Corona: Auswirkungen auf Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen
Wie sich Covid19 auf das Leben von LSBTI auswirkt
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Inhaltsverzeichnis
1. Wie Corona die LSBTI-Community trifft
2. Rückzug: Ausgangsbeschränkungen, Einreise und Kontaktverbote
- 2.1 "Ideal der heilen Familie": Ausnahmeregelungen nur für leibliche Verwandte
- 2.2 Einreiseverbote: Fernbeziehungen und nicht anerkannte binationale gleichgeschlechtliche Paare und Regenbogenfamilien
- 2.3 Fehlende soziale Kontakte: Einsamkeit, Isolation und Depressivität
4. Gesundheitliche Lage von LSBTI
5. Infrastruktur und Community-Räume
6. Gesellschaftliches Klima
7. Weitergehende Informationen und Unterstützungsangebote
- 7.1 Allgemeines
- 7.2 Ältere LSBTI
- 7.3 Geflüchtete LSBTI
- 7.4 Junge LSBTI
- 7.5 Trans* Personen
- 7.6 Partnerschaft und Sexualität
- 7.7 Regenbogenfamilien
- 7.8 Binationale Paare und Familien
- 7.9 Obdach- und Wohnungslosigkeit
- 7.10 HIV/ AIDS
- 7.11 Auswirkungen auf die psychische Gesundheit
- 7.12 Unterstützung LSBTI-Struktur
- 7.13 Gegen die Langeweile
1. Wie Corona die LSBTI-Community trifft
Corona – zweifellos bestimmte die Pandemie seit fast zwei Jahren unser Leben. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Verwerfungen sind nicht abzusehen. Mit der „vierten Welle“ hat sich die Situation zum Jahresende wieder verschärft. Corona verlangt uns allen sehr viel ab. Wir alle müssen uns schützen, wir alle müssen uns einschränken und stehen als Gesellschaft vor großen Unsicherheiten und massiven Herausforderungen.
Gleichwohl verstärkt die Pandemie auch bestehende Verletzlichkeiten und Ungleichheiten. Die Auswirkungen von Corona und die politischen Entscheidungen zur Bekämpfung der Pandemie (be-)treffen nicht alle Menschen gleich, sondern je nach Lebenslage unterschiedlich und in unterschiedlicher Intensität.
Dazu kommt, dass staatliche Politik und mediale Aufmerksamkeit bereits außerhalb von Krisenzeiten nicht alle Menschen gleich im Blick haben. Das berüchtigte Wort der „Systemrelevanz“ etabliert neue und festigt vorhandene Hierarchien. Wer und was als „wirklich“ wichtig gilt oder nur als zweitrangig – das ist auch eine politische und gesellschaftliche Entscheidung mit existenziellen Folgen.
- Viel zu wenig werden die unterschiedlichen Auswirkungen von Corona sowie der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auf unterschiedliche Communities in der aktuellen Debatte beleuchtet.
- Viel zu wenig werden spezifische Lebenslagen und Situationen in den Blick genommen, um so auch zu zielgruppenspezifischer Unterstützung und Politik zu gelangen.
- Viel zu wenig werden die normativen Vorstellungen analysiert, die den politischen Antworten zugrunde liegen.
Dafür fehlen viel zu oft aussagekräftige Zahlen und empirische Daten, um die Erfahrungswerte und Analysen zu untermauern. Ob und wie sich Corona und die politischen Antworten auf LSBTI besonders auswirken, dazu findet sich so gut wie nichts in der aktuellen Debatte.
Dazu kommt, dass LSBTI keine homogene Gruppe sind. Ihre (Diskriminierungs-) Erfahrungen und damit auch, wie sie Corona erleben und wie sich die Pandemie auf ihren Alltag auswirkt, sind nicht nur von ihrer sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität geprägt.
Es macht einen Unterschied, ob jemand lesbisch, schwul oder bisexuell ist, in der Großstadt lebt oder auf dem Land, alt ist oder jung, weiß ist oder eine andere Hautfarbe hat, die deutsche Staatsbürgerschaft hat oder hier um Asyl kämpft, Kinder hat oder nicht. Bedürfnisse und mögliche Problemlagen sind auch davon geprägt, ob und wie man religiös sozialisiert wurde, welche soziale Herkunft man hat oder ob man etwa mit einer Behinderung lebt.
Ein Beispiel: Menschen, denen eine asiatische Herkunft zugeschrieben wurden, mussten verstärkt rassistische Erfahrungen machen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verwies dabei auf Äußerungen und Drohungen im öffentlichen Raum oder durch Nachbar*innen, die Verweigerung von Dienstleistungen oder dass ausschließlich im Kontakt mit ihnen eine Schutzmaske aufgesetzt wurde. Auch das ist eine Erfahrung von LSBTI, nämlich von asiatischstämmigen LSBTI.
Dieser Komplexität und Unterschiedlichkeit an Erfahrungen von LSBTI gerecht zu werden, kann in diesem Beitrag nur versucht werde. Er ist ein Aufschlag, kann und wird aber nicht das letzte Wort sein. Notwendig sind fortlaufende Debatten und weitergehende Analysen. Denn eins steht fest: Corona und die Folgen werden uns noch auf Jahre begleiten.
2. Rückzug: Ausgangsbeschränkungen, Einreise und Kontaktverbote
2.1 "Ideal der heilen Familie": Ausnahmeregelungen nur für leibliche Verwandte
Die Pandemie führte zu bisher nicht gekannten Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverboten. In den entsprechenden Verordnungen war die Bezugsgröße dabei meist der gemeinsame Haushalt. In den von ihnen erlassenen generellen Ausnahmeregelungen bei den Kontakteinschränkungen berücksichtigten die Bundesländer dabei gleichgeschlechtliche Paare bzw. Lebenspartner*innen.
Dennoch fand sich in mehreren Fällen Heteronormativität und eine sich auf biologische Verwandtschaft beziehende Idee von Familie. So ließ sich diese heteronormative Definition von nahestehenden Personen auch in den Ausnahmeregelungen bei den Kontakteinschränkungen zu Weihnachten 2020 wiederfinden. In allen Bundesländern außer Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen wurden die für Weihnachten geplanten Ausnahmeregelungen bei den Kontakteinschränkungen nur für den engsten Familienkreis und Verwandte in gerader Linie gemacht.
Wir kritisierten, dass so nur leibliche Verwandte als wichtigste Bezugspersonen gelten. Die Idee der heilen Familie ignoriert sowohl das massive Vorkommen von häuslicher Gewalt, als auch die mitunter gravierenden Diskriminierungserfahrungen, die LSBTI in ihren Herkunftsfamilien machen müssen und daher mit diesen gebrochen haben. Freundschaften als Wahl- und Ersatzfamilie sind daher für LSBTI essenziell und überlebenswichtig. Ihnen soll jetzt ein gemeinsames Weihnachten verboten werden. Das verstärkt die soziale Isolation von LSBTI.
Wir erkennen die Notwendigkeit von Kontaktbeschränkungen prinzipiell an, plädierten gleichzeitig dafür, dass sich alle Landesregierungen Regelungen aufstellen, die dem Stellenwert von Freundschaften als Wahl- und Ersatzfamilie Rechnung trägt.
Ähnliche Ausnahmen wurde im Frühjahr 2020 etwa für Einreisen in ein Bundesland, für die Teilnahme an Beerdigungen und Trauungen oder den Besuch in Krankenhäusern, Alten- oder Pflegeheimen in vielen Bundesländern nur für den engsten Familienkreis bzw. auf Verwandtschaft in gerader Linie gemacht. Hier zeigt sich, wer als wichtige Bezugspersonen angenommen wird, und wem man daher das Zusammenkommen nicht verweigert. Freundschaften, die insbesondere für LSBTI oftmals den Stellenwert einer Wahl- und Ersatzfamilie haben, wurden hier nicht berücksichtigt.
Andere Bundesländer haben hingegen offenere Formulierungen wie nahestehende Personen gewählt oder aber eine maximale Anzahl an Personen benannt, mit denen sich getroffen werden darf.
Uns erscheinen die Formulierungen über nahestehende Personen inklusiver und werden dem Stellenwert von Freund*innen für LSBTI eher gerecht.
