Pflegekinder: “Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich ein leibliches Kind mehr lieben könnte.”
Erfahrungsbericht einer lesbischen Pflegefamilie
„Ich lebe zusammen mit meiner Partnerin und unserem 3,5-jährigen Pflegesohn in Köln. Er ist mit sieben Wochen zu uns gekommen, kennengelernt haben wir ihn mit fünf Wochen. Emotional ist er unser Sohn, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich ein leibliches Kind mehr lieben könnte.
Wir haben uns in einem langen Prozess dafür entschieden, kein leibliches Kind zu bekommen, sondern ein Pflegekind aufzunehmen. Aufgebracht hat die Idee meine Partnerin. Anfangs war ich sehr skeptisch und mit den üblichen Vorurteilen gegenüber der Arbeit des Jugendamtes belastet. Ich bin allerdings zum Glück dem Vorschlag meiner Partnerin gefolgt, und zu einer Informationsveranstaltung des Jugendamtes in Aachen gegangen, wo wir damals noch gewohnt haben. Bei dieser Veranstaltung hatte ich den Eindruck, dass es sich um sehr engagierte und hochkompetente Mitarbeiterinnen handelt, sodass ich mir eine Zusammenarbeit vorstellen konnte.
Ich glaube, dass es einer bestimmten Einstellung bedarf, um sich auf das Abenteuer Pflegekind einzulassen. Man muss bereit sein, sich auf Ungewissheiten einlassen zu können (was natürlich auf alle, die mit Kindern leben, zutrifft). Wichtig ist der Glaube an soziale Verwandtschaft, also die Auffassung, dass sich die Qualität einer Beziehung nicht biologisch herleiten lässt. Wer fest von einer genetischen Prägung überzeugt ist, tut sich hier sicherlich schwerer.
Auswahlverfahren im Jugendamt achtet auf stabile Partnerschaft: Pflegekinder bringen immer eine Geschichte mit
Für uns beide war es nicht wichtig, ein leibliches Kind zu kriegen. Darüber hinaus braucht es eine gute Portion Optimismus und das Vertrauen, Schwierigkeiten auffangen zu können. Pflegekinder bringen immer eine Geschichte mit, an der man als Familie wahrscheinlich zeitlebens arbeiten muss. Das Auswahlverfahren des Jugendamtes setzt genau hier an: Ziel ist es, festzustellen, wie gefestigt eine Beziehung ist und ob sie voraussichtlich in der Lage sein wird, die auftretenden Probleme lösen zu können.
Unter dieser Perspektive war unsere Homosexualität auch Thema in unseren Gesprächen mit dem Jugendamt. Ich hatte aber zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, in irgendeiner Weise diskriminiert zu werden. Es ging lediglich darum, zu klären, inwieweit wir mit unserer Beziehung offen umgehen und ob wir damit Probleme in unserer Familie bzw. unserem Umfeld haben.
Diese Haltung trifft auch auf die Mitarbeiterinnen des Sozialdienstes katholischer Frauen (SKF) zu, die uns nach der Vermittlung betreut haben. Trotz den bemerkenswert homophoben Einlassungen des Papstes hat sich der SKF in Aachen entschieden, Pflegekinder nach der obligatorischen ‚Eignungsprüfung’ auch an homosexuelle Paare zu vermitteln. Wir sind das erste Lesbenpaar, an das in Aachen ein Pflegekind vermittelt worden ist (mittlerweile gibt es noch weitere Regenbogen-Pflegefamilien in Aachen).
Rückführungsquoten bei Dauerpflege sind sehr niedrig
Das ganze Verfahren inklusive zehnwöchigem Vorbereitungskurs hat bei uns ca. ein Jahr gedauert. Von dem Zeitpunkt an, zu dem wir zur Vermittlung bereitstanden, haben wir drei Monate auf unseren Sohn gewartet.
Da er schon als Säugling zu uns gekommen ist, hat er heute eine sehr stabile Bindung zu uns aufgebaut. Wir verstehen uns keineswegs als Familie auf Zeit. Wir haben uns als Dauerpflegestelle zur Verfügung gestellt. Im Gegensatz zu weitverbreiteten Vorurteilen ist es dabei das Ziel, die Kinder in den Pflegefamilien zu belassen. Insbesondere in unserem Fall, in dem es – trotz mehrfacher Angebote – keinen Kontakt zur leiblichen Mutter gibt (der Vater konnte bisher nicht festgestellt werden), besteht auch nach aktueller Rechtsprechung keine Gefahr. Bei einem Jugendamt, das seriös arbeitet, sind die Rückführungsquoten bei Dauerpflege sehr niedrig.
Riesige lokale Unterschiede zwischen den Jugendämtern: Negative homophobe Erfahrungen mit dem Jugendamt in Köln
Nach unserem Umzug nach Köln haben wir einen Antrag für ein zweites Pflegekind gestellt. Allerdings haben wir recht durchwachsene Erfahrungen mit dem Jugendamt hier vor Ort gemacht. Im Gegensatz zum Aachener vermittelt das Kölner Jugendamt an Lesben ausschließlich Mädchen und an Schwule nur Jungen – wenn es denn überhaupt zu einer Vermittlung kommt. Es gibt begründete Gerüchte, dass etliche Jugendämter in Köln Vermittlungen an Homosexuelle schlicht verschleppen.
