Menu
Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung Christoph Strässer auf dem LSVD-Verbandstag

Gastrede: "Engagement für die Menschenrechte – in Europa und der Welt"

Gastrede von Christoph Strässer, Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe auf dem 26. LSVD-Verbandstag 2014

Wir dokumentieren hier das Manuskript der Rede auf dem 26. LSVD-Verbandstag, in der Strässer das umfangreiche Engagement des Auswärtigen Amtes für die Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender aufzeigt. Ausdrücklich betonte Strässer: „Jeder Antwortversuch setzt aus meiner Sicht das Verständnis voraus, dass auch in unserem Land die Anerkennung der Menschenrechte von LSBTI-Personen ein Prozess ist, der sehr lange gedauert hat und noch nicht abgeschlossen ist.“ Viele rechtliche Fragen der Gleichstellung seien noch offen, „auf die wir in den kommenden Jahren angemessene Antworten finden müssen, welche die Interessen der Betroffenen voll berücksichtigen“. An dieser Stelle wich Strässer vom Redemanuskript ab und betonte ausdrücklich: Was im Koalitionsvertrag der Bundesregierung zum Thema Gleichstellung steht, „ist vollkommen unbefriedigend“.

Und er machte deutlich: „Gerade in meiner Funktion kann ich mir nicht vorstellen, dass ich Gesetzen, die die volle Gleichstellung von Lesben und Schwulen fordern, nicht zustimme. Das können Sie später dann gerne nachprüfen, denn das werden ja sicherlich namentliche Abstimmungen sein.“

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir alle haben in den letzten Jahren mit großer Sorge beobachtet, dass die Durchsetzung der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersex-Personen nicht nur ins Stocken geraten ist, sondern in vielen Ländern signifikante Rückschritte erlebt.

Staaten wie Nigeria und Uganda sind prominente Beispiele für Gesetzesverschärfungen aus den letzten Monaten. Auch Russland hat Gesetze erlassen, die zur Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität beitragen können. Leider handelt es sich dabei leider keineswegs um Einzelfälle: 77 Staaten auf der Welt drücken durch die Kriminalisierung von Homosexualität ihren Unwillen aus, die menschenrechtlichen Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Gleichheit vor dem Gesetz zu erfüllen.

Wir müssen uns daher fragen, wie auf derartige Entwicklungen in angemessener Weise reagiert werden kann. Denn die Verpflichtungen von Staaten sind klar: alle Mitglieder der Weltgemeinschaft haben sich zu den in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgelegten Grundsätzen bekannt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren“.

Leider wird dieses Bekenntnis häufig nicht umgesetzt, und oft sogar negiert. Wie sollte die Reaktion auf Staaten, die sich weigern, diese essentiellen Grundsätze zu beachten, aussehen? Die Besorgnis, dass unser Verhalten als Einschüchterungs- oder Einflussnahmeversuche wahrgenommen werden könnten, denen es sich zu widersetzen gilt, ist ebenso vorhanden wie die Angst, Menschenrechtsverletzungen durch Schweigen gutzuheißen.

Jeder Antwortversuch setzt aus meiner Sicht das Verständnis voraus, dass auch in unserem Land die Anerkennung der Menschenrechte von LSBTI-Personen ein Prozess ist, der sehr lange gedauert hat und noch nicht abgeschlossen ist: erst 1969 wurde in Deutschland das absolute Verbot der Homosexualität aufgehoben, zwanzig Jahre nachdem die Bundesrepublik Deutschland sich im Grundgesetz zur unantastbaren Würde eines jedes Menschen bekannt hatte. Mehr als 50.000 Menschen wurden in diesem Zeitraum rechtskräftig wegen gleichgeschlechtlicher Beziehungen verurteilt. Weitere Reformen, um die Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen zu beenden, erfolgten erst sehr viel später.

Auch ist der Diskurs um die sexuelle Orientierung und die Geschlechteridentität auch in unserer Gesellschaft bei Weitem noch nicht abgeschlossen: viele, gerade auch rechtliche Fragen sind hier noch offen, auf die wir in den kommenden Jahren angemessene Antworten finden müssen, welche die Interessen der Betroffenen voll berücksichtigen. Dieses Wissen sollte uns eine gewisse Demut im Umgang mit diesen Fragen in anderen Staaten mitgeben, uns aber auch mit Hoffnung erfüllen, dass wir mit unserem Handeln zur Weiterentwicklung des Diskurses in anderen Gesellschaften beitragen können.

