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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Homo- und Bisexualität als Fluchtgrund

LSVD und geflüchtete Aktivist*innen diskutieren mit Richter*innen und Anwält*innen

Vier queere geflüchtete Aktivist*innen, alle Mitglied des Empowerment-Netzwerks des bundesweiten LSVD-Projektes „Queer Refugees Deutschland“, berichteten von ihren Erfahrungen in ihren Herkunftsländern und mit dem Asylverfahren

Gruppenbild von queeren Geflüchteten aus LSVD-Projekt Queer Refugees Deutschland

Jedes Jahr flüchten unzählige lesbische, schwule und bisexuelle Personen nach Deutschland, da ihnen in ihren Herkunftsländern aufgrund ihrer sexuellen Orientierung Verfolgung seitens des Staates, der Familie oder der Gesellschaft Gefahr droht. In 70 Staaten werden einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen mit Haftstrafen geahndet, in elf von diesen Staaten ist sogar die Todesstrafe möglich.

Immer wieder klagen lesbische, schwule und bisexuelle Geflüchtete gegen negative Bescheide

Dabei stellen die Asylanträge dieser lesbischen, schwulen und bisexuellen Geflüchteten die staatlichen Stellen in Deutschland – an erster Stelle das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) – immer wieder vor besondere Herausforderungen. Da oft keine oder kaum Beweise für die vorgebrachte sexuelle Orientierung und die daran geknüpfte Verfolgung vorgebracht werden können, müssen sie oft vor allem anhand des Vortrags der Antragsteller*innen darüber entscheiden, ob diese in Deutschland Schutz erhalten oder abgeschoben werden sollen. Die damit verbundenen Schwierigkeiten, aber auch die oft nur sehr begrenzten Informationen über die Situation queerer Personen in den Herkunftsländern sowie Unsicherheiten in der rechtlichen Beurteilung LSBTI-feindlicher Verfolgungshandlungen, tragen immer wieder dazu bei, dass LSBTI-Antragsteller*innen vor Gericht Klage gegen negative Asylbescheide einreichen und in vielen Fällen auch Recht bekommen.

Vor diesem Hintergrund lud die katholisch-soziale „Akademie Franz Hitze Haus“ den LSVD sowie vier geflüchtete Aktivist*innen ein, sich mit Richter*innen und Anwält*innen zu Fragen im Umgang mit Homo- und Bisexualität im Asylverfahren auszutauschen. Die Veranstaltung fand am 16. März 2021 als Online-Seminar in enger Kooperation mit dem katholischen Büro in Berlin (Kommissariat der deutschen Bischöfe) und der Caritas statt.

Unsicherheit über Rechtsprechung von EuGH und Bundesverfassungsgericht bei Richter*innen und Anwält*innen

Den Einstieg machten Patrick Dörr (LSVD-Bundesvorstand) und Philipp Braun (ehemaliger ILGA-Co-Generalsekretär) und besprachen mit den 41 zugeschalteten Richter*innen, Anwält*innen und auch BAMF-Mitarbeiter*innen zahlreiche juristische Aspekte, die bei Gerichtsverfahren gegen negative Bescheide lesbischer, schwuler und bisexueller Antragsteller*innen immer wieder eine Rolle spielen.

Besonders spannend war hierbei die Diskussion darüber, wie vor dem Hintergrund der Rechtsprechung von EuGH und Bundesverfassungsgericht die Gefährdungswahrscheinlichkeit zu beurteilen ist, wenn Antragsteller*innen in ihren Herkunftsländern weitgehend ungeoutet gelebt haben, und sich so vor akuter Verfolgung bis zu einem gewissen Grad hatten schützen können.

So sind dem LSVD beispielsweise zahlreiche Fälle bekannt, in denen das BAMF schwulen Iranern und Pakistanern keinen Schutz gewährte, da es unwahrscheinlich sei, dass diese in ihren Herkunftsländern tatsächlich Verfolgung erleben würden – zumeist unter der Annahme, dass sie dort weiter ungeoutet leben würden.

