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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

"LGBTIQ - Rechte weltweit" Stellungnahme von Philipp Braun zum Menschenrechtsausschuss

40. Sitzung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages Öffentliche Anhörung am 24.5.2023

Bei der 40. Sitzung des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages Öffentliche Anhörung am 24.5.2023 war Philipp Braun vom LSVD-Bundesvorstand als Sachverständiger geladen. Hier ist seine Stellungnahme in voller Länge nachzulesen.

Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) ist ein Bürgerrechtsverband und vertritt Interessen und Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI). Menschenrechte, Vielfalt und Respekt – wir wollen, dass LSBTI als selbstverständlicher Teil gesellschaftlicher Normalität akzeptiert und anerkannt werden.
Eine demokratische Gesellschaft muss für alle das Recht durchsetzen, jederzeit und an jedem Ort ohne Angst sie selbst sein zu können. Voraussetzung für ein selbstbestimmtes und angstfreies Leben ist die volle rechtliche Gleichstellung. Wir treten ein für eine Gesellschaft, die Selbstbestimmung und eine Vielfalt an Lebensweisen als Bereicherung erkennt und wertschätzt.

Konkrete Ziele sind u.a. die Ergänzung von Art. 3 Grundgesetz; ein umfassender rechtlicher Diskriminierungsschutz; Aktionspläne für Akzeptanz und Vielfalt auf nationaler und auf Länderebene; die rechtliche und gesellschaftliche Anerkennung von Regenbogenfamilien; die Durchsetzung des Rechts auf geschlechtliche Selbstbestimmung; LSBTI-inklusive Bildungspläne; eine Flüchtlingspolitik, die verfolgten LSBTI Schutz und Perspektiven bietet sowie eine Außen- und Entwicklungspolitik, die die Achtung der Menschenrechte von LSBTI auf EU-Ebene und weltweit voranbringt.

Hier finden Sie einen Überblick über die gehaltenen Beiträge und die Zeitmarken in der Aufzeichnung.

  • Einsatz für LGBTIQ-Rechte weltweit

    Frage 1:
    Vor kurzem haben die Bundesaußenministerin und die Bundesministerin für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit Leitlinien für eine feministische Ausrichtung ihrer Häuser vorgestellt. Diese sind intersektional angelegt und berücksichtigen daher insbesondere auch den Faktor Mehrfachdiskriminierung. Queere Menschen rücken in diesen Leitlinien zunehmend in den Fokus von Deutschlands außenpolitischem Handeln. Das LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung hat außerdem bereits in der letzten Wahlperiode Maßstäbe gesetzt. Wie bewerten Sie dieses Engagement der Bundesregierung? Und mit welchen Maßnahmen kann sich die Bundesregierung noch effektiver für die Rechte und die Repräsentanz queerer Menschen weltweit einsetzen? (SPD)

    Frage 2:
    Der Kampf für und die Realisierung von LSBTI-Rechten weltweit hängt zu einem erheblichen Teil auch mit dem Engagement von zivilgesellschaftlichen Akteuren in den jeweiligen Ländern zusammen. Auch das LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung betont die Bedeutung des Dialogs mit der Zivilgesellschaft. Gleichzeitig gibt es auch zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure mit Queer-feindlichen Tendenzen. Wie bewerten Sie die Bedeutung vom zivilgesellschaftlichen Engagement weltweit für die Realisierung und Durchsetzung von LSBTI-Rechten? (SPD)

  • Gefährdung von LGBTIQ-Rechten weltweit

    Frage 3
    Die massive Einschränkung der Menschenrechte in Russland geht mit einer homophoben Gesetzgebung einher, zuletzt im Dezember 2022. Mit welchen Zielen und mit welchen Mitteln über die Gesetzgebung hinaus verfolgt Präsident Putin die Diskriminierung von LGBTIQ-Personen in Russland und verfolgt er mit diesem Vorgehen eine außenpolitische Strategie und mit welchem Ziel? (CDU/CSU)

    Frage 4
    Weltweit werden die Menschenrechte queerer Personen von international vernetzten rechtskonservativen, religiös-extremistischen und antifeministischen Bewegungen angegriffen, um progressive Bewegungen zu spalten und emanzipatorische Entwicklungen zu stoppen. Insbesondere das Recht auf Selbstbestimmung von trans Personen steht aktuell im medialen und politischen Diskurs im Vordergrund dieser koordinierten Angriffe. Welche finanziellen Vernetzungen und gesellschaftspolitischen Interessen bestimmen die Akteure der Anti-Gender-Bewegung von den USA über Lateinamerika bis nach Europa, inwiefern wirkt sich dieses transnationale Phänomen auch auf den öffentlichen Diskurs zum geplanten Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland aus und wie können politische Gegenstrategien und wirksame Narrative zur Stärkung der Menschenrechte von LSBTI konkret aussehen? (BÜNDNIS 90/Die Grünen)

    Frage 5:
    Regierungen und andere Akteure in und außerhalb Europas bedienen sich rekurrierender Narrative, Diskurse und Strategien, um gegen LSBTI zu mobilisieren und LSBTI-Feindlichkeit sowie damit einhergehende konkrete Maßnahmen, wie z. B. Gesetze zu deren Kriminalisierung und Diskriminierung, zu legitimieren. LSBTI werden beispielsweise als Bedrohung für 'traditionelle Werte', als Gefährdung für Kinder- und Jugendliche oder als „Ideologie“ des liberalen Westens dargestellt. Welcher Rhetorik bedient man sich genau zur Mobilmachung, auf welchen Mechanismus fußt diese und wie kann dem, z. B. auch im Rahmen internationaler Organisationen, effektiv entgegengewirkt werden? (FDP)

    Frage 6:
    Was sind weltweit die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede in Menschenrechtsverletzungen die LSBTI Menschen erfahren und welche Auswirkungen hat eine Kriminalisierung und wie werden Strafgesetze angewandt/umgesetzt? (DIE LINKE.)

    Frage 7:
    Wie ist die (Menschenrechts-) Lage in Bezug auf sogenannte Konversionstherapien weltweit? (DIE LINKE.)

    • LSVD Antwort Frage 3

      Ich möchte hier zunächst auch auf die Antworten der Sachverständigen Sarah Kohrt der Hirschfeld-Eddy-Stiftung (HES) und des Sachverständigen Mikhail Tumasov, ehemaliger Vorsitzender der Russian LGBT Alliance, verweisen.
      Gleichzeitig möchte ich ergänzend ausführen: Die Lage für LSBTIQ* in der Russischen Föderation spitzt sich zusehends zu. Der öffentliche Raum wird von Hassreden gegen LSBTIQ* bestimmt. Es findet Stück für Stück eine Rekriminalisierung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt statt. Russische LSBTIQ*-Menschenrechtsaktivist*innen werden immer wieder als aus dem Ausland gesteuert diffamiert und müssen Anklagen auf Grundlage des Anti-Agenten-Gesetzes befürchten. Die Brandmarkung als "ausländische Agenten" macht eine landesweite Interessenvertretung für LSBTIQ* seit Jahren vollkommen unmöglich. Keine staatliche oder nichtstaatliche Stelle berücksichtigt die Stellungnahmen von angeblichen ausländischen Agenten, niemand wird mehr an den Veranstaltungen teilnehmen, denn jeder Kontakt mit ausländischen Agenten wird als ausländischer Einfluss auf Russland angesehen, sodass man in der Folge selbst in den Blick der Strafverfolgung gerät.
      Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg auf die Ukraine muss auch vor diesem Hintergrund gesehen werden. Der russische Staat propagiert, dass er sich gegen westlichen Imperialismus wehren müsse, und in diesem Rahmen auch, dass er russische Familien und
      Kinder vor dem Einfluss der sogenannten LSBTIQ*-Propaganda schützen müsse. Der Angriff auf die Ukraine ist natürlich ein Angriff auf unsere liberale Gesellschaftsordnung, auf uns alle, und explizit auch ein Angriff auf LSBTIQ*-Lebensweisen. Innerhalb Russlands beschränkt sich der Angriff auf die LSBTIQ*-Community jedoch nicht nur auf das sogenannte Anti-Propaganda-Gesetz, sondern umfasst eine ganze Reihe restriktiver Maßnahmen. Gleichzeitig stellen wir fest, dass Russlands Einfluss auch in Zentralasien und Europa groß ist. So wurde etwa in Ungarn letztlich mehr oder weniger eine Kopie der russischen Gesetzgebung verabschiedet. Mit Bezug auf die russische Anti-LSBTIQ*-Propaganda-Gesetzgebung wird oft verkannt, dass diese nicht nur LSBTIQ*-Aktivismus unterbindet, sondern auch, dass es damit faktisch unmöglich ist, als gleichgeschlechtliches Paar in Russland zusammenzuleben. Man kann nicht einmal händchenhaltend in der Öffentlichkeit erscheinen. Zum einen riskiert man, in einer von Hassrede aufgeladen Stimmung Opfer von Anfeindungen zu werden, zum anderen kann man auch bereits hierfür auf Grundlage des "Anti-LSBTIQ*-Propaganda-Gesetzes" angeklagt und verurteilt werden. Verschärfend kommt mit Bezug auf Russland hinzu, dass es keine Gesetze zum Schutz sexueller und geschlechtlicher Minderheiten gibt. Dies führt dazu, dass LSBTIQ* der staatlichen, aber auch der nichtstaatlichen LSBTIQ*-feindlichen Gewalt weitgehend hilflos ausgeliefert sind. Wie weit die russische Gesetzgebung inzwischen in den privatesten Bereich eingreift und das Leben als queere Person unmöglich macht, wird auch an dem Beispiel eines Deutschen deutlich, über dessen Fall erst kürzlich im Spiegel berichtet wurde. Der Mann hatte in Russland versucht, im Internet einen anderen Mann kennenzulernen, wurde hierfür kriminalisiert, musste eine Geldstrafe zahlen und das Land verlassen. [Quelle]
      An dieser Stelle möchte ich auch die Erfahrungen unseres Landesverbandes, des LSVD Hamburg, in der Arbeit zu LSBTIQ*-Rechten in Russland wiedergeben:
      Unser Landesverband organisiert seit mehr als zehn Jahren im Rahmen des „Rainbow Exchange Program Hamburg – St. Petersburg“ einen Fachkräfte-Austausch Russland. Schon vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine haben unsere Kolleg*innen bei ihren Reisen nach Russland immer wieder feststellen müssen, dass queere Organisationen in Russland vermehrt unter Druck geraten und der Handlungsspielraum immer weiter eingeschränkt wird. Als eine der ersten russischen Regionen verabschiedete St. Petersburg ein Antihomosexualitätsgesetz, um LSBTIQ* aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. Seit der Einführung der Anti-Propagandagesetze 2013 reißen die Schikanen und Behinderungen nicht ab. Auch hier mussten wir erleben: LSBTIQ*-Organisationen werden nunmehr von den Behörden als „ausländische Agenten“ eingestuft. Diese Registrierung ist der soziale Tod, denn sie führt zu einem zusätzlichen massiven Imageproblem in Zeiten, in denen russischer Nationalismus immer mehr die Gesellschaft durchsetzt. Zugleich passt es in die Argumentation von offizieller Seite, dass Homosexualität nicht „russisch“ sei, sondern vom Ausland und insbesondere vom Westen importiert werden würde. Das sogenannte “Gesetz gegen LGBTQ-Propaganda" wurde 2022 von dem Staatsduma weiter verschärft. Der Anwendungsbereich bezieht sich jetzt nicht mehr nur auf Minderjährige, sondern auch auf Erwachsene.
      Die staatliche LSBTIQ*-Feindlichkeit des russischen Regimes wird vor allem auch von der russisch-orthodoxen Kirche vorangetrieben und weiter befeuert. Ein offenes Leben ist zumeist nicht mehr möglich. Schweigen! Auf der Arbeit, der Straße, in der Familie, an der Universität. Die LSBTIQ*-feindlichen Gesetze und die weit verbreitete Stigmatisierung verhindern auch eine breite und effektive HIV/AIDS-Präventionsarbeit. Die Einschüchterung und Kontrolle von LSBTIQ* sind Teil einer umfassenden russischen Politik gegen demokratisches Engagement, Menschenrechtsarbeit und eine kritische Zivilgesellschaft. Vor dem Überfall auf die Ukraine waren Hausdurchsuchungen und Bombendrohungen bei queeren Vereinen oder Veranstaltungen fast schon die Regel. LSBTIQ*-Vereine und Einzelpersonen waren auch immer Zielscheibe von polizeilicher Willkür. Seit dem Krieg hat sich der Druck des Staates auf queeres Leben in Russland nochmal deutlich verstärkt. Viele unserer Freund*innen mussten ins Exil gehen und versuchen ihre Arbeit aus den baltischen Staaten weiterzuführen. Im Folgenden wollen wir die Entwicklung unserer Arbeit mit Russland darstellen, da diese den dramatischen Wandel veranschaulicht:
      Jugendbegegnungen und Fachkräfteaustausche im Rahmen der Städtepartnerschaft
      Hamburg - St. Petersburg, mit Beteiligung von LSBTIQ* seit 2011
      2008: In St. Petersburg gründen sich einige LSBTIQ*-Projekte, wie z.B. ComingOut St. Petersburg, das Internationale Filmfestival Side by Side.
      2011: Der LSVD Hamburg nimmt Kontakt auf zu den russischen Projekten, ein erstes Treffen in St. Peterburg findet statt.
      2012: Erste Begegnung (Fachkräfteaustausch) in Hamburg
      2012: Einführung des Propagandagesetzes gegen LSBTIQ* in St. Petersburg,
      Demo in Hamburg vor dem russischen Generalkonsulat mit ca. 300 Teilnehmer*innen
      2013: Das Propagandagesetz wird auf die Russische Föderation ausgeweitet. Dennoch finden eine Jugendbegegnung in Hamburg und ein Fachkräfteaustausch in St. Petersburg statt.
      2014-2017: Schwere Gewalttaten werden gegen LSBTIQ* in St. Petersburg begangen, hierunter Morde, Zwangsouting und Denunziation. Schwule werden in Fallen gelockt und misshandelt. Das Filmfest findet unter schwersten Bedingungen statt. Räume müssen immer wieder neu gesucht werden. Bereits seit 2013 erfolgen Bombendrohungen gegen das Filmfestival.
      2017-2018:
      Trotz der Umstände war das Filmfestival als Internationales Festival in Russland gelistet. Gegen alle Widerstände wurden in jedem Jahr das Filmfestival oder auch das Queer Festival organisiert und so gut wie möglich durchgeführt, wenn auch manchmal nur als Onlineveranstaltung.
      bis 2022:
      Insgesamt wurden 25 Begegnungen in zehn Jahren in Hamburg und St. Petersburg durchgeführt. So konnten die jungen Menschen in Hamburg, jeweils für eine Woche, neue Kraft und Motivation schöpfen für den Kampf für ihre Menschenrechte in St. Petersburg. Oft konnten unsere Kolleg*innen hier den Burn-Out der russischen Teilnehmer*innen erleben. In Russland haben unsere Kolleg*innen aus Hamburg selbst Bombendrohungen
      erlebt und auch persönlich für kurze Zeit erfahren, was es heißt, unter dem Radar zu leben. In den Coronajahren hat der LSVD Hamburg den Kontakt durch Zoomkonferenzen immer aufrechterhalten.
      2023: Das Projekt wird in Estland neu gestartet. Viele LSBTIQ* haben das Land verlassen oder planen dies zu tun. Der LSVD unterstützt mit Schreiben und mit Spenden, damit die meist jungen Menschen ein Humanitäres Visum in Deutschland erhalten können.
      Des Weiteren möchte ich an dieser Stelle auch auf die Bedeutung des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine mit Bezug auf die Lage von LSBTIQ* in der Ukraine eingehen. Hier sind wir als LSVD auch Teil des Netzwerks Queere Nothilfe Ukraine, dessen Erfahrungen ich hier wiedergeben möchte:
      Am 24.02.2022 steht auch die queere Community Europas unter Schock. Russland startet einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Todeslisten mit ukrainischen Entscheidungsträger*innen bestimmt zur Liquidation durch russische Geheimdienste und die Armee sollen bereits im Umlauf gewesen sein. Auch zahlreiche queere Aktivist*innen, unsere Freund*innen aus der Ukraine, stehen vermutlich auf diesen Listen. Die Homosexellenfeindlichkeit und Transphobie Russlands sollen in die Ukraine getragen werden, ein Land, in dem sich eine lebendige queere Community zu entwickeln beginnt.
      Zuerst noch im Schock und dann schon in Aktion. Von Tromsö bis Palermo, von Lissabon bis Sanok. Die queere Community drückt spontan und engagiert ihre Solidarität mit der Ukraine aus. Jetzt geht es darum, queere Aktivist*innen in Sicherheit zu bringen, entweder durch Flucht ins Ausland oder in sicheren Unterkünften (Shelter) in der Westukraine. In Deutschland gründet sich das Netzwerk Queere Nothilfe Ukraine. Zusammen mit queeren Verbänden aus Polen, Tschechien, der Slowakei und Rumänien werden Evakuierungen organisiert. In Kooperation mit Aktivist*innen aus der Ukraine werden Versorgungs- und Lieferketten aufgebaut. Zuerst nach Ushgorod und Lviv, dann auch bis ins Zentrum der Ukraine.
      Das Netzwerk Queere Nothilfe Ukraine startet bereits im März 2022 die bisher erfolgreichste queere Spendenaktion der deutschen Geschichte. Fast eine Million Euro werden zusammengetragen. Alle großen Verbände der LSBTIQ*-Community schließen sich dem Netzwerk an. Rund 60 Organisationen der queeren Community sind heute an Bord. Bereits im März laufen erste Hilfstransporte finanziert durch Spenden aus Deutschland über die Grenze. Lebensmittel, Kleidung, Medikamente werden ins Land gebracht. Noch muss alles unter größtmöglicher Geheimhaltung erfolgen, denn der russische Angreifer steht immer noch direkt vor Kyiv, eine vollständige Einkesselung der Stadt droht. Dazu kommt es nicht.
      Die ukrainische Armee hält stand. Ein erstes Aufatmen geht durch die Community. Die Bilder aus Butscha und Irpin hinterlassen Spuren. Die Toten machen traurig. Hoffnung wächst mit der Information, Kyiv ist auf dem Landweg wieder erreichbar. Die Front hält. Die Invasoren werden durch die ukrainische Armee zurückgeschlagen. Nun gilt es für die Flüchtenden im Landesinneren, sichere Räume zu schaffen, für Ausgebombte und Heimatvertriebene sind Hilfsangebote einzurichten. Das kann nur mit Hilfe von außen gelingen. Wesentlichen Anteil daran hat das Netzwerk Queere Nothilfe Ukraine. Geliefert werden in die im Bombenhagel liegenden Städte unter anderem auch Generatoren, Solarzellen, Powerpacks und andere Güter für den täglichen Bedarf. Mit Finanztransfers können sich die ukrainischen Shelter das nötigste vor Ort beschaffen.
      In Deutschland unterstützt das Netzwerk Queere Nothilfe Ukraine bereits im Februar 2022 die queeren Menschen, die sich zur Flucht entschlossen haben. Es werden erste Anlaufstellen für Schutzsuchende eingerichtet, es wird geholfen, sich auf den Ämtern registrieren zu lassen, Wohnraum vermittelt oder psychologische Hilfe für kriegstraumatisierte Menschen geleistet. Sprachkurse werden organisiert. Zudem stellt das Nothilfe-Netzwerk sicher, dass queere Schutzsuchende nicht sozial isoliert und vereinzelt untergebracht werden, sondern der Anschluss an die Community gesichert wird. Eine Rückkehr der meisten queeren Schutzsuchenden ist noch immer nicht möglich.
      Russland terrorisiert die Ukraine weiterhin, durch militärische Aggression, Gebietsbesetzungen, Bombardierung von Wohnhäusern und Schulen. Noch immer mangelt es am Nötigsten. Noch immer können Menschen nicht zurück an ihren Wohnort, weil dieser in den besetzten Gebieten liegt. Umso wichtiger ist die beständige Hilfe der queeren Nothilfe für die Ukraine. Die Unterstützung organisiert durch das Netzwerk Queere Nothilfe Ukraine ist so auch ein Teil der deutschen Unterstützung für die ihre Freiheit verteidigende Ukraine.