2.2 Einreiseverbote: Fernbeziehungen und nicht anerkannte binationale gleichgeschlechtliche Paare und Regenbogenfamilien
Ebenfalls sehr belastend ist die Pandemie für Fernbeziehungen, da man nicht reisen darf bzw. nicht weiß, wann man sich das nächste Mal sehen kann. Nicht-EU-Bürger*innen durften lange nur in die EU einreisen, wenn ihre Familie in einem Mitgliedsland der EU lebt. Erst seit dem 10.08.2020 zählte in Deutschland auch ein unverheiratet*r Partner*in als Familienangehöriger. Inzwischen müssen binationale Paare auch nicht mehr nachweisen, dass es bereits ein vorheriges Treffen in Deutschland gab oder einen vorherigen gemeinsamen Wohnsitz.
Viele EU-Staaten verhängten zudem nationale Einreiseverbote. Das kann für binationale Paare und Regenbogenfamilien in einigen Staaten zum massiven Problem werden, wenn Partner*innen dort nicht als Angehörige anerkannt werden. So galt etwa in Polen das Einreiseverbot zwar nicht für ausländische Ehepartner und Kinder polnischer Staatsbürger*innen. Da im Ausland geschlossene Ehen und Lebenspartnerschaften dort aber nicht anerkannt werden, treffen diese Beschränkungen gleichgeschlechtliche Paare hart.
2.3 Fehlende soziale Kontakte: Einsamkeit, Isolation und Depressivität
Ausgangsbeschränkungen, Kontaktverbote und die weitreichende Schließung von Einrichtungen führten zu einem Rückzug aus dem öffentlichen Raum und einer generellen Abnahme sozialer Kontakte.
Eine Online-Befragung unter 2.461 Menschen eines Wissenschaftsteams der Fachhochschule Münster und der Charité Berlin ergab, dass in der Pandemie zunehmend mehr Menschen an Einsamkeit leiden. Diese geht mit erhöhter Depressivität und verringerter Lebenszufriedenheit einher. Ein hohes Risiko für Einsamkeit und Isolation haben neben Singles, Alleinlebenden und Menschen im Homeoffice auch LSBTI. Ein besonders stark erhöhtes Risiko für Einsamkeit haben asexuelle und trans* Menschen, die in der Hälfte der Fälle einsam waren.
Laut einer Umfrage vom Mai 2020 aus Großbritannien leben 30% der LGBT-Befragten allein, bei den über 50jährigen sind es sogar 40%. Eine andere britische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass 52% der schwulen Männer aber nur 19% der heterosexuellen Männer über 50 Jahren allein leben. Für Deutschland gibt es keine Zahlen darüber, ob LSBTI überdurchschnittlich oft allein wohnen bzw. Single sind und so durch die Kontakteinschränkungen sehr stark von Einsamkeit und betroffen sind.
Ältere Menschen gehören generell zur Risikogruppe. Bei ihnen ist es wahrscheinlicher, dass eine Erkrankung schwerwiegend oder gar lebensbedrohlich verläuft. Ihnen wird dringend geraten, die Wohnung nicht zu verlassen bzw. den physischen Kontakt mit anderen Menschen zu vermeiden. Ältere LSBTI haben jedoch oftmals keine jüngeren familiären Angehörigen, die sich um sie kümmern. Ob sie sich an allgemeine Initiativen der Nachbarschaftshilfe wenden ist fraglich. Daher müssen sie für Besorgungen wie Lebensmittel nach draußen gehen, wo sie wiederum einer höheren Ansteckungsgefahr ausgesetzt sind. Ohne Partner*innen oder Mitbewohner*innen verstärken sich auch in dieser Gruppe Einsamkeit und Isolation. Freund*innen können nicht getroffen werden. Waren etwa Kontakte im öffentlichen Raum erlaubt, dann zu sportiven Zwecken wie etwa Spaziergänge mit Mindestabstand. Das ist etwa für immobilere oder schwerhörige ältere Menschen schwierig bis unmöglich.
In Senior*inneneinrichtungen und Pflegeheimen gab es ebenfalls Besuchsverbote bzw. waren Besuche nur engen familiären Angehörigen erlaubt. Ob auch Freund*innen als nahestehende Personen zugelassen wurden, dazu gibt es keine Erhebungen. In den Einrichtungen waren auch vor Corona LSBTI zumeist unsichtbar und zielgruppenspezifische Angebote kaum vorhanden. Es gibt zwar einige gute Vorbilder, aber insgesamt ist hier noch viel zu tun bei der Entwicklung von inklusiven Leitbildern, der Sensibilisierung des Personals und beim Erkennen und Abbauen von Vorurteilen. Mit Corona wird nun auch der Zugang zu LSBTI-Unterstützungsorten erschwert bis unmöglich gemacht. Dies trifft vor allem diejenigen, die es nicht gewohnt sind, digital mit anderen in Kontakt zu bleiben oder denen die entsprechenden Geräte fehlen. Es zeigt sich, dass der Ort, an dem Menschen wohnen, nicht immer auch ein sicherer Ort für sie ist.
3. Zuhause als sicherer Ort?
3.1 Häusliche Gewalt
In der Studie „Coming-out und dann“ von 2015 berichtete die Hälfte der Befragten von familiären Diskriminierungserlebnissen. 17% wurden beschimpft, beleidigt oder belächelt, jede*r Zehnte ausgegrenzt und ausgeschlossen. Junge LSBTI kann die dringende Aufforderung, zu Hause zu bleiben, daher sehr belasten, vor allem wenn sie ungeoutet sind oder aber Eltern die sexuelle Orientierung bzw. geschlechtliche Identität ihrer Kinder nicht akzeptieren. Ähnliches gilt für Studierende oder junge Erwachsene, die aus finanziellen Gründen, zurück zu ihren Eltern ziehen müssen. Aufgrund von Corona werden sie in unsicheren und belastenden Zeiten wesentlich mehr Zeit zu Hause und zusammen verbringen müssen. Treffen mit unterstützenden Freund*innen oder Coming-out-Gruppen fallen aus.
Britische Sorgentelefone melden einen Anstieg der Anrufe von LSBTI, die mit missbräuchlichen Familienangehörigen und Partner*innen im Lockdown sind. Laut dem US-amerikanischen Trevor Project können 40% der LSBTI-Jugendlichen während der Pandemie nicht mehr im gleichen Maße sie selbst sein wie davor. Mit 56% berichten vermehrt trans* und nicht-binäre Jugendliche von dieser Einschränkung. Jede*r Zweite berichtet zudem von Angstsymptomen und Depressionen, unter den trans* Befragten ist es jede*r Dritte.
Für Deutschland fehlen diese Zahlen. Einer Untersuchung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf zufolge spüren aber zwei Drittel aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland während der Coronakrise seelische Belastungen und berichten von einer verminderten Lebensqualität und einem geringeren psychischen Wohlbefinden. Auch das Familienklima insgesamt habe sich verschlechtert. Betroffen seien hier vor allem Kinder aus sozial schwachen Familien.
LSBTI-Jugendliche gehören daher zu denen, für die der LSVD einen Anstieg von häuslicher Gewalt befürchtet. Bundesfamilienministerin Giffey muss daher auch diese Gruppe in den angekündigten Maßnahmen berücksichtigen und zielgruppengerechte Hilfsangebote müssen aufrechterhalten bleiben. Gleichzeitig fällt aber auch die Schule als häufiger Diskriminierungsort in Zeiten des Lockdowns weg. Zudem haben LSBTI-Jugendliche auch eine höhere digitale Kompetenz. Sie sind länger online, aktiver in Foren, stellen häufiger selbst Inhalte ins Netz, bloggen und twittern mehr. Unter Umständen kommen sie viel besser damit klar, sich nicht physisch mit Freund*innen treffen zu können als andere Jugendliche. Insbesondere im ländlichen Raum sind sie es vielmehr gewohnt, keine anderen LSBTI zu treffen. Allerdings müssen sie damit rechnen, im Netz diskriminiert und belästigt zu werden.
