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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

"Danke für alles, was Ihr für uns alle, für unsere Community, für all die queeren Kids tut."

25+1 Jahre LSVD Hamburg. Rede von LSVD-Bundesvorstand Alfonso Pantisano zum Communityempfang am 18.10.2021

Liebe Barbara, lieber Wolfgang - wir beim Bundesverband sind stolz, denn wir wissen, dass wir uns auf Eure konstruktive Beharrlichkeit und Eure sensationelle Arbeit weiter verlassen können. Von Herzen, vielen, vielen Dank für alles. Danke für all Eure Arbeit mit und für unsere Leute in St. Petersburg. Danke für alles, was Ihr für uns alle, für unsere Community, für all die queeren Kids tut.

Barbara Mansberg und Wolfgang Preussner vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Hamburg

Liebe Freund*innen, liebe Community,
liebe Barbara, lieber Wolfgang,

als ich vor ein paar Wochen entschieden habe, heute mit Ihnen gemeinsam Barbara und Wolfgang und den LSVD in Hamburg zu feiern, war ich zuerst sehr euphorisch. Doch je mehr der heutige Tag näher rückte, je mehr ich in die zurückliegenden 25plus Jahren des LSVD Hamburg eingetaucht bin, desto stärker habe ich hinterfragt, ob ich überhaupt der Richtige bin, um heute zu Ihnen zu sprechen.

Wissen Sie, so richtig wachgerüttelt, so richtig aufgewühlt, so richtig aktiviert hat mich in 2013 Putins Anti-Homo-Propaganda-Gesetzgebung, die unseren Leuten in Russland einen massiven Schlag verpasst hat.

Ich habe sie noch vor Augen – die Bilder der jungen queeren Leute, die von russischen Aggressoren und Nazis und Faschisten drangsaliert wurden. Ich habe noch die Bilder im Kopf: Schwule und bisexuelle Männer, queere, lesbische junge Frauen, trans* Personen, die man in Fallen lockte und denen man Urin über den Kopf schüttete, schwulen jungen Männern, denen man die Haare abrasierte und auf die Glatze mit Edding ein russisches Wort für Homo oder Schwuchtel draufschrieb, meine Community die zusammengeschlagen und traumatisierende physische und psychische Gewalt durchmachen musste.

Damals, als ich gemeinsam mit anderen in Berlin zum ersten Mal auf die Straße ging, da hatte ich noch nie etwas vom LSVD – in dem Falle – in Berlin gehört. Je mehr ich vom LSVD erfuhr, desto mehr fragte ich mich, warum ich ihre Arbeit nicht schon früher mitbekam. Anstatt mich und meine Interessen und meine Prioritäten zu hinterfragen, habe ich vollmundig unterstellt und lautstark kritisiert, dass der LSVD angeblich nichts tue, sich angeblich nicht kümmern würde und vor allem, dass der LSVD angeblich unsichtbar, unhörbar sei. Dass der LSVD den Anschluss an die Community verloren hätte.

Meine Beschwerden brachten mich schließlich in den LSVD – denn vor zwei Jahren wurde ich dann eingeladen, meine Kritik konstruktiv einzusetzen und im Bundesvorstand einzubringen. Und wissen Sie was: Ich bin fassungslos, denn ich war so dumm. Je mehr ich in die Arbeit eingestiegen bin, je mehr ich die harte und engagierte und wichtige Arbeit unserer Landesverbände vor Ort in der Fläche mitkriege, desto mehr schäme ich mich. Und ich kann für meine unberechtigte Kritik wirklich nur um Entschuldigung bitten.

Denn das, was unsere Landesverbände des LSVD tun, dass was gerade Barbara und Wolfgang – und das nur zu zweit - seit Jahren tun, ist ein großartiger Dienst an unsere Community. Ohne Menschen wie Barbara und Wolfgang, ohne die vielen Leute, die sich ehrenamtlich, die sich oft selbstlos für unsere Community einsetzen, sähe unsere Welt viel grauer und trister aus, ohne Euch würde unser Regenbogen nicht so strahlend leuchten.

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Liebe Barbara, lieber Wolfgang, als Vorstandsteam seid ihr seit 2008 zum Gesicht des LSVD Hamburg geworden. Zuvor, also bis 2007 war der Verein mal mehr, mal weniger aktiv – einige Jahre sogar vorstandslos. In 2008 hat man Euch zu Eurer Wahl also mehr oder weniger überreden müssen. Was ja verständlich ist, denn die Aufgabe, vor der Ihr standet, also dem LSVD Hamburg neues Leben einzuhauchen war dann ein ziemlicher Kraftakt. Von Anfang an habt ihr viel Zeit und Energie aufwenden müssen, um Vertrauen in der Community aufzubauen und um Euch zu vernetzen. Ihr habt Euch in die Politik des Senats eingemischt und Ihr seid kontinuierlich mit allen demokratischen Parteien im guten Austausch.

Was ich persönlich auch ganz großartig finde: Seit Jahren führt Ihr im Rahmen der Städtepartnerschaft Hamburg – St. Petersburg bilaterale Menschenrechtsprojekte für queere Menschen im Bereich der Jugendarbeit durch. Und wer eventuell gedacht hat, dass das nur eine logistische Aufgabe ist, dem sei gesagt, dass die russische Regierung sehr darin geübt ist, auf dem Weg zu solchen Kooperationen alle möglichen Steine in den Weg zu legen. Nur dank Eurer Beharrlichkeit, nur dank der Unterstützung der Hamburger Politik, der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch und vor allem dank der Hamburger Community und dem Auswärtigen Amt konntet Ihr Euer Fachkräfteaustausch und die Jugendbegegnungsmaßnahmen wie geplant jährlich durchführen.

