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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Jahresbericht von ILGA-Europe 2025

Übersetzte Zusammenfassung

ILGA-Europe ist der Dachverband des LSVD⁺ auf europäischer Ebene. Die Veröffentlichung des ILGA-Europe-Jahresberichts umfasst Ereignisse, die zwischen Januar und Dezember 2024 stattgefunden haben. Sie bietet eine Momentaufnahme dessen, was im Laufe des Jahres auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene geschehen ist, und sie dokumentiert Fortschritte und Trends in Bezug auf die Menschenrechtssituation von LSBTIQ*-Personen.

ILGA Europe weist darauf hin, dass einige Teile des Dokuments für einige Leser*innen potenziell aufrüttelnd sein könnten. Sie betonen, dass es sich bei diesem Dokument nicht um Schuldzuweisungen geht. Das Ziel von ILGA-Europe ist es nicht, mit dem Finger auf bestimmte Länder zu zeigen. Stattdessen soll diese Veröffentlichung als Instrument für den Austausch bewährter Praktiken und Strategien dienen und eine offene Einladung für eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Regierungen und der LSBTIQ* -Zivilgesellschaft darstellen.

Als Top 5 Trends fasst ILGA Europe in seinem Bericht zusammen:

Zunehmende Restriktionen:

In sieben Ländern wurden so genannte "LGBT-Propaganda"-Gesetze erlassen oder eingebracht, die die Sichtbarkeit und Diskussion von LSBTIQ*-Themen kriminalisieren und einschränken. Gleichzeitig wurden in Bulgarien, Georgien, Ungarn und Montenegro sogenannte „Ausländische-Agenten-Gesetze“ eingebracht bzw. erlassen. Diese Gesetze zwingen LSBTIQ*-Organisationen, sich als aus dem Ausland finanzierte Organisationen registrieren zu lassen.

Fokus auf den Bildungsbereich:

Anti-LSBTIQ*-Gesetze werden zunehmend im Bildungsbereich angewandt, indem die Inklusion von LSBTIQ*-Themen in Lehrplänen und Sensibilisierungsinitiativen eingeschränkt oder vollständig verhindert wird. Darüber hinaus wurden in neun Ländern Versuche unternommen, Gesetze einzuführen, die LSBTIQ*-Themen aus dem Sexualkundeunterricht ausschließen würden.

Die Folgen der Normalisierung von Hassrede:

Die Normalisierung von Hassreden durch politische und religiöse Führungspersonen hat dazu geführt, dass die Zahl an Hassverbrechen ein Rekordniveau erreicht hat. Gleichzeitig wird in Ländern wie Georgien, Ungarn, Irland, Rumänien und dem Vereinigten Königreich Angstmache betrieben, um Beschränkungen für die Gesundheitsversorgung von trans* Personen zu rechtfertigen.

Willkürliche Ablehnungen von Asylanträgen:

Viele europäische Länder - darunter Österreich, Belgien und Irland - lehnen Asylanträge aus willkürlichen Gründen ab, unter anderem aus dem Grund, dass die antragstellende Person nicht "lesbisch/schwul/queer genug" sei.

Gerichte wahren die Menschenrechte von LSBTIQ*:

Während viele Regierungen zunehmend versuchen, restriktive und queerfeindliche Gesetze durchzusetzen, setzen sich die Gerichte in ganz Europa für die Menschenrechte von LSBTIQ* ein. Sie fällten wichtige Urteile zu Verfahren für LSBTIQ*-Asylbewerber*innen, zu Hassreden gegen LSBTIQ*, zur Vereinigungs- und Meinungsfreiheit, zur rechtlichen Anerkennung des Geschlechts sowie zu sexuellen und reproduktiven Rechten.