Krisenzeiten führen immer auch zu Anspannungen und Stress. Damit sind sie auch ein Belastungstest für Beziehungen. Dies gilt vor allem, wenn man aufgrund des Lockdowns fast rund um die Uhr in der gemeinsamen Wohnung ist und niemanden anderen sehen kann. Beratungsstellen gingen daher auch bereits früh davon aus, dass Fälle häuslicher Gewalt generell ansteigen werden.
Tatsächlich sind seit dem Beginn der Coronakrise in den Bundesländern Berlin, Bremen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern mehr Fälle häuslicher Gewalt registriert worden. In Schleswig-Holstein und im Saarland ist den Angaben der Ministerien zufolge genau wie in Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und den anderen Ländern bislang kein Anstieg der Fälle von häuslicher Gewalt verzeichnet worden - oder es lagen zum aktuellen Zeitpunkt keine aussagekräftigen Daten vor. Aufgrund fehlender sozialer Kontakte könnte sich auch die Dunkelziffer erhöht haben, denn oftmals wird Anzeige durch Dritte erstattet. Das Innenministerium in Schleswig-Holstein wies darauf hin, dass die Pandemie das Anzeigeverhalten stark beeinflusse: So habe es in den vergangenen Monaten weniger Sozialkontrolle durch Schule, Freunde, Verwandte, Ärzte und Betreuer gegeben.
Unabhängig davon werden Zahlen zu häuslicher Gewalt bzw. Beziehungsgewalt in der Regel heteronormativ erhoben bzw. veröffentlicht. Daher gibt es auch keine Zahlen darüber, wie oft LSBTI häusliche Gewalt erfahren, sei es durch die/Partner*in, die Eltern oder Geschwister oder Mitbewohner*innen.
3.2 Sammelunterkünfte für Geflüchtete
Flüchtlingsunterkünfte werden in der Coronakrise vergessen. Geflüchtete bekommen kaum verständliche Informationen über Corona und die Schutzmaßnahmen. Zudem ist es oftmals unmöglich, in den Aufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften die vorgegebenen Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten. Die Atmosphäre wird noch angespannter. Abgeriegelte Unterkünfte werden zum Gefängnis und gefährlich für vulnerable Gruppen wie LSBTI.
Zum einen verschärft sich auch deren soziale Isolation. Unterstützungs- und Bestärkungsnetzwerke fallen weg. Zum anderen steigt die Gefahr, Opfer von Anfeindungen zu werden. Denn bereits vor Corona gab es zahlreiche Berichte, dass LSBTI in Aufnahmeeinrichtungen von anderen Flüchtlingen, dem Wachpersonal oder Mitarbeitenden eingeschüchtert, drangsaliert und bedroht wurden. Bei erhöhtem Unterstützungsbedarf fallen gleichzeitig Angebote weg oder Ansprechpersonen in den Unterkünften sind im Home-Office.
Die Bedarfe von (queeren) Geflüchteten müssen in den Hilfe- und Unterstützungssystemen im Kampf gegen Corona mitgedacht werden. Statt in Aufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften sollten LSBTI-Geflüchtete als vulnerable Gruppe dezentral in größeren Städten und Ballungsräumen untergebracht werden, um den Zugang zu Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen zu gewährleisten.
In den Unterkünften müssen Gewaltschutzkonzepte für Gruppen mit erhöhtem Diskriminierungsrisiko etabliert bzw. aufrechterhalten werden. Behörden und Träger müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit Flüchtlinge keine Gewalt erfahren, weder außer- noch innerhalb der Unterkünfte.
3.3 Obdach- und wohnungslose Menschen haben kein Zuhause
2018 waren laut Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe rund 678.000 Menschen in Deutschland wohnungslos, 50.000 davon galten als obdachlos, darunter rund 19.000 Kinder und minderjährige Jugendliche. Allerdings sind in dieser Zählung Geflüchtete nicht mit inbegriffen. Es gibt keine Zahlen darüber, ob und welche gesellschaftlichen Gruppen besonders von Obdach- und Wohnungslosigkeit in Deutschland betroffen sind oder welche Erfahrungen obdachlose LSBTI mit den vorhandenen Unterstützungsangebote und informellen Netzwerken auf der Straße machen.
Die britische Organisation Albert Kennedy Trust kam jedoch zu dem Ergebnis, dass sich in Großbritannien fast jede*r vierte Obdachlose als queer identifiziert. In den USA kommen Erhebungen regelmäßig zu dem Schluss, dass insbesondere LSBTI-Jugendliche überproportional von Obdach- oder Wohnungslosigkeit betroffen sind.
Obdachlose haben ein hohes Risiko, sich mit dem Coronavirus anzustecken. Viele sind durch das jahrelange Leben auf der Straße körperlich geschwächt oder haben chronische Krankheiten. Ohne Obdach oder eigene Wohnung kann man schlicht gar nicht zu Hause bleiben. Auch Hygieneregeln können kaum befolgt werden, etwa weil regelmäßiger Zugang zu sanitären Anlagen fehlt. Die ohnehin prekäre Lage verschärft sich in Zeiten von Corona daher drastisch. Viele Tafeln, Suppenküchen, Unterkünfte und Notschlafstellen mussten zwischenzeitlich schließen.
Es braucht deshalb gerade in der Coronakrise die sichere Unterbringung von obdachlosen (queeren) Menschen. Sie müssen zumindest die Möglichkeit bekommen, grundlegende Hygieneregeln einzuhalten und sich so zu schützen.
4. Gesundheitliche Lage von LSBTI
Zunehmend gerät das Thema LSBTI und Gesundheit in den Blick. Bislang lassen sich aufgrund der nur lückenhaften Datenlage kaum Aussagen über die allgemeine gesundheitliche Lage und über gesundheitliche Ressourcen von LSBTI in Deutschland treffen. Als LSVD fordern wir daher seit geraumer Zeit einen LSBTI-Gesundheitsbericht und verstärkte Forschung über das Gesundheitsverhalten und die Gesundheitsversorgung von LSBTI. So wissen wir beispielsweise nicht, ob LSBTI hierzulande vermehrt an chronischen Erkrankungen, Lungenerkrankungen oder Asthma leiden und damit wiederum ein erhöhtes Risiko für einen schwerwiegenden Verlauf von Corona hätten. US-amerikanische Studien legen das für die dortigen LSBTI-Communities nahe. Zahlen, ob LSBTI überdurchschnittlich an Corona erkranken und an den Folgen sterben gibt es dort jedoch auch nicht.
Etwas mehr wissen wir inzwischen über Erfahrungen von Diskriminierung im Gesundheitswesen. Das Verhältnis von LSBTI zur Medizin ist historisch betrachtet schwierig und geprägt durch ihre teilweise bis heute anhaltende Pathologisierung. Laut dem LGBTI-Survey 2020 der EU-Grundrechteagentur fand für 16% der über 16.000 Befragten aus Deutschland der letzte Diskriminierungsvorfall bei der Inanspruchnahme sozialer Dienste bzw. Gesundheitsdienste statt.
Die Erfahrung bzw. Erwartung von Diskriminierung bei der Gesundheitsversorgung und den Gesundheitsdiensten kann auch dazu führen, dass Präventionsangebote nicht angenommen und medizinische Behandlungen hinausgezögert oder vermieden werden. Insbesondere trans* und inter* Befragte berichten, Gesundheitsdienste und medizinische Behandlungen zu meiden. Zudem kommt eine große britische Studie zu dem Ergebnis, dass LSBT diskriminierende Erfahrungen im Gesundheitswesen machen, die auch dazu führen, dass 14% der Befragten bereits haben aus Angst vor Diskriminierung eine medizinische Behandlung vermieden haben. Das gilt insbesondere für trans* Befragte, 18-24 Jährige, LGBT mit Behinderungen und queere People of Color (POC).
Es gibt eine große Angst vor stationärer Behandlung aufgrund fehlender Sensibilität oder mangelnder Kenntnisse um sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in den Regelstrukturen der Gesundheitsversorgung. Zudem werden die strukturellen Lücken in der psychosozialen und gesundheitlichen Versorgung offenkundig, wenn die Netzwerke der Selbsthilfe nicht aufrechterhalten werden können.