Das was Ihr tut, das was Ihr leistet, ist von unschätzbarem Wert – gerade in St. Petersburg, gerade für die russischen Organisationen und Projekte „Coming Out St. Petersburg“, „Side by Side“ und „T-Action“. Denn Putin hat es nicht bei seiner Anti-Homo-Propaganda-Gesetze belassen - seine Angriffe auf Freiheit und Menschenrechte wollen nicht enden. Ständig kommen neue krude Ideen auf die Agenda – wissen Sie noch? Agentengesetz, Medienkontrolle, Anschläge auf Menschenrechtsverteidiger und Minderheiten, staatliche Repressionen und die konstant steigende Gewalt gegen Aktivist*innen, die sich für unsere Community einsetzen. Schikanen und Behinderungen – sie gehören in Russland leider zum Alltag.

Eure Solidarität, Eure Arbeit ist gerade in Russland unendlich wichtig. Denn sie ermutigt, sie umarmt, sie tröstet und sie stützt die Menschen, die Community vor Ort.

Seit nunmehr 12 Jahren, als seit 2009 organisiert Ihr jedes Jahr am 17. Mai den Rainbowflash. Zum IDAHOBIT lasst Ihr bunte Luftballons gen Himmel steigen, eine Aktion, die weit über Hamburgs Stadtgrenzen hinaus bekannt ist, und mit der Ihr ein deutliches Zeichen für Menschenrechte am Internationalen Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie setzt. Was für eine berührende Aktion, wer das schon mal erlebt hat, kennt dieses Gefühl der Gänsehaut, welches sich auf der eigenen Haut bemerkbar macht.

Eine Aktion, die daran erinnert, dass überall auf der Welt Menschen aufgrund ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität diskriminiert, misshandelt, vergewaltigt, gefoltert und leider auch ermordet werden.

Wenn wir zurückschauen, dann muss ich feststellen: Das, was Ihr bisher geleistet habt, wurde zu Recht preisverdächtig. 2012 habt Ihr für Euer Engagement beim IDAHOBIT den Demokratiepreis erhalten, mit dem das Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt vorbildliche Projekte auszeichnet. Für Eure Arbeit habt Ihr den PRIDE AWARD 2014 erhalten, mit dem der Hamburg Pride e. V. Menschen ehrt, die sich um das queere Leben in Hamburg verdient gemacht haben und mit ihrem Tun vorbildhaft in die Stadtgesellschaft hineinwirken.

Und ja, gleichgeschlechtliche Paare dürfen in Deutschland mittlerweile heiraten. Dafür hat der LSVD, dafür habt auch Ihr hart gekämpft. Doch die Liste an Aufgaben, die auf Euch, die auf uns warten, ist lang. Wir müssen LSBTI-Feindlichkeit konsequent entgegentreten. Und es wichtig und richtig, dass Ihr die Fortschreibung und Ausfinanzierung des „Aktionsplan für Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt“ fordert. Lesbische Sichtbarkeit muss dabei stärker berücksichtigt und unterstützt werden. Und, da ich immer wieder von unserer Community lerne, wir brauchen nicht von lesbischer Sichtbarkeit zu sprechen, wenn wir nicht auch immer lesbische Teilhabe mitdenken und mit angehen. Dieses Thema müssen wir in Zukunft für unsere lesbische Community noch stärker in den Fokus unserer Arbeit nehmen. Und der Schutz für queere Geflüchtete und eine LSBTI-inklusive Integration müssen jetzt endlich gewährleistet werden.

Und wir müssen uns jetzt noch intensiver mit der geschlechter- und diversitätsgerechten Gesundheitsversorgung beschäftigen und wir müssen die Akzeptanz von Vielfalt in allen Lebensaltern gewährleisten. Und wir müssen gerade nach Corona um das Überleben unserer queeren Orte und Institutionen bangen.

Corona hat mit uns allen was gemacht. Wie sehr haben wir die Nachmittage im queeren Café und die Abende im Club und auch die Stammtische vermisst. Weil es dort nicht nur ums Feiern geht. Sondern auch darum, mit Menschen Zeit zu verbringen, die die eigenen Erfahrungen teilen. Die einem helfen können, zu verstehen, was man da eigentlich fühlt. Die einem Bücher empfehlen und Begriffe erklären. Die einen, wenn man neu dazu stößt, bestärken, dass man richtig ist, wo und wie man ist.

Euer Hamburg hat Euch viel zu verdanken, denn durch Eure vielen Initiativen und Forderungen wurden viele gute Maßnahmen auf den Weg gebracht. Doch, wie sagt Ihr so schön: Es hapert noch an der Umsetzung. Das betrifft nicht nur die Finanzierung, sondern auch die konkrete Sensibilität in Behörden. Da ist also noch viel zu tun. Und wir beim Bundesverband sind stolz, denn wir wissen, dass wir uns auf Eure konstruktive Beharrlichkeit und Eure sensationelle Arbeit weiter verlassen können. Von Herzen, vielen, vielen Dank für alles. Danke für all Eure Arbeit mit und für unsere Leute in St. Petersburg. Danke für alles, was Ihr für uns alle, für unsere Community, für all die queeren Kids tut.

Lang lebe der LSVD Hamburg, viva Barbara und Wolfgang!

(es gilt das gesprochene Wort)