Im Weiteren fassen wir alle behandelten, folgenden Themenbereiche zusammen:

Inhaltsverzeichnis: Trends in allen Themengebieten (S. 7-12)

  1. Zugang zu ausreichend Nahrung, Gütern und Dienstleistungen
  2. Asyl
  3. Vorurteilsmotivierte Äußerungen
  4. Vorurteilsmotivierte Gewalt
  5. Bildung
  6. Arbeit
  7. Gleichstellung und Nichtdiskriminierung
  8. Familie
  9. Versammlungsfreiheit
  10. Vereinigungs- und Meinungsfreiheit
  11. Gesundheit
  12. Körperliche Unversehrtheit
  13. Außenpolitik
  14. Menschenrechtsverteidiger*innen und Freiheit von Folter, grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung
  15. Wohnen
  16. Rechtliche Anerkennung des Geschlechts
  17. Sexuelle und reproduktive Rechte
  18. Teilnahme am öffentlichen, kulturellen und politischen Leben
  19. Öffentliche Meinung
  20. Polizei und Strafverfolgung

1. Zugang zu ausreichend Nahrung, Gütern und Dienstleistungen

Systematische Diskriminierungen beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen sind nach wie vor ein anhaltendes Problem für LSBTIQ* in ganz Europa. Die Lücken werden meist von zivilgesellschaftlichen Organisationen geschlossen, was deren entscheidende Rolle bei der Bekämpfung systemischer Ungleichheiten unterstreicht.

Positive Bemühungen staatlicher Institutionen zur Förderung des Zugangs zu Gütern und Dienstleistungen wurden in Griechenland, Irland, Litauen Malta und Großbritannien dokumentiert.

Die Diskussion und Umsetzung von "LGBT-Propaganda"-Gesetzen in sieben Ländern könnte den Zugang zu grundlegenden Gütern und Dienstleistungen für LSBTIQ*-Personen gefährden.

2. Asyl

Da die Regierungen in ganz Europa die Unterstützung und den Schutz von Asylbewerber*innen und Geflüchteten einschränken, bekommen LSBTIQ*-Asylbewerber*innen oft keine angemessene Unterstützung, keine sichere Unterkunft und keine angemessene Prüfung ihrer Asylanträge.

In sieben Ländern, darunter auch Deutschland, wurden zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen die Anträge von LSBTIQ*-Asylbewerber*innen abgelehnt wurden, weil sich die Beurteilungen auf ungenaue und nicht durchsetzbare Kriterien stützten. Solche Kriterien beziehen sich lediglich auf quantifizierbare Daten zu sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität und vernachlässigen dadurch deren komplexen und persönlichen Charakter. So wurde in Deutschland und Irland mehreren LSBTIQ*-Asylsbewerber*innen aus Ghana Asyl und internationaler Schutz verweigert, obwohl ihr Leben erheblich bedroht war.

Trotz der neuen Welle strenger Anti-LSBTIQ*-Gesetze in Russland, wurde in mehreren Ländern von Schwierigkeiten bei der Bearbeitung der Asylanträge von russischen LSBTIQ* und Aktivist*innen berichtet.

In Italien, Montenegro, Slowenien und Lettland stellten sich örtliche Gerichte jedoch entschieden gegen die Anfechtung von Asylverfahren von LSBTIQ*-Asylbewerber*innen.

3. Vorurteilsmotivierte Äußerungen

Gegen LSBTIQ*-Personen gerichtete Hassreden werden zunehmend normalisiert und häufig von Personen des öffentlichen Lebens und staatlichen Einrichtungen geschürt. Dies hat zu einer Politik und einer Gesetzgebung geführt, die die Grundfreiheiten von LSBTIQ*-Personen weiter einschränken. Dieser Trend ist in der gesamten Region zu beobachten, wobei nur 12 Länder keine derartigen Vorfälle melden.

In fünf Ländern (Belgien, Bosnien und Herzegowina, Tschechien, Moldau sowie Rumänien) haben konservative Gruppen diskriminierende Narrative gegen LSBTIQ*-Personen im Wahlkampf eingesetzt.