    • LSVD Antwort Frage 4 und 5

      Ich verweise hier auf die Antworten der Sachverständigen Sarah Kohrt der Hirschfeld-Eddy-Stiftung (HES) und der Sachverständigen Julia Ehrt, Geschäftsführerin der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA World). Besonders zur Frage des Einflusses Russlands möchte ich auch auf die entsprechende Antwort des Sachverständigen Mikhail Tumavos, ehemaliger Vorsitzender des Russian LGBT Network verweisen.
      LSBTIQ* Menschen wurden in den letzten Jahren von antidemokratischen Politiker*innen zum Sündenbock gemacht. Sie tun dies, um von den wahren Zielen abzulenken, die sie zu erreichen versuchen: die Abschaffung von Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechten und Demokratie.
      In Ländern wie Russland, Georgien und Ungarn ist die LSBTIQ*-Bewegung in die vorderste Reihe der Verteidiger*innen unserer Demokratie und der offenen Gesellschaft gerückt. Sie sind diejenigen, die verstärkt unter dem Aufstieg und Wirken autokratischer Politiker*innen zu leiden haben.
      LSBTIQ*-Aktivist*innen müssen als das gesehen werden, was sie oft sind: die ersten und letzten Menschen, die für die Demokratie einstehen. Jede Demokratie wird daran gemessen, wie sie ihre Minderheiten behandelt. Der Umgang einer Gesellschaft mit ihren Minderheiten ist ein Lackmustest für die Offenheit und den Reifegrad eines Gemeinwesens. Es ist an der Zeit, dass wir gemeinsam aufstehen und alle demokratischen Kräfte sich für Gleichheit, Inklusion, Demokratie und Menschenrechte zusammenschließen.
      Das Lemkin-Institut für Genozid-Prävention hat im November 2022 die sogenannte “genderkritische Bewegung“ als faschistoid eingeordnet. An dieser trans*feindlichen Bewegung in den USA zeigt sich, dass es sich eben nicht nur um ein paar Gesetzesänderungen handelt. Vielmehr sprach das Lemkin-Institut in seiner Analyse von “genozidalen Ideologien” und dem “Ziel der kompletten Auslöschung von trans* Identität”. [Quelle]
      Solche „genderkritischen Einstellungen“ sind aber nicht nur auf die USA beschränkt, sondern sie werden auch in der deutschsprachigen Politik immer salonfähiger. Das macht ein Beispiel aus unserem Nachbarland Österreich deutlich: Die rechtspopulistische FPÖ forderte Mitte April, Dragqueen-Shows vor Kindern zu verbieten. Sie erklärte öffentlich, dass sie ihre Ideen vom Narrativ der Frühsexualisierung aus den USA hat: "Dieser Transgender-Irrsinn schwappt immer mehr aus den USA nach Europa", heißt es in einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Stellungnahme von Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp, der im Wiener Landtag für ein entsprechendes Verbot kämpft. "Ich habe mich in den letzten Tagen bei meiner Teilnahme der CPAC-Konferenz in Washington, D.C. davon überzeugen können, dass es einen massiven Widerstand gegen diese Sexualisierungspropaganda für kleine Kinder braucht. Niemand soll zu einer sexuellen Orientierung gutmenschlich gedrängt werden – schon gar nicht kleine Kinder." [Quelle]
      Nahezu alle trans*feindlichen Texte verwenden dieselbe Rhetorik, die sich nicht an wissenschaftlichen Tatsachen orientiert.
      „Gender-Ideologie“ ist hierbei ein zentraler Kampfbegriff, der vor allem von rechtspopulistischen, rechtskonservativen oder rechtsreligiösen Akteur*innen benutzt wird. Damit sollen nicht nur die Rechte, Anerkennung und Gleichbehandlung von trans*, intergeschlechtlich, nichtbinären und queeren Personen abgewehrt werden, sondern auch Gleichstellungs-Politik oder sexuelle und reproduktive Rechte generell. Mit der Verwendung des Begriffs Ideologie wird versucht, politische Anliegen zu verunglimpfen. „Ideologie“ klingt nach unecht, falsch und gefährlich, nach Gehirnwäsche und Manipulation. Die Anerkennung geschlechtlicher und sexueller Vielfalt in allen Facetten baut auf wissenschaftlichen Fakten auf, nicht auf einer Ideologie. Denn in der Medizin, der Biologie oder in den Sozialwissenschaften – aus wissenschaftlicher Sicht ist die Vorstellung einer sogenannten „natürlichen“ Zweigeschlechtlichkeit inzwischen widerlegt. Aus der Biologie wissen wir, dass mehr als 1.000 Gene bei der Entwicklung der Genitalien beteiligt sind. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie beschreibt Geschlecht in einer Stellungnahme als ein „mehrdimensionales Konstrukt, dessen Entwicklung durch das komplexe Zusammenspiel verschiedener körperlicher, psychosozialer und psychosexueller Einflussfaktoren bedingt“ sei [Quelle]. Das zeigt: Geschlecht ist vielfältiger und nicht allein über biologische Merkmale zu bestimmen.
      Dieser wissenschaftlichen Erkenntnis folgt auch das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen [Fußnote]. Danach wird die Geschlechtszugehörigkeit einer Person nicht allein durch körperliche Geschlechtsmerkmale bestimmt, sondern wesentlich auch durch die geschlechtliche Identität. Daher steht diese auch indirekt unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes, wie z. B. durch das in Art. 2 Abs. 1 formulierte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.
      Das geschlechtliche Selbsterleben ist also zentral für die Definition von Geschlecht. Die Anerkennung der Geschlechtsidentität gehört zu den Grundrechten. Anders als mitunter behauptet, geht es trans* Personen weder darum, Geschlecht abzuschaffen, noch Biologie oder Körper zu negieren. Die Existenz von trans* Personen zeigt aber, dass bestimmte als Geschlechtsmerkmale definierte körperliche Merkmale nicht automatisch zu einer bestimmten Geschlechtsidentität und damit Geschlechtszugehörigkeit führen müssen.
      Die leider noch weit verbreitete falsche Vorstellung, dass allein Genitalien das Geschlecht bestimmen, führt dazu, dass die Existenz von trans* Personen geleugnet oder abgelehnt wird. Statt die Definition von Geschlecht zu hinterfragen, gelten trans* Personen in dieser Vorstellung als „krank“ oder ihnen wird schlicht nicht geglaubt.
      Dadurch stehen sie unter einem hohen Druck, ihre Geschlechtsidentität zu beweisen und zu erklären. Ihnen wird vielfach die Transition verweigert, weil Personen, die nicht trans* sind, die geschlechtliche Identität von trans* Personen einfach nicht über-zeugend genug finden. Selbst nach erfolgter Transition werden trans* Personen oft weiterhin angezweifelt und gelten als „unecht“.
      Übrigens schaden enge Geschlechtervorstellungen und damit verbundene Rollenerwartungen nicht nur trans* Personen. Mit der Zuschreibung von Geschlecht bei Geburt und der Einordnung als Junge oder Mädchen wird von frühester Kindheit an ein bestimmtes Verhalten gutgeheißen oder kritisiert, belohnt oder bestraft. Wenn größere Spielräume entstehen, wie Geschlecht gelebt werden kann, führt das zu mehr Selbstbestimmung und Freiheit für alle Personen. Egal wie sie sich geschlechtlich verorten.
      Nun möchte ich zur Finanzierung der Anti-Gender-Bewegung in Europa kommen:
      Das European Parliamentary Forum (EPF) und das Global Philanthropy Project (GPP) liefern eine detaillierte Analyse der Finanzierungsströme zwischen amerikanischen, russischen und anderen Anti-Gender-Geber*innen und europäischen Empfänger*innen sowie der Verbindungen zwischen den wichtigsten Akteur*innen in dieser Architektur. Der Bericht von GPP hebt insbesondere hervor, dass zwischen 2013 und 2017 die Pro-LSBTIQ*-Bewegungen weltweit 1,2 Milliarden US-Dollar erhielten, während die Anti-Gender-Bewegung 3,7 Milliarden US-Dollar erhielt; mehr als das Dreifache der LSBTIQ*-Finanzierung.
      Transgender Europe hat in ihrer "Landscape Analysis - What we know on anti-gender movement measures and actors targeting trans people across Europe and Central Asia" dargestellt, wie verschiedene Faktoren je nach Land zu Geltung kommen, und auch welche Tätigkeiten verschiedene Akteure entfalten (so z. B: Gender-kritische Aktivist*innen, Extreme Rechte und religiöse Allianzen und Nationalismus). Justice for Prosperity listet in der Studie "Unveiling Subversive Power - Shedding light on the slow erosion of our democracies" einige Akteur*innen auf, die sich auch bei diesen Themen vernetzen, so beispielsweise der World Congress of Families, die International Organization for the Family, CitizenGO, das Political Network for Values, Tradition, Family
      Europäisches Parlamentarisches Forum für sexuelle und reproduktive Rechte, Die Spitze des Eisbergs: Religiös-extremistische Geldgeber gegen Menschenrechte auf Sexualität und reproduktive Gesundheit in Europa 2009-2018, Juni 2021 and Property, Ordo Iuris, die Alliance Defending Freedom International (ADFI), die Foundation for the Protection of the Family and Tradition, die Zivile Koalition, La Manif Pour Tous und die Federation of Catholic Family Associations in Europe.
      Zu Europa, hier Polen und Ungarn als prominente Beispiele, verweisen wir auf die von der Friedrich-Naumann-Stiftung geförderten Studie von Political Capital und Projekt: Polska "The Anti-Gender and Anti-LGBTQI Mobilisation in Hungary and Poland", in der es heißt:
      • While the social context regarding anti-gender and anti-LGBTQI mobilisation is somewhat different in the two countries, the political context is quite similar.
      • Hungarian society is largely unreligious, individualistic, and objects to the state’s interference in private matters such as strict abortion rules. Polish society, in contrast, is much more religious with the Catholic Church having a significant influence on social issues and values. Together with this, in Poland, a fierce social resistance was organised against anti-gender and anti-LGBTQ mobilization.
      • In both countries, the governing parties, Fidesz in Hungary and Law and Justice (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) in Poland, have the same strategy for gaining and keeping political power and dismantling the democratic system based on the rule of law: they constantly picture their country as being under attack by some enemy against which they have a symbolic fight. With some time difference, by the end of the 2010s both have picked the alleged 'gender- and LGBTQI ideology/propaganda' as a key symbolic enemy.
      • Regarding LGBTQI rights, we can observe both similarities and differences. While in Poland basic rights, such as the civil same sex union or abortion are not granted, both countries are restrictive regarding policies intended to limit same-sex adoption and the legal recognition of gender change. Although both Hungary and Poland have banned sexual education and sensitisation towards LGBTQI communities from education, Hungary has been more restrictive in this regard, as it prohibits LGBTQI-related contents to be accessible for minors.
      • In both countries the main actor of the mobilisation is the governing party.
      o In Hungary, Fidesz has been the central actor since at least 20171. It supports in some way almost all the other actors and drives the prevalence of the topic by providing funds, organising events, shaping the public discourse, enacting policies, building partnerships, and founding new organisations.
      o In Poland, although PiS can be claimed to be the main actor as it has the most extensive resources for the mobilisation, it is strongly influenced by independent actors, such as the Catholic Church, which has a great influence on both public attitudes and policy-making in Poland, and the conservative think-tank, Ordo Iuris.
      • Both the Hungarian and the Polish actors have strong international connections in the topic. These connections have greater importance for the Hungarian government both in terms of building foreign influence and creating apparent international legitimacy. In Poland, international connections and coalition-building
      do not play such an important role in the mobilisation. Here mainly independent actors have a strong international network, especially in Central and Eastern Europe, of which they are in many cases the central actors.
      • Basically, the same anti-gender and anti-LGBTQI narratives can be observed in the mobilisation in Hungary and Poland. The main narratives in both countries picture the alleged 'gender and LGBTQI ideology/propaganda' as something that is attacking 'normality'. Normality here can mean conservative values, children, and families. According to these narratives, the main disseminators of the alleged “gender and LGBTQI ideology/propaganda” are usually those who oppose the government in some way, such as the Liberals, the Left, the West/Brussels/EU.
      Im Folgenden möchte ich auf den Einfluss LSBTIQ*-feindlicher Netzwerke und Ideologien in ausgewählten Staaten näher eingehen.

      Zu Ungarn:
      Anfang Mai 2023 fand in Budapest erneut eine rechtskonservative Konferenz von Evangelikalen aus den USA und Europa statt, an der auch die ungarische Regierung, aber auch Hans-Georg Maaßen aus Deutschland teilnahm (Rechte Konferenz in Ungarn- Regierung in Ungarn paktiert mit Evangelikalen und radikalen Rechten aus den USA und in Europa).
      Im Juni 2021 verabschiedete das ungarische Parlament ein Gesetz gegen „LSBTIQ*-Propaganda“. Dieses Gesetz erinnert sehr an die LSBTIQ*-feindlichen Antipropagandagesetze in Russland. Mit ihnen wird die Darstellung von LSBTIQ* sowie die Berichterstattung über queere Themen in den Medien und an allen Orten, an denen sich Kinder aufhalten könnten, verboten. Das Gesetz gibt es in Russland seit 2013, es wurde aber in der Folge weiter verschärft. Ähnliche Gesetze könnten bald in Rumänien [Fußnote 2] und Polen verabschiedet werden. In Polen und Rumänien werden immer wieder Gesetzesentwürfe diskutiert, die besonders in die Sexualaufklärung in Schulen und Bildungseinrichtungen eingreifen.
      Im Juni 2021 hat das ungarische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das für Personen unter 18 Jahren den Zugang zu Inhalten verbietet oder beschränkt, die sogenannte „von dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht abweichende Identitäten, Geschlechtsumwandlungen und Homosexualität“ darstellen oder verbreiten. Faktisch wird damit die Darstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Menschen (LSBTIQ*) sowie die Berichterstattung über queere Themen in den Medien und an allen Orten, an denen sich Kinder aufhalten könnten, verboten – also fast überall. (Quelle, Háttér Society, Report on Act LXXIX of 2021 amending certain acts for the protection of children and its implementation, Januar 2023) Am 15. Juli 2021 hat die Europäische Kommission deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet. Die Klage der Kommission wurde am 12. Februar 2023 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Die Mitgliedstaaten hatten ab diesem Zeitpunkt sechs Wochen Zeit, um schriftliche Stellungnahmen abzugeben.
      Nach Auffassung der Kommission verstößt das ungarische Gesetz nicht nur gegen mehrere Richtlinien und Grundfreiheiten, sondern auch gegen die Grundrechtecharta, insbesondere gegen die Menschenwürde, das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, das Recht auf Achtung des Privatlebens und das Recht auf Nichtdiskriminierung. Die Verstöße wiegen dabei so schwer, dass das Gesetz aus Sicht der Kommission auch die in Art. 2 EUV normierten Werte der Europäischen Union verletzt.
      Ungarn ignoriert seit Jahren kontinuierlich den Wertekanon der EU. Der Umbau des Landes zu einer autoritären Diktatur richtet sich immer wieder schonungslos gegen Minderheiten. Die gefährlichen Gesetze und die menschenfeindliche Rhetorik, die wir derzeit in Ungarn und in Polen beobachten können, verletzen nicht nur die Grundrechte queerer Menschen, sondern legitimieren auch Anfeindungen und Gewalt gegen LSBTIQ*. Das darf die Wertegemeinschaft der EU nicht weiter dulden.
      Wir haben große Hoffnung, dass der Europäische Gerichtshof die europäischen Grundwerte verteidigen und für den Schutz von LSBTIQ* entscheiden wird. Ein solches Urteil ist nicht nur wichtig, um das ungarische Gesetz aufzuheben, sondern auch um zu verhindern, dass ähnliche Gesetze in anderen EU-Mitgliedstaaten wie Polen oder Rumänien erlassen werden.
      Deutschlands Beitritt zum Gerichtsverfahren hat eine klare Botschaft vermittelt: Wir stehen für unsere EU-Werte der Inklusion, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Hoffentlich zeigt Deutschland nicht zum letzten Mal auf diese Weise, dass es nicht schweigt, wenn die Menschenrechte von LSBTIQ* angegriffen werden.
      Inzwischen hat Ungarn trotz dieses Verfahrens im Parlament ein weiteres queerfeindliches Denunziations-Gesetz verabschiedet – das absurder Weise die Whistleblower-Direktive umsetzen soll (Quelle). EVP, S&D, Renew, Grüne und Linke haben das gemeinsam im Europäischen Parlament in einem Schreiben an Kommissionspräsidentin von der Leyen verurteilt, was wir begrüßen.
      Auf queer.de hieß es hierzu:

      Zu Polen:
      2019 wurde in Polen ein Gesetzesentwurf zur Sexualaufklärung diskutiert, der vorsah, Personen unter Strafe zu stellen, wenn sie dafür „werben“, dass Minderjährige Geschlechtsverkehr oder andere sexuelle Aktivitäten aufnehmen. Bestraft werden sollte auch, wer das in Räumen einer Schule oder einer anderen Bildungseinrichtung macht. Dabei besteht die Gefahr vor allem darin, was nicht gesagt wird. Der Begriff „Werbung“ wurde in dem Gesetzesentwurf nicht näher definiert und blieb somit offen für Interpretationen. Wäre ein solcher Entwurf durch das Parlament gekommen, wäre die Sexualaufklärung an Schulen und die Tätigkeit außerschulischer Sexualaufklärungsprojekte illegal geworden.
      Bereits seit der letzten Parlamentswahl nutzt die polnische Regierungspartei PiS LSBTIQ*-Feindlichkeit als zentrale Strategie in ihrem Wahlkampf, um Wähler*innenstimmen im Namen von Familien- und Kinderschutz zu sammeln. So werden im polnischen Parlament sexuelle und reproduktive Werte massiv angegriffen. Ein Volksgesetzentwurf sieht etwa vor, Versuche, die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen an der Bildung zu verhindern (Quelle). Die PiS-Politiker*innen haben offen erklärt, dass das eigentliche Ziel des Gesetzentwurfs darin besteht, die "Sexualisierung von Kindern" zu stoppen - unter anderem den Unterricht über die sexuelle Identität und den Einfluss der "LGBTQ-Ideologie" auf Schulkinder zu verhindern.
      22. Die Begründung und Wortwahl erinnern dabei sehr an das Antihomosexualitätsgesetz in Russland, das jegliches neutrales Informieren oder akzeptierendes Sprechen über LSBTIQ* vor Minderjährigen - inzwischen ganz allgemein - als Propaganda bestraft.
      Die Akzeptanz von LSBTIQ* wird von der PiS und ultrakatholischen Organisationen seit Jahren als Angriff auf die Familie und auf die polnische Identität dämonisiert – mit erschreckendem Erfolg. LSBTIQ*-feindliche Ideologien werden dabei oft gepaart mit antifeministischen Parolen und Angriffen auf die sexuellen und reproduktiven Rechte. Religion und Nationalismus fungieren als Kit, um Rechtsradikale, ultrakatholische Fundamentalist*innen und Rechtspopulist*innen zusammenzubringen. Mit dem Label „LSBTI-freie Zone“ rühmen sich mehrere Städte und Gemeinden. Diese von offiziellen Autoritäten und Politiker*innen ausgehenden Angriffe legitimieren Hass und alltägliche Gewaltattacken auf LSBTIQ*.
      Von Anfang an stellte sich die katholische Kirche gegen die Akzeptanz und Rechte von LSBTIQ*. So warnte die polnische Bischofskonferenz bereits im März 2019, dass die Gleichbehandlung von Homo- oder Transsexuellen die Zivilisation in Europa gefährden könne und dämonisierte eine angebliche „Gender-Ideologie“. Homo- oder Transsexualität, seien laut den Geistlichen nur "erfundene ideologische Ideen", die der europäischen Zivilisation völlig fremd seien und ihre Zukunft zerstören würden. Anlass der Erklärung der Bischöfe war die Vorstellung der LGBT-Charta durch den Warschauer Bürgermeister und späteren Präsidentschaftskandidaten Rafał Trzaskowski. Die Regenbogen-Erklärung anerkannte die Gleichbehandlung von LSBTIQ* formell als Ziel der Stadt und sah politische Maßnahmen zur Unterstützung von LSBTIQ* vor.
      Präsident Duda hatte sich im Wahlkampf mehrmals mit queerfeindlichen Äußerungen profiliert. Unter anderem sagte er mit Blick auf LSBTIQ*: "Man versucht uns einzureden, dass das Menschen sind. Aber es ist einfach nur eine Ideologie" Letztlich sei "die LGBT-Ideologie" zerstörerischer als der Kommunismus. Seine Eltern und deren Generation hätten nicht dafür gekämpft, "dass wir akzeptieren, dass eine neue Ideologie auftaucht, die noch destruktiver für die Menschheit ist, eine Ideologie, die unter den Klischees von Respekt und Toleranz tiefe Intoleranz und Beseitigung verbirgt, Ausschluss all derer, die ihr nicht erliegen wollen".
      Präsident Duda hatte auch eine "Familien-Charta" vorgestellt, die seine Wahlversprechen für die Familienpolitik definierte. Darin verpflichtete er sich unter anderem, die Ehe als "Verbindung aus Mann und Frau" zu "schützen" und keine Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare zuzulassen. Auch verspricht er einen "Schutz von Kindern vor LGBT-Ideologie" und ein "Verbot der Propagierung von LGBT-Ideologie" in öffentlichen Institutionen.

      Zu Uganda:
      Am 25. April 2023 verwies Präsident Yoweri Museveni das Anti-Homosexualitätsgesetz 2023 an das Parlament zurück mit der Bitte, mehrere Klauseln des Gesetzes zu überdenken. Das Gesetz wurde an den Ausschuss für Recht und Parlamentarische Angelegenheiten verwiesen, um den Vorschlag des Präsidenten zu prüfen. Am 2. Mai 2023 legte der Ausschuss seinen Bericht vor, und das Parlament verabschiedete den Gesetzentwurf mit einigen Änderungen erneut.
      Die zivilgesellschaftliche Organisation HRAPF hatte vor dieser Änderung den Gesetzesentwurf in der am 21. März 2023 verabschiedeten Fassung analysiert, wobei sich diese rechtliche und menschenrechtliche Analyse ausschließlich auf die vom Parlament vorgenommenen Änderungen des Gesetzentwurfs konzentriert.
      Der LSVD forderte das Auswärtige Amt auf, alle diplomatischen Mittel zu nutzen, um die Unterzeichnung des geänderten Gesetzes durch den Präsidenten Yoweri Museveni zu verhindern. Das bedeutet zum Beispiel den Rückzug von Diplomat*innen und eine Reisewarnung für Uganda auszusprechen, sobald das Gesetz in Kraft tritt. Die kürzlich vorgestellten Richtlinien für eine feministische Außenpolitik, eine feministische Entwicklungspolitik und das LSBTI-Inklusionskonzept für Auswärtige Politik und Entwicklungszusammenarbeit von 2021 müssen konsequent angewandt werden. Alle Organisationen, die im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit in Uganda tätig sind, sollten öffentlich und lautstark gegen dieses Gesetz zu protestieren; so auch die Kirchen. Wo Menschenrechte von LSBTIQ* angegriffen werden, werden wir alle angegriffen.
      Die Kriminalisierung von LSBTIQ* in Uganda ist Teil des kolonialen Erbes. Das Gesetz bezieht sich, wie der Titel nahelegen würde, aber nicht nur auf Homosexualität, sondern auf alle LSBTIQ* - also jede Person, die in Opposition zu den binären Kategorien männlich und weiblich steht. In der aktuellen Version des Gesetzes bleibt noch unklar, welche konkreten „Vergehen“ und „homosexuellen Handlungen“ genau bestraft werden. Klar ist allerdings: die Verschärfung der homosexuellenfeindlichen Gesetzgebung ist ein Angriff auf alle Menschen in Uganda, denn jede Person, der ein „Mitwissen“ unterstellt wird, könnte zukünftig inhaftiert werden. Das Gesetz kann auch dazu benutzt werden, das Ausschalten politischer Gegner*innen durch die „Beschuldigung mit Homosexualität“ zu legitimieren. Erpressung und Denunziation wegen angenommener Homosexualität sind jetzt schon sehr verbreitet. Zudem greift der Gesetzesentwurf aktiv die zivilgesellschaftlichen LSBTIQ*-Organisationen an. Er sieht zudem vor, dass der Straftatbestand der Förderung der Homosexualität wieder eingeführt wird, also etwa die Herstellung, Beschaffung, Vermarktung, Ausstrahlung, Verbreitung von positiven Informationen über LSBTIQ*, die Finanzierung oder das Anbieten von Räumlichkeiten etc..
      Dieser extreme Fall zeigt: Homosexuellen- und Transfeindlichkeit haben nichts mit der wirklichen sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität einer Person zu tun, sondern mit Hass und Verachtung von Täter*innen, welche in massiver Verfolgung enden wird. Jetzt ist Handeln gefragt – denn das Gesetz könnte nach einem Monat tatsächlich in Kraft treten und alle gefährden! Aktuell befinden wir uns in einer kritischen Phase der Gesetzgebung, denn zum Inkrafttreten fehlt nur noch die Unterschrift des Präsidenten. Dieser hat bereits in der Vergangenheit seine Unterstützung für diese Verschärfung der strafrechtlichen Verfolgung von ausgedrückt.
      Die US-amerikanische Journalistin Rachel Maddow berichtete zur Verbindung von Uganda zu Evangelikalen in den USA:
      Sharon Slater, the president of Family Watch International has ties to Ugandan President Yoweri Museveni’s wife, Janet K. Museveni, and anti-gay minister, Martin Ssempa who was in strong support of Uganda’s original LGBTQ criminalization bill imposing the death penalty, according to Maddow.
      “I recently had the honor of meeting with Ms. Sharon Slater, President of Family Watch International, & her team. They attended the first African Regional Inter-Parliamentary Conference in Uganda, focusing on global challenges that threaten African families & values,” Janet K. Museveni tweeted on April 4.””

      Zu Ghana:
      In Ghana zeigt sich sehr deutlich die internationale Vernetzung der Anti-Gender-Bewegung. Hierzu verweise ich auf die Studie "Out of Bounds: Foreign and Digital Influence Targeting LGBTI Rights in Ghana" von Ipas:
      On January 24, 2023, Ghana appeared before the Human Rights Council of the United Nations to elaborate on actions it has taken to improve the human rights of its citizens. The Universal Periodic Review (UPR) was the country’s fourth, and happened at a time when the Ghanaian Parliament was considering one of the harshest bills against sexual minorities in Africa. Introduced as a Private Members Bill, this pernicious anti-LGBTQ+ legislation has been mischaracterized as “The Promotion of Proper Human Sexual Rights and Ghanaian Family Values Bill, 2021.”
      The bill seeks to criminalize LGBTQ+ relationships and associations as well as those who fight for LGBTQ+ rights, and places a duty on people and institutions, including the media, to report offenders to the police and help investigate and prosecute them. It also places liability on social media platforms such as Facebook, Twitter, and Instagram should they allow on their platforms material that supports LGBTQ+ activities and rights.
      Sponsored by eight members of parliament, the bill’s foremost supporters are religious groups and traditional leaders who repeatedly argue homosexuality is alien to Ghanaian culture and that its practice and spread is Western influenced and financed. As this report clearly documents, however, foreign interests are themselves the impetus for a bill driven by right-wing, mostly evangelical Christian groups in the U.S. that are on a strategic anti-rights mission around the world, and that, with the cooperation of its politicians, have set their sights on Ghana.
      The Attorney General and Minister for Justice, Godfred Dame, has made public assurances that Ghana is committed to protecting all its citizens, including LGBTQ+ persons, but the government has done very little to address the unprecedented wave of violent physical and verbal attacks unleased on the LGBTQ+ community since the bill’s introduction last year. On the contrary, I heard Dame in an interview he gave on national television, making transphobic remarks and stating that bisexuality was criminal and that he was “seriously anti-gay.” (See https://www.youtube.com/watch?v=rozxkUcvuCA).
      Traditional media coverage has also shown journalists’ antipathy towards the LGBTQ+ community, with a group called Journalists Against LGBTQ+ unabashedly leading and encouraging police swoops and public attacks on suspected LGBTQ+ gatherings.
      Ghana prides itself on being a beacon of democracy, so President Nana Addo Dankwa Akufo-Addo, who boasts a long track-record as a human rights lawyer, must intervene and impress on lawmakers that democracy demands the protection of all, including social and sexual minorities, and that legislating “proper human sexual rights and Ghanaian family values” flies in the face of democratic principles. So far, he seems to have abdicated his leadership on this matter in deference to the religious and cultural lobby. (Seiten IV-V)
      In 2021, the “Promotion of Proper Human Sexual Rights and Ghanaian Family Values Bill” was introduced in the Ghanaian Parliament. The bill, if passed, would criminalize LGBTI people and behavior, as well as those who support their rights, and even those who report on lesbian, gay, bisexual, transgender, and intersex (LGBTI) issues. In a region with many punitive anti-LGBTI bills, the Ghanaian version stands out for its cruelty and extremism. It would suppress not only fundamental human rights to dignity, privacy, non-discrimination, and freedom from cruel and inhuman treatment, but also the freedom of speech, expression, association, and assembly.
      The bill drew heated reactions from both detractors and supporters. The latter, mostly religious leaders and conservative politicians, aired their regressive anti-LGBTI views freely. Their opinions were amplified by rightwing media in Ghana, which regularly vilifies gay people and peddles in sensationalist and false reporting. This hostile digital landscape existed before the bill was introduced, and it wors-ened after, creating a violent environment, both on and offline, for LGBTI people.
      While there has been significant national and international media coverage of the bill, what is less understood is who is driving promotion of the bill, and the accompanying harmful public debate. This report seeks to fill that knowledge gap, identifying who is behind the external anti-LGBTI influence, detailing connections between Ghanaian leaders and conservative foreign groups, and showing how anti-LGBTI rhetoric, and social and other media traffic, are being shaped and driven by these interests.
      In recent years, U.S. anti-rights non-governmental organizations (NGOs) have sought to capitalize on and influence existing anti-LGBTI and anti-sexual and reproductive rights sentiment and policy in Ghana. This report includes an in-depth analysis and timeline of U.S.-based groups intervening in Ghanaian politics and society, including well-known extremist NGOs like the International Organization of the Family (IOF), Family Watch International (FWI), and CitizenGO, among others. […]
      Together, our findings show that:
      · Support for the anti-LGBTI bill and mounting hostility against the Ghanaian LGBTI community are manufactured by both domestic and international religious groups, and U.S.-based evangelical organizations are funding homophobia in Ghana;
      · The Ghanaian president and members of his government have liaised with foreign anti-LGBTI business executives, including at international right-wing “family policies” events;
      · Ghanaian religious leaders, including the Ghanaian Archbishop, have close ties to former U.S. President Donald Trump, anti-LGBTI religious personalities, and some Ghanaian pastors have received funding from an evangelical network in the United States;
      · Many anti-LGBTI media in Ghana are owned by non-Ghanaian consortiums including from Belarus and South Africa. These foreign-owned, for-profit media networks are incentivized to promote extremism and distrust by the algorithmic bias of large social media platforms toward conflict; [Seiten 1-3]
      Was getan werden kann:

      Zum Thema trans*:
      Zunächst einmal ist festzuhalten: Es gibt immer noch zu wenige Studien über die Lebensrealitäten von trans* Personen. Stattdessen wird mit der methodologisch fragwürdigen Studie zu “rapid onset gender dysphoria” weiter gezielte Fehlinformation betrieben: Die pseudowissenschaftliche Idee von Rapid Onset Gender Dysphoria (zu Deutsch etwa: „plötzlich auftretende Geschlechtsdysphorie“) vertritt die Annahme, dass sich Jugendliche überraschend und aufgrund von sozialem Druck als trans* outen. Diese Darstellung beruht auf einer Studie, in welcher allein Eltern von trans* Jugendlichen befragt wurden, die das Coming-out ihres Kindes nicht akzeptierten. Die Jugendlichen selbst wurden nicht in die Studie einbezogen. Diese einseitige Auseinandersetzung wurde nach Veröffentlichung deutlich kritisiert. Die renommierte Brown University, an der die Studie ursprünglich durchgeführt wurde, entfernte den Verweis auf diese Forschungsarbeit von der eigenen Website. Die wissenschaftliche Zeitschrift, welche die Studie zuerst veröffentlicht hatte, druckte eine überarbeitete und kommentierte Version der Arbeit, die die zugrunde liegende Annahme der Rapid Onset Gender Dysphoria nicht belegen konnte. Die Vorstellung, dass trans* Jugendliche sich sehr spontan und aufgrund von sozialem Druck outen, konnte in weiteren Studien nicht bestätigt werden. Im Gegenteil zeigt sich deutlich, dass trans* Jugendliche meist mehrere Jahre bis zum äußeren Coming-out abwarten (siehe Frage Nr. 9) und in ihrem Umfeld weiter Diskriminierungen ausgesetzt. Diese wiederholten Erfahrungen von Diskriminierung sind belastend und erhöhen das Risiko unter trans* Jugendlichen, eine Depression oder Angststörung zu entwickeln oder einen Suizidversuch zu unternehmen. (Quelle)

      Möglichkeiten der Bundesregierung international: Hierzu möchte ich auch auf die Antworten zu den Fragen 1 und 2 der Sachverständigen Sarah Kohrt der Hirschfeld-Eddy-Stiftung (HES) verweisen.
      Zunächst einmal gilt es, die Selbstverpflichtung der Feministischen Außen- und Entwicklungspolitik ernst nehmen. Deutschland folgte in diesem Jahr mit seiner Erklärung zur Feministischen Außen- und Entwicklungspolitik dem Beispiel von Schweden (2014-2022), Kanada (2017), Frankreich (2019), Mexiko (2020), Spanien (2021), Luxemburg (2021), Chile (2022) und Kolumbien (2022). Schon früh hatte Deutschland sich zu den Yogyakarta-Prinzipien bekannt. Im März 2021 wurde dann nach jahrelangem Drängen aus der Zivilgesellschaft per Kabinettsbeschluss das „LSBTI-Inklusionskonzept der Bundesregierung für die Auswärtige Politik und die Entwicklungszusammenarbeit” verabschiedet. Der LSVD und seine Hirschfeld-Eddy-Stiftung waren dabei treibende Kräfte. Das BMZ formuliert in seinen Leitlinien, dass das LSBTI-Inklusionskonzept „konsequent“ umgesetzt werden soll (BMZ, S. 29). Deutschland hat bereits im Koalitionsvertrag der Ampelregierung von 2021 eine Feministische Außenpolitik angekündigt. Die enge Zusammenarbeit zwischen AA und BMZ bei der Einbeziehung von LSBTIQ* in die Feministische Außen- und Entwicklungspolitik konnte auf der Zusammenarbeit beim LSBTI-Inklusionskonzept aufbauen. Wir hoffen, dass das auch bei der Umsetzung der feministischen Politiken und des LSBTI-Inklusionskonzepts gelingt. Im LSBTI-Inklusionskonzept ist bereits mit konkreten Beispielen und Umsetzungsideen dargestellt, wie diese Inklusion und das Mitdenken von LSBTIQ* aussehen sollte.
      Darüber hinaus regen wir an, dass die Bundesregierung dem Beispiel Frankreichs, Großbritanniens, Kanadas oder der USA folgt und eine*n Sonderbeauftragte*n für LSBTIQ* und Menschenrechte ernennt. Im engen Austausch mit den Kolleg*innen der anderen ERC-Mitgliedsstaaten, mit dem Europäischen Rat und der Europäischen Kommission muss der Einsatz der Bundesregierung für die Menschenrechte von LSBTIQ* gezielt gesteuert und abgestimmt werden. Eine solche auf die Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit fokussierte Position und Arbeit wäre eine notwendige Ergänzung zum Engagement des Queerbeauftragten, der die nationale LSBTIQ*-Politik begleitet.

