Das Selbstbestimmungsgesetz: Antworten zur Abschaffung des Transsexuellengesetzes (TSG) & §45B Personenstandsgesetz
Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Selbstbestimmungsgesetz
In diesem Beitrag beantworten wir die wichtigsten Fragen zum Selbstbestimmungs-Gesetz bzw. zur Abschaffung des Transsexuellengesetzes (TSG). Einige Abschnitte stammen aus der Broschüre "Soll Geschlecht jetzt abgeschafft werden? 12 Fragen und Antworten zu Selbstbestimmungsgesetz und Transgeschlechtlichkeit", die wir zusammen mit dem Bundesverband Trans* veröffentlicht haben. Die Broschüre kann kostenfrei unter lsvd@lsvd.de bestellt werden.
Alle Infos zur Umsetzung des SBGG - inklusive Leitfaden für Personen, die den SBGG-Prozess durchlaufen wollen auf der neuen Website: sbgg.info – Informationsseite mit Anwendungshinweisen zum Selbstbestimmungsgesetz (SBGG)
Bei transgeschlechtlichen bzw. trans* Personen stimmt ihr gelebtes Geschlecht bzw. ihre Geschlechtsidentität nicht mit dem ihnen bei der Geburt im Personenstand eingetragenen Geschlecht überein. Mitunter wird auch der Begriff „Transsexualität“ verwendet. Viele Menschen finden, dass der Begriff „Transsexualität“ irreführend und falsch ist. Denn es geht nicht um Sexualität, sondern um Geschlecht. Daher verwenden auch wir die Begriffe "transgeschlechtlich" oder "trans*". Kurze Erläuterungen weiterer Begriffe finden sich im Glossar. Hier finden sich Informationen zum Thema trans* Identiät und Selbstbestimmungsgesetz in leichter Sprache. Dieser Beitrag beschäftigt sich ausschließlich mit dem Selbstbestimmungs-Gesetz. Antworten zum Thema Trans" geben wir in dem Beitrag "Trans*: Hype der Gender-Ideologie und Gefahr für Kinder und Jugendliche?"
Seit vielen Jahren warten trans* Menschen auf eine Reform bzw. die Abschaffung des sogenannten Transsexuellen-Gesetzes (TSG). Das TSG definiert, wie eine Person den Geschlechts-Eintrag im Personenstand ändern kann. In Deutschland gibt es beim Geschlechts-Eintrag vier Möglichkeiten: Es gibt die drei Optionen "männlich", "weiblich" und "divers". Außerdem kann der Geschlechts-Eintrag auch offen gelassen werden.
Am 12.4.24 wurde das Selbstbestimmungsgesetz durch den Bundestag verabschiedet
Immer wieder hatte das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass die im Transsexuellen-Gesetz (TSG) gestellten Bedingungen gegen Grundrechte verstoßen. Aber: Noch immer müssen trans* Menschen ein demütigendes und langwieriges gerichtliches Verfahren mit zwei Begutachtungen überstehen, die sie auch noch selbst bezahlen müssen. Das Selbstbestimmungs-Gesetz möchte das ändern und soll zum 1. November 2024 in Kraft treten. Das Gesetz soll es trans* Menschen einfacher machen und ihre Grund- und Menschenrechte schützen. 372 Parlamentarier*innen stimmten dafür, 251 dagegen. Es gab elf Enthaltungen.
Hier finden sich Informationen zum Thema trans* Identiät und Selbstbestimmungsgesetz in leichter Sprache.
Inhaltsverzeichnis
- Aktueller Stand
1.1. Wann kommt das Selbstbestimmungs-Gesetz?
1.2. Was ist das Selbstbestimmungs-Gesetz? Was verbessert sich?
1.3. Was wird weiterhin am SBGG kritisiert?
1.4. Welche Länder haben ein Selbstbestimmungs-Gesetz?
1.5. FAQ: Häufig gestellte Fragen zum Selbstbestimmungsgesetz - Welche Gesetze galten bisher zur Änderung des Geschlechtseintrags und Vornamens für trans*, inter* und nicht-binäre Personen?
