LSVD-Positionspapier
Auf dem Verbandstag am 10. Oktober 2020 hat der LSVD ein detailliertes Positionspapier „Frei und sicher leben: Homophobe und transfeindliche Hasskriminalität entschieden bekämpfen“ beschlossen. Neben Sofortmaßnahmen im staatlichen Handeln wird die Einsetzung einer Expert*innen-Kommission durch die Bundesregierung gefordert. Diese soll eine systematische Bestandsaufnahme aller Erscheinungsformen von LSBTI-Feindlichkeit und damit verbundener Hasskriminalität erarbeiten sowie Empfehlungen für einen Nationalen Aktionsplan entwickeln. Bestandteil dieses Aktionsplans muss ein Bund-Länder-Programm gegen LSBTI-feindliche Gewalt sein. In der Strafgesetzgebung gegen Hasskriminalität müssen LSBTI-feindliche Motive endlich explizit aufgenommen werden. Zentrale Botschaft des Papiers: Die Haltung muss sich ändern. LSBTI-feindliche Gewalt muss endlich ernst genommen, nicht mehr bagatellisiert oder gar totgeschwiegen werden.
Forderung an die Innenministerkonferenz
Wir haben das LSVD-Positionspapier allen Innenminister*innen in Bund und Ländern zugeschickt und im Begleitschreiben betont: Seit 1954 gibt es die Innenministerkonferenz als ständige Einrichtung. Es wird Zeit, dass sie sich endlich auch mit der Sicherheit und Freiheit von LGBTI in Deutschland befasst und die spezifisch gegen sie gerichtete Hasskriminalität zum Thema macht. Im Namen aller Innenminister*innen antwortete schließlich der damalige Vorsitzende der Innenministerkonferenz Thomas Strobl, Innenminister von Baden-Württemberg, mit einem zwar langen, aber inhaltlich völlig nichtssagenden Schreiben. Auf konkrete LSVD-Forderungen wurde nicht eingegangen und keinerlei Bereitschaft signalisiert, sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen.
Daraufhin haben wir die Forderung, LSBTI-feindliche Gewalt als Thema in die Innenministerkonferenz zu tragen, zur ständigen Mahnung unserer gesamten Öffentlichkeitsarbeit zur Hasskriminalität 2021 gemacht und in jeder Presserklärung wiederholt. Traurige Anlässe für Pressearbeit gab es leider genug. Immer wieder kommt es zu brutalen Übergriffen auf LSBTI. Jedes Mal haben wir betont: In 67 Jahren Innenministerkonferenz stand noch nie homophobe oder transfeindliche Gewalt auf der Tagesordnung. Diese Ignoranz ist unfassbar.
Ende August 2021 kam erstmals eine positive Reaktion. Berlins Innensenator Andreas Geisel kündigte an, das Thema homophobe und transfeindliche Gewalt auf die Tagesordnung der kommenden Innenministerkonferenz zu setzen. Diese findet im Dezember statt. Ausdrücklich nahm der Innensenator in seiner Presseerklärung auf den LSVD Bezug: „Der Lesben- und Schwulenverband beklage zu Recht, […] dass seit Bestehen der Innenministerkonferenz 1954 dieses wichtige Thema noch nie als Besprechungspunkt auf der Tagesordnung stand.“ Und weiter: Der LSVD „habe bereits Vorschläge gemacht, über die es sich lohne zu diskutieren.“ Als Bespiele nannte Geisel die Unabhängige Expertenkommission, den Nationalen Aktionsplan, die Sensibilisierung der Sicherheitsbehörden für Opfer von homophober und transfeindlicher Gewalt sowie die bessere Erfassung in den Polizeilichen Kriminalstatistiken. Jetzt gilt es am Ball zu bleiben, damit aus der angekündigten Befassung auch wirkliche Maßnahmen folgen.
Wichtiges Urteil in Dresden – homophobe Morde kommen aber nicht in die Kriminalstatistik
Im Mai 2021 erging das Urteil des sächsischen Oberlandesgerichts gegen den Attentäter, der am 4. Oktober 2020 in Dresden auf ein schwules Paar eingestochen, einen der Männer getötet und den anderen schwer verletzt hatte. Der Attentäter von Dresden wurde des Mordes, des versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen. Das Oberlandesgericht hat daraufhin erkannt, dass die Tat aus islamistischen und homophoben Motiven begangen wurde. Der LSVD betonte: Das ist ein immens wichtiges Urteil. Es hätte ein Weckruf an die deutsche Innenpolitik sein müssen, insbesondere an Innenminister Seehofer, Hasskriminalität gegen LSBTI endlich angemessen wahrzunehmen, nicht mehr totzuschweigen und zielgerichtete Maßnahmen zu ergreifen. Aber er blieb wie immer stumm.