Vor diesem Hintergrund negativer Erfahrungen stellt sich folglich die Frage, inwiefern das Testangebot oder auch eine frühzeitige Behandlung von LSBTI angenommen werden. Ist dies nicht der Fall drohen gravierendere Krankheitsverläufen.
4.1 Trans* Personen
Demütigende Zwangsberatungen, Gutachten, ärztliche Atteste und Gerichtsverfahren - Für die rechtliche Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität nach dem Transsexuellengesetz (TSG) müssen trans* Personen noch immer Gutachten von zwei Sachverständigen vorbringen, die bestätigen, dass sie wirklich trans* sind. Diese Begutachtungsverfahren und das gesamte Verfahren vor dem Amtsgericht zur rechtlichen Anerkennung verzögern sich coronabedingt.
Entfallende Beratungen und Gruppentreffen, ausgesetzte Therapien und Verfahren zur Vornamens- oder Personenstandsänderung oder auf unbestimmte Zeit verschobene geschlechtsangleichende Operationen - der Bundesverband Trans* betont, dass trans* Personen von den negativen Auswirkungen der Covid-19-Vorsichtsmaßnahmen besonders stark betroffen sind. Ebenso sind wohnungslose trans* Personen, trans* Personen mit Vorerkrankungen, trans* Personen mit Mobilitätseinschränkungen, trans* Geflüchtete, trans* Sexarbeiter_innen und ältere trans* Personen u. U. stark betroffen. Das kann sehr belasten und sich stark auf die psychische Gesundheit auswirken.
Oft haben Betroffene jahrelang auf den Termin für geschlechtsangleichende OPs hingearbeitet und sich die Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen hart erkämpfen müssen. Die Wichtigkeit dieser Eingriffe für trans* Personen spiegelt sich nicht in der offiziellen Einstufung als nicht lebensnotwendig – wie Aktivist Max Appenroth unterstreicht. Die ärztliche Versorgung mit Hormonen oder Check-ups sei teilweise erschwert, weil viele Praxen sich im Ausnahmezustand befänden. Zudem sei die Sorge vor Versorgungsengpässen mit Hormonpräparaten aufgrund unterbrochener internationaler Lieferketten groß.
Die Pandemie beeinträchtigt folglich die psychosoziale und medizinische Versorgung von trans* Personen in Deutschland erheblich, wie auch die Zwischenergebnisse der Studie TransCareCovid-19 belegen. Die Studie verfolgt das Ziel, die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf die Gesundheit und die Gesundheitsversorgung von trans* und transsexuellen Menschen zu erfassen. Das Projektteam besteht aus Andreas Köhler & Timo Nieder vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Deutschland sowie aus Annette Güldenring, Westküstenklinikum Heide und Bundesverband Trans* (BVT*). Als Kooperationspartner*innen für das deutsch-sprachige Survey konnten der BVT* und die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti e.v.) gewonnen werden. Inzwischen sind die ersten Zwischenergebnisse veröffentlicht: Von den über 1.200 Befragten aus dem deutschsprachigen Raum berichteten 15%, dass ihnen OP-Termine abgesagt wurden, weitere 17% befürchten eine Absage bevorstehender Operationen. Bei 24% ist die Nachsorge einer Operation beeinträchtigt und 44% befürchten, dass der Zugang zu Hormonen eingeschränkt werden könnte.
Eine Studie aus den USA kommt außerdem zu dem Schluss, dass trans* Erwachsene ein höheres Risiko für gefährliche Krankheitsverläufe von Covid 19 haben. Denn unter ihnen gibt es überproportional hohe Raten von Asthma, Diabetes, Herzkrankheiten oder HIV. Allerdings kommt die Deutsche AIDS-Hilfe zu dem Schluss, dass Menschen mit HIV unter wirksamer HIV-Therapie nach aktuellem Kenntnisstand nicht in besonderer Weise durch Corona gefährdet seien.
Dass scheinbar harmlose Alltagsmomente für trans* Personen mit massivem Stress einhergehen, darauf weist die Politikwissenschaftlerin und Autorin von „Trans. Frau. Sein. Aspekte geschlechtlicher Marginalisierung“ Felicia Ewert hin. Das in Coronazeiten erwünschte bargeldlose Bezahlen wird für trans* Personen vielleicht zum Sicherheitsproblem und Zwangsouting, wenn der Name auf der EC-Karte nicht mit dem Geschlechtsausdruck übereinstimmt. "Was uns richtigerweise vor Ansteckung und Übertragung des Virus schützen soll, zum Beispiel bargeldloses Zahlen an der Supermarktkasse, kann an anderen Stellen unsere körperliche Sicherheit einschränken. Noch vor vier Jahren musste ich Erklärungen abgeben, weshalb ich beim Bezahlen an der Kasse zu meiner EC-Karte noch zusätzlich einen Ergänzungsausweis vorzeigte, der Auskunft über mein Geschlecht gibt, solange noch keine Personenstandsänderung nach dem „Transsexuellengesetz“ stattfand. (...) Diese Situationen sind Alltag im Leben von trans Personen ohne korrekte Dokumente. Sie stellen eine Gefahr dar, weil wir nicht einfach auf respektvollen Umgang vertrauen können, sondern jedes Gegenüber anders reagieren kann. Beschimpfungen, angewiderte Blicke, grenzüberschreitende Kommentare oder potenzielle Polizeigewalt sind mögliche Folgen."
4.2 Mentale Gesundheit
Die wenigen vorhandenen (internationalen) Studien zur mentalen Gesundheit und Wohlbefinden kommen durchweg zu dem Ergebnis, dass LSBTI generell überdurchschnittlich Depressionen, Angststörungen oder Selbstmordgedanken haben. So berichten in einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von 2017 Lesben, Schwule und Bisexuelle doppelt so oft wie heterosexuelle Befragte, dass bei ihnen schon einmal eine depressive Erkrankung diagnostiziert wurde. Die Studie der EU-Grundrechteagentur kommt zu dem Ergebnis, dass sich 16% der über 16.000 LSBTI-Befragten aus Deutschland in den letzten 14 Tagen meistens bzw. immer depressiv oder niedergeschlagen gefühlt haben. Vor allem bisexuelle Frauen, trans* und inter* Menschen bejahten diese Frage.
Ausgehend vom sogenannten Minderheitenstress wird dabei etwa eine erhöhte Prävalenz von Angstgefühlen, Burn-out, Depressionen, Suchterkrankungen, Suizidgedanken oder selbstschädigendem Verhalten als Auswirkung von heteronormativ motivierter Diskriminierung erklärt. Minderheitenstress und Diskriminierung können krank machen, d.h. sie haben Auswirkungen auf das individuelle Wohlbefinden, die psychische bzw. mentale Gesundheit.
Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums und des Forschungsinstituts IZA, deren Ergebnisse Anfang November veröffentlicht wurden, stiegen psychische Belastungen stark an. 70 Prozent der Befragten fühlten sich emotional belastet. 55 Prozent litten unter Unsicherheiten, 15 Prozent unter finanziellen Schwierigkeiten. Diese Werte werden wahrscheinlich deutlich höher unter dem queeren Anteil der Bevölkerung sein: LSBTI*-Menschen leiden überdurchschnittlich an psychischen Problemen und arbeiten häufiger in prekären Verhältnissen oder in der Kulturbranche.
Die mit dem Corona-Virus verbundenen Ängste und Einschränkungen stellen für an Depression erkrankte Menschen große Herausforderungen dar, so die Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Die Versorgung und der Zustand von Menschen mit vorhandener Diagnose verschlechterten sich. Die Ungewissheit über die Pandemie und ihre Folgen sind eine zusätzliche Belastung. Unterstützung durch Alltagsroutinen, soziale Kontakte oder externe Angebote fallen weg. Bei Suchterkrankungen kann es in Stresssituationen und ohne Unterstützung durch Gruppentreffen oder anderen Angeboten zu Rückfällen kommen. "Es gibt mehr Gelegenheiten und durch die Kontaktbeschränkungen und den Lockdown fällt die soziale Kontrolle durch den Arbeitsplatz oder das Umfeld weg.”, so Conor Toomey, psychologischer Berater und Suchttherapeut bei der Schwulenberatung Berlin.
