Anita Augspurg: "Wer den Faschismus gewähren lässt, beraubt sich selbst der Freiheit."
LSVD unterstützt Erklärung des Netzwerks "Lesben gegen Rechts" anlässlich der Bundestagswahlen
In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben wir als Frauen und als Lesben auf politischer Ebene vieles erreicht. Das bekannteste und sicher auch das sichtbarste Beispiel aus jüngerer Zeit ist die "Ehe für alle", die seit 2017 bestehende Möglichkeit, als Frauen- (oder Männerpaar) zu heiraten. Zigtausende haben diese Möglichkeit inzwischen wahrgenommen. Ebenso wichtig ist das Verbot von so genannten Konversionstherapien bei homosexuellen Kindern und Jugendlichen (2020) oder das Anrecht auf Freizügigkeit innerhalb der EU für gleichgeschlechtliche Partnerinnen (2018). All diese Beschlüsse standen am Ende langer Kämpfe, die über Jahrzehnte bei Demonstrationen, mit Petitionen und Aufrufen, in Gesprächen mit der Politik, in Parteien und Parlamenten ausgefochten wurden.
Auch auf gesellschaftlicher Ebene haben Lesben erfolgreich für Sichtbarkeit und Akzeptanz gekämpft und tun es noch. Dafür stehen beispielsweise die Dyke*Marches, die seit 2013 in immer mehr Städten organisiert werden und in diesem Sommer in Würzburg und Nürnberg, in Hannover und Frankfurt, in Köln, Hamburg, Berlin und München zeigen: Wir sind da, wir sind viele, wir lassen uns nicht mehr in die Unsichtbarkeit drängen. Und auf gesellschaftlicher Ebene sind Fortschritte spürbar, ohne die auch die politischen Fortschritte nicht möglich geworden wären.
Doch auch wenn Akzeptanz, rechtliche Anerkennung und gesetzlicher Schutz uns heute oft als selbstverständlich erscheinen, muss uns bewusst sein: All dies ist nicht in Stein gemeißelt. Ohne unsere Wachsamkeit und unser fortgesetztes Engagement ist es sehr leicht möglich, dass weitere Schritte bis zur völligen Gleichstellung und zur selbstverständlichen Akzeptanz nicht mehr gegangen werden. Ebenso möglich ist, dass bereits erreichte Fortschritte wieder zunichte gemacht werden.
Wie schnell dies sogar innerhalb der EU geschehen kann, wird uns gerade in Ungarn und Polen vor Augen geführt. In Ungarn wurde die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare im vergangenen Jahr verboten. In diesem Jahr nun verbietet die Regierung Orban die Information über Lesben und SBTIQ, die für Kinder und Jugendliche zugänglich sein könnte, sowie Werbung und Unterrichtsinhalte, die Lesben und SBTIQ in akzeptierender Weise zeigen bzw. thematisieren. Damit wird der Rückschritt in die Unsichtbarkeit durch eine rechtsgerichtete, populistische Regierung gesetzlich festgeschrieben.
In Deutschland vollzieht die AfD diesen Rückschritt als Teil ihres Wahlprogramms: Obwohl mit der Ehe für alle im Jahr 2017 auch das Recht auf eine gemeinschaftliche Adoption von Kindern für lesbische und schwule Paare festgeschrieben wurde, definiert nun im Vorfeld der Bundestagswahl die AfD in ihrem Wahlprogramm die Familie folgendermaßen: "Sie besteht aus Vater, Mutter und Kindern." Andere Familien werden nicht erwähnt, ebenso wie im gesamten Wahlprogramm Lesben und Schwule an keiner Stelle erwähnt werden. Unter dem Motto "Deutschland. Aber normal" ist die Unsichtbarmachung für die AfD also bereits vollzogen, Alice Weidel hätte sich ihr Coming-Out sparen können.
Unsichtbar werden gesellschaftliche Gruppen einerseits dadurch gemacht, dass sie ignoriert werden, andererseits durch Einschüchterung, Beleidigung, physische Angriffe etc. Auch diese Methode beherrschen Abgeordnete der AfD - erwähnt sei nur die Bundestagskandidatin (bisher im Landtag von BW) Christina Baum, die ernsthaft ein Verbot des CSD fordert und die skizzierten Entwicklungen in Ungarn ausdrücklich begrüßt.
Was im Wahlprogramm der AfD durchaus erwähnt, ja geradezu manisch wiederholt wird, ist die Betonung von traditionellen Geschlechterrollen. Der angebliche "Genderwahn" wird immer wieder als ein Übel angeprangert, das zu bekämpfen ist, er wird sogar als halluzinierte Gefährdung von Kindern in die Nähe der Ideologien des Nationalsozialismus bzw. der DDR gerückt. Folgerichtig wird gefordert, die Stellen von Gleichstellungsbeauftragten zu streichen und diese durch "Familienbeauftragte" zu ersetzen, die u. a. auf das "Leitbild der 3-Kind-Familie" hinarbeiten.
Wollen wir das? Als Lesben zurück in die Unsichtbarkeit, als Frauen zurück in die "traditionellen" Rollen unter Ankurbelung unserer Gebärfähigkeit? Natürlich nicht und daher unser Aufruf: Lasst die rechtsgerichtete, populistische, teils faschistische AfD bei den Bundestagswahlen durchfallen, ebenso wie solche Kräfte, die mit ihr zusammenarbeiten!
Dabei sind die Vorstellungen der AfD von "Familienpolitik" nicht die einzigen Gründe: Die Partei möchte beispielsweise "dem Klimawandel positiv begegnen", sie ist gegen die Vermögens- und die Erbschaftssteuer, sie stimmt regelmäßig gegen eine Erhöhung des Mindestlohnes. Sie versucht immer wieder, gesellschaftliche Gruppen gegeneinander auszuspielen: Migranten, nicht Arbeitgeber tragen die Schuld an Niedriglöhnen, Flüchtlinge tragen die Schuld an Wohnraummangel, nicht eine verfehlte Wohnungspolitik.
Das Wahlrecht von Frauen zählt zu den Rechten, die die Feministinnen der ersten Frauenbewegung mühsam und unter großen Opfern erstritten haben. Wir stehen auf den Schultern dieser Frauen. Nehmen wir unser Recht wahr, wählen wir demokratische Parteien, die unsere Rechte nicht beschneiden, sondern vorantreiben!
Erklärung des Netzwerks "Lesben gegen Rechts" anlässlich der Bundestagswahlen am 26.09.2021
Unterstützt von
Dachverband Lesben und Alter e.V.
DYKE* MARCH FRANKFURT
Dyke*March Hamburg
DykeMarch Münster
Dyke*March Würzburg
Frauen* gegen die AfD
Frauen*bildungszenturm DENKtRÄUME
Frauenbuchladen Thalestris
LAG Queeres Netzwerk Sachsen e.V.
Lesben und Kirche (LuK)
Lesbennetzwerk Hamburg
Lesben- und Schwulenverband (LSVD) e.V.
Rosel Kohlberger, Köln
Ulrike Rolf, Potsdam
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