2.1. Was ist das Transsexuellen-Gesetz (TSG)? Was ist die Kritik daran (am TSG)?
2.2. Anpassung durch §45b Personenstandsgesetz für intergeschlechtliche Menschen - Der lange Weg zur Selbstbestimmung
3.1. Entwicklung während der Bundesregierung aus SPD, GRÜNE, FDP in der 20. Legislatur
3.2. 2021: Das Selbstbestimmungs-Gesetz im Bundestag: Ergebnis der Abstimmungen vom 19. Mai
3.3. 2017: Bundesrat plädierte für ein Selbstbestimmungs-Gesetz
3.4. 2005/2011: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Selbstbestimmungsgesetz - Positionen
4.1. Wie stehen die Parteien zu einem Selbstbestimmungs-Gesetz?
4.2. Welche Organisationen unterstützen die Rechte von trans* und inter* Personen und ein Selbstbestimmungs-Gesetz? - Fußnoten
1. Aktueller Stand
1.1. Wann kommt das Selbstbestimmungs-Gesetz?
Für den LSVD ist die Reform des Transsexuellen-Rechts seit Jahrzehnten überfällig. Wir forderten, dass das Selbstbestimmungs-Gesetz schnell auf den Weg gebracht wird. Die Verwirklichung der Menschenrechte für trans- und intergeschlechtliche Menschen duldete keinen Aufschub mehr. Deshalb begrüßte der LSVD die Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes am 12.4.24 im Bundestag deutlich: Nach vierzig Jahren Diskriminierung durch das „Transsexuellengesetz“ und §45b Personenstandgesetz hat sich der Gesetzgeber am 12.4.24 endlich für eine Paradigmenwechsel hin zu geschlechtlicher Selbstbestimmung entschieden. Nun werden trans*, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen bei der Änderung ihres Vornamens und Geschlechtseintrags endlich nicht mehr fremdbegutachtet und als krank betrachtet. Dazu in der Pressemitteilung:
"Obwohl das verabschiedete Gesetz nicht perfekt ist, war diese Bekräftigung von Menschenrechten längst überfällig. Heute ist ein historischer Tag, denn ein großer Schritt zur Gleichberechtigung einiger Menschen bedeutet einen Erfolg für die gesamte Demokratie." - Julia Monro aus dem LSVD- Bundesvorstand
Obwohl die Bundesregierung immer wieder betonte, dass das Selbstbestimmungsgesetz eines der queerpolitischen Anliegen für diese Legislatur sei, soll das verabschiedete Gesetz erst zum 1. November 2024 in Kraft treten. Bereits seit 1. August kann die erforderliche dreimonatige Anmeldung beim Standesamt erfolgen, sodass erste Vornamens- und Geschlechtseintragsänderungen auch ab 1. November 2024 möglich sind. Damit schafft der Gesetzgeber erstmals auf Eigeninitiative eine rechtliche Verbesserung für trans*, inter* und nicht-binäre Menschen, ohne vorher vom Bundesverfassungsgericht dazu aufgefordert worden zu sein. Zudem gibt es eine rechtliche Vereinheitlichung der Anpassung von Vorname und Gechlechtseintrag für alle Geschlechter; davor unterschied sich der Weg für intergeschlechtliche Menschen - für sie galt §45b Personenstandgesetz - und für trans* und nicht-binäre Menschen - für sie galt das sogenannte Transsexuellengesetz.
Der Lesben- und Schwulenverband fordert seit vielen Jahren eine Reform des Transsexuellen-Rechts. Wir schreiben in unserem Programm von 2018 dazu:
„Wir streiten für eine menschenrechtsorientierte Reform des Transsexuellenrechts, die die Selbstbestimmung in den Mittelpunkt stellt. Dabei gilt es, das TSG als Sondergesetz aufzuheben und notwendige Regelungen in bestehendes Recht zu integrieren. Leitbild muss die persönliche Freiheit sein und nicht eine überkommene Ordnungsvorstellung über Geschlechtszugehörigkeit. Die tatsächliche Vielfalt der geschlechtlichen Identitäten muss akzeptiert werden.
