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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Transfeindlichkeit und Transrechte in Europa: EU und Europarat

Noah Kreuzenkamp (Transgender Europe) auf LSVD-Kongress "Respekt statt Ressentiments: Strategien gegen Homo- und Transphobie"

Notwendige Reform des Transsexuellen-Gesetzes (TSG) nach maltesischem Vorbild sowie Umsetzung der Opferschutzrichtlinie, die den Vorgaben bezüglich „Geschlechtsausdruck“ und „Geschlechtsidentität“ umfassend Rechnung trägt.

Zusammenfassung eines Vortrags von Noah Kreuzenkamp (Transgender Europe) auf dem LSVD-Kongress "Respekt statt Ressentiments: Strategien gegen Homo- und Transphobie" von 2015. Inzwischen gibt es Ergebnisse einer Befragung von 2.750 trans* Menschen in Deutschland im Rahmen der Studie der EU-Grundrechteagentur von 2020 zu ihren Erfahrungen mit Coming-out, Transition, Offenheit und Diskriminierung im Alltag, in der Schule, im Gesundheitswesen und am Arbeitsplatz. 

Der LSVD fordert seit langem, dass Transsexuellen-Gesetz (TSG) abgeschafft und durch ein Selbstbestimmungs-Gesetz ersetzt wird.

noah-keuzenkamp.jpg"79%  der trans* Menschen berichteten von abfälligen Kommentaren, verbaler oder physischer oder sexueller Gewalt oder Drohungen in der Öffentlichkeit (European Hate Crime Study 2009, Press for Change). TGEU's 'Transrespect vs Transphobia'-Projekt hat zwischen Januar 2008 und Dezember 2014 insgesamt 1.731 Morde an Trans*-Menschen erfasst. 77 dieser Morde geschahen in Europa." (Noah Kreuzenkamp)

Was macht Transgender Europe (TGEU)?

Transgender Europe [TGEU] wurde 2005 auf dem ersten  Europäischen Transgender Council  gegründet. Inzwischen hat TGEU 78 Mitgliedsorganisationen in 40 Ländern. Die Arbeit von  TGEU unterteilt sich in die Bereiche:

  • Eintreten für die Rechte von Trans*-Menschen
  • Community building und Unterstützung von Mitgliedsorganisationen
  • Sensibilisierung und Fortbildung zu Trans*-Themen

Trans*-Rechte im Rechtsrahmen der EU

Direkte Diskriminierung von trans* Personen

  • Grundlage des Diskriminierungsschutzes von Trans*-Menschen im Rechtskontext der EU ist ein Gerichtsurteil des Gerichtshofs der EU von 1996 [P v. S and Cornwall County Council], in  dem das Gericht den Diskriminierungsgrund ‚Geschlecht‘  so interpretiert, dass er auch vor Diskriminierung aufgrund von „Gender  reassignment“ schützen muss.  Dies hat Eingang gefunden in die folgenden Richtlinien:
  • Richtlinie zum Zugang von Gütern und Dienstleistungen 2004/113/EC [keine direkte Erwähnung in der Richtlinie, aber in einem Entscheidungsprotokoll der Europäischen  Rates  erwähnt]. Explizite Trans*-Erwähnung inklusive Umsetzung nur in sieben Mitgliedsstaaten der EU.
  • Gender-Richtlinie 2006/54/EC  [P. v. S. ist Teil der Recitals]: Explizite Trans*-Erwähnung  inklusive Umsetzung in 9 Mitgliedsstaaten der EU. In Deutschland im Rahmen des ADG umgesetzt.
  • In Deutschland sind diese Richtlinien im Rahmen des AGG umgesetzt.

