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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Frei und sicher leben: Homophobe und transfeindliche Hasskriminalität entschieden bekämpfen

Beschluss des 32. LSVD-Verbandstags am 10. Oktober 2020

Tagtäglich werden in Deutschland Menschen angepöbelt, bedroht und angegriffen, weil die Täter*innen ihren Hass auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI) in Gewalt ausleben.

Tagtäglich werden in Deutschland Menschen angepöbelt, bedroht und angegriffen, weil die Täter*innen ihren Hass auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI) in Gewalt ausleben. Trotz vieler rechtlicher und gesellschaftlicher Fortschritte kann es sehr gefährlich sein, im öffentlichen Raum als LSBTI erkannt oder dafür gehalten zu werden. Allein der Anblick einer trans* Person oder eines lesbischen oder schwulen Paares kann Gewalttäter*innen motivieren, brutal zuzuschlagen. Eine demokratische Gesellschaft darf das nicht achselzuckend hinnehmen. Frei und sicher leben – das muss auch für LSBTI gelten.

Im Mai 2020 veröffentliche die EU-Grundrechte-Agentur die Ergebnisse ihres zweiten großen LSBTI-Surveys. Rund 16.000 Menschen hatten sich in Deutschland beteiligt. 45% der Befragten vermeiden es danach oft oder immer, mit ihrem Partner*/ ihrer Partnerin* in der Öffentlichkeit Händchen zu halten. Besonders groß wird die Bedrohung durch Anfeindungen auf der Straße und im Öffentlichen Nahverkehr erlebt. Wenn vor jedem verliebten Blick, vor einer Umarmung, vor einem Kuss im öffentlichen Raum zuerst die Umgebung gecheckt werden muss, ob jemand Wildfremdes einem womöglich anspucken, ins Gesicht schlagen oder in den Magen treten könnte, ist das eine erhebliche Einschränkung der Freiheit einer großen Bevölkerungsgruppe.

Aber wo bleibt der Aufschrei, wo bleiben öffentliche Empathie und Solidarität? Sie fehlen insbesondere bei den für die Kriminalitätsbekämpfung originär politisch Verantwortlichen. Noch nie hat der für innere Sicherheit zuständige Bundesinnenminister eine homophobe oder transfeindliche Gewalttat öffentlich verurteilt, noch nie hat er ein Wort zur Sicherheit von LSBTI gesagt, geschweige denn etwas dafür unternommen. Meist findet man in der Kriminalpolitik nicht einmal einen Funken von Problembewusstsein. Seit 1954 gibt es die Innenministerkonferenz als ständige Einrichtung. Noch nie stand auf einer dieser Innenministerkonferenzen homophobe oder transfeindliche Gewalt als Besprechungspunkt auf der Tagesordnung. In dem EU-Survey berichten 13% der Befragten aus Deutschland, dass sie in den letzten fünf Jahren gewalttätig angegriffen wurden, weil sie LSBTI sind. Angesichts solcher Zahlen ist diese Ignoranz unfassbar. Nicht nur Gewalt, auch Schweigen kann verletzen. Das muss ein Ende haben.

Aus LSBTI-feindlicher Gewalt spricht Hass. Die Täter*innen sehen sich oft als Vollstrecker eines von ihnen fantasierten Volkswillens. LSBTI gelten ihnen als minderwertig und vogelfrei. Sie wollen LSBTI aus dem öffentlichen Raum in die Unsichtbarkeit treiben. Wer über die homophoben und transfeindlichen Ausprägungen von Hasskriminalität konsequent schweigt, betreibt das gleiche Geschäft mit anderen Mitteln.

LSBTI-Feindlichkeit ist fast immer verwoben mit weiteren menschenfeindlichen Einstellungen. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) steht an der Seite all derjenigen, die in unserer Gesellschaft gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus und Sexismus kämpfen. Er solidarisiert sich ausdrücklich mit Bewegungen wie Black Lives Matter oder MeToo.

Die Haltung ändern: Empathie statt Ignoranz

Es ist zentrales Muster von Homophobie und Transfeindlichkeit, Diskriminierungen und Bedrohungen von LSBTI unsichtbar zu machen und zu bagatellisieren. Deswegen muss sich als erstes die Haltung in Politik, Behörden und auch Medien ändern. LSBTI-feindliche Gewalt ist keine Randerscheinung. Sie bedroht mitten in unserer Gesellschaft tagtäglich Menschen. Insbesondere darf Homophobe und transfeindliche Hetze darf niemals bagatellisiert und unter den Tisch gekehrt werden, denn aus Worten folgen Taten. Der Kampf gegen LSBTI-feindliche Gewalt muss endlich ihren angemessenen Stellenwert in der deutschen Kriminalpolitik, bei Erfassung, Prävention und Strafverfolgung erhalten.