Insbesondere muss künftig die Vornamens- und Personenstandsänderung allein auf Antrag beim Standesamt ermöglicht werden, ohne Gutachten, ärztliche Atteste oder Gerichtsverfahren. Das Offenbarungsverbot hinsichtlich des früheren Vornamens oder Personenstandes muss gestärkt und Verstöße müssen wirksam sanktioniert werden. Es braucht einen gesetzlichen Anspruch auf Neuausstellung (als Original) von Zeugnissen und Arbeitsdokumenten bei Namens- bzw. Personenstandsänderung.“
Bereits in dem LSVD-Programm von 2010 hieß es dazu:
„Das Transsexuellengesetz setzt Menschen, die ihre Vornamen oder die Geschlechtszugehörigkeit verändern wollen, immer noch demütigenden und langwierigen bürokratischen Verfahren aus. Transgender und transsexuelle Menschen müssen das Recht haben, ihre Lebensweise selbst zu bestimmen, bei der Ausgestaltung ihrer Geschlechtsidentität wie auch bei ihrer Partnerwahl. Wir setzen uns daher für eine grundlegende Reform des Transsexuellenrechts ein. Leitbild muss die persönliche Freiheit sein, nicht eine antiquierte Ordnungsvorstellung über Geschlechtszugehörigkeit. Die tatsächliche Vielfalt der Identitäten muss akzeptiert werden.“
Mehr zum Thema Nicht-Binarität im Überblicks-Artikel.
1.2. Was ist das Selbstbestimmungs-Gesetz? Was verbessert sich?
Das 40 Jahre alte Transsexuellen-Gesetz wollte die Koalition weder reformieren oder verändern, sondern ganz durch das Selbstbestimmungs-Gesetz ersetzen. Die rechtliche Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags im Personenstand soll zukünftig durch Selbstauskunft beim Standesamt möglich sein. Bisher war dafür ein Verfahren bei einem Gericht notwendig.
Für eine rechtliche Änderung des Geschlechtseintrags soll zukünftig die Selbstauskunft der Person ausreichen. Bislang bestimmen Richter*innen und Gutachter*innen über trans* Personen. Sie entscheiden, ob der Vorname und Geschlechtseintrag geändert werden darf. Für das Gerichtsverfahren müssen trans* Personen zwei Gutachten vorlegen, die ihnen bescheinigen, wirklich trans* zu sein. Diese Gutachten werden am Ende eines langwierigen und demütigenden Begutachtung erstellt. Die Kosten von durchschnittlich knapp 2.000,-€ für dieses Gerichtsverfahren müssen die betroffenen Personen in der Regel selbst bezahlen.
1.3. Was wird weiterhin am Selbstbestimmungsgesetz kritisiert?
Trotz der deutlichen Fortschritte und des rechtlichen Paradigmenwechsels kritisierte der LSVD im gesamten Prozess, dass sich sowohl in die Gesetzesbegründung, als auch in einzelne Regelungen, diskriminierende und misstrauische Haltungen insbesondere gegenüber trans* Frauen wiederfinden. Diese sind wahrscheinlich auf die massive Desinformations- und Dämonisierungskampagne zurückzuführen, die sich seit der Vorstellung des Eckpunktepapiers zum Selbstbestimmungsgesetz im Juni 2022 entfaltet hat.
Im Einzelnen bleibt die Kritik an folgenden Regelungen bestehen:
- § 1 SBGG Anwendungsbereich: Das Recht auf selbstbestimmte Änderung von Geschlechtseintrag und Vornamen gilt für jede Person und darf nicht vom Aufenthaltsstatus abhängig gemacht werden. Für geflüchtete trans* und intergeschlechtliche Personen im laufenden Asylverfahren ist die Möglichkeit des selbstbestimmten Geschlechtseintrages von enormer Bedeutung. Hier wurde zwar die Gesetzesbegründung ergänzt, rechtssicherer wäre aber eine Klarstellung im Gesetzestext. Weiterhin unklar ist die Rechtslage für staatenlose Personen.
