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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Mit mehr Diversität in die Zukunft (Respekt)

Selbstreflexion und Potenziale des LSVD

Obwohl Diversität schon immer gesellschaftliche Realität ist und Vielfalt und Diversität in den letzten Jahren zu allgegenwärtigen Schlagwörtern geworden sind, ist Diskriminierung immer noch Alltag vieler Menschen. Das zeigen nicht zuletzt die Zahlen von Hasskriminalität wie auch der Anstieg der Anfragen an Beratungsstellen. Dieser Entwicklung müssen wir uns entgegenstellen. Doch was bedeutet das für den LSVD?

Diversität im LSVD

Der LSVD ist im Kern eine politische Interessensvertretung, streitet seit seinen Anfängen für Repräsentation, Akzeptanz sowie rechtliche und persönliche Anerkennung von Diversität und hat deswegen eine besondere Verantwortung für die Zukunft.

Im Fokus der Arbeit des LSVD stand seit der Gründung 1990 der Einsatz für die Akzeptanz der Vielfalt sexueller Orientierungen. Zunächst handelte es sich beim Schwulenverband um eine
Selbstvertretung für schwule Männer. 1999 folgte die Fusion mit Teilen der Lesbenbewegung und führte zur Umbenennung in „Lesben- und Schwulenverband“. Über die Zeit rückte auch die Diversität der geschlechtlichen Identität mehr in den Fokus. Dafür steht symbolisch der Verbandstagsbeschluss von 2018 über das Programm „Menschenrechte, Vielfalt und Respekt“. Der LSVD setzt sich beispielsweise aktuell für das Selbstbestimmungsgesetz ein, weil Menschenrechte nicht teilbar sind, aber auch weil trans*feindliche Narrative direkt verbunden sind mit der Ablehnung von Homo- und Bisexualität. Alle profitieren von mehr Selbstbestimmung von trans* Personen. Mehr Freiheitsrechte ermöglichen es allen Menschen, ihre Identität und ihr Sein besser zu erforschen, und in Sicherheit so sichtbar zu werden, wie sie es selbst wollen. Ein anderes Beispiel: Dr. Sanja Bökle vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung betrachtete in ihrer Dissertation unter anderem das Verhältnis des LSVD zu Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Der LSVD setzt sich seit mehreren Jahren in seiner Interessenvertretung, in der Projektarbeit von „Queer Refugees Deutschland“ und in der Arbeit vieler Landesverbände für die Rechte von LSBTIQ* mit Migrationsgeschichte ein.

Zur Stärkung und Reflexion der eigenen Arbeit steht der LSVD seit Jahren im Austausch mit Expert*innen für andere Diskriminierungskategorien, wie zum Beispiel im Beirat der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Außerdem beteiligt er sich regelmäßig daran, breite Bündnisse zu schmieden, so zum Beispiel im „Bündnis AGG-Reform jetzt!“, um nur kleine Ausschnitte zu nennen. Der LSVD will in der Zukunft an diese bereits vorhandenen Prozesse anknüpfen, aber dabei noch tiefer gehen. Das Ziel ist es, die vielfältige Lebensrealität von LSBTIQ* noch besser abzubilden und für die Zukunft ein starkes Zeichen zu setzen. Dabei verfolgen wir einen intersektionalen Ansatz.

Verschränkung in den Fokus rücken

Der Begriff „Intersektionalität“ wurde 1989 von der Rechtswissenschaftlerin Kimberlé Crenshaw geprägt. Sie bezeichnete damit zuerst am Beispiel Schwarzer Frauen, dass verschiedene Diskriminierungen sich gleichsam einer Straßenkreuzung treffen und daher bei Diskriminierungserfahrungen einer Person nicht mehr unterschieden werden kann, aufgrund welcher marginalisierten Position eine konkrete Diskriminierung erfahren wurde. Intersektionalität meint, das Augenmerk besonders auf miteinander verschränkte Mehrfachmarginalisierungen zu legen. Denn beispielsweise ist ein schwuler cis Mann ohne Migrationsgeschichte von anderen spezifischen Diskriminierungen betroffen als eine lesbische trans* Frau mit Migrationsgeschichte.

Von der Theorie in die Praxis

Die intersektionale Ansatz ist aber nicht nur theoretisch zu verstehen, sondern er muss auch Auswirkungen auf die Praxis haben: zum Beispiel in Form einer kritischen Selbstreflexion. Wir alle sind in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der Rassismus, Antisemitismus, Ableismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit und viele weitere Arten von Diskriminierung sowohl normalisiert als auch allgegenwärtig wie unsichtbar sind. Das heißt, dass wir alle einen weiten Weg vor uns haben, uns die eigenen (unbewussten) Vorurteile schrittweise vor Augen zu führen.