Dazu gibt längst gute, jedoch noch wenige Beispiele: In Berlin werden seit einigen Jahren mutmaßliche homophobe oder transfeindliche Hintergründe von Straftaten ausdrücklich in den Polizeiberichten genannt. LSBTI-feindliche Hasskriminalität wird damit gesellschaftlich sichtbar gemacht. Das ist von zentraler Bedeutung. Berlin steht mit dieser Haltung aber bis heute weitgehend allein. Das muss sich ändern. Die Polizei in anderen Bundesländern ist aufgefordert, diesem Beispiel zu folgen.

Unabhängige Expert*innen-Kommission einsetzen für ein umfassendes Konzept gegen LSBTI-Feindlichkeit

Der LSVD fordert die Bundesregierung auf, unverzüglich eine unabhängige Expert*innen-Kommission einzusetzen, die eine systematische Bestandsaufnahme aller Erscheinungsformen von LSBTI-Feindlichkeit und damit verbundener Hasskriminalität erarbeitet und der Bundesregierung sowie dem Bundestag einen Lagebericht mit Handlungsempfehlungen vorlegt. Solche Kommissionen wurden bereits zu Antisemitismus und Antiziganismus eingesetzt und haben sich bewährt.

Der Expert*innen-Kommission sollen Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft, insbesondere LSBTI-Organisationen, Wissenschaft, Justiz und Sicherheitsbehörden angehören, darunter auch erfahrene Praktiker*innen aus dem Kreis der Ansprechpersonen für LSBTI bei Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften.

  • Aktionsplan entwickeln: Die Kommission soll insbesondere Empfehlungen für einen Nationalen Aktionsplan für Vielfalt und zur Bekämpfung von Homophobie und Transfeindlichkeit erarbeiten, der diesen Namen auch verdient. Er muss klare zeitlich definierte Zielvereinbarungen, belastbare Selbstverpflichtungen der zuständigen staatlichen Stellen und angemessene Haushaltsmittel zur Prävention und Bekämpfung von Homophobie und Transfeindlichkeit enthalten.
  • Bund-Länder-Programm auflegen: Bestandteil dieses Aktionsplans muss ein Bund-Länder-Programm gegen LSBTI-feindliche Gewalt sein. Die eklatanten Forschungslücken im Hinblick auf LSBTI-feindliche Hasskriminalität müssen endlich angegangen werden. Es braucht mehr empirische Daten über Ausmaß, Erscheinungsformen und Hintergründe sowie Erkenntnisse über den Umgang von Sicherheitsbehörden und Justiz mit diesen Ausprägungen von Hasskriminalität. Ebenso braucht es zielgenaue Konzepte zur Prävention, zur Aus- und Fortbildung von Polizei und Justiz sowie zur ausreichenden Unterstützung von Opferhilfe-Einrichtungen.

Sofortmaßnahmen im staatlichen Handeln

Viele praktische Verbesserungen könnten sofort umgesetzt werden, ohne dass hier auf die Ergebnisse der geforderten Kommission abgewartet werden müssten:

  • Bessere Erfassungsmethoden: Notwendig ist eine Reform der polizeilichen Erfassungsmethoden, damit ein realitätsgerechtes Lagebild über LSBTI-feindliche Hasskriminalität entsteht. Nur ein Bruchteil LSBTI-feindlicher Hasskriminalität wird angemessen registriert und klassifiziert. Die bisherige Erfassung unter „Politisch motivierte Kriminalität“ greift methodisch zu kurz und verstellt häufig den Blick. Zweifelsohne gehören Homophobie und Transfeindlichkeit zum Kernbestand menschenfeindlicher Ideologien wie Rechtsextremismus oder Islamismus. Hasskriminalität geschieht aber weit über den Bereich des politischen Extremismus hinaus. Beides ist in den Blick zu nehmen.
  • Zusammenarbeit mit LSBTI-Organisationen: Die Behörden müssen bei der Bekämpfung homophober und transfeindlicher Gewalt verstärkt mit LSBTI-Organisationen zusammenarbeiten, um Vertrauen zu schaffen, Opfern angemessen zu helfen und damit die Anzeigebereitschaft zu steigern. Es müssen in deutlich mehr Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften Ansprechpersonen für LSBTI bestellt werden, wie dies in einigen Städten längst erfolgreich praktiziert wird.
  • Wirksame Schutzkonzepte für Aufnahmeeinrichtungen: Überall dort, wo Menschen von Staats wegen in besonderen Einrichtungen leben (müssen), muss der Schutz vor Anfeindungen und LSBTI-feindlicher Hasskriminalität gewährleistet werden. Es gibt zahlreiche Berichte, dass LSBTI-Geflüchtete in Aufnahmeeinrichtungen eingeschüchtert, drangsaliert und bedroht werden. Behörden und Träger müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit Geflüchtete keine Gewalt erfahren, weder außer- noch innerhalb der Unterkünfte. Hier braucht es verbindliche Gewaltschutzmaßnahmen und Präventionskonzepte.
  • Inklusion von LSBTI: In allen bestehenden Präventionsprogrammen gegen Mobbing und Gewalt muss auch LSBTI-feindliche Hasskriminalität angemessen berücksichtigt werden. Bei der Umsetzung des "Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt" (Istanbul-Konvention) müssen ausdrücklich auch die Belange lesbischer, bisexueller, trans- und intergeschlechtlicher Frauen selbstverständlicher und sichtbarer Bestandteil der Maßnahmen sein.
  • Schutz vor Gewalt in der Familie: Viele LSBTI, insbesondere junge Menschen, erfahren Anfeindungen und Gewalt in der eigenen Familie. Schule und Jugendhilfe müssen stärker für die Bedrohungen von LSBTI durch häusliche Gewalt in Familien sensibilisiert werden. Die dort Beschäftigten müssen qualifiziert sein, diese Bedrohungen zu erkennen, um die Betroffenen angemessen zu schützen und zu unterstützen.

Sofortmaßnahmen in der Gesetzgebung

Auch in der Gesetzgebung sind sofortige Schritte möglich und nötig:

  • Ergänzung der Strafvorschriften zur Hasskriminalität: Die Regierungskoalition von CDU/CSU und SPD weigert sich hartnäckig, LSBTI-Feindlichkeit in den 2015 in das Strafgesetzbuch eingeführten und 2020 erweiterten Bestimmungen zur Hasskriminalität ausdrücklich zu benennen. Sie praktiziert damit selbst das homophobe und transfeindliche Muster der Unsichtbarmachung. Das muss umgehend korrigiert werden. Denn alle Erfahrung zeigt: Solange homophobe und transfeindliche Hasskriminalität nicht ausdrücklich im Gesetz benannt ist, werden diese Motive in der Praxis der polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen und damit auch bei der Strafzumessung wenig Beachtung finden. § 46 Abs. 2 StGB (Strafzumessung / Hasskriminalität) und § 130 StGB (Volksverhetzung) müssen entsprechend ergänzt werden.
  • Wirksamer Diskriminierungsschutz: Der Diskriminierungsschutz im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) muss ausgebaut und wirksamer gestaltet werden. So muss auch staatliches Handeln umfassend in den Anwendungsbereich des AGG einbezogen werden. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) muss in ihren Befugnissen, ihrer unabhängigen Stellung und ihrer finanziellen Ausstattung gestärkt werden, damit sie effektiv Anfeindungen entgegentreten und vor allem vorbeugen kann. Zahlreiche Ausnahmeregelungen im AGG müssen beseitigt und ein echtes Verbandsklagerecht für Antidiskriminierungsverbände eingeführt werden.
  • Grundgesetz ergänzen: Gerade in einer Zeit, in der Hass und Hetze wieder deutlich lautstärker geworden sind, braucht es eine klare verfassungsrechtliche Absicherung, dass staatliche Ausgrenzung, Unterdrückung und Verfolgung in Deutschland nie wiederkehren können. Deshalb muss Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes endlich um ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Identität ergänzt werden, auch als Handlungsauftrag gegen LSBTI-Feindlichkeit.

Resolution: "Frei und sicher leben: Homophobe und transfeindliche Hasskriminalität entschieden bekämpfen" als pdf

(beschlossen auf dem 32. LSVD-Verbandstag, 10. Oktober 2020)