      Möglichkeiten der Bundesregierung auf EU-Ebene (am Beispiel Polens): 

      • Die Bundesregierung und Bundestag sollten Ausrufung von LGBT-freien Zonen Polens als Verstoß gegen EU-Grundrechtecharta benennen und dagegen protestieren. LSBTIQ* sollte in der Zukunft als Thema bei allen binationalen Treffen auf die Agenda gesetzt werden.
      • Deutschland muss seinen Widerstand im EU-Ministerrat gegen die fünfte Antidiskriminierungsrichtlinie endlich aufgeben. Die EU-Kommission schlägt bereits seit 2008 diese Antidiskriminierungsrichtlinie vor: LSBTIQ* werden in vielen europäischen Ländern weiterhin Rechte vorenthalten, die sie in Deutschland durch das Allgemeine Gleichstellungsgesetz bereits haben. Trotzdem verhindert vor allem Deutschland seit Jahren eine Verabschiedung.
      • Bestimmte Initiativen und Projekte (nicht) unterstützen
      • Förderprogramme mit Fokus auf LSBTIQ* und Städtepartnerschaften
      • länderübergreifende Kulturarbeit: Austausch, Empowerment und Antidiskriminierung
      • Neues Förderprogramm für Aktivist*innen und Organisationen, deren Arbeit in ihrem Heimatland bedroht ist – „Countering shrinking spaces for LGBTI Organisations“ bzw. finanzielle Unterstützung von queeren Vereinen und Initiativen.

      Fußnote 1: BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 27. Mai 2008 – 1 BvL 10/05, Rn. 38, http://www.bverfg.de/e/ls20080527_1bvl001005.html ; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 6. Dezember 2005 – 1 BvL 3/03, Rn. 50, http://www.bverfg.de/e/ls20051206_1bvl000303.html 

      Fußnote 2: Im Mai 2022 kam ein Gesetzesentwurf durch den Senat in Rumänien, der Kinder vor der "Popularisierung von Geschlechtswechsel oder Homosexualität" schützen sollte. In seinen Grundzügen erinnerte auch dieser Entwurf an die queerfeindlichen Gesetzesentwürfe aus Russland. (vgl. "Putinistisches Gesetz"
      Verbietet auch Rumänien Trans- und Homo-"Propaganda", 1. Mai 2022, https://www.queer.de/detail.php?article_id=41889)
      Auf folgende Quellen möchte ich hier besonders hinweisen:
      Forbidden Colours, Fact Sheet Anti-gay proganda law Hungary , März 2023

    • LSVD Antwort Frage 6

      Hierzu verweise ich auf die Antwort der Sachverständigen Sarah Kohrt der Hirschfeld-Eddy-Stiftung (HES) und die der Geschäftsführerin von ILGA World, Julia Ehrt.

      Zudem möchte ich auf folgende Quellen und Studien hinweisen, die hier von besonderem Interesse sind:
      USDOS (Aktuell vom 22 März 2023), ILGA World Database und ILGA Berichte: 

      Ergänzend möchte ich zu einigen ausgewählten Ländern beispielhaft ausführen:

      Zu Afghanistan:
      Hierzu möchte ich die Ausführungen meines Vorstandskollegen Dr. Jörg Hutter wiedergeben zum Ausmaß der Verfolgung von afghanischen LSBTIQ*. Dr. Jörg Hutter arbeitet seit März 2022 zusammen mit dem afghanischen LSBTIQ*-Aktivisten Ali Tawakoli an der Aufnahme von gefährdeten LSBTIQ* aus Afghanistan:
      Den afghanischen Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen und queeren Menschen (LSBTIQ*) droht in Afghanistan ausnahmslos die physische Vernichtung. Selbst wenn derzeit der Umfang und das Ausmaß dieser Mordaktion noch nicht quantitativ erfassbar sind, sprechen eine Vielzahl von Indizien für diese Annahme.
      1. Die Taliban selbst haben dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Crimes against humanity) vor und während der Machtübernahme in Afghanistan angekündigt:
      »Für Schwule gibt es nur zwei Strafen: Entweder Steinigung oder er muss hinter einer Mauer stehen, die auf ihn fällt. Die Mauer muss 2,5 Meter bis drei Meter hoch sein.« (Taliban-Richter: »Für Schwule gibt es nur die Todesstrafe«)
      2. Alle von uns betreuten Menschen berichten ausnahmslos davon, dass viele Ihrer Freunde*innen und Bekannte verhaftet wurden und seither verschwunden sind. Von vielen dieser Deportierten gibt es seitdem kein Lebenszeichen mehr.
      3. Diejenigen, die verhaftet worden waren und aus den verschiedensten Gründen wieder freigekommen sind, berichten davon, dass die Taliban in den für LSBTIQ* geschaffenen Foltergefängnissen viele ihrer Leidensgenossen grausam ermordet haben (vgl. dazu auch: OutRight Action International , A Mountain on My Shoulders: 18 Months of Taliban Persecution of LGBTIQ Afghans, Februar 2023).
      4. Viele der gefolterten und wieder freigekommenen Menschen berichten, dass sie nur deshalb wieder freigekommen sind, weil sie unter Folter nicht gestanden haben, lesbisch, schwul oder transgeschlechtlich zu sein. Hätten sie es getan, wären sie sofort grausam hingerichtet worden.
      5. In Afghanistan existiert keine Gewaltenteilung mehr. Jeder Taliban kann die Scharia nach eigenem Ermessen auslegen, eine Person auf der Stelle verhaften, ihre Hinrichtung verfügen und sofort vollstrecken. Er ist somit unfehlbarer Führer, Ankläger und Richter zugleich. Daher ist davon auszugehen, dass viele Hinrichtungen gar nicht registriert werden und wir es mit einer hohen Dunkelziffer zu tun haben.
      6. Die Ideologie der Taliban ist darauf ausgerichtet, eine total gleichförmige Gesellschaft zu schaffen. Hierbei akzeptieren sie weder Abweichungen hinsichtlich ethnischer Unterschiede (etwa Hazara), noch solche auf der Ebene sozialer Abweichungen (politisch, religiös, Abweichungen von einer unter absoluter männlicher Dominanz stehenden Frauenrolle etc.).
      7. Bei der Gruppe der sozialen Abweichungen stechen besonders der Hass und die damit gepaarte Brutalität ins Auge, mit der die Taliban auf Abweichungen von der Heteronormativität und den binären Geschlechtsrollen reagieren. Hierin besteht eine auffällige Parallelität zur Verfolgung unter dem Nationalsozialismus. Dort zählte genau diese Gruppe zu derjenigen mit den geringsten Überlebenschancen in den Lagern (vgl. hierzu Lautmann, Rüdiger 1977: Der rosa Winkel in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern, in: Seminar Gesellschaft und Homosexualität, 325-365, hierzu 350).
      8. Die Betroffenen haben keine Chance, einer Etikettierung als lesbisch, schwul oder transgeschlechtlich zu entkommen. Soziale Auffälligkeiten wie ein unverheirateter Single-Status, fehlender oder zu geringer Bartwuchs, eine zu helle Stimme etc. reichen bereits aus, ins Fadenkreuz der Verfolger zu geraten. Insbesondere können in Mobiltelefonen registrierte Kontaktdaten dazu führen, in Verdacht zu geraten und ebenso verhaftet, gefoltert und ermordet zu werden.
      Ein Beispiel soll das zum Abschluss verdeutlichen:
      „Aufgrund der alten religiösen Tradition in Afghanistan haben auch die Familien meiner engen schwulen Freunde diese zwangsverheiratet. Nachdem nun auch ich Opfer einer Zwangsehe geworden bin (…) fanden die Taliban heraus, wo ich wohne, und griffen meine Wohnung an. Meine Frau und ich konnten nur mit Mühe fliehen. Ich verletzte mich auf der Flucht. Die Taliban fahnden nun nach uns beiden. Sie wollen mich verhaften, weil ich schwul bin und sie wollen meine Frau zerstören, weil sie einen Homosexuellen geheiratet hat. (…)“
      Schlussfolgerung:
      Das Bundesaufnahmeprogramm ist hinsichtlich der Gruppe der verfolgten LSBTIQ* Personen anders zu justieren. Denn offensichtlich führt die derzeitige monatliche Auswahl nach Quoten dazu, dass eine bedeutende Anzahl von Personen nicht ausgewählt wird. Das heißt, dass diese letztlich nicht ausreisen können und mit hoher Wahrscheinlichkeit enttarnt, gefoltert und ermordet werden. Es muss daher bei der Gruppe der afghanischen LSBTIQ* heißen: Keine*r darf zurück gelassen werden!

      Zu Iran:
      Der Tod von Mahsa Jina Amini in Gewahrsam der iranischen Sittenpolizei löste im September 2022 landesweite Proteste im Iran aus. Die Proteste wurden von den Sicherheitskräften des Regimes gewaltsam unterdrückt. Bis heute wurden mindestens 500 Menschen, darunter mindestens 71 Kinder, getötet, Tausende wurden verletzt, darunter auch einige, die durch Schüsse erblindeten, und etwa 20.000 weitere Menschen wurden festgenommen. Trotz der massiven Unterdrückung der Proteste waren Minderheiten und marginalisierte Gruppen mit die lautesten Stimmen. Eine der größten Minderheitengruppen, die während der Proteste sichtbar wurde, war die LSBTIQ* Community. Die Probleme der Angehörigen dieser Minderheit sind so auch in das Blickfeld der iranischen Öffentlichkeit gerückt. Die Community hat immense Unterstützung erfahren, zum Beispiel durch Graffiti auf Universitätsgeländen, um diese als sichere Orte für LSBTIQ* Personen zu kennzeichnen. Außerhalb des Irans hat sich die iranische LSBTIQ* Diaspora zusammengeschlossen, um den Stimmen innerhalb Irans Gehör zu verschaffen. Von öffentlichen Reden über LSBTIQ* Themen, bis hin zu Treffen mit internationalen Akteur*innen, trugen die Exil-Aktivist*innen wesentlich dazu bei, die Gemeinschaft sichtbar zu machen. Der Mut der Gemeinschaft, sich sichtbar zu machen, hat dazu geführt, dass viele offen über ihre Identität sprechen, im Fall, dass ihre Familien versuchen sollten, sie zu verleugnen. Es gab Fälle, in denen LSBTIQ* Personen Regenbogenflaggen hielten, sich in der Öffentlichkeit küssten und Graffitis mit pro-LSBTIQ* Sprüchen auf Wände sprühten. Dieser Mut und dieses Auftreten konnten von den Behörden der Islamischen Republik nicht unbemerkt bleiben. Die offiziellen Hassreden gegen die LSBTIQ* Community waren eine Reaktion auf die zunehmende Sichtbarkeit. Im Zusammenhang mit dem Regime der Islamischen Republik sind diese Handlungen besonders gefährlich. In einem Land, in dem gleichgeschlechtliche Beziehungen kriminalisiert und mit Strafen von Auspeitschung bis zur Todesstrafe geahndet werden (Artikel 233-240), kann das Sichtbarwerden als LSBTIQ* harte Strafen mit sich bringen. Abgesehen von der Gesetzeslage ist die iranische Gesellschaft dieser Gemeinschaft gegenüber nicht besonders aufgeschlossen - Schikanen, soziale Isolation, Zwangsheirat und Ehrenmorde sind häufige Erfahrungen von LSBTIQ* Personen. Obwohl sich die jüngsten Proteste um die Sichtbarkeit von LSBTIQ* Personen bemüht haben, sind Hassreden nach wie vor weit verbreitet, vor allem von Staatsbediensteten, die sie öffentlich nutzen, um LSBTIQ* Personen weiter zu diskriminieren. In den staatlichen Medien werden LSBTIQ* Personen als "unmoralisch und korrupt", "animalisch und unmenschlich" sowie als "krank und krankhaft" dargestellt. Abgesehen davon, dass sie als minderwertig dargestellt werden, werden LSBTIQ* Personen oft beschuldigt, mit westlichen Imperialist*innen zusammenzuarbeiten oder antirevolutionär zu sein. Diese Äußerungen waren im Zeitraum von September 2022 bis Februar 2023 wiederholt zu beobachten. Die Hassreden nahmen in der Zeit der Proteste zu, während LSBTIQ* Personen an der Vorfront der Proteste standen. Die Zunahme von Hassreden hat direkte Auswirkungen auf das psychische und physische Wohlbefinden von LSBTIQ* Menschen im Iran. Die geächtete Gemeinschaft erfährt eine Verschärfung der häuslichen und sozialen Gewalt, Schikanen, Vorurteile von Seiten der Familie und Gesellschaft, wie auch Missbrauch.

      Zu Pakistan:
      Seit Anfang September 2022 hat sich die Situation für die LSBTIQ* Community in Pakistan – dabei insbesondere für NGOs, die öffentlich zu den Themen trans* und HIV und informell zu LSBTIQ* allgemein arbeiten, massiv verschärft.
      Fundamentalistische Sunnit*innen und Parteien, die zur neuen Regierung gehören, machen massiv Stimmung gegen den Transgender Persons (Protection of Rights) Act von 2018 und bringen dabei jedweden Einsatz für trans* oder LSBTIQ*-Rechte mit Homosexualität und der internationalen (globalen, westlichen) LSBTIQ*-Agenda in Verbindung.
      Am 30. September hat die Jamiat Ulema-e-Islam-Fazl (JUI-F), ein Verbündeter der Regierung und Teil des Pakistan Democratic Movement (PDM), den Transgender Protection Act 2018 vor dem Federal Shariat Court (FSC) angefochten (siehe dazu den am 30. September 2022 in Tribune veröffentlichten Artikel „JUI-F moves Shariat court against transgender act - Party chief claims law is against Islam, says he will submit amendments to parliament“. In der Petition forderte die JUI-F, dass das Gesetz für schariawidrig erklärt wird, und fügte hinzu, dass "kein Gesetz gegen Koran und Sunna im Land gemacht werden kann". Der FSC hat den Antrag der Partei für eine erste Anhörung am Montag, den 3. Oktober 2022, angesetzt. Eine hochrangige Sitzung des Council of Islamic Ideology (CII) hat erklärt, dass der Transgender Act neue soziale Probleme verursachen könnte und dass mehrere Bestimmungen des Gesetzes insgesamt nicht mit den Grundsätzen der Scharia vereinbar seien. Die religiösen Parteien sind der Meinung, dass dieser Gesetzentwurf in Wirklichkeit ein Versuch ist, Homosexualität im Land rechtlich zu schützen. Senator Mushtaq Ahmad Khan von der Jamaat-e-Islami (JI) hat das Gesetz ebenfalls vor dem Scharia-Gericht angefochten. Maulana Fazlur Rahman, Vorsitzender der JUI-F, hatte ebenfalls erklärt, dass das Gesetz gegen die Lehren des Heiligen Koran und der Sunna verstoße, und hinzugefügt, dass er im Parlament Änderungsanträge dazu einbringen werde.
      Bereits am 20. September 2022 hatte Tehreek-e-Taliban Pakistan (TTP) sich öffentlich gegen den Transgender Act gestellt (siehe Pressemitteilung von TTP und den Artikel in Minute Mirror vom 24. September 2022 – „ Religious parties expedite drive against transgender law Claim the law is anti-religion; will promote homosexuality“. 
      Am 1. Oktober 2022 hat der YouTube-Kanal "Maulvi with an attitude" von Raja Zia Ul Haq unter dem Titel „#Transgender #LGBTQ #Pakistan Exposing the Dark Agenda Transgender Act 2018“ ein Interview mit einem Panel ausgestrahlt, zu dem auch ein Anwalt namens Imran Shafique gehört, der gegen das Transgender-Gesetz vor dem Scharia-Bundesgericht kämpft. Während dieses zweistündigen Videos diskutierten sie das Gesetz aus islamischer Sicht und behaupteten mehrmals, dass dieses Gesetz zur Unterstützung der LSBTIQ*-Community gemacht wurde. Bei Minute 10:15 stellte einer der Diskussionsteilnehmer, der über den wachsenden Einfluss von LSBTIQ* in Pakistan spricht, zwei Pionierorganisationen sowie den Namen eines bekannten Aktivisten vor. Außerdem erörterte er die Rolle der ILGA bei der Unterstützung der Community, erwähnte ihre Website und was dort über ihre Zusammenarbeit mit pakistanischen Organisationen steht. Bei 01:49:57 Uhr werden außerdem die Namen der Organisationen genannt, die sich für die Gemeinschaft einsetzen.
      Am 16. Februar 2023 sprach sich Senator Walid Iqbal für den Vorschlag aus, den Begriff Transgender durch den „Khunsa: Intersex" zu ändern. Die Änderung wird Transgender und sexuelle Minderheiten in die Illegalität treiben.
      Am 14. März 2023 eröffnete der Rat für Islamische Ideologie (CII) eine wichtige Sitzung, um das 2018 verabschiedete Gesetz zu ändern, sodass wichtige Rechte von Transgender-Personen entzogen werden.