Um diesen Beitrag leisten zu können, müssen auch die spezifischen Strukturen mitgedacht werden, welche zu der leider in vielen Gesellschaften verbreiteten Homo- und Transphobie können: Sexualität an sich ist häufig tabuisiert, und wird gerade in traditionell geprägten Gesellschaften kaum kann lässt unterschiedliche sexuelle Orientierungen und Geschlechteridentitäten als unerwünschte und zu bekämpfende Abweichung von der gesellschaftlichen Norm, gar als Bedrohung erscheinen lassen.

Begünstigt werden solche Wahrnehmungen durch realitätsferne Behauptungen, gerade auch zum Thema Homosexualität: Homosexualität bei Männern habe mit Pädophilie zu tun, Homosexualität bei Frauen mit der erfolglosen Suche nach einem männlichen Partner. Absurditäten dieser Art werden aus den unterschiedlichsten Gründen propagiert: Unwissenheit, Unwillen sich mit Themen auseinander zu setzen, gezielte Desinformation und Opportunismus gehören dabei zu den Wichtigsten. Auch in unserem Land gibt es noch bei vielen Menschen Vorurteile gegenüber LGBTI-Personen, die sich in homophobem und transphobem Verhalten niederschlagen können. Es ist unser aller fortlaufende Aufgabe, derartigem Verhalten in unserer Gesellschaft entschiedenen entgegen zu treten.

In anderen Staaten erklären opportunistische Stimmen Homosexualität und Transsexualität schnell zu „westlichen Importen“, die in der betreffenden Gesellschaft nichts zu suchen hätten, als Phänomene die erst mit der Kolonialisierung gekommen seien. Tatsächlich ist es genau anders: in vielen Staaten wurde Homosexualität erst in der Kolonialzeit kriminalisiert. Auch religiöse Gruppierungen, die Homosexualität verteufeln, haben in zahlreichen Staaten einen sehr großen Einfluss. Zum Teil bieten derartige Gruppierungen gegen Bezahlung an, die betroffene Person zu „heilen“ – Rücksicht auf das Wohlbefinden der betreffenden Person wird dabei oft nicht genommen.

Als weiterer gefährlicher Trend zeichnet sich ab, dass einige Staaten neben der Kriminalisierung homosexueller Handlungen zunehmend auch den Einsatz für die Rechte von Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung oder Geschlechtsidentität behindern. So werden sowohl die entsprechenden Aktivitäten von Menschenrechtsverteidigern als auch der Zusammenschluss und die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen systematisch behindert und sogar kriminalisiert. Dies erfolgt oft durch Verhinderung der Eintragung, ein Verbot, die Kriminalisierung von Aufklärungsmaßnahmen zu HIV/AIDS unter den betroffenen Zielgruppen, oder auch die Einführung von unangemessenen oder schikanösen Meldepflichten.

Fortschritte bei der Bekämpfung von Homophobie und Transphobie können sich nicht aus dem Nichts ergeben. Auch in Deutschland waren sie die Konsequenz des Muts und des Engagements von Menschen, die die Versagung ihrer Rechte und der Rechte anderer nicht hinnehmen wollten. Unsere Unterstützung sollte denjenigen gelten, die sich für die Durchsetzung der universellen Menschenrechte einsetzen.

Ein hilfreicher Grundsatz öffentliche Maßnahmen lautet in diesem Zusammenhang: „nichts über uns ohne uns“. Denn sichere und effektive Maßnahmen zur Unterstützung können nur gemeinsam mit den betroffenen Personen entwickelt und umgesetzt werden. Auch Kritik von Gebern an der Situation in einem bestimmten Land sollte daher nur nach Rücksprache mit LSBTI-Organisationen öffentlich geäußert werden.

Darüber hinaus ist es die Aufgabe von Staaten, sich unablässig gegenseitig zur Einhaltung der Menschenrechte auffordern. Angemessene Foren bieten sich hierfür z.B. im Rahmen des im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen stattfindenden Universellen Staatenüberprüfungsverfahrens, welchem sich jeder Staat alle fünf Jahre stellen muss, aber auch in politischen und menschenrechtlichen Dialogen oder. Der Dialog gerade auch mit denen, deren Ansichten zunächst im Widerspruch zu universellen Grundsätzen stehen, ist dabei von besonderer Bedeutung, um ein Umdenken anzustoßen.

Dass es hierbei gerade nicht um den erhobenen Zeigefinger geht, zeigen auch diejenigen Stimmen, die bei der Frage der Werte in ihren jeweiligen Gesellschaften ein besonderes Gewicht haben. Und so möchte ich meinen Beitrag heute mit einem Zitat von Desmond Tutu beenden: „I cannot keep quiet while people are being penalized for something about which they can do nothing — their sexuality. To discriminate against our sisters and brothers who are lesbian or gay on grounds of their sexual orientation for me is as totally unacceptable and unjust as apartheid ever was.”

Ich danke Ihnen.

Es gilt das gesprochene Wort.

Weiterlesen