In Lettland, Moldau, Spanien und Rumänien konnten jedoch auch Bemühungen von Organisationen der Zivilgesellschaft und staatlichen Stellen zur Bekämpfung von Hassreden verzeichnet werden.

4. Vorurteilsmotivierte Gewalt

Vorurteilsmotivierte Gewalt gegen LSBTIQ*-Personen nimmt in ganz Europa alarmierend stark zu, wobei in der überwiegenden Mehrheit der untersuchten Länder Vorfälle gemeldet wurden.

In fünf Ländern, darunter auch Deutschland, haben sowohl öffentliche als auch private Behörden Berichte veröffentlicht, in denen ein deutlicher Anstieg von Straftaten aufgrund der wahrgenommenen sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität und/oder des Geschlechtsausdrucks festgestellt wurde.

Ein äußerst besorgniserregender Trend ist auch in Belgien, Kroatien, Frankreich und Turkmenistan zu beobachten, wo Täter gefälschte Profile auf beliebten Dating-Apps verwenden, um ihre Opfer in einen Hinterhalt zu locken. In Turkmenistan nutzen sogar Behörden solche Apps, um LSBTIQ*-Personen in die Falle zu locken und sie zu zwingen, Informationen über andere Mitglieder der LSBTIQ*-Gemeinschaft zu liefern.

5. Bildung

LSBTIQ*-Personen sind in ganz Europa mit erheblicher Diskriminierung und Feindseligkeit im Bildungsbereich konfrontiert. In sieben Ländern der Region werden zunehmend „Anti-Propaganda“-Gesetze genutzt, um die Inklusion von LSBTIQ*-Themen in Lehrplänen und Sensibilisierungsinitiativen einzuschränken oder ganz zu verhindern.

Darüber hinaus wurden in zehn Ländern Versuche unternommen, Gesetze einzuführen, die LSBTIQ*-Themen aus dem Sexualkundeunterricht ausschließen. In türkischen Behörden wurden sogar Verweise auf „Geschlecht, sexuelle Orientierung und ethnische Zugehörigkeit“ aus ärztlichen Eiden gestrichen.

In Tschechien, Serbien, Slowenien und der Schweiz wurden jedoch Fortschritte bei der Aufnahme von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität in die Bildungsprogramme erzielt.

6. Arbeit

Diskriminierung am Arbeitsplatz stellt für LSBTIQ*-Personen in ganz Europa nach wie vor eine große Herausforderung dar. So verheimlichen viele LSBTIQ*-Beschäftigte weiterhin in vielen Ländern ihre Identität am Arbeitsplatz, um Vorurteile zu vermeiden. Zudem können sie kaum oder gar nicht gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz vorgehen.

In sechs Ländern wird über Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt im weiteren Sinne aufgrund von fortbestehenden systemischen Barrieren berichtet. In Luxemburg wurden jedoch bedeutende Fortschritte bei der Durchsetzung von Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz und der Förderung einer integrativen Politik gemacht.

7. Gleichstellung und Antidiskriminierung

Der Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsschutz für LSBTIQ*-Personen ist in Europa sehr unterschiedlich. Trotz der Unterschiede gibt es jedoch bemerkenswerte Fortschritte bei der Stärkung der institutionellen Verpflichtungen zur Gleichstellung von LSBTIQ*-Personen. So haben Länder wie Belgien, Dänemark, Luxemburg, Polen, Portugal und Schweden LSBTIQ*-Aktionspläne und -Politiken entwickelt, die darauf abzielen, Gesetzeslücken zu schließen.

Die Wirksamkeit der Antidiskriminierungsgesetze wird jedoch häufig durch Lücken in der Durchsetzung und die vorherrschenden gesellschaftlichen Einstellungen behindert. Aus diesem Grund haben viele LSBTIQ*-Personen keinen uneingeschränkten Zugang zum rechtlichen Schutz oder zur Chancengleichheit. Es werden deshalb stärkere Umsetzungsmaßnahmen benötigt, um eine echte Gleichstellung zu gewährleisten.