- § 2 Abs. 3 SBGG Erklärungen zum Geschlechtseintrag und den Vornamen: Anders als noch nach dem TSG ist es nun nicht mehr möglich, nur den Vornamen anzupassen und den Geschlechtseintrag nicht mitzuändern. Für diese Einschränkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung gibt es keine hinreichende Begründung. Sie wird der Vielfalt geschlechtlicher Identitäten und der Lebensrealität queerer Personen nicht gerecht. So kann z.B. eine nicht-binäre Person einen geschlechtsneutralen Vornamen tragen, aufgrund von Angst vor Diskriminierungserfahrungen u.a. im Gesundheitswesen jedoch ihren bisherigen Geschlechtseintrag behalten wollen.
Klarstellend ist darauf hinzuweisen, dass die Standesämter keinerlei Prüfkompetenz im Hinblick auf die Erklärung einer Person haben. Die Selbstauskunft allein zählt. - § 3 Erklärungen von Minderjährigen und Personen mit Betreuer: Minderjährige ab 14 Jahren können die Erklärung vor dem Standesamt nur mit Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter*innen abgeben. Stimmen sie nicht zu, kann die Einwilligung durch das Familiengericht ersetzt werden. Dieses gerichtliche Verfahren darf nicht zur Wiedereinführung eines TSG-Verfahrens für Minderjährige führen, bei dem es auf gerichtlich bestellte Sachverständige und nicht auf die Selbstauskunft der Betroffenen ankommt.
Gleiches gilt für die minderjährigen Personen vorgeschriebene Abgabe einer Erklärung, Beratung in Anspruch genommen zu haben. Das Gesetz sieht keine Beratungspflicht vor. Es ist darauf zu achten, dass die Vorschrift in der Praxis nicht zu einer Begutachtung „durch die Hintertür“ führt.
Bei unter 14-jährigen können nur die gesetzlichen Vertreter*innen die Erklärung abgeben, die Minderjährigen müssen jedoch einverstanden sein.
Der LSVD kritisiert die starren Altersgrenzen und die Zustimmungspflicht der gesetzlichen Vertreter*innen. Kinder und Jugendliche wissen am besten über ihre Geschlechtsidentität Bescheid, ihre Selbstbestimmung sollte in jedem Alter gewahrt werden. Bei der Änderung des Geschlechtseintrags sollte es auf die individuelle Einsichtsfähigkeit ankommen.
Für eine geschäftsunfähige volljährige Person, für die in dieser Angelegenheit eine gesetzliche Betreuung bestellt ist, kann nur diese die Erklärung abgeben. Das ist zu kritisieren: Die eigene geschlechtliche Zugehörigkeit ist höchstpersönlich. - § 4 Anmeldung beim Standesamt: Vor Abgabe der Erklärung vor dem Standesamt besteht eine dreimonatige Anmeldefrist. Diese Einschränkung greift in das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung ein und ist nicht hinreichend begründet.
Damit rechtzeitig zum 01.11.2024 eine Erklärung vor dem Standesamt abgeben werden, tritt diese Regelung schon am 01.08.2024 in Kraft. - § 5 Sperrfrist: Wer nach dem SBGG seinen Geschlechtseintrag ändert, kann eine erneute Änderung frühestens nach einem Jahr vornehmen. Auch diese Einschränkung ist nicht hinreichend begründet und unverhältnismäßig.