      Zu Usbekistan:
      Kriminalisierung von gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen und die andauernde Anwendung des Gesetzes
      Laut Artikel 120 des aktuellen usbekischen Kriminal Kodexes stellen freiwillige sexuelle Handlungen zwischen Männern einen Straftatbestand dar, der mit bis zu drei Jahre Haft bestraft werden kann. Allein 2021 wurden laut dem Usbekischen Nationalzentrum für Menschenrechte (NCHR) und dem usbekischen Parlamentarischen Ombudsmann für Menschenrechte 36 Personen unter Artikel 120 verurteilt, davon 25 zu Haftstrafen. Diese Angaben zeigen eine deutliche Steigerung im Vergleich zu den offiziellen Zahlen des Usbekischen Ministeriums des Inneren von 2016 bis 2020.
      Usbekistan verwendet Zwangsanaltests, um gleichgeschlechtlichen Verkehr bei schwulen und bisexuellen Männern sowie bei trans Frauen “nachzuweisen”. Die vermeintlichen Ergebnisse haben Bestand vor usbekischen Gerichten als Beweis, um Menschen aufgrund ihrer “nachgewiesenen” Homosexualität zu verhaften. Der Weltärztebund (WMA) verurteilt Zwangsanaltests als Folter.
      Usbekistan ist eins von lediglich zwei Ländern, die in Osteuropa und Zentralasien weiterhin freiwilligen gleichgeschlechtlichen Verkehr kriminalisieren. Die andauernde Kriminalisierung sorgt für eine feindliche Atmosphäre, in der LSBTIQ* regelmäßig willkürlich verhaftet werden sowie Verfolgung und Gewalt zum Opfer fallen. Die aktuelle Gesetzeslage hindert LGBTQ Menschen daran, ihr Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zu realisieren.
      Die Auswirkung der Kriminalisierung auf HIV-Prävention und -Behandlung. Staatliche HIV-Zentren in Usbekistan melden HIV-positive schwule und bisexuelle Männer sowie trans Frauen bei der Polizei.
      2022 brachte das usbekische Ministerium des Inneren einen Gesetzentwurf vor, der Zwangstests für HIV und sexuell übertragene Infektionen (STI) bei Polizeirazzien erlauben würde. Das Gesetz zielt unter anderem auf Männern, die Sex mit Männern haben, Sex-Arbeiter*innen und andere vulnerable Gruppen (Quelle).
      Laut einem Bericht der “Eurasian Coalition on Health, Rights, Gender and Sexual Diversity” (ECOM), gab es 2022 mindestens vier Strafprozesse wegen Artikel 120. In einem Fall wurde der Angeklagte aufgrund seines HIV-Status‘ zusätzlich unter Artikel 113 (Verbreitung von HIV oder einer sexuell übertragenen Infektion) zu insgesamt sechs Jahre Haft verurteilt - obwohl er sich bereits in HIV-Behandlung befand und das Virus nicht übertragen können hätte
      HIV-Zentren sind für schwule, bisexuelle und trans* Menschen kein sicherer Ort. Viele dieser Menschen ziehen es daher vor, sich überhaupt nicht testen zu lassen. (Quelle: The State of LGBTQI+ Rights in Uzbekistan. Council for Global Equality (April 2023) , Bericht an den Kongress der Vereinigten Staaten)

    • LSVD Antwort auf Frage 7

      Ich verweise hier auf die Antwort von Julia Ehrt, Geschäftsführerin von ILGA World, im Rahmen dieser Anhörung und auch auf die Antwort der Sachverständigen Sarah Kohrt der Hirschfeld-Eddy-Stiftung (HES).
      In meiner Antwort möchte ich mich vor allem auf den Einfluss des deutschen Gesetzes gegen Konversionstherapien fokussieren sowie auf die Verlautbarungen deutscher Regierungsvertreter*innen zum Thema.
      Das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen in Deutschland hat zum Thema Konversionstherapien klar Position bezogen und dabei im Inland Konversionsbehandlungen verboten und unter Strafe zu gestellt.
      Im Gesetzentwurf der Bundesregierung (Drucksache 19/17278) wird sehr deutlich, dass Konversionsbehandlungen eine Menschrechtsverletzung darstellen:
      Mit sogenannten Konversionstherapien wird in die sexuelle und geschlechtliche Entwicklung und Selbstbestimmung, in die körperliche Unversehrtheit sowie den Achtungsanspruch und die Ehre des Einzelnen eingegriffen.
      Betroffen sind besonders vulnerable Personen wie Minderjährige, da sie sich noch in der Phase der Identitätsfindung befinden, und Volljährige, wenn ihre Einwilligung zu einer sogenannten Konversionstherapie auf einem Willensmangel beruht, beispielsweise, weil sie durch Zwang oder durch Täuschung zustande kam. (Seiten 1 -2) […]
      Das spezifische Unrecht von Konversionsbehandlungen liegt zum einen in der Verletzung der sexuellen und geschlechtlichen Selbstbestimmung der Betroffenen, die als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG) geschützt ist; hier liegt der Unrechtskern der Konversionsbehandlungen. […]
      Zum anderen liegt eine Verletzung der körperlichen Integrität vor, die gemäß Artikel 2 Absatz 2 GG verfassungsrechtlichen Schutz genießt. Ein Konversionsversuch kann eine Vielzahl an für den Körper negativen Folgen hervorrufen. Beispielsweise den Verlust
      53
      The State of LGBTQI+ Rights in Uzbekistan. Council for Global Equality (April 2023) , Bericht an den Kongress der Vereinigten Staaten
      sexueller Empfindungen sowie die Entstehung von Depressionen, Ängsten und Suizidalität. (Seite 10)
      Diese klare Haltung der Bundesregierung zu Konversionsbehandlungen haben 2020 auch drei damalige Kabinettsmitglieder auf der internationalen Bühne bekräftigt, und zwar

      Der Unabhängige Experte der VN für den Schutz vor Gewalt und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität Victor Madrigal-Borloz hat sich in seinem Bericht von Mai 2020 zum Thema Konversionstherapien geäußert und auch dazu, dass diese Behandlungen als grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung anzusehen sind.

      The Special Rapporteur on the right of everyone to the enjoyment of the highest attainable standard of physical and mental health and the Independent Expert expressed grave concerns that stigma and prejudice, criminalization of sexual orientation and gender identity, negation and the remnants of pathologization have a negative impact on national health policies and practices. (Quelle)
      61. Similarly, the Committee on the Rights of Persons with Disabilities expressed concerns about discrimination against persons perceived to have a disability in the Islamic Republic of Iran, including on the grounds of sexual orientation and gender identity, who were forced to undergo medical treatment. (Fußnote 4
      62. United Nations entities and human rights mechanisms have expressed concern about practices of “conversion therapy” (Fußnote 5), and the United Nations anti-torture machinery has concluded that they can amount to torture, cruel, inhuman or degrading treatment (Fußnote 6)
      64.The Committee against Torture and the Special Rapporteur on torture and other cruel, inhuman or degrading treatment or punishment have issued explicit reproaches against the treatments that are forced, involuntary or otherwise coercive or abusive (Fußnote 7), and the Committee on the Rights of the Child has connected those practices with violations of the rights of all adolescents to freedom of expression and respect for their physical and psychological integrity, gender identity and emerging autonomy (See Committee on the Rights of the Child, general comment No. 20 (2016) on the implementation of the rights of the child during adolescence.). In 2020,the Independent Forensic Expert Group concluded that “conversion therapy constitutes cruel, inhuman, or degrading treatment when it is conducted forcibly or without an individual’s consent and may amount to torture depending on the circumstances, namely the severity of physical and mental pain and suffering inflicted”.
      63. The Independent Expert observes that all practices of “conversion therapy” take as a point of departure the belief that sexually diverse or gender-diverse persons are somehow inferior – morally, spiritually or physically – than their heterosexual and cisgender siblings and must modify their orientation or identity to remedy that inferiority. The opposite view, supported by international human rights law, is that lesbian, gay, bisexual, trans and gender-diverse persons are equal to others, that their sexual orientation and gender identity are a natural part of their development, without any detrimental qualification to their moral stature, their mental or physical health or their ability to seek and achieve fulfilment through spirituality. That recognition is fundamental to giving content to the principle of dignity, according to which there is an innate and equal value of all human beings. […]
      64. It follows that means and mechanisms that treat lesbian, gay, bisexual, trans or gender-diverse persons as lesser human beings are degrading by their very definition. The Independent Expert observes that sexual orientation and gender identity are a fundamental part of the personal integrity of such persons and part of the furtherance of their life plans and the pursuit of happiness. All practices of “conversion therapy” however share the premise that sexual orientation and gender identity can be extricated – expelled, cured or rehabilitated – as if they were alien to the person, a most inhuman understanding of human existence. The overwhelming evidence available on the psychological and physical suffering inflicted on victims, as well as its lasting effects, leads the Independent Expert to conclude that perpetrators must act on callous disregard for human suffering. The asymmetrical power relationship between an enlightened converter and a benighted convert further evokes the dehumanization, moral exclusion and delegitimating rationale, which not only is an enabling mechanism of torture, but lies at the base of most gross human rights violations in recorded history.
      65. Given the Independent Expert’s conclusions that practices of “conversion therapy” comprise treatment that is degrading, inhuman and cruel in its very essence and on the risks that it creates for the perpetration of torture, he considers that specific claims of perpetration of practices of “conversion therapy” should be promptly investigated and, if relevant, prosecuted and punished, under the parameters established under the international human rights obligations pertaining to the prohibition of torture and cruel, inhuman or degrading treatment or punishment. It follows that, under the conditions established therein, those cases may engage the international responsibility of the State.
      Darüber hat neben NBC News und vielen anderen Medien auch Bild Online am 28. Juni 2020 unter der Schlagzeile „Wichtiger U.N.-Bericht ‚Homoheilung‘ ist wie Folter berichtet und dabei explizit auf das Beispiel Ghana verwiesen. Viele Länder hatten versucht, die Veröffentlichung zu behindern.“
      In Deutschland ist seit Juni 2020 das Gesetz zum Schutz vor sogenannten Konversionsbehandlungen in Kraft und stellt Behandlungen unter Strafe, die auf die Veränderung oder Unterdrückung der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität abzielen. Leider ist der Gesetzgeber den weitgehend einheitlichen Empfehlungen von Fachverbänden und Community trotz eines langwierigen Beteiligungsprozesses nicht gefolgt. Es ist zu befürchten, dass aufgrund erheblicher Mängel im Gesetz ein effektiver und konsequenter Schutz für LSBTIQ* nicht erreicht werden kann. Der LSVD fordert Nachbesserung.
      Konversionsmaßnahmen sind gefährlich und führen zu unfassbarem Leid bei den Betroffenen. Die Sicherstellung des psychischen und physischen Wohlergehens von LSBTIQ* und der Schutz vor Schäden durch Konversionsmaßnahmen sind Aufgabe des Staates. Das Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen war ein wichtiger erster Schritt. Für eine effektive Ächtung dieser Angebote braucht es jedoch Nachbesserungen. Konversionsmaßnahmen sollten grundsätzlich verboten sein. Das Gesetz erlaubt jedoch die Durchführung von Behandlungen an Volljährigen, wenn eine informierte Einwilligung vorliegt. Da weder einer gleichgeschlechtlichen sexuellen Orientierung, noch Transgeschlechtlichkeit ein Krankheitswert zukommt, kann eine Konversionsmaßnahme niemals indiziert sein, und es wird grundsätzlich an einer wirksamen Einwilligung fehlen. Zumindest sollte in Anlehnung an die Sozialgesetzgebung eine Schutzaltersgrenze von 26 Jahren vorgesehen werden. Das Gesetz sieht eine Ausnahmeregelung hinsichtlich der Strafbarkeit für Erziehungsberechtigte bei der Mitwirkung an Konversionsmaßnahmen vor, wenn sie durch die Tat nicht ihre Fürsorge- und Erziehungspflicht gröblich verletzen. Die Eltern haben eine besondere Pflicht, ihre Kinder vor schädlichen und gefährlichen Konversionsmaßnahmen zu schützen; ein Verstoß gegen diese Schutzpflicht stellt immer eine gröbliche Verletzung der Fürsorgepflicht dar. Diese Ausnahme ist daher verfehlt und muss ersatzlos gestrichen werden. Im Interesse des Kindeswohls ist es vielmehr geboten, dass der Staat sein Wächteramt über die Ausübung der elterlichen Sorge ernst nimmt und das gesetzliche Verbot der sog. Konversionstherapien familienrechtlich flankiert und jede Einwilligung der Eltern in die mit diesem Gesetz untersagten Behandlungen rechtlich ausschließt. Der LSVD fordert die umfassende gesellschaftliche Ächtung von Konversionsangeboten und -behandlungen. Es bedarf dafür der umfassenden Sicherstellung und Finanzierung von flächendeckenden Aufklärungs- und Beratungsangeboten. Zudem muss das Thema in die Lehrpläne der Schulen aufgenommen werden, um gerade Kinder und Jugendliche vor diesen gefährlichen Angeboten effektiv zu schützen. Es ist zudem auch Aufgabe des Staates, die öffentliche Förderung für Institutionen zu unterbinden, die solche „Behandlungen“ anbieten oder empfehlen. Ein eventueller Status der Gemeinnützigkeit oder der Trägerschaft der freien Jugendhilfe sollte aberkannt werden. Organisationen, die diese Angebote befürworten, vermitteln oder anbieten, sollten mit Ausschluss aus Wohlfahrtsverbänden rechnen müssen.

      Fußnote 3: Mitgliedsstaaten: Albanien, Argentinien, Australien, Bolivien, Brasilien, Cabo Verde, Chile, Costa Rica, Deutschland, Ecuador, El Salvador, Frankreich, Großbritannien, Island, Israel, Italien, Japan, Kanada, Kolumbien, Kroatien, Luxemburg, Mexiko, Montenegro, Nepal, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Schweden, Spanien , Uruguay und die USA.

      Fußnote 4: CRPD/C/IRN/CO/1, para. 12 (b)

      Fußnote 5: CRC/C/RUS/CO/4-5, para. 55; CCPR/C/ECU/CO/6, para. 12; CEDAW/C/ECU/CO/8-9; and Committee on Economic, Social and Cultural Rights, general comment No. 22

      Fußnote 6:CAT/C/CHN/CO/5, para. 55; CAT/C/ECU/CO/7, para 49; CAT/C/57/4, para. 69; CCPR/C/UKR/CO/7, para. 10; CCPR/C/NAM/CO/2, para. 9;A/74/148, para. 50; A/56/156, para. 24; A/HRC/43/49, para. 37; and A/HRC/22/53, paras. 76 and 88. See also A/HRC/19/41 and A/HRC/29/23.

      Fußnote 7: A/74/148, para. 50; A/56/156, para. 24; A/HRC/43/49; and CAT/C/CHN/CO/5, para. 56.

  • LGBTIQ-Rechte und Flucht

    Frage 8:
    Noch immer ist in mindestens 67 Ländern Homosexualität strafbar, in sieben Ländern droht sogar die Todesstrafe für gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen. Wird den Menschen, die aufgrund ihrer LGBTIQ-Zugehörigkeit staatlicher Verfolgung und gesellschaftlicher Diskriminierungen in ihren Heimatländern durch die Flucht nach Deutschland entkommen konnten, insbesondere in der Zeit ihrer Ankunft angemessen Schutz gewährt, welche Probleme bestehen und müssen zu welchen Maßnahmen führen? (CDU/CSU)

    Frage 9:
    In Ghana und Senegal werden LSBTI kriminalisiert, staatlich und gesellschaftlich diskriminiert, dort ist ein menschenwürdiges Leben als LSBTI unmöglich. Mit dem "Gesetzentwurf zur Förderung angemessener sexueller Menschenrechte und ghanaischer Familienwerte", der im Juni 2021 in das ghanaische Parlament eingebracht wurde, droht sich die Situation für LSBTI in Ghana weiter dramatisch zu verschlechtern. Ghana und Senegal gelten in Deutschland als „sichere Herkunftsstaaten“. Auch in Georgien, über dessen Eingruppierung als „sicherer Herkunftsstaat“ immer wieder diskutiert wird, nehmen Gewalt und Diskriminierung gegen LSBTI in den vergangenen Jahren deutlich zu, wie Berichte der Vereinten Nationen, der OSZE und des Europarats darlegen. Wie bewerten Sie die Bedeutung der Lebensbedingungen von LSBTI im Herkunftsland für die Einstufung von Ländern als „sichere Herkunftsstaaten“, insbesondere im Hinblick auf die angeführten Staaten und welche politischen Konsequenzen und Schritte müssten Ihrer Auffassung nach daraus folgen? (BÜNDNIS 90/Die Grünen)

    Zur Beantwortung dieser Frage müssen drei unterschiedliche Ebenen unterschieden werden. Erstens geht es um die Frage, inwieweit Deutschland beziehungsweise die EU überhaupt legale Möglichkeiten offen halten, damit gefährdete LSBTIQ* flüchten können. Zweitens geht es um die Frage der Ausgestaltung von Asylverfahren in Deutschland, die auf nationaler Ebene anzusiedeln ist. Drittens schließlich geht es um die Unterbringung, die Schutzbedarfserkennung und den Gewaltschutz für LSBTIQ*, die weitgehend Landesthemen sind.

    Zur ersten Ebene der legalen Einreisewege:
    Ganz allgemein lässt sich sagen, dass der zunehmende Ausbau Europas zu einer Festung natürlich auch in ihren Heimatländern gefährdete LSBTIQ* besonders hart trifft. Die große Mehrzahl der Staaten, in denen diejenigen LSBTIQ*, die eigentlich in die EU flüchten wollen - aufgrund der Festungspolitik stranden, kriminalisieren gleichgeschlechtliche Lebensweisen, und auch ein Lebens als trans* ist faktisch unmöglich. Dies gilt besonders für die nordafrikanischen Staaten an der europäischen Außengrenze, also für Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten. Auch in der Türkei hat sich nach zwei Jahrzehnten AKP-Regierung die Lage immer weiter zugespitzt. In den meisten weiteren EU-Nachbarstaaten sieht die gesellschaftliche Situation für LSBTIQ* ebenfalls äußerst kritisch aus. Will Deutschland gefährdete LSBTIQ* effektiv schützen, muss es somit zunächst mehr legale Wege der Einreise für gefährdete LSBTIQ* schaffen. Die nunmehr geplante Einrichtung von Grenzverfahren sehen wir jedoch äußerst kritisch. Die Erfahrung zeigt, dass LSBTIQ* sogar im deutschen Kontext oft Monate oder gar Jahre brauchen, um ihre internalisierte Scham und Angst zu überwinden und ihre wahren Asylgründe vorzutragen. Diese ohnehin schwierige Situation würde im Rahmen von Grenzverfahren noch einmal deutlich verschärft. Die Erkennung des besonderen Schutzbedarfes von LSBTIQ* wird in solchen Verfahren faktisch unmöglich gemacht. Mit dem Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan leistet Deutschland nun auch einen Beitrag dazu, gefährdete LSBTIQ* aus Afghanistan zu retten. Trotz aller Hürden und Schwierigkeiten sind wir der Bundesregierung äußerst dankbar, dass sie beschlossen hat, auch die besonders vulnerable Gruppe LSBTIQ* im Aufnahmeprogramm zu berücksichtigen. Dass die Unionsfraktion jetzt einen Stopp des Aufnahmeprogramms Afghanistan fordert, bevor auch nur einer einzigen Person hierüber die Flucht vor dem Terror-Regime tatsächlich ermöglicht wurde, ist ein Schlag ins Gesicht all der Afghan*innen, die jeden Tag um ihre Freiheit und ihr Leben bangen, die an die Verlässlichkeit deutscher Außen- und Menschenrechtspolitik glauben und die auf eine Aufnahmezusage hoffen. Des Weiteren muss aus unserer Sicht auch endlich klar geregelt werden, dass auch langjährigen unverheirateten Partner*innen von anerkannten LSBTIQ*-Geflüchteten die Möglichkeit des Familiennachzugs offensteht. Es darf nicht sein, dass von gleichgeschlechtlichen Partner*innen von anerkannten Geflüchteten verlangt wird, dass diese eine Ehebescheinigung vorlegen, wenn es das Institut der gleichgeschlechtlichen Ehe in ihrem Heimatland gar nicht gibt, ja sogar gleichgeschlechtliche Handlungen mit mehrjähriger Haft oder dem Tod geahndet werden können.