LSVD-Projekt "Queer Refugees" - Erfahrungsberichte von Geflüchteten aus Ägypten, Armenien, Tunesien und dem Iran 

Vier queere geflüchtete Aktivist*innen, alle Mitglied des Empowerment-Netzwerks des bundesweiten LSVD-Projektes „Queer Refugees Deutschland“, ergänzten diese juristischen Diskussionen um Erfahrungsberichte aus ihren Herkunftsländern und mit dem Asylverfahren.

Ahmad Khalid* aus Ägypten schilderte hierbei die massiven Probleme während seiner Anhörung, vor allem mit einem massiv homophoben Sprachmittler, berichtete aber auch von der systematischen Verfolgung der LSBTI*-Community durch den ägyptischen Staat. Die Lage vor Ort habe sich einem Konzert der Band Mashrou Leila September 2017 noch einmal massiv zugespitzt, der Staat gehe seitdem systematisch und zielgerichtet gegen die queere Community vor.

Meri Petrosyan aus Armenien erzählte von den in ihrem Heimatland stark verankerten homophoben Einstellungen. Lesben, Schwule und Bisexuelle seien der weit verbreiteten homophoben Gewalt somit schutzlos ausgeliefert – die Polizei sei zumeist selbst homophob und biete daher in der Regel keinen Schutz. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass das BAMF diese gesellschaftlichen Realitäten in dem relativ kleinen Staat nicht wirklich anerkennt, in dem jeder jeden kenne und unterzutauchen praktisch unmöglich sei.

Pamir Ceyhan* aus dem Iran stelle die massive Verfolgung von queeren Menschen im Iran dar, wo beispielsweise gleichgeschlechtliche Handlungen zwischen Männern weiterhin mit der Todesstrafe geahndet werden können. Nicht nur an vielen transgeschlechtlichen Personen, die keine Operation wünschen, sondern auch an Lesben und Schwulen würden weiterhin gegen deren Willen operative, sie verstümmelnde Eingriffe durchgeführt. Leider hätten er und sein türkischer Ehemann dann in Deutschland massive Schwierigkeiten gehabt, gemeinsam als schwules Paar als schutzberechtigt anerkannt zu werden.

Positive Erfahrungen mit dem Asylverfahren hingegen machte der LSBTI-Aktivist Baküs Mejri. In seinem Vortrag schilderte er vor allem den Umgang der tunesischen Polizei mit queeren Personen. Diese biete keinen Schutz vor LSBTI-feindlicher Gewalt und nutze sogar selbst immer wieder Sittengesetze, um willkürlich als queer vermutete Personen zu verhaften. In Haft würden diese dann international als Folter anerkannten Analtests unterzogen, um damit – so die irrige Vorstellung – Homosexualität nachzuweisen.

„Mit ihren vier Lebensgeschichten haben die Aktivist*innen für uns alle noch einmal sehr erlebbar gemacht, welches Leben für Lesben, Schwule und Bisexuelle in vielen Ländern überhaupt nur möglich ist, wenn sie sich täglich vor dem Staat, der Gesellschaft und oft sogar der eigenen Familie verstecken müssen“, so Henny Engels, die die Veranstaltung ebenfalls von Seiten des LSVD-Bundesvorstands begleitete. „Besonders bedanken möchte ich mich auch bei der Caritas, dem katholischen Büro und dem Kommissariat der Deutschen Bischöfe, die diese Veranstaltung zu queeren Geflüchteten unterstützt und überhaupt erst möglich gemacht haben“, so Engels weiter.  

Patrick Dörr / Philipp Braun

*Es handelt sich hierbei nicht um den tatsächlichen Namen der Person, sondern um ein Pseudonym.

Das Foto entstand beim 6. Vernetzungstreffen und Empowerment-Workshop des LSVD-Projekts "Queer Refugees Deutschland". Daran haben auch die vier Geflüchteten teilgenommen, die hier von ihren Erfahrungen berichten: Pamir (ganz rechts, gelber Kragen), Ahmad (im hellen Pullover unter der Regenbogenfahne), Meri (unterste Reihe, rechts) und Baküs (links daneben).

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