- § 6 Wirkungen der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen:
Der Hinweis auf das Hausrecht und die Vertragsfreiheit in § 6 Abs. 2 SBGG suggeriert, dass das Selbstbestimmungsgesetz die bestehende Rechtslage ändert und lädt zu Diskriminierungen insbesondere von trans Frauen beim Zugang zu geschlechtsspezifischen Räumen ein. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet, kann im Übrigen nicht ausgeschlossen werden - § 9 Zuordnung zum männlichen Geschlecht im Spannungs- und Verteidigungsfall: Die Aufnahme einer Regelung, dass Personenstandsänderungen kurz vor einem Spannungs- oder Verteidigungsfall nicht anerkannt werden, spiegelt den Fokus auf etwaigen Missbrauch durch das Gesetz wieder.
- § 11 Eltern-Kind-Verhältnis: Die Regelungen greifen der Reform des Abstammungsrechts in Teilen vorweg, in dem die zweite Elternstelle unnötigerweise „vermännlicht“ wird. Zumindest wurde eine Wahlmöglichkeit für Personen eingefügt, denen bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde.
- § 13 Offenbarungsverbot: Zum ersten Mal ist es nach SBGG möglich, bei Offenbarung und Ausforschung der Transgeschlechtlichkeit einer Person mit auch ein Bußgeld zu verhängen. Dies gilt auch für Familienangehörige, wenn sie in Schädigungsabsicht handeln. Eine hinreichende Sanktionierung von „Deadnaming“ und „Misgendering“ steht weiterhin aus.
- Wir begrüßen es sehr, dass der Gesetzgeber die kritische Stelle im Kabinettsentwurf zur Datenweitergabe an Sicherheitsbehörden, die die Selbstvertretungen und auch der Bundesdatenschutzbeauftragte ablehnten, gestrichen hat.
- Passgesetz: Nur nicht-binäre Personen, die eine ärztliche Bescheinigung vorlegen können, sollen einen Reisepass mit binärem Geschlechtseintrag ausgestellt bekommen, um in bestimmte Länder auch nach Anpassung mittels SBGG reisen zu können. Dadurch wird eine Attestpflicht durch die Hintertür und eine Unterscheidung aufrechterhalten, die wir als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts werten.
Diese noch vorhandenen Schwachstellen des Gesetzes gilt es nun auf dem Rechtsweg und durch rechtspolitische Arbeit anzugehen und zu beseitigen.
1.4. Welche Länder haben ein Selbstbestimmungs-Gesetz?
Argentinien, Malta, Dänemark, Luxemburg, Belgien, Irland, Portugal, Island, Neuseeland, Norwegen, Uruguay, Spanien, Finnland, Schweiz, Brasilien, Kolumbien und Ecuador respektieren in entsprechenden Gesetzen die Grundrechte und Selbstbestimmung von trans* Personen bei der Änderung des Geschlechtseintrags. Auch Deutschland soll ab 1. November ein Selbstbestimmungsgesetz haben.
Am 17.04.2024 hat das schwedische Parlament das Verfahren zur rechtlichen Anerkennung des Geschlechts vereinfacht. Das aktualisierte Gesetz bedeutet, dass trans* Menschen ihre Geschlechtskennzeichnung in offiziellen Dokumenten leichter ändern können und keine medizinische Diagnose mehr benötigen. Allerdings basiert das aktualisierte Gesetz nicht auf dem Selbstbestimmungsrecht, und trans* Personen benötigen weiterhin ein ärztliches Attest, um ihr rechtliches Geschlecht zu ändern.
Länder mit einem Selbstbestimmungs-Gesetz berichten von keinem steilen Anstieg willkürlicher mehrmaliger Änderungen des Geschlechtseintrags. Das große „Geschlechterchaos“ ist dort nicht ausgebrochen. Die Regelungen werden von trans*, inter* und nicht-binären Personen einmalig genutzt. Mehrmalige Änderungen gehen gegen Null, selbst in Ländern, die bereits vor 10 Jahren ein Selbstbestimmungs-Gesetz eingeführt haben. Das zeigt: Trans* Personen ändern den Geschlechts-Eintrag nicht „aus einer Schnapslaune heraus“. Auch bei einer selbstbestimmten Regelung treffen trans* Personen eine bewusste, ernsthafte und wohlüberlegte Entscheidung.
