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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Teilverbot von Umpolungsangeboten

Gesetz hätte effektiver schützen müssen

Seit Juni 2020 sind Umpolungsversuche an Minderjährigen in Deutschland verboten. Doch was ein toller Erfolg hätte sein können, droht ein zahnloser Tiger zu werden. Aufgrund erheblicher Mängel steht zu befürchten, dass mit dem Gesetz ein effektiver und konsequenter Schutz für Lesben, Schwule, bisexuelle und transgeschlechtliche Menschen nicht erreicht werden kann.

Seit Juni 2020 sind Umpolungsversuche an Minderjährigen in Deutschland verboten. Doch was ein toller Erfolg hätte sein können, droht ein zahnloser Tiger zu werden. Aufgrund erheblicher Mängel steht zu befürchten, dass mit dem Gesetz ein effektiver und konsequenter Schutz für Lesben, Schwule, bisexuelle und transgeschlechtliche Menschen nicht erreicht werden kann. Das ist umso ärgerlicher, weil der Gesetzgeber den weitgehend einheitlichen Empfehlungen von Fachverbänden und Community trotz eines langwierigen Beteiligungsprozesses nicht gefolgt ist.

Positiv hervorzuheben sind jedoch auch die Verbesserungen, die seit dem Referentenentwurf aus dem Gesundheitsministerium erstritten werden konnte. So umfasst das Gesetz nun Konversions­be­hand­lungen bei transgeschlechtlichen Menschen, und die Schutzalters­grenze wurde im Laufe des Gesetzesverfahrens von 16 auf 18 Jahre erhöht. Das Werbeverbot umfasst zudem auch das nicht-öffentliche Werben, Anbieten und Vermitteln solcher Angebote an über 18-Jährige. Unsere Kritik entzündet sich jedoch vor allem an drei Schwachstellen im Gesetz.

Was sind „am Menschen durchgeführte Behandlung“?

Verboten sind „am Menschen durchgeführte Behandlungen, die auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der selbstempfundenen geschlechtlichen Identität gerichtet sind“. Allerdings ist der Begriff der Behandlung positiv konnotiert und suggeriert ein Heilungsversprechen und ein erreichbares Behandlungsziel. Gravierender aber ist, dass unklar bleibt, ob Maßnahmen darunterfallen, die nicht unmittelbar physisch eingreifen, wie z.B. Exorzismus oder psychische Manipulationen. Diese Schutzlücke gilt auch für Angebote an Minderjährige!

Schutzaltersgrenze von 18 Jahren

Das Gesetz erlaubt die Durchführung dieser Maßnahmen an Volljährigen, wenn eine informierte Einwilligung vorliegt. Die Idee der wirksamen informierten Einwilligung in Konversions­maßnahmen begegnet ohnehin grundsätzlich erheblichen rechtlichen Bedenken. Bei jungen Menschen in der Altersgruppe zwischen 18 und 26 Jahren ist zudem vielfach ein vergleichbarer Schutzbedarf wie bei Minderjährigen gegeben, gerade auch was Coming-out-Verläufe und familiäre Abhängigkeiten angeht. Im Alter von 18 Jahren besuchen potenziell Betroffene häufig noch die Schule, leben oftmals noch im Elternhaus und sind in finanzieller Hinsicht von ihren Eltern abhängig. Die besondere Schutzpflicht des Staates erfordert daher eine höhere Schutzaltersgrenze von 26 Jahren.

Straffreiheit für Sorgeberechtigte

Zudem fordern wir die generelle Strafbarkeit auch bei der Mit­wirkung von Erziehungsberechtigten an diesen Umpolungsmaßnahmen an Minder­jährigen. Anders als das Gesetz suggeriert, sehen wir in einer Einwilligung nicht nur in Ausnahmefällen, sondern immer eine „gröbliche Verletzung“ der Fürsorge- und Erzieh­ungs­pflicht. Die Eltern haben gerade eine besondere Pflicht, ihre Kinder vor gefährlichen Behandlungen zu schützen.

Weitere Maßnahmen für gesellschaftliche Ächtung

Vor allem religiöse Autoritäten wie die Deutsche Bischofskonferenz oder die EKD müssen vor solchen gefährlichen Pseudo-Therapien warnen. Zudem muss das Thema in die Lehrpläne der Schulen aufgenommen werden. Das Anbieten oder Empfehlen sollte einen Ausschluss aus Wohlfahrtsverbänden sowie die Aberkennung des Status der Gemeinnützigkeit oder als freier Träger der Jugendhilfe zur Folge haben. Schließlich ist es erforderlich, für betroffene Jugendliche ein nachhaltig finanziertes Beratungsangebot dauerhaft sicherzustellen.
Zu befürchten ist jedoch, dass das Thema mit der Verabschiedung des Teilverbots politisch ad acta gelegt wird und von der öffentlichen Agenda verschwindet. Als Community müssen wir weiter Druck machen, sodass die nächsten Schritte nicht zu lange auf sich warten lassen. Das sind wir den Betroffenen schuldig.

Markus Ulrich
LSVD-Pressesprecher

Der Beitrag erschien auch in der neuen Ausgabe der LSVD-Zeitschrift respekt! vom Februar 2021.

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