Darüber hinaus bedrohen Gesetzesvorschläge zu angeblicher "LGBT-Propaganda" in sieben Ländern die Grundfreiheiten von LSBTIQ* durch vorgeschlagene Maßnahmen wie die Verhängung verwaltungs- und strafrechtlichen Sanktionen gegen Personen, die sich für LSBTIQ*-Rechte einsetzen, die Einrichtung staatlicher Datenbanken zur Identifizierung und Klassifizierung von LSBTIQ*-Personen und die Einrichtung von Überwachungssystemen zur Überprüfung der internationalen Verbindungen von NGOs.

8. Familie

Die rechtliche Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen und Familienrechten ist in Europa nach wie vor sehr uneinheitlich. In einigen Ländern wie Albanien, Kosovo und Lettland waren Fortschritte in den Bemühungen um die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe zu verzeichnen. Gleichzeitig stoßen die Bemühungen in mehreren Ländern auf Widerstand oder werden wie in Lettland und Rumänien von politischen Gegnern blockiert.

Besorgniserregend sind zudem die Entwicklungen in Kirgisistan und der Türkei, wo LSBTIQ*-feindliche Familiendefinitionen durch Gesetzesreformen in Rechtsvorschriften aufgenommen wurden.

9. Versammlungsfreiheit

Während Angriffe auf Pride-Demonstrationen zunehmen, steigt auch die Zahl der Demonstrationen. Dies verdeutlicht den Gegensatz zwischen zunehmender Feindseligkeit und einem Anstieg des LSBTIQ*-Aktivismus. Obwohl in der gesamten Region im Laufe des Jahres mindestens acht Angriffe verzeichnet wurden und in sechs Ländern, unter anderem Deutschland, Gegendemonstrationen stattfanden, gab es 2024 einen deutlichen Anstieg an Pride-Veranstaltungen. In Städten wie Pula (Kroatien) und Kiew (Ukraine) fanden die ersten Prides statt, was die kontinuierliche Zunahme der Sichtbarkeit und der Lobbyarbeit von LSBTIQ* in der Region unterstreicht.

Trotz Verboten, Angriffen, Massenverhaftungen, polizeilichen Behinderungen und zielgerichtetem Widerstand bewiesen türkische Aktivist*innen, Gemeindemitglieder und Verbündete weiterhin Widerstandskraft, indem sie Pride-Veranstaltungen im ganzen Land organisierten und daran teilnahmen.

10. Vereinigungs- und Meinungsfreiheit

Die Möglichkeiten von LSBTIQ*-Organisationen, frei zu agieren, und von LSBTIQ*-Personen, ihre Meinung zu äußern, sind in Europa sehr unterschiedlich.

Ein auffälliger Trend ist Verabschiedung von Gesetzen über "ausländische Agenten" nach dem Vorbild des russischen Gesetzes, das LSBTIQ*-Organisationen zunehmend stigmatisiert und unterdrückt. In Bulgarien, Georgien, Ungarn, Kirgisistan und Montenegro stellen solche vorgeschlagenen Gesetze eine direkte Bedrohung für die Zivilgesellschaft dar. Denn diese Gesetze deklarieren Organisationen, die aus dem Ausland finanziert werden, als "ausländisch-beeinflusst", wodurch effektiv vor allem Organisationen, die sich für LSBTIQ*-Rechte einsetzen ins Visier geraten.

Das Europäische Parlament verurteilte in einer Resolution vom April 2024 das von Georgien vorgeschlagene Gesetz über „ausländische Agenten“ und warnte vor dessen Gefahren für die Zivilgesellschaft und die LSBTIQ*-Bewegung.  Die Europäische Kommission leitete rechtliche Schritte gegen Ungarns so genanntes "Kinderschutzgesetz" ein, welches es LSBTIQ*-Inhalte in Bildung und Medien einschränkt. Zudem prüft sie derzeit, ob das bulgarische Gesetz zum Verbot von „LGBTQ+-Propaganda“ in Schulen gegen die EU-Grundsätze der Gleichstellung und Nichtdiskriminierung verstößt.