Zwar haben wir diesen Eindruck bei unserer Sachbearbeiterin nicht, aber die Tatsache, dass wir zwei Frauen sind, spielt hier eine wesentlich größere Rolle. Insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung unseres Pflegesohnes werden wir immer wieder intensiv nach männlichen Kontaktpersonen befragt und darauf hingewiesen, dass das Kölner Jugendamt keinen Jungen an uns vermittelt hätte. Eine Diskussionsbereitschaft über die zugrundeliegende – meiner Meinung nach äußerst fragwürdige – Genderauffassung besteht nicht. Die Vermittlungs- und Betreuungspraxis in Köln ist in meinen Augen durchaus diskriminierend und wesentlich unprofessioneller als in Aachen.
Unsere Erfahrungen und etliche Gespräche mit anderen (werdenden) homo- und heterosexuellen Pflegeltern zeigen, dass es riesige Unterschiede bei den lokalen Jugendämtern gibt. Insofern ist es auf alle Fälle ratsam, sich mit der Vermittlungspraxis und den Betreuungsprinzipien im Vorfeld vertraut zu machen. Wichtig ist dabei eine größtmögliche Transparenz seitens des Jugendamtes. Nur im Vertrauen darauf, umfassend über alles informiert und unterstützend betreut zu werden, kann man vernünftig zusammenarbeiten.
Gleichgeschlechtliche Paare als Pflegeeltern: Kein Gefälle zwischen leiblichen und sozialem Elternteil und professionelle Unterstützungs-Struktur
Ich glaube, dass es – wie in allen gesellschaftlichen Bereichen – wichtig ist, sichtbar zu sein und die jeweiligen Jugendämter offen anzusprechen. Meiner Meinung nach gibt es ein bisher völlig unausgeschöpftes Potential an schwulen und lesbischen Pflegeeltern.
Ich sehe gegenüber einem leiblichen Kind sogar Vorteile, die mir erst im Umgang mit anderen Regenbogenfamilien klar geworden sind. Zum einen gibt es kein Gefälle von leiblichen Eltern und Co-Eltern, das unter Umständen Spannungen führen kann. Beide starten gewissermaßen bei null.
Wesentlicher aber scheint mir ein anderer Faktor, nämlich die professionelle Betreuung. Jede Regenbogenfamilie ist zwangsläufig ein offeneres System als eine Heterofamilie, d. h. es gibt immer in irgendeiner Form weitere Beteiligte, die (wenn vielleicht auch in ihrer Abwesenheit) eine Rolle spielen. Das trifft natürlich im hohen Maße auch auf Pflegefamilien zu. Im Gegensatz zu den – zumindest in dieser Verbreitung – recht jungen Konzepten von Regenbogenfamilien gibt es hier aber jahrzehntelange Erfahrung, Fortbildungs- und Gesprächsangebote sowie im Zweifelsfall rechtliche Unterstützung. Für uns ist das bisher noch nicht relevant gewesen, aber es ist trotzdem ein beruhigendes Gefühl.
Statt Tabuisierung: Offen leben entlastet auch die (Pflege-)Kinder
Da unser Pflegesohn erst 3,5 Jahre alt ist und kein Kontakt zu seiner leiblichen Mutter besteht, war seine Ursprungsfamilie bisher nur am Rande Thema. Er weiß, dass er bei keiner von uns im Bauch war, sondern bei seiner Mutter, die aber zu krank ist, um sich um ihn zu kümmern. Bisher hat er noch keine weiteren Fragen gestellt. Ich bin mir aber sicher, dass sich das in nächster Zeit ändern wird, weil er seit kurzem im Kindergarten ist und dort natürlich mit dem Thema Familie auf neue Art konfrontiert wird.
Wir haben hier sehr gute Erfahrungen gemacht: Die Erzieherinnen haben bereits in einer mehrwöchigen Projektarbeit unter dem Motto ‚wir gehören zusammen‘ verschiedene Familienkonzepte mit den Kindern spielerisch ‚bearbeitet’. Auch hier ist es uns wichtig, nicht zu tabuisieren und unseren Pflegesohn darin zu bestärken, dass wir vielleicht ein bisschen schräg, aber bestimmt nicht daneben sind. Das scheint mir überhaupt eine wesentliche Voraussetzung dafür zu sein, dass Kinder aus Regenbogenfamilien selbstbewusst mit ihrer Situation umgehen können. Jede Form von Verheimlichung und Tabu kann Kinder enorm belasten. Daher sollte das tägliche Coming-out selbstverständlich sein.
Wir haben bisher auch diesbezüglich noch keine negativen Erfahrungen gemacht, auch wenn es gelegentlich zu einigen Verwirrungen kommt. Spannend wird es allerdings, wenn unser Pflegesohn sich dazu selber äußern kann. Die Tatsache, dass er schon so früh zu uns gekommen ist, hilft ihm aber sicherlich, seine Situation als normal zu empfinden. So hatte er eine lange Zeit, in der es für ihn keinen Normalitätsdruck von außen gegeben hat, der ihn darin hätte hindern können, unsere Familie einfach als eine schöne Realität zu erleben. Unser ganzes Umfeld hat uns darin sehr unterstützt und unseren Pflegesohn sehr positiv aufgenommen.“
Bericht von Meike
Sie ist 33 Jahre alt, wissenschaftliche Angestellte, lebt mit Partnerin (36) und 3,5-jährigem Pflegesohn in Köln und hofft auf baldigen Familienzuwachs. Sie hat zusammen mit ihrer Partnerin die Gruppe „Querelkis“ für Schwule und Lesben mit Kindern im Rubicon gegründet.
Auszug aus Jansen, E.; Bruns, M.; Greib, A. & Herbertz-Floßdorf, M. (2014). Regenbogenfamilien — Alltäglich und doch anders. Beratungsführer für lesbische Mütter, schwule Väter und familienbezogene Fachkräfte. S. 139–141.
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