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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

LSVD-Kritik am New Pact on Migration and Asylum der EU-Kommission

Geplante Verfahren gefährden Menschenrechte queerer Geflüchteter

Vorschläge des New Pact on Migration and Asylum stehen in krassem Widerspruch zu der LSBTIQ-Gleichstellungsstrategie 2020-2025. Der LSVD fordert die Bundesregierung und die deutschen EU-Abgeordneten auf, sich gegen den New Pact on Migration and Asylum zu stellen.

Stacheldrahtzaun

Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) lehnt die Vorschläge der EU-Kommission für einen New Pact on Migration and Asylum vehement ab. Das am 23. September 2020 von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgestellte Asylpaket will Asylgrenzverfahren und Rückführungsgrenzverfahren einführen. Das würde gerade auch für lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche (LSBTI) Geflüchtete die Möglichkeit aushöhlen, in der EU und in Deutschland Schutz zu erhalten.

Sollten die Vorschläge umgesetzt werden, ist überdies davon auszugehen, dass LSBTI-Geflüchtete regelmäßig bis zu 24 Wochen unter Haftbedingungen in Sammelunterkünften an der EU-Außengrenze untergebracht werden. Damit werden sie einer massiven Gefährdung ausgesetzt. Die bestehenden Probleme bei der EU-weiten Verteilung der Geflüchteten – Stichwort Dublin – löst der Kommissionsvorschlag überdies nicht.

Personen, die irregulär über die europäischen Land- oder Seegrenzen einreisen, sollen nach Wunsch der EU-Kommission in Zukunft an der Außengrenze in großen Sammelunterkünften untergebracht werden und dort auch ihre Asylanträge stellen. Dieses Verfahren soll vor allem dazu dienen, Geflüchtete auszusieben, die nur noch Anspruch auf ein sogenanntes Asylgrenzverfahren haben sollen, statt wie bisher auf ein reguläres Asylverfahren in einem EU-Mitgliedstaat.

Betroffen hiervon sollen unter anderem Personen sein, die aus Ländern stammen, bei denen die EU-weite Quote der Schutzgewährung unter 20 % liegt. Zu dieser Gruppe gehören oftmals LSBTI-Geflüchtete, die vor staatlicher Verfolgung und Kriminalisierung fliehen. Während des angedachten Screenings leben die Antragsteller*innen quasi unter Haftbedingungen, und auch während eines folgenden Grenzverfahrens und eines sich im negativen Falle anschließenden Rückführungsverfahrens drohen haftähnliche Bedingungen an der EU-Außengrenze. Faire Asylverfahren werden unter diesen Bedingungen nicht nur kaum möglich sein, sondern sollen durch weitere Regelungen offensichtlich bewusst verhindert werden.

Kritik am Screening

Grundsätzlich ist zwar zu befürworten, dass ein Screening stattfinden soll, in dem auch Vulnerabilitäten ermittelt bzw. angegeben werden können. Der vorgeschlagene New Pact on Migration and Asylum lässt jedoch vollkommen offen, ob LSBTI in diesen Verfahren überhaupt als vulnerabel angesehen werden. So gelten sie zwar in Deutschland mittlerweile als vulnerable Gruppe – eine entsprechende europaweite Regelung ist aber bisher am Widerstand einiger Mitgliedstaaten gescheitert.

Die Erfahrung aus der Arbeit mit LSBTI-Geflüchteten zeigt überdies: Viele schaffen es erst nach Monaten oder Jahren, sich als queere Person zu outen. Bei vielen ist die Angst oder Scham zu groß, die sie ein Leben lang begleitet haben. Es ist davon auszugehen, dass es nur ein Bruchteil der LSBTI-Geflüchteten an den abgeschotteten Außenlagern schaffen wird, sich gegenüber den Mitarbeiter*innen im Screening zu outen.

Hinzu kommt, dass es gemäß den Vorschlägen offen bleibt, ob dieses Screening von einer Asylbehörde oder nicht beispielsweise von der nationalen Polizei durchgeführt wird. Ein Rechtsbehelf ist gegen das Screening ebenfalls nicht vorgesehen. Das heißt, gegen eine fälschliche Zuteilung ins Asylgrenzverfahren kann auch nicht vorgegangen werden. Es muss also davon ausgegangen werden, dass die Mehrzahl der aus LSBTI-Verfolgerstaaten wie Marokko, Ägypten und Uganda kommenden queeren Antragsteller*innen fälschlicherweise in Asylgrenzverfahren überführt werden.

Kritik am Asylgrenzverfahren

Im Regelfall soll das Asylgrenzverfahren bis zu zwölf Wochen dauern. Während dieser Grenzverfahren soll überdies die Fiktion der Nicht-Einreise gelten. Hiermit soll voraussichtlich verhindert werden, dass Antragsteller*innen innerhalb der EU in einen anderen Mitgliedstaat reisen können. Es ist daher davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten an der EU-Außengrenze haftähnliche Bedingungen herstellen werden, um solch eine Sekundärmigration bzw. Weiterreise auch faktisch zu unterbinden.

