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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

LSBTI und Corona: Community ist systemrelevant

Community ist auch ein Ort der Bestätigung und Bejahung queerer Identität

Distanz statt Nähe ist angesagt, Rückzug statt Neugier, die eigenen vier Wände statt Community. Das öffentliche Leben, wie wir es kannten, liegt weitgehend brach. Unsere Community befindet sich im existenziellen Ausnahmezustand.

Mensch mit Maske

Corona ist ein Angriff auf uns alle, auf alles, was wir bisher für selbstverständlich erachtet haben. Menschen sterben, kämpfen buchstäblich ums Überleben und Existenzen stehen auf dem Spiel. Selbst die Normalität, die uns vor Corona nicht gereicht hat und die wir doch eigentlich verändern wollten, rückt auf einmal in weite Ferne. Wir werden zurückgeworfen, fast auf uns selbst. Und ein Ende ist so schnell nicht abzusehen. Wir müssen aufeinander achten und dürfen uns nicht aus den Augen verlieren.

Denn die Pandemie ist per se unsozial. Tatsächlich ist es wohl das Einschneidendste, was uns Corona abverlangt – das Unsozialsein. Wir sollen uns voneinander fernhalten. Distanz statt Nähe ist angesagt, Rückzug statt Neugier, die eigenen vier Wände statt Community. Das öffentliche Leben, wie wir es kannten, liegt weitgehend brach. Unsere Community befindet sich im existenziellen Ausnahmezustand.

Community braucht Begegnung. Sicher, viele queere Vereine und Kultureinrichtungen haben improvisiert, digitale Angebote geschaffen und versucht, Beratung soweit wie möglich aufrechtzuerhalten oder an die Einschränkungen anzupassen. Veranstaltungen und CSDs konnten über den Sommer hinweg an manchen Orten stattfinden. Aber vieles ist und bleibt eine Notlösung. Digitale Formate vermögen manches aufzufangen, aber können Bedürfnisse nach Nähe und Anerkennung nur bedingt erfüllen.

Denn die Community ist auch ein Ort der Bestätigung, der Bejahung unserer queeren Identität. Hier können wir spontan sein, hier können unsere Verletzungen heilen. Hier können wir wir selbst sein, müssen uns nicht kontrollieren aus Angst, dass uns ansonsten was passiert. Zu oft haben wir das Private als beengend erlebt, die Orte außerhalb der Community als einschränkend, wenn nicht gar als gefährlich.

Was macht das mit uns, wenn das alles wegfällt? Wenn die Begegnungen fehlen, weil die safe spaces nicht mehr safe sind und wir uns gegenseitig schützen müssen? Was passiert mit uns, wenn wir nicht mehr bejaht werden, wenn die Orte der Anerkennung geschlossen sind? Wenn diese Orte nicht gerettet werden, verschwindet nicht nur sichtbares queeres Leben aus dem öffentlichen Raum, sondern auch unsere Orte der Bestätigung, der Selbstfindung und des Kraftschöpfens. Nur mit einem positiven Selbstbild glauben wir daran, dass wir richtig sind, dass wir es wert sind, respektvoll und als gleichwertig behandelt zu werden. Nur dann haben wir die Kraft und den Mut, uns zu wehren.

Darum müssen wir alles daransetzen, unsere Community zu retten. Sie ist für uns systemrelevant.

Markus Ulrich
Editorial für die LSVD-Zeitschrift Respekt, Heftnr. 27 (Februar 2021)

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