in der kultursensiblen Pflege und Altenarbeit.

Warum und in welchen Momenten ist das Thema „sexuelle Orientierung“ für die Pflegeberufe überhaupt relevant?

Ein Pflege-Management im Krankenhaus hat viele verschiedene Aufgaben-Gebiete. In erster Linie ist es verantwortlich für die Beschäftigten in der Pflege, die die Patient*innen pflegerisch versorgen. Für Pflegeberufe ist die sexuelle Orientierung deshalb von Bedeutung, weil sie Menschen in Ausnahmesituationen begleiten und pflegen und somit in eine sehr intime persönliche Situation eingreifen.

So habe ich häufig erlebt, dass gleichgeschlechtlich liebende Paare keine körperliche Nähe suchen, wie z.B. sich die Hand halten oder umarmen, aus Angst vor ablehnenden oder herabwürdigenden Reaktionen von Mitpatient*innen oder Personal. In den wenigsten Fällen wird eine Beschwerde an eine Leitungsperson herangetragen, aus Angst, dass dies zu einer weiteren Benachteiligung führen könne. Aber auch umgekehrt werden Pflegepersonen von ihrer Arbeit ausgeschlossen: „Von dem da, lass ich mich doch nicht waschen!“.

Daher können mögliche Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung folglich auf der Ebene der Beschäftigten oder auch durch Pflegende an Patient*innen selbst geschehen. Der Schutz vor – und die Vermeidung von Diskriminierungen ergibt sich u.a. aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), welches seit 2006 in Deutschland existiert. Es gilt für das Arbeitsrecht und Zivilrecht. Sieben Merkmale sollen durch das Gesetz geschützt werden. Neben der sexuellen Identität sind das die Rasse, die ethnische Herkunft, das Geschlecht, die Religion oder Weltanschauung, die Behinderung und das Alter. Das AGG trägt zum Schutz von Beschäftigten bei.

Zudem ergibt sich aus dem Ethikkodex des International Council of Nurses die Relevanz des Themas für Pflegende:

„ (...) Es besteht ein universeller Bedarf an Pflege. Untrennbar von Pflege ist die Achtung der Menschenrechte, einschließlich kultureller Rechte, des Rechts auf Leben und Entscheidungsfreiheit auf Würde und auf respektvolle Behandlung. Pflege wird mit Respekt und ohne Wertung des Alters, der Hautfarbe, des Glaubens, der Kultur, einer Behinderung oder Krankheit, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung [Hervorhebung des Verfassers], der Nationalität, der politischen Einstellung, der ethnischen Zugehörigkeit oder des sozialen Status ausgeübt.“ (vgl. ICN 2012, S.1 f.)

Neben der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung ergibt sich für die Pflegeberufe somit auch aus gesetzlicher und einem beruflich-ethischen Verständnis heraus ein Bedarf, sich der Thematik zu nähern und sein eigenes Handeln gegenüber gleichgeschlechtlich liebenden Menschen hierauf zu prüfen und zu sensibilisieren.

Welche Diskriminierungs-Erfahrungen beschreibt Ihre Arbeit?

buchcover-kultursensible-pflege-fuer-lesben-und-schwule-im-krankenhaus-dennis-nano.jpgMeine Arbeit ist eine Literaturarbeit, die verschiedene Punkte in Einklang bringen möchte und schaut, woher die heutigen anhaltenden Diskriminierungen rühren. Sie zeigt die historische Entwicklung im Umgang mit Homosexualität in Deutschland anhand der Entwicklung des Strafparagrafen §175 auf und koppelt wichtige gesellschaftlich prägende Ereignisse wie auch jüngste gesetzliche Entwicklungen in Deutschland.

Ich habe mich in der Arbeit verschiedener Studien bedient, um bestehende Diskriminierung zu verdeutlichen. Im Speziellen Diskriminierungs-Erfahrung im Beruf, Outing – Verhalten im Beruf, Diskriminierungs-Erfahrung im Lebensbereich Gesundheit und Pflege und ob dies gesundheitliche Auswirkungen auf die Personen haben kann.

Grundsätzlich habe ich Ergebnisse aus den Studien beschrieben, die auf zwei verschiedene Personenkreise angewendet werden können. Zum einen Patient*innen und zum anderen Pflegende selbst, um daraus einen Handlungsbedarf für die Pflege-Management-Ebene abzuleiten.

Worauf sollten Pflegekräfte im Umgang mit lesbischen und schwulen Patient*innen achten? Welche Wissenslücken gibt es bislang womöglich bei Pflegekräften?

Im Umgang mit lesbischen und schwulen Patient*innen ist unter Umständen die individuelle Lebensgeschichte von Bedeutung, die jeweils anders geprägt sein kann. Hierbei ist zunächst wichtig, dass Lesben und Schwule keine „andere“ Pflege benötigen, wie heterosexuelle Menschen. Die Individualität ist wichtig, und diese ergibt sich nun mal aus der Lebensgeschichte einer jeden Person.