Trans und Asyl

  • In der Qualifizierungsrichtlinie 2011/95/EU wird die „Geschlechtsidentität“ als einer der „Qualifizierungsgründe“ für die Gewährung von Asyl benannt. Auch in der Verfahrensrichtlinie 2014/32/EU wird auf die Geschlechtsidentität Bezug genommen. 
  • Opferschutz-Richtlinie 2012/29/EU [Victim‘s Rights Directive]
  • Die  Richtlinie aus dem Jahr 2012 definiert Mindeststandards im Umgang mit und in der Unterstützung von Opfern von Gewalt und bezieht explizit „Geschlechtsidentität“ und  „Ausdruck  der Geschlechtlichkeit“ unter „geschlechtsbezogener Gewalt“ mit ein. Die Richtlinie verpflichtet Mitgliedsstaaten der EU in Bezug auf den Schutz und die Unterstützung von Gewalt,  Mindeststandards umzusetzen im Hinblick auf:
    • Zugang zu Gerichtsverfahren und Kosten
    • Unterstützung im Gerichtsverfahren
    • Schutz des Opfers und seiner/ihrer Privatsphäre
    • Opferberatungsstellen

Weitere Themen auf EU-Ebene

Depathologisierung von Trans*

  • Hier gibt es keine direkte EU-Kompetenz.
  • Aber: es gibt einen politischen Willen von Seiten des Kommissars für Verbraucherschutz und Gesundheit.

Strategie zur Gleichberechtigung von Männern und Frauen

  • Die gegenwärtige Strategie endet Ende 2015. Zurzeit wird in der EU-Kommission an einer Neufassung gearbeitet. Ziel von TGEU ist es, in der neuen Strategie die Trans*-Themen stärker zu verankern. 

Studien der FRA und der EU-Kommission

  • Die Auswertung zum Thema Trans* der European LSBT-Studie [Erhebung  unter  Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen in der Europäischen Union   mit 93.000 Studienteilnehmer_innen aus allen 28 Mitgliedstaaten] wurde 2014 veröffentlicht.
  • Hauptergebnisse:
    • 54% aller Trans*-Teilnehmenden wurden diskriminiert oder belästigt.
    • 44% waren Opfer von Gewalt.
    • 94% geben an, dass sich ihre Lebensqualität verbessern würde, wenn ihre Regierung die Rechte von Trans*-Menschen proaktiv fördern würde.
  • Der  spezielle Diskriminierungs-Eurobarometer 2012 beinhaltete erstmals Fragen zur Geschlechtsidentität und offenbarte eine erhebliche Diskrepanz zwischen der wahrgenommenen Diskriminierung in der Gesellschaft und der tatsächlichen Diskriminierung von Trans*-Menschen.

Empfehlungen des Europarates

Die Empfehlungen des Europarates CM/Rec[2010]5 

Diese Empfehlungen zur Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität stellen die erste zwischenstaatliche Übereinkunft zum Schutz von Diskriminierung aufgrund von Sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität in Europa dar.  Sie beinhalten Empfehlungen zu:

  • Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag
  • Diskriminierungsfreier Zugang zur Gesundheitsversorgung
  • Zugang zu geschlechtsangleichenden medizinischen Maßnahmen
  • Transgender im Arbeitsmarkt

und verlangen eine Evaluierung der Rechtslage im Abstand von drei Jahren.

Die Trans*-Resolution der Parlamentarischen Versammlung

Die Trans*-Resolution ist die erste Resolution der Parlamentarischen Versammlung zum Thema. Sie beinhaltet Empfehlungen an die Mitgliedstaaten zu:

  • Rechtlicher Anerkennung der Geschlechtsidentität, ohne Bedingungen wie Sterilisation, Scheidung, Diagnose
  • Zugang zu trans*-spezifischer und allgemeiner Gesundheitsversorgung
  • Depathologisierung von Trans*-Identitäten
  • Umsetzung von trans*-inklusiven Antidiskriminierungs-Gesetzen

Rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität [Legal gender recognition]

Folgende Voraussetzungen zur Änderung von Vornamen und Geschlecht existieren in der EU:

  • Sterilisation/Dauerhafte Unfruchtbarkeit [14 MS]
  • Obligatorische medizinische Eingriffe [19 MS]
  • Scheidung [12 MS]
  • Obligatorische Diagnose oder ähnliche Voraussetzung [alle MS außer Dänemark und Malta]

