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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

Die heutige Demo ist nicht nur ein Aufruf an andere, es ist auch ein Aufruf an uns alle: Lasst uns endlich unteilbar werden!

LSVD-Bundesvorstand Alfonso Pantisano auf der #Unteilbar-Demonstration am 04.09.2021 in Berlin

Gerade die letzten zwei Jahren waren dennoch so ernüchternd, dass wir, dass meine queere Community feststellen müssen, dass wir manchmal vor einem gesellschaftlichen, solidarischen Scherbenhaufen stehen.

Der LSVD unterstützt #unteilbar - für eine solidarische und gerechte Gesellschaft und hat zur Teilnahme an der Großdemonstration am 04. September 2021 in Berlin aufgerufen. Hier dokumentieren wir den Redebeitrag unseres Bundesvorstands Alfonso Pantisano.

Ich erinnere mich gut an die erste Unteilbar-Demo vor ein paar Jahren. Das Gefühl, dass wir eins sind, dass wir zusammenstehen, dass wir füreinander einstehen, hatte mir viel Mut gemacht. Für unsere offene Gesellschaft, für unsere vielfältige, lebendige, moderne Gesellschaft. Ich hatte das Gefühl, dass wir eins sein wollen, eins sein können, eins sind.

Gerade die letzten zwei Jahren waren dennoch so ernüchternd, dass wir, dass meine queere Community feststellen müssen, dass wir manchmal vor einem gesellschaftlichen, solidarischen Scherbenhaufen stehen.

In der Coronakrise kamen nur traditionelle Familien im Diskurs vor. Regenbogenfamilien, alleinerziehende queere Eltern und ihre Kinder, kinderlose queere Paare, queere Lebensmodelle wurden dagegen übersehen. Wir wurden von der kollektiven Wahrnehmung – bis sich meine Community dagegengestemmt hat - leider ausgeschlossen.

In der weltweit humanitären Krise, die sich aus wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, politischen und auch ökologischen Gründen immer mehr zu einem Monster aufbraust, kommt meine queere Community nur sehr selten vor – meistens nur dann, wenn wir vor Verzweiflung aufschreien, weil mal wieder eine geflüchtete trans* Person, mal wieder ein geflüchteter schwuler Mann oder eine geflüchtete lesbische Frau aus Deutschland wieder abgeschoben werden soll, weil die Richter*innen ihnen entweder nicht glauben, dass sie wirklich queer sind oder weil ihnen Seehofer und seine Leute per Bescheid ausrichten lassen, dass es ihnen doch zuzumuten sei, dass sie in einem der 70 Länder weltweit versteckt leben können, obwohl ihnen dort Diskriminierung, Gewalt, Arrest, Folter und auch manchmal der Tod lauert. Wenn wir außerhalb meiner queeren Community von Geflüchteten sprechen und uns um sie sorgen, kommen meine queeren Leute meistens nicht vor. Warum ist es so?

Ja, in unserem Berlin, bei uns in Deutschland ist der Regenbogen Zuhause. Aber die Homophobie, die Transphobie ist es leider auch.

Im heutigen Aufruf zu dieser wertvollen und wichtigen Demo heißt es: "Wir kämpfen gegen strukturellen Rassismus und jegliche Zusammenarbeit mit der extremen Rechten und stehen für einen gesellschaftlichen Antifaschismus – im Osten wie im Westen. Wir schließen die Reihen gegen Rassismus, Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus und Antifeminismus!“

Erstaunlich: Die alltägliche gesellschaftliche, psychische und körperliche Gewalt gegen Schwule, Lesben, Bisexuelle, und auch gegen trans- und intergeschlechtliche Menschen wird auch hier übersehen. Und das, obwohl die Gewalt gegen meine Leute jedes Jahr zunimmt.

In 2019 hatten wir allein in Berlin 591 dokumentierte Angriffe gegen queere Menschen. Im Coronajahr 2020, wo wir alle fast nicht im öffentlichen Raum unterwegs waren, waren es über 500. Und die Dunkelziffer liegt bundesweit bei 90 Prozent. Meine Leute bekommen hier in Berlin mindestens einmal am Tag eins auf die Fresse. Jeden einzelnen Tag!

Anstatt all das auch zu beklagen, stritten wir gerade im letzten Jahr über die sogenannte Identitätspolitik, wir stritten, mit welcher Lautstärke Minderheiten ihren Platz in unserer Gesellschaft einfordern dürfen oder auch nicht, wir stritten und streiten immer noch, ob es zumutbar sei, ein verdammtes Gendersterchen zu lesen oder zu hören, und ob trans* Männer wirklich Männer sind, ob trans* Frauen wirklich Frauen sind. Echt jetzt?

Trotz Ehe für Alle und vieler bemühter Regenbogenfahnen - Wir sind als Gesellschaft, so ehrlich müssen wir sein, ja wir sind als Gesellschaft geteilt – das haben die letzten Jahre jedenfalls meiner queeren Community deutlich gezeigt.

Deswegen ist es wichtig, dass wir uns alle heute daran erinnern, wie notwendig es ist, zusammenzustehen, füreinander einzustehen, die Stimme für andere zu erheben – gerade, wenn es uns nicht hautnah betrifft. Das ist Solidarität. Das ist die Solidarität, die uns hoffentlich wirklich unteilbar werden lässt. Und deswegen bin ich heute sehr glücklich und auch dankbar, dass wir heute gemeinsam auf die Straße gehen. Denn diese heutige Demo ist nicht nur ein Aufruf an andere, es ist auch ein Aufruf an uns alle: Lasst uns endlich unteilbar werden!