Trotz früher Anzeichen für ein homosexuellenfeindliches Tatmotiv hatten sächsische Polizei, Staatsanwaltschaft und Landesinnenministerium anfänglich verschwiegen, dass es sich um ein mögliches LSBTI-feindliches Hassverbrechen gehandelt haben könnte. Das setzte sich auf Bundesebene fort. Der schwulenfeindliche Mord in Dresden wurde nicht einmal in die vom Bundesinnenministerium ebenfalls im Mai 2021 veröffentlichte Statistik zur „politisch motivierten Kriminalität“ aufgenommen. Das gilt auch für zwei weitere Mordfälle, einen schwulenfeindlich motivierten Mord in Gießen am 20. Oktober 2020, anscheinend begangen aus religiösem Wahn, und einen Mord mit rechtsextremem Hintergrund an einem schwulen Mann in Altenburg am 12. Februar 2020. Fazit des LSVD: Es ist zentrales Muster von Homophobie und Transfeindlichkeit, Diskriminierungen und Bedrohungen von LSBTI unsichtbar zu machen und zu bagatellisieren. Deswegen muss sich als erstes die Haltung in Politik und Behörden ändern. LSBTI-feindliche Gewalt ist keine Randerscheinung. Sie bedroht mitten in unserer Gesellschaft tagtäglich Menschen.
LSVD bei Anhörungen
Während der Bundesinnenminister also weiter ignorant blieb, wurden LSVD-Forderungen zur besseren Erfassung, Prävention und Bekämpfung LSBTI-feindlicher Gewalt aber im Bundestag aufgegriffen und thematisiert. Wir hatten unser Positionspapier den innenpolitischen Fachleuten aller demokratischen Bundestagsfraktionen zugesandt.
Bündnis 90/Die Grünen und die FDP haben Anträge zur Bekämpfung LSBTI-feindlicher Hasskriminalität eingereicht. Der LSVD wurde um schriftliche Stellungnahme gebeten. Zudem fand am 7. Juni eine öffentliche Anhörung dazu im Innenausschuss des Bundestages statt. Für den LSVD war unsere Grundsatzreferentin Sarah Ponti als Sachverständige geladen und trug die LSVD-Forderungen engagiert vor.
Auch an anderer Stelle war die Expertise des LSVD gefragt. Die vom hessischen Innenministerium eingesetzte „Expertenkommission Verantwortung der Polizei in einer pluralischen Gesellschaft“ lud LSVD-Bundesvorstand Günter Dworek am 02. Dezember 2020 zu einer Sachverständigenanhörung nach Wiesbaden ein.
Gesetzgebung zur Hasskriminalität
Die EU-Kommission hat in ihrer im November 2020 veröffentlichten „LGBTIQ Equality Strategy 2020-2025“ angekündigt, die Liste der „EU-Straftaten“ um Hassdelikte und Hetze erweitern zu wollen, die sich gegen LSBTI-Personen richten. Die deutsche Bundesregierung hat sich dagegen in den beiden Gesetzgebungsverfahren zur Hasskriminalität in den Jahren 2015 und 2020 jeweils geweigert, Queerfeindlichkeit in die einschlägigen Strafrechtsbestimmungen aufzunehmen und die Unsichtbarmachung fortgeschrieben.
Der LSVD hat sich deshalb erneut mit der Forderung nach expliziter Aufnahme LSBTI-feindlicher Beweggründe in den Katalog der Strafzumessungsgründe des § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB sowie in § 130 StGB (Volksverhetzung) an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht gewandt, aber vom Ministerium auch diesmal eine enttäuschende Antwort erhalten, die von wenig Problembewusstsein für die gemachten Fehler zeugt.
Auch wenn man die bisherigen Ausschlüsse zwar nicht korrigieren wollte, so hat man möglicherweise dennoch ein schlechtes Gewissen bekommen, denn bei der Einführung des neuen Straftatbestandes der „verhetzenden Beleidigung“ im Juni 2021 (als neuer § 192a StGB) gab es eine neue Haltung. Als zu schützende Personen und Gruppen werden darin ausdrücklich auch solche benennt, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung beschimpft, verleumdet oder verächtlich gemacht werden.
Der LSVD bewertete diese Aufnahme von Hetze gegen Lesben, Schwule und Bisexuelle als einen kleinen Lichtblick. Damit wird die sonst im Strafgesetzbuch vorherrschende Unsichtbarkeit von LSBTI als Zielgruppe hassmotivierter Kriminalität aufgebrochen. Wir haben aber deutlich kritisiert, dass das Merkmal der geschlechtlichen Identität nicht genannt wird. Dabei sind insbesondere transgeschlechtliche Menschen häufig von Hasskriminalität betroffen. Sie werden in dem neuen Straftatbestand jedoch nicht ausdrücklich umfasst. Das muss sich ändern.