Gesetzgebungen, die die Menschenrechte von Trans*-Menschen in den Mittelpunkt stellen, gibt es in Europa gegenwärtig lediglich in Malta und Dänemark sowie in Argentinien. In diesen Ländern 

  • gibt es keine einschränkenden Voraussetzungen
  • sind die Gesetze als Schutzgesetz formuliert
  • regeln die Gesetze auch Zugang zu geschlechtsangleichenden medizinischen Maßnahmen auf Grundlage des „informed consent“ [informierte Einwilligung; nur Malta und Argentinien]

Gesundheitsversorgung von trans* Personen in Europa

Zitat aus der TransEuro Study der TGEU‘s über die Gesundheitsversorgung von Trans*-Menschen in der EU [2008]: „I don't see the  doctor if I don't really have to. I don't see the  dentist, I don't see the gynaecologist, since decades, and if I have an accident, I try to not go to the hospital... I think I have less experiences because I just don't go there, so I practice some kind of avoidence strategy.” [TransEuro study respondent from Austria]

Die Studie kam zu erschreckenden Ergebnissen:

  • 25% der Studienteilnehmer_innen wurde die Behandlung verwehrt, da der Hausarzt generell gegen geschlechtsangleichende Maßnahmen eingestellt war.
  • 82% erhielten keine staatliche Unterstützung für grundlegende geschlechtsangleichende Maßnahmen.
  • Nur 30% der Studienteilnehmer_innen berichteten von einem „acceptable baseline treatment“: der/die Mediziner_in war bereit zu behandeln oder zu helfen, aber wusste zu Trans*-Themen nicht Bescheid.

Gewalt gegen trans* Menschen

Zitat aus der Europäischen LSBT-Studie der Europäischen Grundrechteagentur [FRA]: „I have experienced humiliation, beatings, and insults from people I know and people I do not know, but I wanted people in my surrounding to learn that I am a human like any other, and that my sexual orientation  does  not  make  me  different  from  them!  I  am  a  human.“ [FRA study  respondent from Bulgaria]

Was muss in Deutschland passieren?

  • Reform des sogenannten Transsexuellen-Gesetzes (TSG) nach maltesischem Vorbild
  • Umsetzung der Opferschutzrichtlinie, die den Vorgaben bezüglich „Geschlechtsausdruck“ und „Geschlechtsidentität“ umfassend Rechnung trägt
  • Proaktive Unterstützung eines EU-weiten Aktionsplans zu LSBTI
  • Schaffung und Umsetzung eines nationalen Aktionsplans zum Thema LSBTI, der die Belange von Transgender-Menschen reflektiert
  • Umfassende Reform der Gesetzgebung bezüglich intergeschlechtlicher Menschen
  • Frühzeitige Einbindung und Konsultation von zivilgesellschaftlichen Organisationen in sie betreffende Gesetzgebungsverfahren
  • Finanzielle Förderung von LSBT-Organisationen, insbesondere von Trans* und Inter-Organisationen sowohl im Inland als auch im Ausland, einschließlich im Rahmen der Deutschen Entwicklungszusammenarbeit.

Noah Keuzenkamp
has been involved in trans and LGBT activism for the past five years in Europe and South Asia. Before joining TGEU, Noah was Project Manager at an LGBT organisation in the UK. He has also worked for ARC International in Geneva, for the feminist human rights organisation CREA in New Delhi, and for UNAIDS in Colombo. He has experience in advocacy, policy and capacity building work at UN, national and local levels, including on trans rights, sex workers’ rights, HIV/AIDS, sexual and reproductive health and rights, and decriminalisation of homosexuality. He has worked in schools and with young people to tackle transphobia and homophobia in education. Noah holds an MPhil in Politics & Education from the University of Cambridge.


Video von Noah Keuzenkamp: "34 Countries in Europe Make This Nightmare a Reality"
Download Trans  Rights Europe Map & Index 2015

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