Parallel zu diesen Entwicklungen haben sich die Einschränkungen der Meinungsfreiheit in mehreren Ländern verschärft. In Ungarn wurden unter dem Deckmantel des Kinderschutzes weitere gesetzliche Verbote für Bildungsmaterialien und Medieninhalte, die LSBTIQ*-Identitäten beinhalten, verhängt. Eine ähnliche Rhetorik wurde auch in anderen Ländern zur Rechtfertigung von Zensurmaßnahmen verwendet und trug zu einem zunehmend feindseligen Umfeld für LSBTIQ*-Stimmen im öffentlichen Diskurs bei.

Es wurden jedoch auch positive Entwicklungen verzeichnet, bei denen das Recht auf freie Meinungsäußerung gewahrt wurde. Als Beispiel wird Polen genannt.

11. Gesundheit

Eine der größten Herausforderungen für LSBTIQ*-Personen in der Region ist der eingeschränkte Zugang zu trans*-spezifischer Gesundheitsversorgung. Aus acht Ländern wurde diesbezüglich über Probleme berichtet. So gibt es in vielen dieser Länder entweder keine Gesetze, die den Zugang zu geschlechtsspezifischer Versorgung für Minderjährige und Erwachsene sicherstellen, oder sie werden aktiv eingeschränkt.

Nach der Veröffentlichung des Independent Review of Gender Identity Services for Children and Young People (allgemein als Cass Review bezeichnet) wurden in Österreich, Frankreich, Irland, Polen und dem Vereinigten Königreich Versuche unternommen, Rechtsvorschriften einzuführen, die darauf abzielen, den Zugang von Minderjährigen zu transspezifischer Gesundheitsversorgung einzuschränken - mit unterschiedlichem Erfolg.

In sieben Ländern sind jedoch auch positive Entwicklungen wie die Entwicklung von Behandlungskonzepten zur Unterstützung von trans*- und nicht-binären Patienten zu verzeichnen. Darüber hinaus wurden in Tschechien, Estland und Island die Blutspendeverbote für LSBTIQ* ganz oder teilweise aufgehoben.

12. Körperliche Unversehrtheit

Die körperliche Unversehrtheit von LSBTIQ*-Personen ist häufig durch eine mangelhafte Gesundheitsversorgung oder schädliche medizinische Praktiken gefährdet. In Ländern wie Island und Portugal wurden mit der Verabschiedung von Gesetzen zum Verbot von Konversionspraktiken bedeutende Fortschritte erzielt. In sechs anderen Ländern (Albanien, Armenien, Tschechien, Griechenland, Kasachstan und Rumänien) gibt es jedoch weiterhin Berichte über solche Praktiken.

Darüber hinaus wurden in der gesamten Region anhaltende Probleme im Zusammenhang mit der Genitalverstümmelung von intergeschlechtlichen Menschen (IGM) festgestellt. So gibt es beispielsweise aus Dänemark, Rumänien und Österreich weiterhin Berichte über solche Praktiken.

Auf europäischer Ebene wurden die Bemühungen zur Bekämpfung solcher schädlicher medizinischer Praktiken fortgesetzt. So hat der Lenkungsausschuss des Europarats für Antidiskriminierung, Vielfalt und Integration (CDADI) die Arbeit an einem Empfehlungsentwurf zu den Rechten intergeschlechtlicher Menschen vorangetrieben, der sich mit der Problematik nicht-einvernehmlicher medizinischer Eingriffe befasst. Zudem hat der PACE-Ausschuss für Gleichstellung und Nichtdiskriminierung Anhörungen zum Verbot von Konversionspraktiken abgehalten und damit den wachsenden europäischen Konsens bekräftigt, dass solche Praktiken gegen die Grundrechte verstoßen. Auch die Europäische Kommission hat die Mitgliedstaaten weiterhin aufgefordert, im Rahmen der EU-Strategie zur Gleichstellung von LSBTIQ*-Personen gegen schädliche Praktiken wie Konversionstherapie und IGM vorzugehen.

