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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Die Erinnerung wachhalten

Rede von LSVD-Bundesvorstand Günter Dworek zur Übergabe des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen am 27.05.2008

Das Denkmal will die Verfolgten und Ermordeten ehren. Für die Verfolgten, die 1945 überlebt haben, kommt die Ehrung leider zu spät. Das ist bitter. Der letzte aus der Haftgruppe der Homosexuellen, den wir kannten, ist im November 2005 verstorben.

Die ermordeten Homosexuellen haben keinen Grabstein. 63 Jahre nach der Befreiung gibt es nun einen zentralen Ort der Erinnerung. Endlich. Die Denkmalsinitiative und der LSVD haben 16 Jahre dafür gekämpft.

Das Denkmal will die Verfolgten und Ermordeten ehren. Für die Verfolgten, die 1945 überlebt haben, kommt die Ehrung leider zu spät. Das ist bitter. Der letzte aus der Haftgruppe der Homosexuellen, den wir kannten, ist im November 2005 verstorben. Es war Pierre Seel. 1941, als 17jähriger, wurde er im besetzten Elsass verhaftet, von der Gestapo gefoltert. Im Lager Schirmeck-Vorbruck musste er der Hinrichtung seines Freundes zusehen, seiner ersten großen Liebe. Pierre Seel erinnerte sich später:

„Alle Gefangenen mussten auf dem Hauptplatz antreten, dazu gab es Musik. ... Wagner, etwas Militärmusik auch. Ich stand vielleicht zehn Meter von meinem Freund entfernt.
Man hat ihn nackt ausgezogen, einen Eimer auf den Kopf gesetzt und die deutschen Schäferhunde losgelassen. Er wurde vor unseren Augen von den Hunden zerrissen und gefressen. Überall war Blut.“

Die Erinnerung an das Unrecht wachhalten - so lautet die zweite Aufgabe dieses Gedenkorts. Die Erinnerung daran, dass die Lebenswelten von Schwulen und Lesben nach 1933 radikal zerschlagen wurden. Erinnerung an Razzien, an die Verschärfung des § 175, an zehntausende Strafprozesse gegen schwule Männer, Erinnerung an Zuchthaus, an KZ, an den Rosa Winkel, an Folter, an grauenvolle pseudomedizinische Versuche, an Zwangskastrationen, an tausendfaches Morden.

Die überlebenden homosexuellen NS-Verfolgten wurden nach 1945 nicht etwa mit offenen Armen empfangen, weder im Osten noch im Westen. Im Gegenteil, sie wurden angefeindet und verachtet – ähnlich wie die Überlebenden des Völkermords an Sinti und Roma, wie die Opfer von Zwangssterilisierung oder die Deserteure der Wehrmacht. Auch an dieses   Unrecht ist zu erinnern.

Das Morden war vorbei, die Verfolgung hielt an. Einige Rosa-Winkel-Häftlinge wurden nach der Befreiung aus dem KZ sofort wieder ins Gefängnis gesteckt, um ihre Reststrafe nach § 175 abzusitzen. Es ist ein monströser Schandfleck der Demokratie, dass das Homosexuellen-Strafrecht der Nazis bis 1969 unverändert in Kraft blieb. Es gab in der Bundesrepublik 50.000 Verurteilungen nach §°175 – genauso viele wie in der NS-Diktatur. Zahllose Bürger wurden um ihr Lebensglück betrogen, in ihren elementarsten Rechten verletzt. Eine Anerkennung der im demokratischen Staat nach Nazi-Recht Verurteilten steht immer noch aus.

Auch dieses Unrecht muss aufgearbeitet werden.

Das Denkmal erinnert an die Schrecken der Vergangenheit, ist aber zugleich ein Meilenstein gesellschaftlicher Anerkennung. Endgültige Abschaffung des § 175 in 1994, Eingetragene Lebenspartnerschaft, Gleichbehandlungsgesetz und jetzt das Denkmal: Es lebt sich heute als homosexueller Mensch anders in diesem Land. Man spürt festeren Boden unter den Füßen.

Dass dieses Denkmal möglich wurde, bringt zum Ausdruck: Verachtung und Unterdrückung von Homosexualität ist kein Naturgesetz, sondern ein unseliger Traditionsrest aus vordemokratischer Zeit. Homosexuellenfeindlichkeit ist eine gesellschaftliche Krankheit, die überwunden werden kann. Das sendet ein Signal der Hoffnung in die ganze Welt. In vielen Ländern werden Lesben, Schwule und Transsexuelle misshandelt, ja ermordet, ohne dass staatliche Behörden eingreifen. In über 80 Staaten herrscht Strafverfolgung, in einigen steht auf gelebte Homosexualität die Todesstrafe. Stellen Sie sich das bitte plastisch vor, wie es ist, wenn Liebespaare in steter Angst davor leben müssen, dass die Sittenpolizei nachts an die Tür klopft. Das ist ein Leben, das mit Menschenwürde nichts zu tun hat. Deutschland hat hier eine besondere Verantwortung, klar und vernehmlich für die Menschenrechte einzutreten.

Das Denkmal wird Anstoß erregen, weil viele uns weiter anstößig finden. Ein Kuss im öffentlichen Raum kann auch heute noch Gefahr bedeuten. Gewalttätern reicht allein der Anblick eines schwulen oder lesbischen Paares, um brutal zuzuschlagen. Ein Drittel der Deutschen findet es eklig, wenn sich Homosexuelle küssen, sagt eine wissenschaftliche Erhebung von 2007.

Der Kuss in der Stele trifft daher voll ins Schwarze. Dieses Denkmal ist also alles andere als ein Schlussstein. Es setzt auch für die Gegenwart ein starkes Zeichen für Respekt und gegen den Hass. Durch die Videowechsel wird es sich immer wieder verändern, neue Diskussionen anstoßen, gerne auch weiteren Streit.

Viele Persönlichkeiten haben seinerzeit unseren Aufruf unterschrieben, Romani Rose, Paul Spiegel sel. A., Lea Rosh, Marianne Birthler und viele mehr. Ihnen und allen Unterstützerinnen und Unterstützern ist herzlich zu danken.

Unser Aufruf für das Denkmal begann mit dem selbstbewussten Satz: „Die Bundeshauptstadt Berlin braucht einen Gedenkort für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen.“ Jetzt braucht der Gedenkort uns alle, damit er lebendig bleibt: Als eine Landmarke schwulen und lesbischen Selbstbewusstseins, als ein würdiger Platz der Erinnerung an unsere Toten – und als ein Ort, der die ganze Gesellschaft angeht.

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