"Für Menschen, die nicht der Heteronorm entsprechen, kann es besonders in ländlichen Gebieten schwieriger sein, ein unterstützendes soziales Netz zu finden. Oft ist auch der Halt in der Ursprungsfamilie nicht so gegeben. In der Corona-Zeit ist die Familie für viele der sicherste Anker, der auf jeden Fall da ist und auf den viele ihre Kontakte beschränkt haben. Menschen, die sich nicht in diesen klassischen Familienstrukturen bewegen können, sind allein dadurch häufig stärker isoliert. Aufgrund des Gefühls der Andersartigkeit und der mangelnden Zugehörigkeit sind LGBTQI*-Netzwerke sehr bedeutsam für den sozialen Kontakt. Ihr Wegbrechen kann sich sehr bedrohlich anfühlen und damit wiederum den empfundenen Stress erhöhen.", so die Diplompsychologin Julia Tomanek im Interview mit der Siegessäule. Sie rät zu folgendem: "Aus dem ersten Lockdown lernen, was guttat, aber auch lernen, rechtzeitig Hilfe zu holen. Ansonsten den Lebensstil aufrechterhalten. Es klingt so basic, aber wir müssen gerade jetzt gesund und bei Kräften bleiben. Ganz konkret: Tagesstruktur beibehalten, gesund essen, Sport machen, möglichst für gute Ausruh- und Schlafbedingungen sorgen. Den Konsum von Nachrichten auf ein- bis zweimal am Tag reduzieren. Positive Nachrichten beachten. Für die Psychohygiene ist auch wichtig, den Gefühlen, die jetzt hochkommen, Raum zu gegeben, sie zu teilen oder eine kreative Ausdrucksform wie Malen zu finden, um diese längerfristig aushalten zu können."
5. Infrastruktur und Community-Räume
Für die gesamte Community ist der bereits beschriebene anhaltende Wegfall der wichtigen Infrastruktur eine besondere Schwierigkeit. Hilfs- und Unterstützungsangebote, die sich gezielt an LSBTI und ihre Bedürfnisse richten, wurden zurückgefahren. Und das zu einer Zeit, in der sich aufgrund der Pandemie und des Lockdowns mehr Menschen in Krisensituationen befinden.
Zwar reagierten viele Anlaufstellen mit der Verlagerung bzw. Verstärkung von Angeboten ins Digitale. Auch telefonische Beratung konnte oftmals noch stattfinden. Aber gerade wenn Beratung heimlich aufgesucht wurde, etwa vor einem Coming-out, war es in Zeiten des Lockdowns schwieriger, solche Angebote wahrzunehmen, etwa wenn Angehörige im Nebenraum sind.
Vor allem offene Angebote und Gruppentreffen mussten ausfallen. Orte, an denen man mit Gleichgesinnten zusammenkommen konnte, vielleicht zwei Stunden geoutet und spontan sein durfte, waren bzw. sind geschlossen. Wenn der öffentliche Raum ein Ort ist, an dem viele Diskriminierung erleben oder es vermeiden, offen zu sein, sind gerade geschützte Räume ein Ort des Aufatmens und Krafttankens, für die gerade LSBTI im ländlichen Raum oftmals lange Wege auf sich nehmen.
Wie es mit den LSBTI-Angeboten weitergeht ist unklar. Das gilt auch hinsichtlich der Bildungs- und Aufklärungsangebote für die Mehrheitsgesellschaft. CSDs, Straßenfeste oder Veranstaltungen waren nicht nur Orte der Begegnung, sondern oftmals auch notwendige Einnahmequellen für Vereine und Projekte, um etwa bei öffentlicher Förderung die Eigenmittel aufzubringen. All das fiel 2020 weitgehend weg. Gleichzeitig hat die Regierung zur Bekämpfung und Abfederung der Corona-Krise riesige Summen ausgegeben, die mittelfristig wieder eingespart werden müssen. Die mitunter existenzgefährdenden Folgen für Vereine und Projekte werden vermutlich erst in den zukünftigen Haushaltsverhandlungen vollends zum Tragen kommen.
Eine unklare Zukunft betrifft auch die kommerzielle Infrastruktur aus Treffpunkten und Clubs der Community. Die Corona-Krise zeigt sich diesbezüglich als Krise der Stadt. Bars, Clubs, Kinos, Konzerte und Ausstellungen – das kulturelle Angebot ist massiv eingeschränkt. Queeren Medien brechen die Anzeigenkunden weg. Das gesamte queere Nachtleben liegt mehr oder weniger brach. Auch wenn es vermehrt digitale, ortsunabhängige Angebote gab, mit denen potentiell mehr Leute erreicht werden konnten, fehlten Einnahmen. Damit bricht nicht nur ein wichtiger Arbeitsplatz für LSBTI weg, sondern auch unersetzbare Orte des Rückzugs, der Selbstvergewisserung und Bestätigung, aus dem nicht zuletzt Resilienz gegen die heteronormative Alltäglichkeit und Kraft und Vernetzung für politisches und gesellschaftliches Engagement gegen Diskriminierung und Gewalt. Diese Orte kämpfen tatsächlich ums Überleben. Müssen sie schließen, verschwindet auch sichtbares queeres Leben aus dem öffentlichen Raum.
Ganz grundsätzlich stellt sich die Frage nach (queerer) Sexualität, Nähe und Intimität in Zeiten von Kontaktverbot und geschlossenen Community-Orten. Auch hier gibt es bislang wenig fundierte Erkenntnisse. Klar ist jedoch: Wenn fremde Menschen als Gefahr und Risiko gelten, bekommt Safer Sex eine neue Bedeutung. Der Checkpoint Köln, ein Test- und Beratungszentrum für sexuelle Gesundheit der Aidshilfe, hat die Broschüre "Corona-Sex-Hacks" veröffentlicht. Darin gibt es Tipps und Anregungen, wie Sex in Zeiten von Corona sicherer gestaltet werden kann.
Zudem gelten die Auflagen für Sexarbeit bis heute – mit gravierenden finanziellen Konsequenzen für die Sexarbeiter*innen. Corona hat das Sexualverhalten nicht nur von Singles sowie nicht-monogamen Beziehungen massiv beeinflusst und verändert. Die Folgen etwa auch für ein queeres Verständnis von Sexualität und Identität sind noch nicht abzusehen. Gleiches gilt für die sexuelle Gesundheit, wenn sexualpädagogische Bildung und Aufklärung zu HIV/AIDS nicht mehr stattfinden oder die Versorgung mit PEP und PrEP als nicht systemrelevant eingestuft bzw. als unnötig angesehen wird, weil aufgrund der Kontakteinschränkungen Sexualität nur noch in festen Zweierbeziehungen stattfinden soll.
In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion „Ein Jahr PrEP auf Rezept“ (BT-Drs. 19/25166) berichtet die Bundesregierung auch über die Auswirkungen von Corona auf die sexuelle Gesundheit sowie die Versorgung mit PrEP seit dem Ausbruch der Pandemie: "Das RKI [Ropbert-Koch-Institut] hat gemeinsam mit der dagnä 2020 zwei Artikel über die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf die HIV PrEP veröffentlicht. Darin wird u.a. beschrieben, dass die Nachfrage nach der medikamentösen Prophylaxe seit Beginn der COVID-19-Pandemie abgenommen hat, laufende PrEP-Verordnungen pausiert, teilweise sogar vollständig abgesetzt oder auf „on demand“ umgestellt wurden. Die PrEP-Versorgung war aber grundsätzlich sichergestellt. Die COVID-19 Pandemie hat durch eine Reduktion von Sozial- und damit auch Sexualkontakten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Reduktion von sexuell übertragenen Infektionen geführt. (...) Die COVID-19 Pandemie hat aber auch zu einem Rückgang von Routineuntersuchungen und Screenings auf HIV, Syphilis, HBV und HCV geführt. Ein solcher Rückgang kann dazu führen, dass die Zahl nicht diagnostizierter Infektionen ansteigt bzw. nicht wie erhofft zurückgeht. Ein Anstieg nicht diagnostizierter Infektionen kann zu einem erhöhten Infektionsrisiko pro Kontakt führen, auch wenn die Gesamtzahl der Infektionen zurückgeht."