1.5. FAQ: Häufig gestellte Fragen zum Selbstbestimmungsgesetz
In der Medizin, der Biologie oder in den Sozialwissenschaften - aus wissenschaftlicher Sicht ist die Vorstellung einer „natürlichen“ Zwei-Geschlechtlichkeit inzwischen widerlegt. Aus der Biologie wissen wir, dass mehr als 1.000 Gene bei der Entwicklung der Genitalien beteiligt sind (1). Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie beschreibt Geschlecht in einer Stellungnahme als ein „mehrdimensionales Konstrukt, dessen Entwicklung durch das komplexe Zusammenspiel verschiedener körperlicher, psychosozialer und psychosexueller Einflussfaktoren bedingt“ sei (2). Das zeigt: Geschlecht ist vielfältiger und nicht allein über biologische Merkmale zu bestimmen.
Anders als mitunter behauptet, geht es trans* Personen weder darum, Geschlecht abzuschaffen, noch Biologie oder Körper zu negieren. Die Existenz von trans* Personen zeigt aber, dass bestimmte als Geschlechts-Merkmale definierte körperliche Merkmale nicht automatisch zu einer bestimmten Geschlechts-Identität und damit Geschlechts-Zugehörigkeit führen müssen.
Die leider noch weit verbreitete falsche Vorstellung, dass allein Genitalien das Geschlecht bestimmen, führt dazu, dass die Existenz von trans* Personen geleugnet oder abgelehnt wird. Statt die Definition von Geschlecht zu hinterfragen, gelten trans* Personen in dieser Vorstellung als „krank“ oder ihnen wird schlicht nicht geglaubt. Dadurch stehen sie unter einem hohen Druck, ihre Geschlechts-Identität zu beweisen und zu erklären. Ihnen wird vielfach die Transition verweigert, weil Personen, die nicht trans* sind, die geschlechtliche Identität von trans* Personen einfach nicht überzeugend genug finden. Selbst nach erfolgter Transition werden trans* Personen oft weiterhin angezweifelt und gelten als „unecht“.
Gibt es Vorteile durch einen Wechsel des Geschlechtseintrags?
In Diskussionen um das Selbstbestimmungs-Gesetz wird regelmäßig behauptet, durch eine schnelle Änderung des Geschlechts-Eintrags könnten sich cis Männer Vorteile erschleichen. Es werden Szenarien beschrieben, in denen cis Männer sich einfach „zur Frau erklären“, um über Gleichstellungs-Quoten in den Aufsichtsrat einzuziehen oder einen Vorstands-Posten zu erhalten, um auf Wahl-Listen nominiert zu werden oder als Frau im Sport antreten zu können. Dabei wird ausgeblendet, dass jene cis Männer dann nicht automatisch den Posten erhalten, sondern sich weiterhin gegen Mitbewerber*innen durchsetzen müssen.
Trans* Personen entstehen nach einem Coming-out in vielen Lebensbereichen Nachteile. Insbesondere trans* Frauen sind von massiver Diskriminierung am Arbeitsmarkt betroffen. Das belegen aktuelle Studien im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) (8) oder des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) (9).
Viele verlieren nach dem Coming-out ihren Job, weil sie unter fadenscheinigen Gründen gekündigt werden. Andere entscheiden wegen andauerndem Mobbing und Beleidigung selbst, den Arbeitsplatz aufzugeben. Daher ist leider auch die Arbeitslosenquote unter trans* Personen und erneut vor allem unter trans* Frauen besonders hoch (10).
Auch in der Politik kann von einer Bevorteilung von trans* Personen nicht die Rede sein. In Deutschland gab und gibt es keine trans* Person, die jemals einen einflussreichen politischen Posten wie Minster*in, Minister-Präsident*in oder gar Bundes-Kanzler*in bekleidet hätte.