Es liegt in unserer Verantwortung für eine demokratische Gesellschaft, Diskriminierung abzubauen. Klar ist, dass Menschen, wenn sie von einer Diskriminierungskategorie betroffen sind, nicht automatisch alles über andere systematisch marginalisierte Lebensrealitäten wissen. Das bedeutet eine Verantwortung auf individueller wie auf gemeinschaftlicher Ebene. Wir sind dazu aufgerufen, nicht davor zurückzuschrecken, uns mit den eigenen Leerstellen und Potenzialen auseinanderzusetzen. Wo gibt es derzeit im LSBTIQ*-Aktivismus noch Potenziale zur Partizipation und Repräsentation? Zu ihrer Sichtweise auf das Thema „Diversität“ haben wir Expert*innen aus anderen Organisationen befragt. Diese Sichtweisen dürfen uns in unserer weiteren Verbandsarbeit inspirieren, stellen allerdings selbstverständlich nur einen kleinen Ausschnitt vieler miteinander verschränkter und einander überlappender Diversitätskategorien dar.

Statement der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V. (ISD Bund)

„Diversität steht für heterogene und intersektionale Lebensrealitäten und Lebensentwürfe von Menschen. Durch die Diversitätskategorien race, Klasse, Geschlecht, sexuelle Identität/ Orientierung, Alter, BeHinderung, Körper und mehr wird erkennbar, wer Zugänge zu gesellschaftlichen Ressourcen erhält und wer systematisch benachteiligt wird.
Aufgrund der Ausschlusserfahrungen wurde 1985 die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e. V. (ISD) als Initiative Schwarze Deutsche gegründet, um rassistische Verhältnisse innerhalb der weißen Dominanzgesellschaft politisch zu bekämpfen und abzubauen. Die ISD ist Teil des Kompetenznetzwerks Anti-Schwarzer Rassismus (KomPAD); im Rahmen des Projekts Anti-Schwarzer Rassismus in Kita und Schule bietet der Verein Bildungs-, Beratungs- und Empowermentangebote an. Ein Ziel dabei ist, stets auf die Verschränkungen der Diskriminierungsformen zu achten.
LSBTIQ*-Verbände sollten sich daher zu dem Thema „Anti-Schwarzer Rassismus“ von Community-basierten Organisationen qualifizieren lassen, um eine breite Wirksamkeit innerhalb ihrer Arbeit zu entfalten. Dabei sollten die Auseinandersetzungen innerhalb der Verbände intersektional und solidarisch gedacht werden.“

Adiam Zerisenai, Inhaltliche Leitung bei der ISD im KomPAD

Der Verein queerhandicap e. V. setzt sich seit 2010 dafür ein, dass LSBTIQ* mit Behinderung und chronischen Erkrankungen offen und frei zu sich stehen können.

Statement von queerhandicap e.V.

„Wir bereichern die Arbeitswelt auf unsere eigene Art und Weise. Auch wenn viele von uns eine Förderung benötigen oder einen Inklusiven Arbeitsplatz, erreichen wir zum Teil die gleichen Arbeitsergebnisse wie Personen ohne eine Beeinträchtigung. Dem Vorurteil zu trotzen und unsere Ziele auf den 1. Arbeitsmarkt zu erreichen. Wenn uns etwas begeistert, dann lassen wir uns von nichts aufhalten. Uns zeichnet ein großes Herz aus und die Loyalität, was viele schätzen. Aber für die meisten sind wir immer noch eine Quote und das muss sich ändern!
Durch uns wird die Vielfalt gestärkt – Marginalisierungen werden abgebaut, Talente erweitert und Kenntnisse weitergeben. Mit uns ist es möglich, neue Erfahrungen zu sammeln, eben weil wir Anders sind.
Teilhabe ist bei uns ein sehr wichtiges Thema und auch ein großer Kampf. Über uns gibt es immer Vorurteile und wir wollen zeigen, dass diese nicht sein müssen.
Miteinander stark zu sein! Wir wollen in die Gespräche miteingebunden werden auf Augenhöhe, z. B. zur Barrierefreiheit und zur Behindertenpolitik, die nicht immer queer ist. Wir wünschen uns, dass sich das ändert.“

Angela Hermann, Vorstand queerhandicap e. V.

Der Bundesverband Trans* e. V. setzt sich seit 2015 für die Rechte von trans* Personen im weiteren Sinne ein, also Menschen, die sich z. B. als transgeschlechtlich, transident, transsexuell, transgender, genderqueer, trans*, trans, nicht-binär, Crossdresser, trans* Frau und trans* Mann bezeichnen oder bezeichneten.

