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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

FDP verhöhnt Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Einstufung sicherer Herkunftsstaaten

LSVD kritisiert die von FDP, Union und AfD geforderte Ausweitung auf die Maghrebstaaten

Pressemitteilung vom 14.09.2023

Berlin, 14.09.2023. FDP-Fraktionschef Christian Dürr stieß am 9. September gegenüber der Funke-Mediengruppe an, dass über eine Ergänzung der Liste der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten in Bezug auf die Maghreb-Staaten beraten werden soll. FDP-Außenpolitiker Ulrich Lechte bekräftigte im Interview mit dem Deutschlandradio den Vorstoß seines Fraktionschefs und behauptete hierzu, dass es in Algerien, Marokko und Tunesien keine gezielte staatliche Verfolgung gebe. Dabei stehen in allen drei genannten Staaten auf einvernehmliche gleichgeschlechtliche Handlungen mehrjährige Haftstrafen. Bereits 1996 hat das Bundesverfassungsgericht klar festgelegt: Nur solche Länder dürfen als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden, in denen "Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen" besteht. Dazu erklärt Patrick Dörr aus dem Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD):

Die Regierungsparteien kennen – ebenso wie CDU/CSU – die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sehr gut. Dass aus der FDP, die für sich die Verteidigung liberaler Grundwerte beansprucht, nun ein Vorschlag unterbreitet wird, der die Vorgaben des höchsten deutschen Gerichts mit Füßen tritt, lässt doch ernsthafte Zweifel an ihrer rechtstaatlichen und menschenrechtspolitischen Verortung aufkommen. Bereits die bestehende Listung von Ghana und Senegal ist eine anhaltende Missachtung des Bundesverfassungsgerichtsurteils durch die Bundesregierung.

In den Maghreb-Staaten drohen – ebenso wie in Ghana und Senegal – Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans*, inter* und queeren Personen (LSBTIQ*) mehrjährige Haftstrafen. In Tunesien ist die staatlich geförderte Folter an schwulen und bisexuellen Männern durch erzwungene Analuntersuchungen zur angeblichen Feststellung gleichgeschlechtlicher Handlungen bestens dokumentiert. Deutschland hat mit 31 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen Zwangsanaluntersuchungen als Folter verurteilt. Gerade aus Marokko und Algerien wissen wir zudem von zahlreichen strafrechtlichen Verurteilungen queerer Menschen. Wenn führende FDP-Politiker nun davon reden, dass es in den drei Staaten keine gezielte staatliche Verfolgung gebe, bagatellisieren sie nicht nur die homosexuellenfeindlichen Strafgesetze und die staatliche Verfolgung, sondern widersprechen auch der Einschätzung zahlreicher Gerichte in Deutschland.

Eine Ausweitung der Liste vermeintlich sicherer Herkunftsstaaten träfe LSBTIQ* Asylsuchende aus diesen Ländern besonders hart. Erstens outen sich viele aufgrund von Angst, Scham und fehlender rechtlicher Aufklärung im Asylverfahren erst sehr spät. Zweitens wird ihnen ihre sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche Identität im Asylverfahren häufig nicht geglaubt. Im Falle der geplanten Einstufung als sichere Herkunftsstaaten würden ihre Anträge in beiden Fällen als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Sie hätten nur eine Woche Zeit, dagegen zu klagen, und könnten auch trotz Klageerhebung aus dem laufenden Verfahren heraus abgeschoben werden.

Die Behauptung des FDP-Außenpolitikers Lechte, dass für Homosexuelle alles beim Alten bleibe, weil sie wie gehabt einen Antrag stellen und dann Schutz bekommen könnten, ist somit schlichtweg falsch und brandgefährlich. Anstatt immer neue Wege zu suchen, das Recht auf Asyl weiter aufzuweichen, empfehlen wir der FDP, lieber diejenigen Punkte aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen, die mit Bezug auf queere Verfolgte noch ausstehen. Hierzu gehört vor allem, dass die neue Rechtsberatung für Asylsuchende nicht zu einem Feigenblatt wird. Die Finanzierung muss endlich hinreichend sichergestellt werden. 

Auch in Georgien und Moldau, gegen deren Einstufung bereits fast acht Tausend Personen unsere Petition unterschrieben haben, droht LSBTIQ* Verfolgung. 

Zum Hintergrund

Die Kategorie der „sicheren Herkunftsstaaten“ kommt aus dem Asylrecht. Nach Artikel 16a Grundgesetz können Staaten per Gesetz als sichere Herkunftsländer definiert werden, wenn davon ausgegangen werden kann, dass dort „weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet“. 1996 hat das Bundesverfassungsgericht konkretisiert, dass hierfür "Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen" bestehen muss. Grundlage für eine solche Einschätzung sind die Rechtslage, die Rechtsanwendung und die allgemeinen politischen Verhältnisse.

Die Einstufung als sicherer Herkunftsstaat hat asylrechtliche Folgen für Geflüchtete aus diesen Ländern. „Es wird vermutet, dass ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, dass er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.“ (Art. 16a GG). In Deutschland gelten derzeit folgende Länder als sichere Herkunftsstaaten: Alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien.

Zur Petition gegen die Einstufung von Georgien und Moldau

https://action.allout.org/de/m/abf4054c/

Weiterlesen

Die detaillierten Quellen zum Thema Zwangsunteruschungen in Tunesien lesen Sie im LSVD-Dossier.

https://www.lsvd.de/de/ct/10085-Georgien-soll-auf-die-Liste-sicherer-Herkunftsstaaten-Bundesregierung-ignoriert-Verfolgung

Keine sicheren Herkunftsstaaten: Algerien, Marokko und Tunesien (lsvd.de)

Asylrecht: Ghana und Senegal keine sicheren Herkunftsstaaten (lsvd.de)

LSVD-Bundesverband

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Pressesprecher*in Kerstin  Thost

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