13. Außenpolitik

Die europäischen Länder haben sich in unterschiedlichem Maße für die Aufnahme von LSBTIQ*-Rechten in ihren internationalen Beziehungen engagiert. Einige, wie Spanien und Deutschland, haben proaktive Schritte zur Förderung von LSBTIQ*-Rechten unternommen, indem sie die Mittel für LSBTIQ*-bezogene Projekte aufstocken und Gesetze zur Verfolgung internationaler Verbrechen gegen LSBTIQ*-Personen verabschieden.

Andere Länder zeigen jedoch Widerstand oder Zurückhaltung. So weigerte sich Italien, ein Schreiben der Europäischen Union zu unterstützen, in dem die Diskriminierung von LSBTIQ*-Personen in Ungarn verurteilt wurde.

14. Menschenrechtsverteidiger*innen und Freiheit von Folter, grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung

In der gesamten Region ist die Freiheit von Folter, grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung nach wie vor ein wichtiges Anliegen für LSBTIQ*-Personen. In Armenien, Belarus, Polen, Russland, Tadschikistan, der Türkei und Turkmenistan gibt es zahlreiche Berichte über Misshandlungen. In Turkmenistan beispielsweise sind LSBTIQ*-Personen schwerwiegenden Übergriffen seitens der Strafverfolgungsbehörden ausgesetzt, darunter Folter und Erpressung. Auch in Belarus berichteten trans* Aktivist*innen über schwere Misshandlungen wie Schläge und den Einsatz von Elektroschockern bei der Festnahme und während der Haft, wobei einige von ihnen zu falschen Geständnissen gezwungen wurden.

Menschenrechtsverteidiger*innen, die sich für LSBTIQ*-Rechte einsetzen, sind großen Risiken ausgesetzt, darunter Einschüchterung, Belästigung und Gewalt. Häufig werden Einschüchterungs- und Schikanierungsmethoden angewendet. In Montenegro haben LSBTIQ*-Menschenrechtsverteidiger*innen Morddrohungen erhalten.

In der Türkei sind LSBTIQ*-Aktivist*innen weiterhin polizeilichen Repressionen ausgesetzt, darunter Verhaftungen und Störungen von Pride-Veranstaltungen. Die Schikanen werden durch gesetzliche Einschränkungen der Versammlungsfreiheit noch verschärft, die ihre Möglichkeiten, sich zu organisieren und für LSBTIQ*-Rechte einzutreten, stark einschränken. Insgesamt wurden Menschenrechtsverteidiger*innen in acht Ländern (Albanien, Andorra, Belarus, Bosnien und Herzegowina, Rumänien, Russland, Tadschikistan und Turkmenistan) angegriffen.

15. Wohnen

Der Zugang zu Wohnraum für LSBTIQ*-Personen, insbesondere trans* Personen, stellt in ganz Europa weiterhin eine große Herausforderung dar. Steigende Mieten und die allgemeine Wohnungskrise machen es für junge LSBTIQ*, insbesondere für diejenigen, die von ihren Familien aufgrund ihrer Geschlechtsidentität abgelehnt werden, immer schwieriger, eine stabile Wohnung zu finden. Besonders in Ungarn, Litauen, Rumänien und der Türkei stoßen LSBTIQ*-Personen auf erhebliche Hindernisse, wenn es darum geht, eine sichere und stabile Wohnung zu finden.

In Albanien, Bosnien und Herzegowina, Italien und Malta wurden Fortschritte durch die Verabschiedung von Gesetzen erzielt, die die sexuelle Orientierung und die Geschlechtsidentität als Kriterien für die Gewährung von Sozialwohnungen anerkennen. Zudem wurden Notunterkünfte und Willkommenszentren eingerichtet. Trotzdem bleibt die Wohnungssuche für gefährdete LSBTIQ*-Personen eine Herausforderung.