    Zur zweiten Ebene der Asylverfahren:
    Hier möchten ich der Bundesregierung, allen voran der Bundesinnenministerin Faeser, aber auch dem Queer-Beauftragten Lehmann, der Integrationsbeauftragten Alabali-Radovan und den drei Regierungsfraktionen unseren Dank aussprechen. Denn: Nach Jahren des Stillstands hat sich hier unter der neuen Ampel-Bundesregierung einiges getan. An erster Stelle ist hier zu nennen, dass seit Oktober 2022 mit der Änderung der Dienstanweisung Asyl endlich der Anwendung des sogenannten "Diskretionsgebots" bei LSBTIQ*-Asylsuchenden ein Riegel vorgeschoben wurde. Zwar hatte der EuGH bereits 2013 verboten, homosexuelle Asylsuchende abzulehnen mit Hinweis darauf, sie könnten sich doch durch ein lebenslanges Doppelleben vor Verfolgung schützen. Jedoch hatte sich das BAMF seither eines Tricks bedient, um weiterhin Diskretionslogiken anwenden zu können. Kam es im Rahmen einer Verhaltensprognose zu den Schluss, dass eine geflüchtete LSBTIQ*-Person nach Rückkehr in ihr Herkunftsland aus eigenem, freiem Willen ein Doppelleben führen würde, konnte ihr Antrag auf dieser Grundlage abgelehnt werden. Dies geschah reihenweise auch bei den schlimmsten Verfolgerstaaten wie Iran und Pakistan (Quelle). Seit Oktober 2022 ist nun klar: Bei der Beurteilung der Gefährdung bei Rückkehr muss das BAMF immer davon ausgehen, dass LSBTIQ*-Personen im Alltag offen mit ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität umgehen. Die Änderung der Dienstanweisung Asyl ist dabei wirklich umfassend erfolgt. Besonders freut uns auch, dass dieselben Maßgaben nicht nur für lesbische, schwule und bisexuelle, sondern auch für trans- und intergeschlechtliche Antragstellende Anwendung finden sollen, was aus unserer Sicht auch zwingend notwendig ist. Nach einem guten halben Jahr ist nun unser Eindruck, dass die neuen Maßgaben auch in der großen Mehrzahl der Fälle umgesetzt werden. Besonders bedanken möchten wir uns auch dafür, dass wir die Möglichkeit hatten und haben, auch noch unter den alten Dienstanweisung abgelehnte Asylanträge zur Überprüfung einzureichen. In vielen Fällen hat das BAMF inzwischen abgeholfen und den Betroffenen einen Schutzstatus zugesprochen. Auch wird in der neuen Dienstanweisung endlich auf ein Urteil des EGMR von 2020 (Fußnote 8) hingewiesen, wonach bei LSBTIQ*-Verfolgerstaaten nicht davon ausgegangen, dass eine LSBTIQ*-Person bei Polizei oder Gerichten Schutz vor LSBTIQ*-feindlicher Verfolgung erhalten kann. Oft waren zuvor queere Geflüchtete angelehnt worden, die für das BAMF nicht hinreichend begründet hatten, warum sie in Verfolgerstaaten nicht bei staatlichen Stellen Schutz gesucht hätten.
    Ebenfalls bedanken wollen wir uns bei den bereits genannten dafür, dass die Bundesregierung nunmehr eine weitere Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umsetzt, und zwar die Einrichtung einer besonderen Rechtsberatung für queere Verfolgte. Noch in diesem Jahr sollen die ersten LSBTIQ*-Organisationen Förderung für die Einrichtung solcher spezialisierter Asylverfahrensberatungen erhalten. Uns ist hier wichtig zu betonen: Das besondere dieser Beratung für LSBTIQ*-Geflüchtete besteht in keiner Weise in einer etwaigen Besserbehandlung gegenüber anderen Ratsuchenden. Zentral ist vielmehr, dass mit der Einrichtung dieser besonderen Beratung die Asylberatung von LSBTIQ* für LSBTIQ* gefördert wird. Denn: Viele LSBTIQ*-Geflüchtete, die über Jahre Verfolgung und Ausgrenzung durch die Mehrheitsgesellschaft erfahren haben, haben zu große Angst und Scham, als dass sie sich zu Beginn des Asylverfahrens bereits gegenüber "regulären" Beratungsstellen outen würden. Dies hat dann jedoch fatale Folgen nicht nur für ihre Unterbringung, sondern führt auch oft dazu, dass diese Asylsuchenden ihre wahren Asylgründe beim BAMF gar nicht vortragen. Daher ist es so wichtig, dass sich LSBTIQ*-Geflüchtete nun auch direkt nach Ankunft an spezialisierte LSBTIQ*-Asylverfahrensberatungen wenden können und hier professionelle Unterstützung bei ihren allgemeinen wie bei ihren LSBTIQ*-spezifischen Fragen erhalten.
    Ebenfalls positiv möchte ich an dieser Stelle anmerken, dass das Bundesamt bereits unter der vorherigen Bundesregierung die Zusammenarbeit mit dem LSVD bei der Frage der korrekten und LSBTIQ*-sensiblen Sprachmittlung gesucht hat. Hintergrund ist, dass wir immer wieder erleben, dass viele der als Honorarkräfte beschäftigen Sprachmittler*innen nur unzureichende Kenntnisse von wertschätzenden Begriffen im Bereich LSBTIQ* haben. Dies kann für das Asylverfahren fatale Auswirkungen haben, etwa wenn eine Sprachmittlung Wörter benutzt, die in der anderem Sprache letztlich als abwertend gesehen werden, etwa so wie "Schwuchtel" im Deutschen. Im schlimmsten Fall kann dies dazu führen, dass die asylsuchende Person "dicht macht" und ihre Fluchtgründe nicht oder nur noch sehr unsubstantiiert vorträgt. Vor diesem Hintergrund hat das BAMF in Zusammenarbeit mit dem LSVD für die relevantesten Sprachen Glossare mit den wichtigsten Begrifflichkeiten verfasst, die nun den Sprachmittlungen an die Hand gegeben werden können. Da die Möglichkeiten des BAMF, die eingesetzten Honorarkräfte auch zu entsprechenden Schulungen zu bewegen, sehr begrenzt sind, gehen wir davon aus, dass die Frage der Sprachmittlung trotz aller positiver Entwicklungen uns weiter begleiten wird.
    Schwieriger zu bewältigen ist jedoch sicherlich ein anderes Problem im Asylverfahren, und zwar das sehr grundsätzliche Thema der Glaubhaftmachung der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität. Hier erleben wir immer wieder, dass auch Asylsuchenden, die wir eng begleiten, die wir etwa über Monate in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft erleben, ihre sexuelle Orientierung nicht geglaubt wird. Gleichzeitig berichten uns Anhörende von der großen Herausforderung, vor der sie stehen, glaubhafte von unglaubhaften Vorträgen zu unterschieden. Dabei sind die Anhörungen beim BAMF immer noch stark von cis-heteronormativen Vorstellungen zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt geprägt, wie eine Studie der Humboldt Law Clinic aus dem Jahr 2020 noch einmal bestätigte. In diesem Spannungsfeld ist sicherlich die stete Schulung und Sensibilisierung der Anhörer*innen und Entscheider*innen der richtige Weg, um möglichst faire Entscheidungen zu ermöglichen - so gut dies in diesem Kontext überhaupt geht. Unserer Kenntnis nach ist das BAMF sehr bemüht, durch ebensolche Schulungen und vor allem auch durch den Einsatz von Sonderbeauftragten für geschlechtsspezifische Verfolgung ein hohes Maß an Qualität sicherzustellen. Unserer Einschätzung nach muss dieser Ansatz noch - unter Einbindung von LSBTIQ*-Vereinen und Verbänden - weiter ausgebaut werden.
    Ein weiteres Thema ist die oft viel zu kurze Zeit zwischen Antragstellung und Anhörung. Die immer mehr forcierte Beschleunigung des Asylverfahrens wirkt sich mit Bezug auf LSBTIQ*-Asylgesuche besonders fatal aus. Aus unserer Sicht muss ganz grundsätzlich zwischen Antragsstellung und Anhörung mehr Zeit als nur ein oder zwei Wochen vergehen. Nur so kann mit Bezug auf LSBTIQ*-Geflüchtete zumindest besser gewährleistet werden, dass diese die notwendige Anbindung an die LSBTIQ*-Community in Deutschland finden, die nötigen Informationen erhalten und schließlich den Mut finden, ihre tatsächlichen Asylgründe vorzutragen.
    Ein weiteres wichtiges Thema in diesem Zusammenhang ist das des Familienasyls. Aus unserer Sicht ist es unerlässlich, dass langjährige gleichgeschlechtliche Paare im gesamten Asylsystem als Paar anerkannt werden, und zwar natürlich auch dann, wenn sie - und dies dürfte der Regelfall sein - keine Heiratsurkunde aus ihrem Herkunftsland vorweisen können. Es darf nicht mehr vorkommen, dass Paare getrennt werden, sei es bei der Verteilung innerhalb Deutschland, oder aber natürlich noch viel gravierender, indem ein*e Partner*in abgeschoben wird, während der*die andere Partner*in in Deutschland bleiben darf. Hierzu stehen wir mit der Bundesregierung erfreulicherweise im Austausch und hoffen auf eine baldige Regelung.

    Zur dritten Ebene der Unterbringung, der Schutzbedarfserkennung und des Gewaltschutzes:
    Diese Themen sind ja bekanntlich Ländersache, was dazu beiträgt, dass auch die Konzepte und Maßnahmen in Deutschland einen Flickenteppich darstellen. In der EU-Aufnahmerichtlinie ist grundlegend geklärt, dass alle Mitgliedstaaten, also auch Deutschland, Maßnahmen ergreifen müssen, um besonders schutzbedürftige Asylsuchende als solche zu erkennen, aber auch, um diesen besonderen Schutzbedarfen gerecht zu werden. Grundsätzlich sei an dieser Stelle erst einmal gesagt: Große Sammelunterkünfte sind ganz grundsätzlich keine adäquate Unterbringung, und dies gilt in ganz besonderem Maße auch für LSBTIQ* Geflüchtete. Werden LSBTIQ* Asylsuchende zusammen mit anderen Geflüchteten, seien es nun vulnerable oder nicht vulnerable Personen, untergebracht, so sorgt dies faktisch dafür, dass Deutschland den LSBTIQ* Geflüchteten ein freies Leben für diese Zeit verwehrt. Diese haben dann die Wahl, entweder (weiter) ein Doppelleben zu führen, oder sich einer oft massiven Gefahr von LSBTIQ*-feindlicher Gewalt auszusetzen. Viele LSBTIQ* Asylsuchende berichten uns, dass für sie mit Ankunft in Deutschland die Fluchterfahrung nicht vorbei war. Es ist daher entscheidend, dass die Länder und der Bund mehr tun für die Unterbringung queerer Geflüchteter. Die Bundesregierung hat sich hierzu im Koalitionsvertrag auch verpflichtet, ohne dass jedoch hierzu bisher neue Konzepte und Maßnahmen durch Bund entwickelt wurden. Doch kommen wir erst einmal zur Landesebene: Die Mehrzahl der Bundesländer hat Konzepte für den Gewaltschutz entwickelt. Eine Analyse dieser Konzepte mit Bezug auf die in ihnen verankerten - oder besser gesagt kaum verankerten - Maßnahmen hat die massiven Missstände hier aufgedeckt. Teilweise ist es erschreckend, wie wenig Gedanken sich hier zum Schutz von LSBTIQ* Geflüchteten gemacht wurden. Besonders auffällig ist, dass das für den Schutz von LSBTIQ* Geflüchteten so entscheidende Thema der Schutzbedarfserkennung teilweise gar keine, teilweise nur eine minimale Berücksichtigung findet.
    Es freut uns, dass der Bund seit einigen Jahren versucht, die Länder und Kommunen ganz allgemein beim Gewaltschutz zu unterstützen, so vor allem in der Bundesinitiative zum "Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften", in deren Rahmen ja auch die bundesweiten Gewaltschutz-Mindeststandards und hier besonders der Annex 1 zum Thema LSBTIQ*-Geflüchtete entstanden sind. Der LSVD ist Kooperationspartner dieser Initiative und bringt hier regelmäßige seine Expertise ein. Aus unserer Sicht müssen die im Annex 1 beschriebenen Maßnahmen dringend für alle Bundesländer als verbindlich erklärt werden, damit aus dem Flickenteppich endlich ein echtes Schutzschild vor LSBTIQ*-feindlicher Gewalt in den Unterkünften wird. Besonders wichtig erscheint uns hierbei das Thema der Schutzbedarfserkennung. Hier förderte der Bund von 2021 bis 2022 das Modellprojekt “BeSAFE – Besondere Schutzbedarfe bei der Aufnahme erkennen”. In ihm wurde erstmals ein Konzept zur systematischen und zielgruppenübergreifenden Identifizierung besonders schutzbedürftiger Geflüchteter nach der Aufnahme in Deutschland entwickelt, in den Bundesländern Bremen und NRW pilotiert und evaluiert. Im Rahmen des einjährigen Anschlussprojekts “BeSAFE – Skalierung und Vertiefung” sollen die Ergebnisse des Projekts im Jahr 2023 nun verbreitet und vertieft werden. Aus unserer Sicht ist es entscheidend, dass der Bund sich noch stärker beim Thema LSBTIQ*-Geflüchteten-Schutzunterkünfte und beim Thema der Schutzbedarfserkennung einsetzt und seine finanziellen Unterstützungen an die Bundesländer auch an entsprechende Maßgaben zu ihrer Verwendung knüpft. Überlässt der Bund diese Themen weiter weitgehend den Ländern, wird Deutschland auch auf lange Sicht die Maßgaben der EU-Aufnahme-Richtlinie nicht umsetzen und LSBTIQ* Geflüchtete nur unzureichend vor Gewalt schützen. Außerdem bedarf es auch dringend einer Überarbeitung der Verteilung von Geflüchteten in Deutschland. Aus unserer Sicht muss hier - gerade vor dem bereits dargestellten Flickenteppich beim Thema Unterbringung, aber auch beim Thema Versorgung - verstärkt auf Vulnerabilitäten wie LSBTIQ* Rücksicht genommen werden. Es darf nicht sein, dass LSBTIQ* Geflüchtete weiterhin anhand eines Algorithmus auch auf große Sammelunterkünfte im ländlichen Raum verteilt werden, wo ihren Bedarfen nach Community-Anschluss, nach Sicherheit vor LSBTIQ*-feindlicher Gewalt und nach psycho-sozialer Versorgung in keiner Weise entsprochen werden kann.
    Ganz grundsätzlich möchte ich noch anmerken: Aus unserer Sicht ist es ganz entscheidend, dass die Bundesregierung auch weiterhin Projekte für die Unterstützung von LSBTIQ*-Geflüchteten fördert. So war vor allem das von September 2017 bis Juni 2022 von der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung geförderte LSVD-Projekt "Queer Refugees Deutschland" aus unserer Sicht ein ganz entscheidender Beitrag zur Beratung, Unterstützung, Vernetzung und Information von LSBTIQ*-Geflüchteten und von Organisationen, die mit ihnen arbeiten. Es ist wichtig, dass sich die Bundesregierung hier weiterhin durch die Förderung von Projekten auf Bundesebene einbringt.

    Fußnote 8: EGMR, Urteil vom 17.11.2020 - 889/19 and 43987/16 (B. and C. v. Switzerland)