Statement des Bundesverband Trans*

„Um über Identitäten jenseits von ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ zu sprechen, wird inzwischen häufig das Wort ‚nicht-binär‘ als Oberbegriff genutzt. Manche verwenden dieses Wort, um direkt die eigene Identität zu beschreiben. Nicht-binäre Personen können sich zusätzlich als trans* und/oder inter verstehen. Beim Bundesverband Trans* setzen wir uns für die Verbesserung der Lebensrealitäten aller trans* Personen ein, unabhängig davon, ob sie sich als trans* Frau, trans* Mann oder nicht-binär verstehen. Nicht-binäre Personen sind selbstverständlich Teil der trans* und der queeren Communitys. Doch an vielen Stellen – selbst in queeren Kontexten – fehlt oft noch grundlegendes Wissen über die Erfahrungen und Bedarfe nicht-binärer Personen. Das muss sich ändern. Verbündete müssen sich mehr mit Nicht Binarität beschäftigen und die ein oder andere vermeintliche Gewissheit und ausschließende Gewohnheit verlernen.“

Kalle Hümpfner, Fachreferent*in für gesellschaftspolitische Arbeit BVT*

Jede einzelne Gruppe ist mit ihrer eigenen Schwerpunktsetzung und Expertise als Selbstvertretung unbedingt notwendig. Wir wollen allerdings noch intensiver von anderen Organisationen über ihre individuellen Schwerpunktsetzungen lernen und dabei aktives Zuhören praktizieren. Auf dem 35. Verbandstag in Köln im März 2023 hat der LSVD Bundesvorstand deshalb per Beschluss den Auftrag erhalten, eine Zukunftsstrategie für die Diversität im LSVD zu entwickeln.

Für Organisationen kann der Ansatz des „Safer Space“ die Augen öffnen. Der Begriff Schutzraum, bzw. Safe Space, stammt aus der LSBTIQ*-Szene der 1960er Jahre in den USA und wurde von der Frauenbewegung weiterverwendet. Dabei ging es darum, Räume zu schaffen, in denen sich Gleichgesinnte austauschen, reflektieren und gegenseitig den Rücken stärken können. Allerdings stellt sich die Frage, ob Safe Spaces nicht unerreichbare Utopien sind, weil wir alle Diskriminierungen internalisiert haben und diese auch in vermeintlichen Safe Spaces reproduziert werden können. Eine Idee sind deshalb „Safer Spaces“, also sicherere Räume, die ihr Bestes tun, um Diskriminierungen abzubauen, sich der eigenen Fehlbarkeit aber trotzdem bewusst sind, wie z.B. Maryam Mohseni vorschlägt.

Gemeinsam für Demokratie und Menschenrechte

Für verschiedene Gruppen, die für Vielfalt, Respekt und die Einhaltung der Menschenrechte in einer Gesellschaft eintreten und politische Interessensvertretung praktizieren, gilt dasselbe wie für Individuen: Gemeinsam in Bündnissen sind wir noch stärker. Zusammen können wir Hass noch effektiver entgegentreten, von der Hetze in Kommentarspalten bis zu Tendenzen von Menschen- und Demokratiefeindlichkeit in der Politik.

Ein zentraler Baustein von Demokratien ist die Einhaltung und die Verteidigung der gleichen Menschenrechte für alle Menschen. In der Politikwissenschaft wird dabei oft vom sogenannten Minderheitenschutz gesprochen. Das Wort „Minderheit“ hört sich im Alltag allerdings oft so an, als würde direkt darauf eine fadenscheinige Rechtfertigung folgen, dass sich der Schutz der Rechte von einigen gar nicht lohne, weil es sich doch „nur um eine Minderheit“ handle.

Der offen schwul lebende Sinti*zze- und Rom*nja-Aktivist Gianni Jovanovic schlägt in seiner Autobiografie (2022) deswegen den Begriff der „kleinen Mehrheiten“ vor. Das beschreibt den Zusammenschluss von verschiedenen von Diskriminierung betroffenen Gruppen mit dem Ziel, die gemeinsam Dominanzgesellschaft zu hinterfragen. Die Diskriminierungserfahrungen sind unterschiedlich, aber gemeinsam können wir etwas bewegen!

Kerstin Thost,
LSVD-Pressesprecher*in

Dieser Text ist als Aufmacher in der aktuellen Respekt-Zeitschrift vom Juli 2023 erschienen. Hier kannst du unser Mitgliedermagazin einfach per PDF downloaden.