Auch wenn die queere Community nie frei von Ausgrenzung und Diskriminierung war, war sie doch ein Ort des Empowerments und der Vergemeinschaftung und damit auch systemrelevant. Die Folgen für ein Selbstverständnis, für die Vernetzung und gesellschaftliche Sichtbarkeit von LSBTI sind nicht abzuschätzen. Klar ist jedoch: Wenn diese lang aufgebaute Infrastruktur nicht gerettet wird, hat das schwerwiegende Konsequenzen. Fehlendes Empowerment und fehlende Orte der Reflektion und Anerkennung führen letztlich auch zu fehlender politischer Schlagkraft und Wirkmächtigkeit, kurzum zu einer geschwächten Community.
Wir fordern einen Regenbogenrettungsschirm. Bei der Ausgestaltung und Ausstattung der Unterstützungssysteme müssen die besonderen Bedarfe von LSBTI explizit berücksichtigt werden. Für LSBTI wichtige Infrastrukturen müssen bei den Maßnahmen, die aus dem Rettungsschirm finanziert werden, angemessen bedacht werden.
6. Gesellschaftliches Klima
Grundsätzlich stellt sich die Frage nach der Sichtbarkeit von LSBTI und ihren Anliegen, wenn zum einen der Rückzug ins Private und die Beschränkung von Kontakten zu den notwendigen Sicherheitsvorkehrungen zählen, und zum anderen die politische und mediale Agenda von Corona bestimmt wird. Wichtige und notwendige Gesetzesvorhaben wie die Abschaffung des Transsexuellengesetzes, die Reform des Abstammungsrechts oder das Verbot von unnötigen kosmetischen Operationen an inter* Kindern und Jugendlichen könnten in dieser Legislatur auf der Strecke bleiben.
Bislang liegen die Hoffnungen für einen Schutz vor Corona auf die baldige Entwicklung eines wirksamen Impfstoffes. Noch ist jedoch unklar, ob und wann dieser kommt und Corona somit „besiegt“ ist. Auf jeden Fall werden die ökonomischen und sozialen Folgen der Pandemie auf unser gesellschaftliches Gefüge und Zusammenleben die anstehende Bundestagswahl im Herbst 2021 beherrschen.
„Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD.“, so hat es der langjährige Fraktionssprecher der AfD im Bundestag Christian Lüth analysiert. Die Demonstrationen von Corona-Leugner*innen und ihre Überlappung mit rechtsextremen und rechtspopulistischen Kreisen lassen erahnen, welche antidemokratischen Ideologien weiter an Aufschwung gewinnen könnten. Ökonomische und soziale Krisenzeiten erhöhen den Stresspegel der Gesellschaft, der sich durchaus gegen Minderheiten entladen kann. Tatsächlich haben religiöse Führer, (die Akzeptanz von) LSBTI für den Ausbruch und Verbreitung von Corona verantwortlich gemacht – wie etwa der russisch-orthodoxe Erzbischof von Berlin und Deutschland Michael Arndt oder auch Ali Erbas, Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet und damit auch Vorgesetzter von ca. 1.000 Imamen der DITIB in Deutschland.
Bereits im Mai befürchtete auch die Soziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung Jutta Allmendinger im Hinblick auf Geschlechterverhältnisse „eine entsetzliche Retraditionalisierung“. Und dabei sind es gerade traditionelle und starre Geschlechternormen, auf denen die Ausgrenzung und Abwertung von LSBTI beruhen.
Eine zu befürchtende gesellschaftliche Retraditionalisierung trifft dabei auf eine geschwächte Community, deren Infrastruktur ums Überleben ringt. Ihre Unterstützungsstrukturen haben nie viel staatliche Gelder bekommen. Selbst ohne Krise gelten ihre Anliegen nur zu gern als „Luxusprobleme“ und somit zweitrangig. Die riesigen bereitgestellten Summen für die Bekämpfung der finanziellen Folgen der Pandemie müssen mittelfristig wieder kompensiert werden. Alternativen zu staatlicher Finanzierung gibt es kaum.
Der schärfer werdende Verteilungskampf um öffentliche Gelder wird eine Zerreißprobe für eine solidarische Community und Gesellschaft. Wir müssen alles dafür tun, damit auch in Krisenzeiten Menschenrechte, Vielfalt und Respekt systemrelevant bleiben.
7. Weitergehende Informationen und Unterstützungsangebote
7.1 Allgemeines
- Infoportal des Robert-Koch-Instituts: Das Robert Koch-Institut erfasst kontinuierlich die aktuelle Lage, bewertet alle Informationen, schätzt das Risiko für die Bevölkerung in Deutschland ein und stellt Empfehlungen für die Fachöffentlichkeit zur Verfügung.
- Mehrsprachige Informationen gibt es auf der Homepage der kommunalen Integrationszentren und der Johanniter-Unfallhilfe. Fast stündlich werden Informationen zum Thema Corona auf immerhin 4 Sprachen von WDR for you aktualisiert (Facebookseite von WDR for You)
- Informationen zum neuen Coronavirus stellt auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und das Bundesgesundheitsministerium bereit.
- Aktuelle Informationen zu Hilfs- und Unterstützungsangeboten gibt es auch auf dem Portal des Bundesfamilienministeriums (Themen wie Kinderbetreuung, Lohnfortzahlungen oder Gesundheitsschutz)
7.2 Ältere LSBTI
Ältere Menschen gehören zur Risikogruppe - bei ihnen ist es wahrscheinlicher, dass eine Erkrankung schwerwiegend oder gar lebensbedrohlich verläuft. Ihnen wird dringend geraten, die Wohnung nicht zu verlassen bzw. den physischen Kontakt mit anderen Menschen zu vermeiden. Ältere LSBTI haben oftmals keine jüngeren familiären Angehörigen, die Einkäufe erledigen könnten oder sich generell um sie kümmern. Inzwischen gibt es unterschiedliche Initiativen der Nachbarschaftshilfe. Dort können sich Menschen melden, die Unterstützung brauchen oder anbieten.
- Die Plattform Wirhelfen sammelt Hilfsangebote auf einer interaktiven Karte.
- Auf dem Nachbarschaftsportal nebenan.de können sich Nachbar*innen vernetzen.
- Auf der Plattform Coronaport können sich ebenfalls hilfsbereite Menschen in eine Liste eintragen.
Silbernetz ist ein Gesprächsangebot für einsame ältere Menschen. Wer einfach mal reden möchte, kann täglich von 08.00 bis 22.00 Uhr die kostenfreie Telefonnummer 0800/ 470 80 90 von Silbernetz anrufen. Aufgrund von Anfragen aus ganz Deutschland ist das Silbertelefon nun bundesweit verfügbar.
Queere Nachbarschaftshilfe in Berlin: Nachbarschaftshilfe von der L- Community für die L-Communities - Rut bietet mit „Zusammen schaffen wir das“ eine Nachbarschaftshilfe für all diejenigen an, die alleine leben, zur Risikogruppe gehören aufgrund von Lebensalter, physischer oder psychischer Behinderung, chronischer Erkrankung oder anderen Einschränkungen.
7.3 Geflüchtete LSBTI
Das LSVD-Projekt "Queer Refugees Deutschland" vernetzt, unterstützt und berät deutschlandweit LSBTI-Geflüchtete und mit ihnen arbeitende Organisationen. Das Beratungsangebot der beiden Mitarbeitenden Lilith Raza und Ina Wolf kann nach wie vor genutzt werden. Pro Asyl hat einen Newsticker Coronavirus: Informationen für Geflüchtete und Unterstützer*innen eingerichtet. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) informiert regelmäßig über die Auswirkungen des Corona-Virus (COVID-19), die im Zusammenhang mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) stehen.
- Blinder Fleck im Infektionsschutz. Flüchtlingsheime sind schlecht gerüstet und reagieren mit problematischen Methoden auf Covid-19-Ausbrüche. Forscher äußern jetzt rechtliche und ethische Bedenken zur Kollektivquarantäne (Süddeutsche vom 01.06.2020)
- Ausgangsbeschränkungen verschärfen LSBTI-feindliche Gewalt. Schutzmaßnahmen für LSBTI-Geflüchtete greifen zu kurz!