    Die Einstufung eines Staates als "sicherer Herkunftsstaat" bedeutet deutliche Einschränkungen im Asylverfahren. Gerade für LSBTIQ* Asylsuchende, die aus internalisierter Scham und aus jahrelanger Angst heraus oft erst sehr spät im Asylverfahren ihre tatsächlichen Asylgründe vortragen, kann dies bedeuten, dass sie aus einem laufenden Verfahren in einen LSBTIQ*-Verfolgerstaat abgeschoben werden, oder aber, dass sie über Jahre gefährdet und isoliert in Landesaufnahmeeinrichtungen verweilen müssen. Die Einstufung eines Landes als "sicher" bedeutet somit gerade in der Regel für LSBTIQ*-Asylsuchende aus diesen Ländern eine massive Beeinträchtigung ihrer Chance, einen Schutzstatus zu erhalten, und dies auch wenn sie sehr starke Asylgründe haben.
    Zur Beantwortung dieser Frage ist es zunächst jedoch einmal wichtig, die rechtlichen Voraussetzungen für die Einstufung von Ländern als "sichere Herkunftsstaaten" zu klären.
    Mit seinem Urteil von 1996 hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei der Einstufung von Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten grundsätzlich einen gewissen Ermessensspielraum eingeräumt. Gleichzeitig hat es sehr klar und eindeutig festgelegt, dass zur Einstufung zum "sicheren Herkunftsstaat" in einem Land "Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen" muss. Kommt der Gesetzgeber also zu dem Schluss, dass es in einem Land für eine bestimmte Gruppe - etwa für LSBTIQ* - keine Sicherheit vor Verfolgung gibt, ist eine Einstufung zwangsläufig ausgeschlossen. Hier gibt es gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch keinen Ermessensspielraum.
    Hinzu kommt: Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich der Blick auf LSBTIQ*-feindliche Verfolgung in der Rechtsprechung ganz grundlegend gewandelt, so vor allem durch das richtungsweise EuGH-Urteil vom 2013 und dessen Bestätigung durch das Bundesverfassungsgericht 2020. Das gleiche gilt für die Verwaltungspraxis beim BAMF, so zuletzt erfolgtmit der Abschaffung der "Diskretionsprognosen". Bei der Beurteilung der Sicherheit für LSBTIQ* in einem Herkunftsstaat darf somit nicht von der großen Mehrheit derjenigen LSBTIQ* ausgegangen werden, die sich nur durch ein lebenslanges Doppelleben vor Verfolgung schützen können. Nein, es muss ganz grundsätzlich gefragt werden: Ist ein offener Umgang mit der von der gesellschaftlichen Norm abweichenden sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität möglich, oder würde ein solch offener Umgang im Alltag zu asylrelevanter Verfolgung führen. Dieser Frage muss sich letztlich der Gesetzgeber stellen, wenn er die Frage beantworten will, ob er an der Einstufung von Ghana und Senegal als sichere Herkunftsstaaten festhalten will, oder wenn er weitere Staaten als "sichere Herkunftsstaaten" aufnehmen will, wie etwa derzeit mit Bezug auf Georgien und Moldau von der Regierung gefordert. Auch die von der Union erneut aufgeworfene Frage der Einstufung der nordafrikanischen Staaten Marokko, Algerien und Tunesien (sowie auch von Georgien) muss vor diesem Hintergrund beantwortet werden.
    An dieser Stelle muss klar gesagt werden: Keines der hier diskutierten Länder erfüllt die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Maßgaben zur Einstufung als "sicherer Herkunftsstaat". Dies gilt besonders deutlich für diejenigen Staaten, in denen LSBTIQ* kriminalisiert werden, also für Ghana, Senegal, Marokko, Algerien und Tunesien.
    In all diesen Staaten können einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen mit mehrjährigen Haftstrafen geahndet werden, und in all diesen Staaten herrscht eine große gesellschaftliche Ablehnung von LSBTIQ*. Dabei ist letztlich auch nachrangig, ob oder wie häufig diese Strafgesetze angewendet werden. Denn klar ist: Wo der Staat LSBTIQ* kriminalisiert, schafft er zum einen ein gesamtgesellschaftliches Klima der sozialen Ächtung, und bietet zum anderen auch keinen Schutz vor staatlicher und nichtstaatlicher LSBTIQ*-feindlicher Gewalt. Der Zusammenhang zwischen Kriminalisierung und staatlichem Schutz wurde dabei erst 2020 in einem Urteil des EGMR (Fußnote 9) noch einmal klar benannt.
    Zahlreichen LSBTIQ*-Geflüchteten aus Ghana (Fußnote 10), Senegal (Fußnote 11), Marokko (Fußnote 12), Algerien (Fußnote 13) und Tunesien (Fußnote 14)
    90 hat das BAMF bereits einen Schutzstatus zuerkannt, wobei eine statistische Erfassung dieser Positiv-Bescheide aufgrund der Subsumierung unter "geschlechtsspezifische Verfolgung" nicht möglich ist. Bekannt sind allerdings die ebenfalls zahlreichen positiven Verwaltungsgerichtsurteile zu LSBTIQ*-Asylgesuchen aus Ghana (Fußnote 15), Senegal (Fußnote 16), Marokko (Fußnote 17), Algerien (Fußnote 18) und Tunesien (Fußnote 19). Wir gehen davon aus, dass gerade die uns bekannten Positiv-Bescheide nur einen Bruchteil der tatsächlich ergehenden positiven Bescheide darstellen. Das gleiche gilt, in etwas geringerem Maße, sicherlich auf für die Gerichtsurteile.
    Den genannten positiven Entscheidungen stehen sicherlich auch einige negative Entscheidungen durch das BAMF und durch Gerichte entgegen. Es muss hierzu jedoch erwähnt werden, dass die große Mehrzahl dieser Negativ-Entscheidungen auf einer Anwendung des Diskretionsgebots beruhen, der der EuGH 2013, das Bundesverfassungsgericht 2020 und die Bundesregierung spätestens 2022 eine klare Absage erteilt hat. Auch kann letztlich dahingestellt bleiben, ob nun mit Bezug auf die in Frage stehenden Staaten von einer Gruppenverfolgung zu sprechen ist, da eine Einstufung als "sicherer Herkunftsstaat" bereits dann nicht mehr möglich ist, wenn keine "Sicherheit vor Verfolgung" für eine bestimmte Personengruppe besteht. Dass dies bei den Maghrebstaaten, aber auch bei den bereits eingestuften Staaten und Senegal und Ghana nicht der Fall ist, ist anhand der zahlreichen positiven Gerichtsurteile hierzu ganz offensichtlich. Sollte der Gesetzgeber beschließen, an der Einstufung von Ghana und Senegal als sichere Herkunftsstaaten festzuhalten, oder gar noch schlimmer, weitere LSBTIQ*-Verfolgerstaaten als "sicher" zu deklarieren, muss dies als Verfassungsbruch mit Ansage gewertet werden.
    Dies gilt letztlich auch mit Bezug auf Georgien, auch wenn dies keine LSBTIQ*-feindliche Strafgesetzgebung kennt. Auch hier gibt es eine ganze Reihe von positiven Verwaltungsgerichtsurteilen (Fußnote 20), die teilweise sogar in noch in zweiter Instanz bestätigt wurden. Richtig ist zwar auch hier, dass es auch weiterhin negative Entscheidungen gibt, jedoch kann die Frage, inwieweit mit Bezug auf Georgien von einer Gruppenverfolgung zu sprechen ist, auch hier dahingestellt bleiben. Denn: Sicherheit vor Verfolgung besteht für LSBTIQ* ganz sicher nicht.
    Wegen der LSBTIQ*-feindlichen Verfolgung hat erst 2021 das oberste französische Verwaltungsgericht die Streichung der beiden westafrikanischen Staaten Ghana und Senegal von der französischen Liste für notwendig befunden. Gemäß der EU-Verfahrensrichtlinie von 2013 müssen die EU-Mitgliedstaaten die Lage in einem sicheren Herkunftsstaat regelmäßig beurteilen, und hierfür auch Erkenntnisse anderer Mitgliedstaaten und internationaler Organisationen heranziehen. Der letzte Prüfbericht durch die Bundesregierung erfolgte im Januar 2022, das heißt nur kurz nach dem Regierungswechsel. Hierin hielt die Ampel-Regierung aber – trotz der verkündeten feministischen Außenpolitik und dem Festhalten am LSBTI-Inklusionskonzept für die Auswärtige Politik und Entwicklungszusammenarbeit, daran fest, dass die LSBTIQ*-Verfolgerstaaten Ghana und Senegal "sichere Herkunftsstaaten" seien. In dem Prüfbericht wird zudem die LSBTIQ*-feindliche Verfolgung in Ghana und Senegal verharmlost, es werden sogar bestehende und angewandte mehrjährige Haftstrafen nicht einmal erwähnt. Hinzu kommt, dass wir davon ausgehen müssen, dass sich die große Mehrheit der LSBTIQ* in Ghana und Senegal nur durch ein lebenslanges Doppelleben vor der allgegenwärtigen staatlichen und nichtstaatlichen Gewalt schützen können.
    Abschließend muss das Festhalten an der Einstufung von Ghana und Senegal als sichere Herkunftsstaaten als europarechts- und verfassungswidrig gewertet werden, da in beiden Staaten LSBTIQ* Personen eben keine Sicherheit vor politischer Verfolgung haben. Das gleiche gilt mindestens auch mit Bezug auf Georgien. Hier gibt es zwar keine kriminalisierende Strafgesetzgebung, jedoch kann auch hier in keinem Fall von einer Sicherheit vor Verfolgung für LSBTIQ* gesprochen werden. Sollte die Bundesregierung in ihrem für den Jahreswechsel erwarteten Bericht erneut die Lage von LSBTIQ* in Ghana und Senegal verharmlosen, die dies betreffenden verfassungsrechtlichen Vorgaben erneut ignorieren und den Beschluss des französischen Conseil d'État erneut nicht in die Prüfung einbeziehen, muss dies als Rechtsbruch mit Ansage gewertet werden. Das gleiche gilt selbstredend für eine von Union und AfD geforderte Einstufung der Maghrebstaaten, in denen ebenfalls homosexuelle Handlungen mit mehrjährigen Haftstrafen bewehrt sind und auch geahndet werden, sowie letztlich auch für Georgien, wo der Staat nicht willens bzw. in der Lage ist, LSBTIQ* Personen zu schützen.

    Fußnote 9: EGMR, Urteil vom 17.11.2020 - 889/19 and 43987/16 (B. and C. v. Switzerland)
    Fußnote 10: BAMF-Bescheid vom 12.11.2020, Az 8007070-238
    Fußnote 11: BAMF, Bescheid v. 29.11.2016, Az 6736314-269, BAMF, Bescheid v. 12.01.2017, Az 5690084-269, BAMF, Bescheid v. 10.02.2017, Az 6546422-269, BAMF, Bescheid v. 10.02.2017, Az 6546511-269, BAMF, Bescheid v. 01.04.2017, Az 6044124-269,
    Fußnote 12: BAMF, Bescheid v. 29.10.2020, Az 8018831-252
    Fußnote 13: BAMF, Bescheid v. 01.04.2019 - Az 7774449 - 221, BAMF, Bescheid v. 6.01.2020 - Az 7882040 -221, BAMF-Bescheid vom 5. November 2021 (Az 8511576-221), BAMF-Bescheid vom 25. Januar 2022 (Az 7373090-221),
    Fußnote 14: BAMF, Bescheid v. 12.03.2018, Az 7329917-285, BAMF, Bescheid vom 12.03.2018 (Az. 7329917–285), BAMF, Bescheid vom 30.10.2018 (Az. 7428308–85),
    Fußnote 15: VG Düsseldorf, Urt. 08.03.2017 - 23 K 9157/16.A, VG Berlin, Beschl. v. 27.04.2018 - VG 32 L 32.18 A, VG Bayreuth Urteil v. 24.07.2020 - B 4 K 18.30571
    Fußnote 16: VG Augsburg, Urt. v. 27.04.2016 - Au 1 K 16.30296, VG Regensburg, Urt. v. 15.02.2017 - RN 5 K 16.30913, VG München, Urt. v. 29.12.2016 - M 2 K 16.30947, VG München, Urt. v. 10.08.2017 - M 11 K 16.30600, VG München, Urt. v. 05.02.2018 - M 16 K 16.30750
    Fußnote 17: VG Gelsenkirchen, Urt. v. 24.11.2015 - 7a K 2425/15.A, VG Düsseldorf, Urt. v. 21.12.2016 - 23 K 8700/16.A, VG Saarland, Beschl. v. 02.06.2016 - 3 K 1984/15, VG Düsseldorf, Urt. v. 26.09.2016 - 23 K 4809/16.A, VG Düsseldorf, Urt. v. 21.12.2016 - 23 K 8700/16.A, VG Köln, Urt. v. 14.07.2017 — 3 K 10801/16.A, VG Hamburg, Urt. v. 10.08.2017 - 2 A 7784/16, VG Dresden, Urt. v. 01.03.2018 - 7 K 1327/17.A, VG Aachen, Urt. v. 13.03.2019 - 8 K 4456/17.A, VG Berlin, Urteil v. 02.05.2019 - 34 K 74.19 A, VG Gießen, Urt. v. 12.06.2019 - 1 K 6628/17.GI.A, VG Würzburg, Urteil v. 17.06.2019 – W 8 K 19.30609, VG Würzburg, Urt. v. 01.07.2019 – W 8 K 19.30264, VG Köln, Urteil v. 14.07.2017 - 3 K 10801/16.A, VG Münster, Urteil v. 11.08.2017, Az. 4 K 3193/16.A, VG Gießen Urteil v. 29.05.2020 - 1 K 5389 18.GI.A, VG Düsseldorf, Urteil vom 31.05.2021 - 23 K 3997/19.A, VG Berlin, Urteil vom 06.10.2021, VG 34 K 1081.17 A
    Fußnote 18: VG Cottbus, Urteil v. 04.10.2017 - 5 K 1908/16.A, VG Karlsruhe, Urteil v. 14.08.2018 - A1 K 6549/16, VG Würzburg, Urteil v. 15.06.2020 – W 8 K 20.30255, VG Freiburg, Urt. v. 08.10.2020 - 4 K 945/18, VG Karlsruhe, Urt. v. 10.05.2021 - A 12 K 6896/19, VG Würzburg, Urt. v. 18.06.2021 - Az. W 5 K 21.30141, VG Gießen, Urteil v. 23.05.2022 - 10 K 1338/20.GI.A
    Fußnote 19: VG Stuttgart, Urt. v. 07.10.2016 - A 5 K 3322/16, VG Stuttgart, Urt. v. 21.03.2017 - A 5 K 3670/16, VG Karlsruhe, Urt. v. 23.03.2017 - A 9 K 2600/16, VG Freiburg, Urt. v. 09.10.2017 - A 6 K 2320/17, VG Göttingen, Urt. v. 19.09.2018 - 3 A 382/16, VG Dresden, Urt. v. 09.10.2018 - 12 K 1292/17.A, VG Leipzig Urteil vom 04.06.2019 - 7 K 314617 A, VG Karlsruhe – Urt. v. 13.01.2020 - A 9 K 8166/1896
    Fußnote 20: VG Berlin, Urt. v. 21.11.2019 - 38 K 170.19 A, bestätigt durch das OVG Berlin, 17.08.2020 - 12 N 8/20, VG Berlin, Urt. v. 21.11.2019 - 38 K 148.19 A (Abschiebestopp nach § 60 (5) AufenthG), VG Berlin, Urteil vom 19.02.2020 - 38 K 171.19 A, VG Berlin, Urt. v. 22.05.2020 38 K 114.19 A, bestätigt durch das OVG Berlin, Beschluss v. 17.08.2020 12 N 110 20, VG Berlin, Urt. v. 09.04.2021 - 38 K 141.20 A, VG Berlin, Urteil v. 06.09.2021 - VG 38 K 445.19 A, VG Berlin, Beschl. v. 18.10.2021 - 38 L 594.21 A (Abschiebungsverbot), VG Berlin, Urteil v. 01.04.2022 - 38 K 567.20 A

  • LGBTIQ-Rechte in Deutschland

    Frage 10:
    Der Kampf gegen LSBTI-Feindlichkeit in Deutschland bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. 2022 war Deutschland auf der von ILGA Europe erstellten Rainbow-Europe-Rangliste mit insgesamt 49 Ländern nur auf Platz 15. Die neue Bundesregierung hat sich zum Schutz und zur Förderung von queerem Leben eine ambitionierte Agenda gesetzt und in diesem Zusammenhang u. a. den Nationalen Aktionsplan "Queer leben" beschlossen und eine Ergänzung des Grundgesetzes mit Blick auf Art. 3 durch die Aufnahme des Merkmals der sexuellen Identität ins Auge gefasst. Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht besonders oder zusätzlich zu den Bemühungen der Bundesregierung notwendig, um LSBTI ein selbstbestimmtes, diskriminierungs- und angstfreies Leben in Deutschland zu ermöglichen? (FDP)

    Mit dem Koalitionsvertrag haben die Koalitionsparteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP einen queerpolitischen Aufbruch versprochen und zahlreiche Vorhaben zur Verbesserung der Situation queerer Menschen in Aussicht gestellt. Manche queerpolitischen Anliegen wurden umgesetzt, so zum Beispiel die Aktualisierung der Dienstanweisung Asyl und das Gesetz zur Änderung der Blutspendeverordnung. Nach der Vorstellung des Eckpunktepapiers für ein neues Selbstbestimmungsgesetz im Juni 2022 ist der Referent*innenentwurf seit 9. Mai 2023 endlich in der Verbändeanhörung Auch weitere aus Sicht der Community zentrale queerpolitische Anliegen wie die Anpassung von Art. 3,3 des Grundgesetzes, die Reform des Familien- und Abstammungsrechts sowie des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) Abstammungsrechtsreform, die Umsetzung des Aktionsplans der Bundesregierung “Queer leben” und dringend notwendiges Bund-Länder-Programm gegen LSBTIQ*-feindliche Hasskriminalität stehen noch aus. Diese Anliegen müssen angegangen werden.

    LSBTIQ*-feindliche Hasskriminalität & Gewalt
    Tagtäglich werden in Deutschland Menschen angepöbelt, bedroht und angegriffen, weil die Täter*innen ihren Hass auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*-, intergeschlechtliche oder queere Menschen (LSBTIQ*) in Gewalt ausleben. Insgesamt muss damit gerechnet werden, dass die Zahlen in allen Bundesländern weiter steigen. 80 bis 90 Prozent der Gewalttaten werden weiterhin nicht erfasst oder nicht zu Anzeige gebracht, weil die Betroffenen fürchten, nicht ernstgenommen zu werden oder weitere Diskriminierungserfahrungen zu machen. Laut der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine schriftliche Frage der Abgeordneten Ulle Schauws (Bündnis 90/Die Grünen) wurden 2022 dem Unterthemenfeld "sexuelle Orientierung" 1.005 Fälle zugeordnet, davon 227 Gewaltdelikte, 341 Beleidigungen und 147 Volksverhetzungen. Im neuen Unterthemenfeld "geschlechtsbezogene Diversität" wurden 417 Fälle gemeldet, davon 82 Gewaltdelikte, 120 Beleidigungen und 65 Volksverhetzungen. Es ist zentrales Muster von Homophobie und Transfeindlichkeit, Diskriminierungen und Bedrohungen von LSBTIQ* unsichtbar zu machen und zu bagatellisieren. Deswegen muss sich als erstes die Haltung in Politik, Behörden und Medien ändern. LSBTIQ*-feindliche Gewalt ist keine Randerscheinung. Sie bedroht mitten in unserer Gesellschaft tagtäglich Menschen. Insbesondere darf queerfeindliche Hetze niemals bagatellisiert und unter den Tisch gekehrt werden, denn aus Worten folgen Taten. Der Kampf gegen LSBTIQ*-feindliche Gewalt muss endlich ihren angemessenen Stellenwert in der deutschen Kriminalpolitik, bei Erfassung, Prävention und Strafverfolgung erhalten.
    Das bestehende Strafrecht ist grundsätzlich geeignet, Hasskriminalität entschieden entgegenzutreten. Das Problem liegt in seiner konsequenten Anwendung durch die Strafverfolgungsbehörden und die Gerichte. Um diese sicherzustellen, sind zusätzliche Änderungen in der Strafprozessordnung und in den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) notwendig. Daneben sind Maßnahmen zur Fortbildung und Sensibilisierung von Polizeibeamt*innen, Staatsanwält*innen und Richter*innen sinnvoll bzw. erforderlich.
    Für das hohe Dunkelfeld im Bereich der Hasskriminalität sind einerseits die unzureichende Ermittlung menschenverachtender Beweggründe und die mangelhafte statistische Erfassung von Hasskriminalität verantwortlich. Andererseits scheuen viele Betroffene aus Misstrauen gegenüber oder Angst vor der Polizei die Strafanzeige. Nicht immer zu Unrecht wird auch unter Polizeibeamt*innen Homophobie und Rassismus vermutet. Aus der Studie der EU-Grundrechteagentur ergibt sich: 23 Prozent der Betroffenen einer LSBTIQ*-feindlichen Straftat in Deutschland sehen von einer Strafanzeige ab, weil sie Angst vor Homo- oder Transphobie bei der Polizei haben; 21 Prozent gehen nicht zur Polizei, weil sie kein Vertrauen in sie haben. Das sind alarmierende Zahlen.
    Für eine effektive Verfolgung von Hasskriminalität sind regelmäßige, verpflichtende Fortbildungen zu Hasskriminalität für Staatsanwält*innen und Polizist*innen erforderlich. Fortbildungsangebote für Richter*innen sind ebenfalls sinnvoll. Das Erkennen und zutreffende Ermitteln menschenverachtender Beweggründe erfordert einerseits Kenntnis von rassistischen, antifeministischen und rechten Strukturen in Deutschland und andererseits Sensibilität gegenüber Betroffenen von rassistischer, antifeministischer und queerfeindlicher Hassgewalt. Die Einrichtung von LSBTIQ*-Ansprechpersonen bei Polizei und Staatsanwaltschaft und von Schwerpunktstaatsanwaltschaften zu Hasskriminalität und/oder zu queerfeindlicher Hasskriminalität kann dazu beitragen, die Anzeigebereitschaft Betroffener zu erhöhen und damit das Dunkelfeld zu erhellen.
    Auf ihrer 215. Sitzung der Innenministerkonferenz haben sich die 16 Innenminister*innen und Innensenator*innen der Länder erstmalig mit der vorurteilsmotivierten Hasskriminalität gegen Lesben, Schwule, bisexuelle, trans-, intergeschlechtliche und queere Menschen befasst und das Bundesinnenministerium gebeten, eine unabhängige Fachkommission einzuberufen. Im September 2022 hat der Arbeitskreis „Bekämpfung homophober und trans-feindlicher Gewalt“ die Arbeit aufgenommen. Im April hat der Arbeitskreis seine Empfehlungen dem BMI übersandt. Um dieser Form der Hassgewalt wirkungsvoll begegnen zu können, braucht es ein engagiertes Zusammenwirken Polizei, der Justiz und der Innenministerien in Bund und Ländern. Besonders im Bereich der Prävention besteht dringender Handlungsbedarf.
    Teil dieser Präventionsarbeit muss es sein, für einen selbstverständlichen und diskriminierungsfreien Umgang mit Themen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt einzutreten und die Akzeptanz von LSBTIQ* in allen Teilen der Gesellschaft zu fördern. Diese Präventionsarbeit muss auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen und zielgruppenspezifische, intersektional wirkende Maßnahmen vorhalten. Viele LSBTIQ* erleben aufgrund unterschiedlicher Merkmale und Zugehörigkeiten Mehrfachdiskriminierung bzw. alle Formen von Hasskriminalität. LSBTIQ*-Feindlichkeit ist fast immer verwoben mit weiteren menschenfeindlichen Einstellungen, wie Rassismus, Antiziganismus, Antisemitismus oder Antifeminismus. Deshalb darf es in der Präventionsarbeit nicht nur darum gehen, Fachkenntnisse zu vermitteln; vielmehr müssen Haltungen in unserer gesellschaftlichen Mitte gestärkt werden, die die Akzeptanz von Vielfalt als Teil unserer pluralistischen Demokratie verstehen und fördern wollen. Diese Förderung von gesellschaftlicher Akzeptanz ist eine Grundvoraussetzung für ein respektvolles und angstfreies Zusammenleben und stärkt die Teilhabe aller Menschen. Ein diskriminierungsfreier und professioneller Umgang mit Themen der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in den Regelstrukturen der Kinder- und Jugendarbeit und -hilfe, in den Verwaltungen sowie in den Dienststellen von Polizei und Justiz sind in der Präventionsarbeit eine wichtige Grundlage. Dafür braucht es feste Fort- und Weiterbildungsangebote unter Beteiligung der LSBTIQ-Community. Wenn Menschen befähigt werden, unaufgeregt über die Lebensweisen und Identitäten von LSBTIQ* zu sprechen, trägt das dazu bei, Ressentiments und letzten Endes auch Gewalt und Anfeindungen entgegenzuwirken.
    Präventionsarbeit durch Regenbogenkompetenz in den Regelstrukturen wird besonders dann wirksam, wenn sie bereits bei Kindern und Jugendlichen beginnt. Vielfaltsabbildende Unterrichts- und Lehrmaterialien sowie die Sichtbarkeit von unterschiedlichen Lebensweisen und Familienkonstellationen von der Kita über die Schulen und Universitäten bis in die Erwachsenenbildung tragen entscheidend dazu bei, dass Kinder, Jugendliche aber auch Erwachsene eine eigene Regenbogenkompetenz entwickeln.
    Teil der Präventionsarbeit sollte auch sein, Menschen im Umgang mit Anfeindungen und Gewalt zu stärken. Wie können Menschen reagieren, wenn andere diskriminiert werden und von Gewalt betroffen sind? Wie können wir uns gegenseitig stärken, auch über identitätsstiftende Merkmale hinaus? Wenn diese Themen frühzeitig in der Bildungsarbeit angegangen werden, besteht eine echte Chance, Gewaltursachen die Nahrung zu entziehen. Bestehende Präventionsprogramme gegen Mobbing und Gewalt müssen so ausgestaltet sein, dass Gewalt und Diskriminierungserfahrungen von LSBTIQ* in ihren unterschiedlichen Facetten mitgedacht und berücksichtigt werden. Das gilt auch für andere Phänomene gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Eine wirksame Präventionsarbeit setzt auf allen Ebenen an und verfolgt bewusst eine intersektionale Perspektive.