In der Pflege wissen wir, wie wertvoll die Biografie-Arbeit ist, da sie uns wichtige Anhaltspunkte liefern kann, um eine Genesung zu unterstützen oder z.B. den Sterbeprozess zu begleiten. Und hier ist der Knackpunkt. Aus meiner eigenen Erfahrung gibt es häufig kein oder nur wenig Allgemeinwissen zur Sozialisation und der Geschichte von homosexuellen Menschen unter Pflegenden.

Ein heute 80-jähriger schwuler Mann hat die ganze Bandbreite der gesetzlichen deutschen Strafbarkeit (§175) erleben müssen und sich möglicherweise ein Leben lang verstellen müssen, um die eigene Sexualität zu verstecken. In Pflege-Situationen kann Wissen hierzu sehr hilfreich sein. Ob in Ausnahme-Situationen, wie der Sterbebegleitung, bei dementiellen Veränderung oder auch der Angehörigenarbeit. Auch in Fragen der sozialen Unterstützung/Angliederung nach einem Aufenthalt im Krankenhaus, insbesondere bei einer Unterbringung in einer Pflege-Einrichtung, kann dies eine enorme Bedeutung haben und nimmt Einfluss auf das Leben in den letzten Tagen und Jahren.

Im Krankenhaus kommen zudem verschiedenste Kulturen, Religionen und Menschen zusammen, bei denen Homosexualität häufig noch nicht zur Norm gehört bzw. sie einen offenen Umgang mit verschiedenen sexuellen Identitäten nicht kennen. Da ist es umso wichtiger eine Sensibilität für homosexuelle Menschen und deren Sozialisation zu haben. Kultursensible Pflege wird häufig mit Pflege von Migrant*innen verbunden, hier bedarf es in meinen Augen einer Erweiterung des Kulturbegriffes oder eines Diversity Ansatzes für das Merkmal der sexuellen Orientierung.

Die Pflege-Fachliteratur nähert sich der Thematik bereits im Altenpflege-Sektor, die Fachliteratur in der Gesundheits- und Krankenpflege hat hier aber noch Nachhol- und wesentlichen Verbesserungsbedarf. Angehende Pflegende müssen sich ihr Wissen selbst aneignen, wenn denn Interesse besteht, da die Thematik nicht regelhaft in den Pflege-Curricula angesiedelt ist. Ein vermeintliches Allgemeinwissen zu Homosexualität, welches durch Medien geprägt wird, ist an der Stelle für die professionelle Pflege nicht ausreichend.

Was kann das Pflege-Management bzw. Führungskräfte für ein diskriminierungsfreies Pflegeverhältnis tun? Welche konkreten Ansatzpunkte sehen Sie?

Aufklären, schulen, fortbilden, Vielfalt sichtbar machen, Vielfalt thematisieren und dies über alle Hierarchie-Ebenen hinweg und dies dann regelhaft und nicht einmalig.

Ein Pflege-Management, bzw. die Führungsebene eines Krankenhauses muss per Gesetz die Inhalte des AGG beachten. Darüber hinaus hat es etwas mit Haltung zu tun, wie mit Vielfalt in einem Krankenhaus umgegangen werden kann. Es reicht in meinen Augen nicht, die Gesetzeslage zu befolgen, aber nichts weiter inhaltlich zu machen.

Diversity Management-Strategien haben das Ziel Führungskräfte und Mitarbeitende zu sensibilisieren, aufzuklären und zu befähigen, mit der Vielfalt in einem Unternehmen umzugehen und Potenziale auszuschöpfen, die die Vielfalt an Menschen mit sich bringt.

Es gibt darüber hinaus Möglichkeiten z.B. der Charta der Vielfalt oder Bündnissen beizutreten (z.B. gegen Bündnis gegen Homophobie). Auch besteht mittlerweile die Chance sich in Bezug auf Vielfalt zertifizieren zu lassen. Hier ist das Qualitätssiegel Lebensort Vielfalt® oder das Zertifizierungs-Programm „Regenbogenschlüssel“ zu erwähnen. Die Zertifizierungen richten sich allerdings eher an Pflege-Einrichtungen.

Wichtig ist, dass die Zertifikate nicht nur als „Aushängeschilder“ genutzt werden. Vielfalt muss gelebt werden und dazu bedarf es einer Überprüfung der Strukturen und ein konsequentes Handeln der Führungskräfte, insbesondere wenn Defizite in diesen Bereichen erkennbar werden.

Ich würde mir auch ein mutigeres und selbstbewussteres Auftreten von Bewerber*innen in der Pflege wünschen, die gezielt nach Vielfalts-Strategien der Arbeitgebenden fragen und ihren Arbeitsplatz, gerade in Zeiten des Pflegefachkräfte-Mangels, auch nach diesen Kriterien mit auswählen.

Auch wenn viel in den letzten Jahren geschafft wurde, müssen wir weiter daran arbeiten LGBTIQ* Themen offen zu platzieren und die Sichtbarkeit zu verankern. Ich hoffe durch meine Arbeit weitere Forschende zu inspirieren, sich weiteren Themen anzunehmen, denn die Themenvielfalt ist groß. Wir müssen neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft verständlich in die Gesellschaft bringen und weitere Forschung betreiben.

Vielen Dank!

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