- Und alle schauen weg. Flüchtlingsunterkünfte in der Coronakrise (Spiegel online vom 07.05.2020)
- "Die Hygieneregeln sind hier ein Witz": Corona in Flüchtlingsunterkünften. Für Asylunterkünfte gibt es keine einheitlichen Corona-Regeln – das könnte schon bald für Probleme sorgen. (Bento vom 25.03.2020)
Bereits vor der Corona-Krise gab es zahlreiche Berichte, dass LSBTI in Aufnahmeeinrichtungen von anderen Flüchtlingen, dem Wachpersonal oder Mitarbeitenden eingeschüchtert, drangsaliert und bedroht wurden. Die Kontaktverbote und Ausgangssperren haben zusätzliche negative Auswirkungen auf die Atmosphäre in den Unterkünften für Geflüchtete. Besonders für vulnerable Gruppen steigt die Gefahr, Opfer von Anfeindungen und Gewalt zu werden. Behörden und Träger müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit Flüchtlinge keine Gewalt erfahren, weder außer- noch innerhalb der Unterkünfte. Gewaltschutzkonzepte müssen umgesetzt und angepasst werden und Gruppen mit erhöhtem Diskriminierungsrisiko wie LSBTI besser berücksichtigen.
- Handreichung für die Betreuung und Unterstützung von LSBTTI*-Flüchtlingen. Gemeinsame Publikation von LSVD, Arbeiter-Samariter-Bund und dem Paritätischen
- Coronakrise: Wohnungen und Unterkünfte sind nicht für alle ein sicherer Ort. LSVD warnt vor Anstieg von Gewalt durch Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote
- „Ich habe mich noch nie einsamer gefühlt“ - Queere Geflüchtete und die Coronakrise (Der Tagesspiegel vom 31.03.2020)
7.4 Junge LSBTI
- Das Beratungsprojekt In&Out von Lambda ist für Ratsuchende weiterhin verfügbar
- Queer Lexikon, eine Online-Anlaufstelle rund um sexuelle und geschlechtliche Vielfalt (Lambda Baden-Württemberg): Kummerkasten
- Queer und sicher im Netz. LSVD-Ratgeber: Was tun bei Cybermobbing und Hate Speech?
- 9 Strategies for Quarantining in a Non-LGBTQ+ Affirming Environment: With help from queer therapists and experts from The Trevor Project, here's how to endure isolation with those who might not accept your identity. (them.us vom 26.03.2020)
- Zudem gibt es auch die allgemeinen Hilfetelefone des Bundesfamilienministeriums
- Die "Nummer gegen Kummer" bietet Telefonberatung für Kinder, Jugendliche und Eltern. Das Kinder- und Jugendtelefon ist unter der Rufnummer 116 111 zu erreichen - von Montag bis Samstag jeweils von 14 bis 20 Uhr.
- Unter der Nummer 0800 22 55 530 ist das Hilfetelefon "Sexueller Missbrauch" montags, mittwochs und freitags von 9 bis 14 Uhr sowie dienstags und donnerstags von 15 bis 20 Uhr bundesweit, kostenfrei und anonym erreichbar. Unter www.save-me-online.de ist das Online-Beratungsangebot für Jugendliche des Hilfetelefons erreichbar.
- Das Projekt "Pausentaste" unterstützt junge Pflegende mit gezielter Beratung und Information. Unter der Nummer 116 111 erreichen ratsuchende Kinder und Jugendliche die Hotline von Montag bis Samstag jeweils von 14 bis 20 Uhr. Das Beratungsangebot ist kostenlos und auf Wunsch auch anonym. Im November 2019 ist zusätzlich die Beratung in Form eines Termin-Chats an den Start gegangen.
7.5 Trans* Personen
- Auf seiner Homepage sammelt der Bundesverband Trans* Ressourcen für (trans*) Personen, die Unterstützung benötigen.
- How the pandemic is affecting trans and non-binary communities. From indefinitely postponed surgeries to drastically reduced access to safe spaces, the coronavirus lockdown is bringing unique challenges. (id-vice, 16.04.2020)
- Trans and non-binary people who bind their chest are at much higher risk of complications from #Covid19 – Acht Hinweise von der US-amerikanischen trans* Organisation Point of Pride
7.6 Partnerschaft und Sexualität
- Corona-Sex-Hacks. Tipps und Tricks, Checkpoint Köln (November 2020)
- "Jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen": Was Corona mit frischen Beziehungen macht. Eine Psychologin erklärt, wie man Streit vermeidet – oder richtig löst (bento vom 24.03.2020)
- How to Deal With Quarantining Away From Your Partner During Coronavirus. Here are tips to stay sane if you don't live with your significant other, according to queer therapists. (them.us vom 20.03.2020)
- Das Bundesforum Männer veröffentlichte eine 10-Schritte-Handlungsempfehlung für Männer, die in Krisensituationen nicht Beherrschung verlieren möchten. Sie enthält auch Hinweise zu Beratungsstellen, damit Gewalt als Ventil für Stress nicht zur Option wird. Das "Survival-Kit" gibt es bereits in 8 Sprachen vor (Albanisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Polnisch, Spanisch, Ungarisch). 9 weitere sind in Kürze verfügbar (Arabisch, Dari/Farsi, Kurdisch, Portugiesisch, Russisch, Serbokroatisch, Tamil, Tigrinya, Türkisch)
- Sex and Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) - Safer Sex Guide des New Yorker Gesundheitsamt
- Grundbedürfnis Sexualität – Nähe in Zeiten von Corona. Die COVID-19-Krise trifft einen Bereich schwulen Lebens ins Mark: das Sexleben. (...) Was macht Corona mit der Sexualität, was kann besonders schwuler Mann lernen, was droht eventuell für die Zeit danach. Interview mit Sexualpädagoge Marco Kammholz (Männer Media vom 24.03.2020)
- How Queer People Are Getting Off While Staying In. COVID-19 paranoia has driven some LGBTQ+ people to cam, chat, and see their sex lives in new ways. Others say they're not afraid to keep hooking up, despite official guidance to stop. (them.us vom 20.03.2020)
- Your Questions About Sex and Coronavirus, Answered - Who is it safe to have sex with during the pandemic? How can I use camming, sex toys, and more to keep things interesting? And when will it be safe to resume a normal sex life? (them.us vom 24.03.2020)
7.7 Regenbogenfamilien
Manche Eltern treibt die Sorge um, dass sie aufgrund der fehlenden rechtlichen Anerkennung der zweiten Elternschaft im Notfall rechtlos sind. Bei fehlender Stiefkindadoption raten wir zu einer Elternverfügung, wenn das leibliche Elternteil einziger rechtlicher Elternteil und allein sorgeberechtigt ist.
Die Familienberatungsstellen arbeiten daran ihr Angebot aufrechtzuerhalten. Es ist aber zu erwarten, dass das Angebot einerseits verstärkt nachgefragt wird, andererseits aber auch schwerer aufrechtzuerhalten. Vielleicht fällt es Regenbogenfamilien schwer, sich einfach an die nächstgelegene Beratungsstelle zu wenden. Sie befürchten als Regenbogenfamilie auf Vorurteile zu treffen oder unter Erklärungsdruck zu geraten? Das LSVD-Projekt "Beratungskompetenz zu Regenbogenfamilien" hat Angebote zusammengestellt, die Regenbogenfamilien ausdrücklich willkommen heißen und sich mit familiärer Vielfalt vertraut gemacht haben. Angebote, deren Mitarbeiter*innen im Rahmen des Modellprojekts geschult worden sind, haben wir speziell gekennzeichnet. Bitte checken, ob und wie sich die Öffnungszeiten und Angebote aufgrund von corona geändert haben.
Des Weiteren gibt es die Hilfetelefone des Bundesfamilienministeriums.
- Die "Nummer gegen Kummer" bietet Telefonberatung für Kinder, Jugendliche und Eltern. Das Kinder- und Jugendtelefon ist unter der Rufnummer 116 111 zu erreichen - von Montag bis Samstag jeweils von 14 bis 20 Uhr.