    Reform des Familien- und Abstammungsrechts
    Es gibt die unterschiedlichsten Formen von Familien. Keine Familie darf wegen der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität eines ihrer Mitglieder diskriminiert werden. Deshalb muss auch das Familienrecht realitätstauglich weiterentwickelt werden. Auch sechs Jahre nach der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare erfahren Kinder
    lesbischer, schwuler, bisexueller, trans*, intergeschlechtlicher und nichtbinärer Eltern Diskriminierung und mangelnde rechtliche Absicherung.
    Der größte Teil der Regenbogenfamilien sind Zwei-Mütter-Familien. Auch nach Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare gibt es hier noch gesetzlichen Regelungsbedarf: Die Ehefrau der leiblichen Mutter erlangt ihre rechtliche Elternstellung bislang nicht mit der Geburt des Kindes, sondern erst durch das langwierige und oft entwürdigende Verfahren der Stiefkindadoption. Das Abstammungsrecht muss hier analog zur bestehenden Regelung für heterosexuelle Ehepaare ausgestaltet werden: Wenn ein Kind in einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder eingetragenen Lebenspartnerschaft geboren wird, müssen beide Mütter von Geburt an automatisch gleichberechtigte Eltern ihres Kindes sein können. Für unverheiratete Regenbogeneltern muss die Möglichkeit einer Elternschaftsanerkennung analog der Vaterschaftsanerkennung geben.
    Zunehmend werden auch Familiengründungen geplant und Familienformen gelebt, bei denen mehrere Personen faktisch Verantwortung für die Erziehung und das Wohlergehen der Kinder übernehmen. Auch diese neuen Familienformen mit Mehrelternschaft müssen im Familienrecht angemessen berücksichtigt werden. Es braucht dafür einen verlässlichen rechtlichen Rahmen, der es ermöglicht, dass den jeweiligen tatsächlichen Verhältnissen entsprechend bis zu vier Menschen einvernehmlich rechtliche Elternteile und/oder Sorgeberechtigte sein können. Sie sollen eine Elternschaftsvereinbarung bereits vor der Zeugung formulieren können. Gerade im Interesse des Kindeswohls muss die Bereitschaft zur Übernahme elterlicher Verantwortung in neuen Familienformen vom Recht besser anerkannt und unterstützt werden. Zu unserer vielfältigen Gesellschaft gehören auch Familien mit trans* und intergeschlechtlichen Eltern. Sie haben einen Anspruch darauf, vom Recht angemessen wahrgenommen und diskriminierungsfrei behandelt zu werden. Dazu gehört neben der diskriminierungsfreien Bestimmung der rechtlichen Abstammung auch, in Geburtsregister und Geburtsurkunde mit dem Identitätsgeschlecht und dem gewählten Vornamen eingetragen werden zu können.
    Neben den Zwei-Mütter-Familien und den Mehreltern-Familien gibt es inzwischen auch zunehmend Zwei-Väter-Familien. Schwule Väter leben mit leiblichen Kindern, Stiefkindern, Pflegekindern, in Mehrelternkonstellationen mit einem Frauenpaar oder – seit der Ehe für alle – mit gemeinschaftlich adoptierten Kindern. Auch für die Familiengründung von Zwei-Väter-Familien sind einvernehmliche familienrechtliche Lösungen zu finden, z.B. die Möglichkeit des rechtsverbindlichen Verzichts der leiblichen Mutter auf die Verwandtschaftsbeziehung zum Kind, sofern dieser keine finanziellen Hintergründe hat. Im Interesse des Kindeswohls sind zudem klare rechtliche Regelungen zur Vaterschaft für Kinder erforderlich, die aus ausländischen Leihmutterschaften mit Vätern aus Deutschland hervorgehen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weist hier in die richtige Richtung. Die Bundesregierung muss daher noch in dieser Legislaturperiode ihr Versprechen einlösen und die längst überfällige Reform und Modernisierung des Familien- und Abstammungsrechts einstoßen.
    Familiengründung ist für LSBTIQ-Familien zunehmend ein selbstverständlicher Teil ihrer Lebensplanung. Viele Paare bleiben jedoch krankheitsbedingt ungewollt kinderlos. Sie sind auf medizinische Unterstützung angewiesen, um ihren Wunsch nach einer Familiengründung umzusetzen. Kinderwunschbehandlungen sind allerdings sehr teuer.
    Derzeit ist die Kostenerstattung in der Gesetzlichen Krankenversicherung auf Kinderwunschbehandlungen von Ehefrauen mit Spermien des Ehegatten beschränkt (homologe Insemination). Bedingung für die Kinderwunschbehandlung und die Kostenübernahme hierfür ist die Infertilität der Ehefrau. Der Gesetzgeber hat mit dem § 27a SGB V hierzu Sonderregelungen geschaffen. Der LSVD fordert, dass die Kostenerstattung für Kinderwunschbehandlungen nicht mehr auf empfängnisunfähige Ehefrauen und die Verwendung von Spermien ihrer Ehegatten beschränkt bleibt, sondern auch die Kinderwunschbehandlung von empfängnisunfähigen Frauen mit Fremdspermien unabhängig von ihrem Familienstand und ihrer sexuellen Orientierung bzw. Identität umfassen soll. Zudem muss durch Bundesgesetz klargestellt werden, dass die assistierte Reproduktion allen Menschen unabhängig von Familienstand und sexueller Orientierung bzw. geschlechtlicher Identität offensteht. Noch immer werden lesbische und bisexuelle Frauen, alleinlebende Frauen und trans* und intergeschlechtliche Menschen von Kinderwunschkliniken und Ärzt*innen wegen ihrer sexuellen Orientierung, geschlechtlichen Identität oder ihres Familienstandes abgelehnt.
    Aktionsplan der Bundesregierung “Queer leben”
    Im November 2022 hat der Beauftragte der Bundesregierung für die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt Sven Lehmann den Aktionsplan der Bundesregierung für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt “Queer leben” vorgestellt. In den Themenbereichen Teilhabe, Sicherheit, Gesundheit, Beratungs- und Communitystrukturen, Internationales und Forschung wurden insgesamt 14 Arbeitsgruppen gebildet, in denen auch die Zivilgesellschaft mitarbeitet.
    Für den Erfolg des Aktionsplans ist eine auskömmliche Finanzierung für die Umsetzung der Maßnahmen in den einzelnen Ministerien entscheidend. Bedauerlicherweise hat die Bundesregierung die angekündigten Maßnahmen jedoch nicht mit ausreichenden neuen finanziellen Mittel unterlegt. Im Sinne einer Selbstverpflichtung fordern wir die Bundesregierung auf, klare Zeit- und Arbeitspläne zur Umsetzung des Aktionsplans zu erstellen und ihrer konstatierten Selbstverpflichtung nachzukommen, indem die vorgestellten Maßnahmen beim Beschluss aller zukünftigen Haushalte eingepreist werden. Dies umfasst auch die für eine nachhaltige Durchführung des Aktionsplans notwendige strukturelle Ausstattung der einbezogenen zivilgesellschaftlichen Organisationen, denn die Erarbeitung und Umsetzung der Maßnahmen muss mit der Zivilgesellschaft und den Communitys auf Augenhöhe erfolgen. Ohne eine bedarfsgerechte finanzielle Untersetzung der zu erarbeitenden Maßnahmen in den zuständigen Ministerien und verbindlicher Umsetzungsvorgaben wird der Aktionsplan der Bundesregierung auf der Strecke bleiben.
    Reform des Antidiskriminierungsrechts
    Im Koalitionsvertrag hat die Ampelregierung eine Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) angekündigt. Bisher hat das zuständige Bundesjustizministerium jedoch weder einen Gesetzentwurf noch Eckpunkte für eine Reform vorgelegt. Auch die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung Ferda Ataman drängt die Bundesregierung, endlich zu handeln.
    Eine demokratische Gesellschaft muss allen Menschen Chancengleichheit und Teilhabegerechtigkeit gewährleisten – nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der realen Lebenswelt.
    Ein Baustein dafür ist ein effektiver rechtlicher Schutz vor Benachteiligung. Das 2006 eingeführte Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) bietet diesen Schutz nicht. Kurze Fristen, eine schwierige Beweisführung und unverhältnismäßig teure Klageverfahren halten Betroffene regelmäßig davon ab, ihre Rechte einzufordern. Mehr als ein Drittel der gemeldeten Diskriminierungsfälle fallen nach einem Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zudem gar nicht in den Anwendungsbereich des AGG. Der LSVD fordert daher seit vielen Jahren eine Reform des Antidiskriminierungsrechts.
    Für einen effektiven rechtlichen Schutz muss der Gesetzgeber das AGG ausbauen und wirksamer gestalten: Staatliches Handeln muss umfassend in den Anwendungsbereich des AGG einbezogen, Diskriminierungsgründe müssen erweitert werden. Die Ausnahmeregelungen im Arbeitsrecht für Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen müssen im Einklang mit europäischem Recht aufgehoben werden. Der Rechtsschutz ist in seiner derzeitigen Form ineffektiv und muss dringend verbessert werden. Notwendig sind die Verlängerung der viel zu kurzen Geltendmachungsfristen, die Einführung kollektiver Rechtsschutzformen sowie deren finanzielle Absicherung durch einen Rechtshilfefonds. Individualklagen sind ungeeignet, um gegen strukturelle Diskriminierungen vorzugehen. Mehrfachdiskriminierungen müssen zudem viel stärker in den Blick genommen werden.

    Grundgesetz LSBTIQ*-inklusiv ausgestalten
    Mit dem Grundrechtekatalog hat sich unsere Demokratie souverän selbst rechtsstaatliche Grenzen gesetzt. Die Grundrechte limitieren auch demokratisch ermächtigte Mehrheiten. Sie schützen die Freiheit und das Recht auf Verschiedenheit in Gleichheit. Allerdings blieb 1949 der Katalog der speziellen Diskriminierungsverbote in Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes unvollständig. Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität sind dort nicht erwähnt. Das wirkt sich bis heute negativ auf die Lebenssituation von LSBTIQ* aus. Wer dort nicht genannt wird, läuft Gefahr, in der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit ignoriert zu werden. So musste das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahren immer wieder gegenüber diskriminierendem staatlichen Handeln korrigierend eingreifen, um den Grundrechten von Lesben, Schwulen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen auf Gleichbehandlung und freie Entfaltung der Persönlichkeit Geltung zu verschaffen. Gerade gegenüber politischen Kräften, die Demokratie als Diktatur einer vermeintlichen Mehrheit missverstehen, muss ein inklusives Grundrechteverständnis auch im Verfassungstext besiegelt werden. Fundamentale Normen des Zusammenlebens wie das Diskriminierungsverbot müssen in der Verfassung für alle Menschen transparent sein. Es muss unstreitig sichergestellt werden, dass sowohl die sexuelle Identität als auch die geschlechtliche Identität unter dem vollumfänglichen Schutz des Grundgesetzes stehen. In einigen Bundesländern gibt es bereits entsprechende Diskriminierungsverbote in der jeweiligen Landesverfassung. Wir fordern die anderen Bundesländer auf, diesem Beispiel zu folgen.

  • Differenzen in der LGBTIQ-Community

    Frage 11:
    Sehen Sie eine Teilung der LGBTQIA - Community, in LGB und Andere, und wenn ja, warum? Hat das mit dem Anwachsen der geschlechtlichen Orientierungen und Identitäten zu tun? (AfD)

    Antwort auf Frage 11:
    Die LSBTIQ*-Communitys sind vielfältig - Erfahrungen, Chancen und Identitäten sind abhängig von vielen Faktoren: sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität, Hautfarbe, Alter, Religion, (sozialer) Herkunft, ob Menschen sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren oder nicht. Wer diese Vielfalt als Spaltung interpretiert und daraus politischen Profit schlagen möchte, um von einer vermeintlichen „homogenen Volksgemeinschaft“ zu träumen, hat die Communities in ihrer Vielschichtigkeit und auch unsere pluralistische Demokratie nicht verstanden. In allen Communitys, so auch in der von LSBTIQ*, gibt es verschiedene Einstellungen. Der Regenbogen hat nicht umsonst viele Farben. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt ist nicht nur Teil jeder Gesellschaft, sondern auch ein zentraler Bestandteil eines demokratischen Grundverständnisses. Demokratie lebt vom Austausch von Erfahrungen und Meinungen. Aber über die Existenz von trans*, inter* und nichtbinären Menschen kann keine Grundsatzdebatte geführt werden. Ein demokratischer Austausch muss die Existenz aller seiner Teilnehmenden anerkennen. Vielfältige geschlechtliche Identitäten gab es schon immer. In manchen Gesellschaften wurde bis zum Kolonialismus respektvoll mit dieser Vielfalt umgegangen. In vielen Gesellschaften – so auch in Deutschland – wurde geschlechtliche Vielfalt jedoch über Jahrhunderte gewaltvoll unterdrückt und ignoriert. So steht auch im Fragen und Antworten Dokument vom BMFSFJ und BMJ zum Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag unter XI „Vielfältige geschlechtliche Identitäten gab es schon immer.“
    Aktuell finden Menschen endlich mehr Worte, die individuelle Erfahrungen beschreiben. Diese Selbstbezeichnungen schaffen Gemeinschaft.
    Inzwischen gibt es zum Glück eine Entwicklung hin zu mehr Sichtbarkeit, Offenheit und Anerkennung von trans* Personen. Das ist positiv, denn trans* zu leben sollte akzeptiert sein. Eine trans*- und inter*freundliche Gesellschaft führt nicht dazu, dass es mehr trans*, inter* oder nichtbinäre Menschen gibt, sondern dazu, dass sich mehr Personen outen und/oder für eine Transition entscheiden. Diese Entwicklung hält hoffentlich weiter an. Unsere Gesellschaft sollte es allen Personen ermöglichen, so zu sein und zu leben, wie sie sind. Mehr Freiheit für trans*, inter* und nichtbinäre Menschen bedeutet mehr Freiheit für alle.
    Gegen Falschinformationen ist Bildung ein essenzieller Bestandteil. Mehr Informationen und wissenschaftliche Fakten zum Thema finden sich in unserer Broschüre “Soll Geschlecht jetzt abgeschafft werden? 12 Fragen und Antworten zu Selbstbestimmungsgesetz und Trans*geschlechtlichkeit”.

    Frage 12:
    Was sagen Sie zur Spaltung der Transsexuellenszene, in der viele die Gender-Ideologie ablehnen und wenige sie lautstark befürworten? (AfD)

    Antwort auf Frage 12:
    Ich möchte hier auf die Ausführungen zu den Fragen 4 und 5 verweisen.