16. Rechtliche Anerkennung des Geschlechts

In Ländern wie Deutschland und Schweden hat sich ein progressiver Wandel hin zu inklusiveren Verfahren für die rechtliche Geschlechtsanerkennung vollzogen, die auf Selbstbestimmung und nicht auf medizinischen Diagnosen basieren. In Ländern wie Italien, Litauen, Montenegro und den Niederlanden gibt es jedoch nach wie vor verfahrensrechtliche Hindernisse.

In anderen Ländern sind die Verfahren zur rechtlichen Anerkennung des Geschlechts zunehmend schwieriger geworden. In Belarus, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Georgien, Ungarn, Kasachstan, der Slowakei und Usbekistan werden die Rechte von trans* Personen, die eine rechtliche Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität anstreben, durch restriktive Praktiken weiter untergraben.

17. Sexuelle und reproduktive Rechte

Im Bereich der sexuellen und reproduktiven Rechte hat es in der Region unterschiedliche Entwicklungen gegeben, die sowohl Fortschritte als auch Rückschläge mit sich brachten.

Positive Entwicklungen gab es in Slowenien, wo das Verfassungsgericht entschied, dass die Beschränkung des Zugangs zu medizinisch unterstützter Fortpflanzung auf heterosexuelle Paare und alleinstehende Frauen verfassungswidrig ist. In Montenegro wurde eine diskriminierende Einschränkung, die LBTQ*-Frauen den Zugang zu reproduktiven Behandlungen verwehrte, nach einer Entscheidung der Ombudsperson über Diskriminierung aufgehoben. Auch in Frankreich wurden bedeutende Fortschritte erzielt, indem der französische Kongress das Recht von Frauen auf einen freiwilligen Schwangerschaftsabbruch in die Verfassung aufnahm und klarstellte, dass dieses Recht auch für alle Personen gelten muss, die eine Schwangerschaft begonnen haben, einschließlich trans* Männer.

In anderen Ländern gibt es jedoch weiterhin Herausforderungen. In Albanien wurde ein neuer Gesetzentwurf zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit kritisiert, weil er den Zugang zu Reproduktionsmedizin und -hilfe auf heterosexuelle Paare und alleinstehende Frauen beschränkt sowie die Leihmutterschaft auf verheiratete heterosexuelle Paare begrenzt, die auf natürlichem Wege nicht schwanger werden können. In Italien bezeichnete die Ministerpräsidentin Leihmutterschaft als „unmenschlich“, was zur Verabschiedung eines Gesetzes führte, das die Leihmutterschaft auf die italienische Liste der Verbrechen setzt, die unter die universelle Gerichtsbarkeit fallen.

18. Teilnahme am öffentlichen, kulturellen und politischen Leben

Die Analyse des öffentlichen, kulturellen und politischen Lebens in der Region ergab positive Entwicklungen in Ländern wie Dänemark, Estland, Litauen, Luxemburg, Portugal und Schweden, welche neue LSBTIQ*-Aktionspläne zur Verbesserung der Repräsentation und Inklusion auf den Weg gebracht haben. Frankreich, der Gastgeber der Olympischen Spiele 2024, hat sowohl bei der Eröffnungs- als auch bei der Abschlusszeremonie LSBTIQ*-Identitäten in den Vordergrund gestellt. Dieser Schritt wurde zwar allgemein gelobt, löste aber auch erhebliche Gegenreaktionen aus, wobei konservative Teile der Gesellschaft und der Politik Hass und Drohungen äußerten.

In Ländern wie Aserbaidschan, Ungarn, Montenegro, Russland, der Türkei, Usbekistan und der Slowakei hat die politische Feindseligkeit gegenüber LSBTIQ*-Personen zugenommen. Zum Beispiel entschied das slowakische Kulturministerium, die Mittel für LSBTIQ*-Initiativen zu kürzen.