- Das Elterntelefon richtet sich an Mütter und Väter, die sich unkompliziert und anonym konkrete Ratschläge holen möchten. In ganz Deutschland sind Beraterinnen und Berater unter der kostenlosen Rufnummer 0800 111 0550 montags bis freitags von 9 bis 11 Uhr und dienstags und donnerstags von 17 bis 19 Uhr erreichbar.
Rechtliche Fragen, die sich in der aktuellen Situation für die Kinder- und Jugendhilfe ergeben: Materialpool und Corona FAQ des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht
7.8 Binationale Paare/ binationale Regenbogenfamilien
- Liebe über Landesgrenzen: So trennt Corona schwule Paare (Mannschaft vom 12.04.2020)
- In der Krise grenzt Polen LGBTIQ weiter aus. Die aktuellen Einreisebeschränkungen treffen homosexuelle Paare (Mannschaft vom 18.03.2020)
7.9 Obdach- und Wohnungslosigkeit
- In München fordern die Lesbenberatungsstelle LeTRa, die Trans*Inter*Beratungsstelle sowie das schwule Kommunikations- und Kulturzentrum Sub die sichere Unterbringung von obdachlosen queeren Menschen in der Corona-Krise.
- USA: LGBT-Jugendliche sind stärker von Obdachlosigkeit betroffen (gay.ch vom 06.06.2018) bzw. USA: 25% der jungen Schwulen und Lesben obdachlos (queer.de vom 22.07.2011)
- Obdachlose besonders von Corona-Krise betroffen (MDR vom 06.04.2020)
- Wenn schon Händewaschen schwierig ist. Corona-Folgen für Obdachlose (Tagesschau vom 24.03.2020)
- Die Obdachlosen trifft die Corona-Krise besonders hart (Süddeutsche vom 31.03.2020)
7.10 HIV/ AIDS
Menschen mit HIV unter wirksamer HIV-Therapie sind nach aktuellem Kenntnisstand nicht in besonderer Weise durch Corona gefährdet. Was muss ich in Bezug auf Sex und Corona wissen? Die Deutsche AIDS-Hilfe hat Antworten.
7.11 Auswirkungen auf die psychische Gesundheit
- Was tun gegen den Corona-Blues? Lockdown 2.0.: Die Infektionszahlen machen Angst, der Kampfgeist ist ausgelaugt. Wie können wir die nächsten Wochen und Monate psychisch überstehen? Wie bei all dem Frust Depressionen vermeiden und bei Sinnen bleiben? Florian Bade sprach für Siegessäule mit der Diplompsychologin Julia Tomanek über Fakten und Strategien (Siegessäule vom 16.12.2020)
- Der Krise entfliehen: Substanzkonsum in der Corona-Pandemie (Siegessäule vom 10.12.2020)
- Die mit dem Corona-Virus verbundenen Ängste und Einschränkungen stellen für an Depression erkrankte Menschen große Herausforderungen dar - so die Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Sie gibt Tipps und stellt ihr Online-Programm iFightDepression zur Strukturierung des Alltags für sechs Wochen ohne Einschränkungen zur Verfügung. Wie digitale Tools Menschen mit psychischen Erkrankungen helfen können, berichtet t3n.
- Es sei zwar unwahrscheinlich, dass die Coronakrise in großer Zahl bislang gesunde Menschen in eine Depression führe, so der Psychiater und Vorsitzende der Deutschen Depressionshilfe, Ulrich Hegerl. Das eigentliche Problem liege jedoch darin, dass sich die Versorgung und der Zustand von Menschen mit vorhandener Diagnose verschlechtere. (Spiegel online vom 25.05.2020)
- Und plötzlich müssen alle zu Hause sitzen. Für depressive Menschen wird die Coronakrise zur doppelten Gefahr. (Tagesspiegel vom 11.04.2020)
- Coronakrise: Tipps zum Umgang mit der Angst: In der aktuellen Krise haben viele Menschen mit Angstgefühlen zu kämpfen. Doch wie kann man damit am besten umgehen? Interview mit Conor Toomey, der im Bereich psychologische Hilfe bei der Schwulenberatung Berlin arbeitet. (Siegessäule vom 27.03.2020)
7.12 Unterstützung der LSBTI-Infrastruktur
Bars, Clubs, Kinos, Konzerte und Ausstellungen - das kulturelle Angebot ist massiv eingeschränkt. Das trifft die Mitarbeitenden, Musiker*innen oder DJs. Die Frage ist, wie ob und wie lange sich auch die (kulturelle) LSBTI-Infrastruktur über Wasser halten kann.
Darum schaut auf den Webseiten Eurer Stammbars und Lieblingsclubs, ob und wie ihr mit Spenden helfen könnt. Schaut auf den Seiten von Künstler*innen, Musiker*innen oder Drag Queens und Kings, denen gerade Einnahmen wegfallen, weil Auftritte abgesagt werden.
7.13 Gegen die Langeweile
Queere Bücher
- Prinz Eisenherz Buchhandlung bietet ab sofort versandkostenfreie Lieferung an.
- Zehn queere Bücher für die Heimquarantäne. Das Leben in Corono-Zeiten findet zwischen Sofa, Kühlschrank, Balkon und Badewanne statt. Mit diesen Romanen kannst du dir Zeit in den eigenen vier Wänden ganz hervorragend vertreiben! (queer.de vom 16.03.2020)
- Literatur, die bewegt. Ob romantische Liebesstory, feministisches Aufklärungsbuch oder Klassiker der lesbischen Literatur, unser Tipp: 10 fantastische Bücher gegen Einsamkeit (L-Mag vom 16.03.2020)
Queere Filme, Serien und Podcasts
- 15 Queer TV Shows to Lift Your Spirits in Quarantine (them.us vom 21.04.2020)
- Zehn queere Podcasts, die ihr jetzt hören solltet (queer.de vom 19.04.2020)
- 11 lesbische Liebesfilmklassiker für die Corona-Couch (L-Mag vom 26.03.2020)
- 8 queere Serientipps für die Corona-Couch (L-Mag vom 22.03.2020)
- Zehn queere Serien, wegen denen man gerne zu Hause bleibt. (queer.de vom 22.03.2020)
- Zehn queere Filme, für die ihr jetzt Zeit habt. Egal ob in Selbst-Quarantäne, mit der Wahlfamilie in der WG oder per Videoschalte mit Freunden – mit diesen zehn modernen Klassikern des Queer Cinema lässt sich das Leben in den eigenen vier Wänden aushalten. (queer.de vom 19.03.2020)
- Video-On-Demand-Angebot von Salzgeber
Weiterlesen
- Wie sich Corona auf LSBTI-Aktivismus in Russland und im Globalen Süden auswirkt. Berichte unserer Partnerorganisationen aus Russland, Uganda und Nicaragua.
- Der Impact von Covid-19 auf LGBTIQ: "Verschärfte Verletzlichkeiten" - Bericht von Outright Action International
- Corona und die LGBTQ-Community in den USA: Briefing-Papier von Human Rights Campaign
- "Lehren aus der Corona-Krise" - am 03. September hat die Arbeitsgruppe Rechte von Frauen und LSBTI* des Forum Menschenrechte ein Perspektivenpapier zu den Auswirkungen der coronabedingten Beschränkungen auf bestimmte Themen und Gruppen herausgegeben. Darin gibt sie auch gibt Empfehlungen für kurzfristige Maßnahmen zur Verbesserung der Situation sowie für nachhaltige Maßnahmen. Der LSVD ist Mitglied dieser Arbeitsgruppe.
- COVID-19 and specific impact on LGBTI people and what authorities should be doing to mitigate impact. Positionspapier ILGA
- United Nations Independent Expert on protection against violence and discrimination based on Sexual Orientation and Gender Identity: The Impact of the Covi-19 Pandemic on the Human Rights of LGBT Persons
- Rebekka Blum (2020): Retraditionalisierung, Corona-Verschwörungen und Antifeminismus: Über das Verhältnis von Antifeminismus und Corona-Verschwörungen und wie die Corona-Pandemie antifeministische Entwicklungen begünstigt.
- „Von Heteronormativität durchzogen“ – Ein Gespräch über die Corona-Krise mit Francis Seeck