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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Bundesregierung plant Verbot unnötiger OPs an intergeschlechtlichen Menschen

Körperliche Unversehrtheit von inter* Kindern endlich sichern

Insgesamt ist der Gesetzentwurf ein wichtiger und längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung, um die menschenrechtswidrige Praxis der Verstümmelung intergeschlechtlicher Kinder endlich zu beenden. Wir hoffen, dass der Bundestag unsere Forderungen aufgreift und nachbessert, um einen noch besseren Schutz der Kinder zu gewährleisten.

Inter* Menschen erleben das Gesundheitswesen oft als Ort der Gewalt. Eine inter*sensible und akzeptierende Gesundheitsversorgung ist nicht gegeben. Intergeschlechtlichkeit gilt vielmehr als „Krankheit“, „Störung“ oder „Abweichung“. Mithilfe dieser medizinischen Kategorisierung nehmen Ärzt*innen in Deutschland bis heute irreversible, verstümmelnde Eingriffe und hormonelle Behandlungen an inter* Kindern und Jugendlichen vor.

Jahr für Jahr werden an die 2.000 „feminisierende“ oder „maskulinisierende“ Operationen allein an Kindern unter zehn Jahren durchgeführt. Obwohl bestehende medizinische Leitlinien von diesen Eingriffen abraten.

Kabinettsentwurf will Kinder mit Varianten der Geschlechtsentwicklung schützen

Diese „normalisierenden“ OPs sind keine Heileingriffe, sondern verletzen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und verstoßen gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Der LSVD fordert seit Langem, dass chirurgische, medikamentöse und hormonelle Eingriffe ausschließlich nach einer informierten Einwilligung der betroffenen Menschen erfolgen dürfen.

Als eine der wenigen konkreten queerpolitischen Vereinbarungen will die Große Koalition diese unnötigen OPs endlich verbieten. Im Herbst 2020 hat die Bundesregierung nun einen entsprechenden Kabinettsentwurf beschlossen. Vorgesehen ist ein Verbot medizinischer Behandlungen an Kindern mit Varianten der Geschlechtsentwicklung, die allein in der Absicht erfolgen, das körperliche Erscheinungsbild an das des männlichen oder weiblichen Geschlechts anzupassen. Operative Eingriffe an den Geschlechtsmerkmalen dürfen darüber hinaus nur vorgenommen werden, wenn sie nicht bis zur selbstbestimmten Entscheidung des Kindes aufgeschoben werden können. Ein Familiengericht soll prüfen, ob der geplante Eingriff dem Kindeswohl entspricht. Legen die Eltern dem Gericht eine befürwortende Stellungnahme einer interdisziplinären Kommission vor, wird dies vermutet. Ohne eine gerichtliche Genehmigung werden operative Eingriffe strafbar, es sei denn, sie sind zur Abwehr einer Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Kindes erforderlich und nicht aufschiebbar.

Missbrauchspotenziale verringern und effektive Strafverfolgung ermöglichen

In unserer Stellungnahme kritisieren wir vor allem, dass der Gesetzentwurf keine Maßnahmen vorsieht, die eine Umgehung des Verbots verhindern oder eine effektive Strafverfolgung ermöglichen. Da das geplante Verbot nur Kinder mit der medizinischen Diagnose „Variante der Geschlechtsentwicklung“ schützen soll, besteht eine große Umgehungsgefahr, indem Kinder aus dem Anwendungsbereich „hinausdefiniert“ werden. Noch immer wird Intergeschlechtlichkeit als „abnormal“ betrachtet, weshalb Eltern häufig unter dem fatalen Eindruck stehen, ihrem Kind mit einer „normalisierenden“ OP ein besseres Leben zu ermöglichen.

Der LSVD fordert deshalb die Einrichtung eines zentralen Melderegisters und umfassender Melde- und Dokumentationspflichten. Alle Eingriffe an Geschlechtsmerkmalen von Kindern müssen gemeldet und umfassend dokumentiert werden, Patient*innenakten müssen zentral aufbewahrt werden und dürfen nur den Betroffenen zugänglich sein. Die Verfolgungsverjährung muss deutlich verlängert und Auslandsumgehungen gesetzlich verboten werden.

Weiterhin fordern wir eine Beratungspflicht durch qualifizierte Peer-Berater*innen vor jedem Eingriff. Eltern und Kinder müssen umfassend und vorurteilsfrei über die mit der Behandlung verbundenen Folgen und Alternativen aufgeklärt werden.

Insgesamt ist der Gesetzentwurf ein wichtiger und längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung, um die menschenrechtswidrige Praxis der Verstümmelung intergeschlechtlicher Kinder endlich zu beenden. Wir hoffen, dass der Bundestag unsere Forderungen aufgreift und nachbessert, um einen noch besseren Schutz der Kinder zu gewährleisten.

Markus Ulrich, LSVD-Pressesprecher
Sarah Ponti, LSVD-Grundsatzreferentin

Der Beitrag erschien auch in der neuen Ausgabe der LSVD-Zeitschrift respekt! vom Februar 2021.

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