19. Öffentliche Meinung

Die öffentliche Meinung zu LSBTIQ*-Themen in der Region ist komplex und vielfältig, wobei in drei Ländern bemerkenswerte Fortschritte zu verzeichnen sind, während sich die Einstellung in vier anderen Ländern verschlechtert hat.

In der Ukraine hat die Unterstützung für LSBTIQ*-Rechte deutlich zugenommen. Jüngste Umfragen haben ergeben, dass 70,4 % der Ukrainer*innen gleiche Rechte für LSBTIQ*-Personen befürworten, und jüngere Generationen sich gegenüber LSBTIQ*-Gemeinschaften offener zeigen. Dies spiegelt einen allgemeinen Trend wider, der sich in einigen Teilen der Region abzeichnet: Die öffentliche Meinung zu LSBTIQ*-Themen ist positiver geworden, vor allem in jüngeren, gebildeten Bevölkerungsgruppen, z.B. in Ländern wie Bulgarien, Kroatien, Estland und Ungarn.

In anderen Ländern wie Georgien, Zypern, Kasachstan, Montenegro und Rumänien sind die Fortschritte jedoch langsamer, und LSBTIQ*-Themen bleiben stärker polarisiert. So ergab eine Untersuchung in Moldau, dass nur 9 % der Befragten eine positive Einstellung zu LSBTIQ*-Personen haben.

20. Polizei und Strafverfolgung

Die Behandlung von LSBTIQ*-Personen durch die Polizei und die Strafverfolgungsbehörden in der Region ist sehr unterschiedlich. In Ländern wie Belarus, Kasachstan, Kirgisistan, Russland, Tadschikistan, der Türkei und Turkmenistan sind erhebliche Fälle von Diskriminierung und Missbrauch zu verzeichnen.

In vielen dieser Länder ist die Strafverfolgung nach wie vor eine der Hauptquellen für die Belästigung von LSBTIQ*-Personen. Es wird regelmäßig von Polizeirazzien in Privathäusern und Unternehmen berichtet, die sich insbesondere gegen Sexarbeiter*innen und Mitglieder der LSBTIQ*-Gemeinschaft richten. Bei diesen Razzien kommt es häufig zu schweren körperlichen Misshandlungen, einschließlich erzwungener medizinischer Untersuchungen, sowie zur Erpressung von Geld oder Informationen von den Opfern.

In Russland hat die Kriminalisierung von LSBTIQ*-Identitäten die weit verbreiteten diskriminierenden Praktiken der Strafverfolgungsbehörden befeuert. Die Polizei hat gezeigt, dass sie die Verletzlichkeit von LSBTIQ*-Personen zu ihrem persönlichen Vorteil ausnutzt, unter anderem durch Erpressung, Einschüchterung und sexuelle Gewalt. Darüber hinaus werden Polizeirazzien in LSBTIQ*-Räumen genutzt, um die Kriminalisierung der LSBTIQ*-Bewegung als extremistisch durchzusetzen. Diese Missbräuche werden durch systemische Fehler des Strafverfolgungssystems, einschließlich willkürlicher Verhaftungen, noch verstärkt.

Im Gegensatz dazu haben einige Länder positive Fortschritte bei der Verbesserung des Verhaltens der Polizei gegenüber der LSBTIQ*-Gemeinschaft gemacht. In der Ukraine beispielsweise hat die nationale Polizei mit Menschenrechtsorganisationen zusammengearbeitet, um integrativere Polizeipraktiken zu fördern und Hassverbrechen zu bekämpfen, was einen bedeutenden Schritt in Richtung einer inklusiveren und unterstützenden Strafverfolgung darstellt.

Die ganze Version kann hier abgerufen werden. Der Länderbericht zu Deutschland ist auf den Seiten 65-67 zu finden.

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