Diese haftähnlichen Bedingungen wären vor allem auch für LSBTI-Geflüchtete fatal: Viele von ihnen öffnen sich erfahrungsgemäß im ersten Schritt nur gegenüber LSBTI-Organisationen, um dort dann das nötige Vertrauen zu finden, sich auch gegenüber staatlichen Stellen zu outen. Da sie die Lager dann nicht mehr verlassen dürfen, wird ihnen der Zugang zu diesen LSBTI-Organisationen damit  jedoch systematisch verwehrt. Sie werden  mit ihren spezifischen Ängsten und Fragen vollkommen allein gelassen. Dabei muss die Gefährdungslage in den Sammelunterkünften als lebensbedrohlich angesehen werden.

Von queeren Antragsteller*innen zu erwarten, dass sie sich in diesem Umfeld kurz nach Ankunft in einem Screening outen, ist mehr als zynisch. Der Rechtsweg im Asylgrenzverfahren soll überdies auf eine Instanz begrenzt werden. Klagen sollen keine aufschiebende Wirkung haben. Sollte es LSBTI-Geflüchteten unter diesen Bedingungen dennoch gelingen, gegen einen negativen Bescheid zu klagen, könnten sie trotzdem aus der Klage heraus abgeschoben werden.

Kritik am Rückführungsgrenzverfahren

Wird ein Antrag negativ beschieden, durchläuft die Person gemäß den Vorschlägen der EU-Kommission ein sogenanntes Rückführungsgrenzverfahren, das ebenfalls bis zu zwölf Wochen dauern kann. Die Personen werden auch hier in Grenznähe und voraussichtlich unter faktischen Haftbedingungen untergebracht. Es droht also, dass Geflüchtete bis zu 24 Wochen faktisch inhaftiert werden, und dies in einem Kontext, in dem queere Geflüchtete gezwungen sind, sich zu verstecken, um Gewalt und Diskriminierung zu entgehen. Gerade für Geflüchtete, denen dies wie beispielsweise vielen transgeschlechtlichen Geflüchteten nicht möglich ist, bedeutet dies eine massive jahrelange Gefährdungslage.

Die genannten Regelungen sollen im Falle einer Krise – gemeint ist hier ein drohender oder bestehender Zustrom einer großen Zahl Geflüchteter in einen EU-Mitgliedstaat – noch einmal massiv verschärft werden. Außerdem soll die Rückführung in sogenannte „sichere Drittstaaten“ ausgebaut werden. Dies könnte auch – ganz ähnlich wie es bereits mit dem EU-Türkei-Deal erfolgte – dazu führen, dass viele LSBTI-Geflüchtete gar nicht mehr die Möglichkeit erhalten, in der EU Asyl zu beantragen. Schaut man sich an, welche Staaten vor allem an der EU-Außengrenze als solch „sichere“ Drittstaaten in Frage kommen – so vor allem die LSBTI-Verfolgerstaaten in Nordafrika – wie zynisch dieses Konzept ist.

Pläne der EU-Kommission widersprechen eigener LSBTIQ-Gleichstellungsstrategie 

Die Vorschläge des New Pact on Migration and Asylum stehen dabei in krassem Widerspruch zu der am 12. November 2020 von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgestellten LSBTIQ-Gleichstellungsstrategie 2020-2025. Die „Sicherstellung eines angemessenen Schutzes schutzbedürftiger Antragsteller (einschließlich LGBTIQ) im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems und bei seiner Reform“, wie es in der Gleichstellungsstrategie heißt, ist in jedem Falle mit der Einrichtung von Massenunterkünften an der EU-Außengrenze, in denen LSBTI-Geflüchtete unter haftähnlichen Bedingungen von der Community abgeschottet in einem Klima der Angst leben müssen, vollkommen unvereinbar.

Der LSVD fordert daher die Bundesregierung und die deutschen EU-Abgeordneten auf, sich gegen den New Pact on Migration and Asylum zu stellen. Alles andere würde das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl und die für Deutschland aus der Genfer Flüchtlingskonvention resultierenden internationalen Verpflichtungen vollkommen konterkarieren. Vielmehr gilt es, endlich ein Europa-weites Asylsystem zu schaffen, das die jeweiligen Bedarfe der Geflüchteten und ihren Schutz in den Mittelpunkt stellt. Ein vollkommen defizitäres Screening an der Außengrenze, die Unterbringung von Geflüchteten unter Haftbedingungen und das systematische Aushöhlen des Rechtsweges gehen dabei komplett in die falsche Richtung.

Wir gehören auch zu den Erstunterzeichnenden des Appells von Pro Asyl an das EU-Parlament: Wir sagen »Nein zu einem Europa der Haft- und Flüchtlingslager«

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