“Unsere Historien und der dennoch unterschiedliche Kampf um Menschenrechte sind ineinander verwoben”
Grußwort von Hannelore Buls, Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, gehalten auf dem Festakt zum 25jährigen LSVD-Jubiläum am 25. April 2015
Sehr geehrter Damen und Herren Vorsitzenden, BotschafterInnen,
Abgeordnete, Delegierte und Gäste,
weiter hinten in einer Redeliste zu sein bedeutet, ich konnte getrost davon ausgehen, dass alles Wichtige und Richtige bereits gesagt worden ist. Deshalb habe ich mir überlegt, eine kleine wahre Geschichte zu erzählen, die auch etwas mit unserer gemeinsamen Historie zu tun hat, wie ich finde.
Vor kurzem habe ich im Kino „Imitation Game“ gesehen. Kennen Sie den Film? Sehr beeindruckend! Er wurde zu Recht auf der Berlinale 2015 gezeigt. Es geht um das Knacken des Codes der von den Deutschen im zweiten Weltkrieg entwickelten „Enigma“. Mit dieser Verschlüsselungsmaschine wurden die Bombadierungs-Pläne zwischen den deutschen Truppen verschickt. Also eine im wahrsten Sinne lebenswichtige Aufgabe. So ist es auch kein Wunder, dass die englische Krone ihre besten Militärs und Wissenschaftler daran setzte. Das Problem: Sie konnten es alle nicht. Der etablierte Apparat versagte, die Menschen starben weiter. Bis die Vergabe dieser Aufgabe geöffnet wurde. Ich muss die Geschichte hier leider abkürzen, obwohl das sehr schade ist. Im Verlauf des Films ist erkennbar: Ein schwuler Mathematiker, dessen Genie von David Cumberbatch im Film auch ein wenig autistisch dargestellt wird, und eine Frau, die lieber Mathematik-Professorin werden möchte als ihre Eltern zu pflegen, die die Innovative und Strategische ist, lösen das Problem in kürzester Zeit und retten so Millionen von Menschen in Europa das Leben. Sie müssen aber, um das zu können, ihre sexuellen Identitäten und ihre Lebensvorstellungen verstecken, wollen sogar zwischenzeitlich heiraten, um der Verfolgung zu entgehen. Der Frau wird auch im diesem Team die Mitarbeit verwehrt, als sich herausstellt, wie gut sie ist, mit dem Argument, sie sei ein Flittchen, da sie all ihre Zeit nur mit Männern verbringe. Sie arbeitet deshalb tagsüber im Armee-Sekretariat und löst gemeinsam mit ihrem Freund in der Nacht die kniffligsten Aufgaben, bei denen er nicht mehr weiter kommt. Beide enden in dem damals für solche Menschen vorgesehenen Schicksal: Er lässt sich hormonell kastrieren, um nicht ins Zuchthaus zu kommen, wo er nicht hätte forschen dürfen und bringt sich am Ende um. Sie heiratet, nachdem ihr der gewünschte Beruf verwehrt bleibt, wird Hausfrau und Mutter und pflegt ihre Eltern. Erst vor wenigen Jahren wurden beide von der Queen rehabilitiert und für ihre Leistungen geehrt, was dann auch der Anlass des Films wurde.
Ich finde sehr, dass diese Beschreibung das anschaulich macht, was ich gern sagen möchte. Es geht sowohl bei dem Kampf der Lesben, Schwulen, Trans- und Inter-Menschen als auch beim Kampf der Frauen um Vergleichbares: Um Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Anerkennung als Mitglied der Gesellschaft nämlich, um Menschenrechte, um die Freiheit, so leben zu können, wie es der Person für richtig erscheint und so sein zu können, wie die Natur es eben eingerichtet hat; manche mögen auch sagen: wie Gott uns geschaffen hat.
Als Vorsitzende des Deutschen Frauenrates habe ich auch praktisch gesehen, dass unsere Historien und der dennoch unterschiedliche Kampf um Menschenrechte ineinander verwoben sind. Es ist deshalb kein Wunder, dass es in der Gleichberechtigungs-Geschichte der Bundesrepublik vielfach die lesbischen Frauen waren, die die frauenpolitischen Durststrecken der Adenauer- und Kohl-Zeit und nicht zu vergessen der schröderschen „Gedöns“-Ära überdauert haben, während so manche Hetero-Frau fast resignierte, weil die Bedingungen für Eigenständigkeit und Frauenrechte so aussichtslos schlecht erschienen, was sich derzeit erfreulicherweise ändert. Eine von ihnen, nämlich unsere langjährige Geschäftsführerin Henny Engels, ich möchte fast sagen, ein frauenpolitisches Urgestein, ist jetzt im Vorstand des LSVD. Vielen Dank, liebe Henny, an dieser öffentlichen Stelle, stellvertretend auch für so viele andere.
Eine repressive Gesellschaft, die sich meist selbst gern als traditionell beschreibt, was sich angesichts solcher Geschichten wie in dem Film aber auch sofort als absurd herausstellt, unterdrückt die eigenen Entscheidungen, drückt Normen auf, zwingt Menschen zu einem Leben, das sie so nicht wollen, versperrt Chancen, richtet volkswirtschaftlichen und sozialen Schaden an, grenzt aus und kriminalisiert. In Deutschland ist es auch noch nicht sehr lange selbstverständlich, dass Homosexuelle BürgermeisterIn oder MinisterIn sein können oder dass Frauen ihrem gewünschten Beruf nachgehen. Aber von Lucie Veith, den meisten hier bekannt, habe ich gelernt, dass die Perspektive der tatsächlich vorhandenen Geschlechter bei uns immer noch nicht als normal vorkommt, denn sonst müsste sich der Blick auf das Recht, auf die Medizin, auf die soziale Sicherung, auf Familienpolitik, auf Anti-Diskriminierungs-Maßnahmen schon in Richtung auf die individuelle Wahrnehmung der Person geändert haben. Hat sie aber nicht. Und das trifft uns. Das trifft uns gemeinsam. Unsere Geschichten sind also trotz der Verschiedenheit verwoben.
Ich danke Ihnen im Namen des Deutschen Frauenrates für Ihr Engagement, gratuliere Ihnen zum 25. Geburtstag und wünsche Ihnen Ausdauer, Kraft, Mut und Phantasie und Mitstreiterinnen und Mitstreiter an Ihrer Seite. Der Deutsche Frauenrat wird jedenfalls gerne weiter mit Ihnen daran arbeiten, dass unsere Gesellschaft eine bessere wird.
Herzlichen Dank für Ihre Einladung zu diesem Grußwort.
(Es gilt das gesprochene Wort.)