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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Artikel 3 GG ergänzen: Den Anfangsfehler endlich korrigieren

Homosexuelle wurden 1949 als einzige Opfergruppe der Nationalsozialisten bewusst nicht aufgenommen

Auch wenn Artikel 1 eigentlich jede Form von Diskriminierung und Ungleichbe­hand­lung ausschließen soll, erfolgt ein spezifiziertes Diskriminierungsverbot und Gleich­stellungsgebot in Artikel 3. Homosexuelle waren als einzige Opfergruppe der Nationalsozialisten 1949 bewusst nicht in Artikel 3 Absatz 3 aufgenommen worden.

Aus der historischen Erfahrung der Barbarei der NS-Zeit haben die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes eine Lehre gezogen. Auch wenn Artikel 1 eigentlich jede Form von Diskriminierung und Ungleichbe­hand­lung ausschließen soll, erfolgt ein spezifiziertes Diskriminierungsverbot und Gleich­stellungsgebot in Artikel 3. Trotzdem waren schwule Männer lange im demokratischen Nachkriegsdeutschland der oft lebenszerstörenden Verfolgung durch den § 175 StGB unterworfen, lesbische Frauen in einem freien und selbstbestimmten Leben gehindert. Homosexuelle waren als einzige Opfergruppe der Nationalsozialisten 1949 bewusst nicht in Artikel 3 Absatz 3 aufgenommen worden. Ein gravierender Anfangsfehler unserer Verfassung, der die Fortschreibung des Unrechts ermöglichte. Diesen Anfangsfehler zu korrigieren, ist Forderung und Ziel unseres Verbandes seit seiner Gründung.

Homosexuelle waren als einzige Opfergruppe der Nationalsozialisten 1949 bewusst nicht in Artikel 3 Absatz 3 aufgenommen worden

Der Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen von FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN zur Einfügung des Merk­mals „sexuelle Identität“ in die Auflistung der Diskriminierungsverbote von Absatz 3 bringt neue Bewegung in diese Bemühungen.

Die Union hat ihre strikte Ablehnung mittlerweile gewandelt. Es gibt Befürworter*innen einer Ergänzung und ablehnende Stimmen argumentieren nun vor allem, dass eine Er­gänzung deshalb nicht notwendig sei, weil Entscheidungen des Bundes­verfassungsgerichtes die sexuelle Identität in der Auslegung des Artikel 3 bereits schützen würden.

Sachsen-Anhalt hat 2020 Landesverfassung ergänzt

Gleichwohl haben mehrere Bundesländer seit 1992 – darunter auch solche mit Beteiligung der CDU als Regierungspartei - ihre Landesverfas­sungen um das Diskriminierungsmerkmal sexuelle Identität oder sexuelle Orientierung ergänzt. So hat 2020 Sachsen-Anhalt im Rahmen einer Reform der Landes­verfassung den Gleichheitsartikels 7 um das Diskriminierungsmerkmal „sexuelle Identität“ ergänzt. Nur die Hälfte der Bundesländer hat eigene Grundrechtskataloge in der Landesverfassung. Jetzt haben schon sechs davon ihren Grundrechtskatalog entsprechend erweitert.

Der Weg zur notwendigen 2/3 Mehrheit im Bundestag für eine Ergänzung des Grundgesetzes führt nur über die Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion. Deshalb führen Mitglieder des Bundes­vor­standes stetig Gespräche mit den Abgeord­ne­ten dieser Fraktion. Auch bei dem Treffen mit Bundeskanzlerin Merkel wurde das Thema diskutiert. Mit vorsichtigem Optimismus stellen wir dabei fest, dass es hier zu klar erkennbarer Bewegung in der Fraktion kommt. Zu dem anfangs erwähnten Gesetzentwurf gab es im Februar eine öffentliche Anhörung im Rechtsauschuss des deutschen Bundestages. Erstmalig hatte dazu die Unions-Fraktion als Sachverständigen eine Vertretung vom LSVD eingeladen.

Anhörung im Rechtsausschuss: LSVD als Sachverständiger für Union

Im Ergebnis hatten nahezu alle Sachverständi­gen eine Em­­pfehlung und Befürwortung für die Er­gänzung abgegeben. Le­dig­lich Professor Wollenschläger argumentierte zurückhal­tend, da nach seiner Meinung der angestrebte verfassungs­recht­liche Schutz schon vorhanden sei. Unterschiedliche Auf­fas­sungen gab es bei der im Grundgesetz aufzunehmenden Formulierung. Während der Großteil der Sachverständigen sich für die im Gesetzentwurf gewählte Terminologie „sexuelle Identität“ aussprachen, gab es auch eine Mindermeinung, die für den Begriff der „sexuellen Orientierung“ plädierte. Auch die Frage des verfassungsrechtlichen Schutzes für trans* und inter* Menschen wurde intensiv erörtert. Sie können sich auf den verfassungsrechtlichen Schutz durch den im Art. 3 GG vorhandenen Begriff „Geschlecht“ berufen.

Zusammen mit anderen LSBTI-Organisationen wird der LSVD intensiv daran arbeiten, mit gezielter Ansprache und Über­zeugungsarbeit den parlamentarischen Lauf des Gesetz­entwurfes positiv zu begleiten. Dabei gilt es auch, weitere Unter­stützende für die Grundgesetz-Ergänzung aus dem Feld der für die Unionsfrak­tion wich­tigen Organisationen zu gewinnen. Dazu gehören z. B. die Reli­gions­gemeinschaften, Wirtschaftsverbände und konservative Staatsrechtler*innen.

Der Anfangsfehler muss endlich korrigiert werden.

Axel Hochrein
LSVD-Bundesvorstand

Der Beitrag erschien auch in der neuen Ausgabe der LSVD-Zeitschrift respekt! vom Februar 2021.

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