Zuletzt wird gerne argumentiert, dass cis Männer im Sport eine Änderung des amtlichen Geschlechts-Eintrags für ihren persönlichen Vorteil missbrauchen könnten. Über die Teilnahme an Sport-Veranstaltungen bestimmt aber nicht die Politik, sondern die Sport-Verbände. Ein Selbstbestimmungs-Gesetz hätte somit keinen Einfluss darauf, wer bei der nächsten Fußball-WM der Frauen mitspielt oder die nächste Weltmeisterin im Gewichtheben wird.
Sind durch ein Selbstbestimmungs-Gesetz Frauen mehr Gewalt ausgesetzt?
Keine Frau sollte Gewalt erfahren oder befürchten müssen. Alle Formen von Gewalt gegen Frauen müssen konsequent verhindert und strafrechtlich verfolgt werden. Die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen hat jedoch nichts mit dem Selbstbestimmungs-Gesetz zu tun.
In der Debatte um ein solches Gesetz kommt dennoch wiederholt die Sorge auf, cis Frauen würden dadurch Schutzräume verlieren.
Ein Selbstbestimmungs-Gesetz regelt, wie der Vorname und Geschlechtseintrag geändert werden kann. Es hat keine Auswirkung auf das Strafrecht. Alles, was vorher als Gewalt-Ausübung strafbar war, wird strafbar bleiben.
Es ist wichtig, alle Frauen vor Gewalt zu schützen, unabhängig davon, ob sie lesbisch, bisexuell, heterosexuell, trans*, inter* oder cis sind. Dies erkennt auch die Istanbul-Konvention (11) an, die Deutschland 2017 ratifizierte. In diesem Abkommen wird deutlich, dass beim Abbau von geschlechtsspezifischer Gewalt Gruppen nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, sondern alle betroffenen Gruppen mitgedacht werden müssen.
Cis Frauen erfahren vor allem Gewalt durch cis-männliche (Ex-)Partner. Das belegen die jährlich veröffentlichen Statistiken des Bundes-Kriminalamts deutlich (12). Gerade für diese cis Frauen sind Schutzräume wie z.B. Frauen-Häuser besonders wichtig. Wenn eine Frau Gewalt erfahren hat und zu Hause nicht mehr sicher ist, entscheiden Mitarbeiter*innen der Schutzräume vor Ort, ob diese Person aufgenommen werden kann oder nicht. Auch cis Frauen erhalten nach Gewalt-Erfahrung nicht automatisch Zugang zu Frauenhäusern.
Trotz fehlender Berichte aus Ländern mit einem Selbstbestimmungs-Gesetz wird wiederholt behauptet, dass solch ein Gesetz in Deutschland cis Frauen gefährden würde, die nach häuslicher oder sexualisierter Gewalt entsprechende Schutzräume aufsuchen. Pauschal wird unterstellt, dass die Gewalt, die von cis Männern ausgehen kann, gleichermaßen von trans* Frauen ausgehen könnte.
Dieser Generalverdacht hat viele negative Konsequenzen für trans* Frauen: Ihr ebenfalls hohes Risiko Gewalt zu erfahren, wird verkannt (13). Die positiven Erfahrungen von Schutzräumen, in denen bereits trans* Frauen aufgenommen wurden, werden ignoriert. Andere Unterstützungs-Strukturen schrecken oftmals davor zurück, sich für trans* Frauen mit Gewalt-Erfahrung zu öffnen und weisen diese bis heute ab.
Über das Selbstbestimmungs-Gesetz wird auch diskutiert, wenn es um die Nutzung von Toiletten oder Umkleiden geht. Doch auch hier wird das Gesetz nichts verändern. Vor Toiletten oder Umkleiden finden aktuell und in Zukunft keine Ausweis-Kontrollen statt.
Wenn sich cis Männer dort ungerechtfertigt Zutritt verschaffen wollen, um Gewalt auszuüben, ist das auch jetzt und ohne Änderung des Geschlechts-Eintrags möglich. Dass eine Person extra den Geschlechts-Eintrag ändert, nur um eine Toilette oder Umkleide zu betreten, ist abwegig.
Ein geänderter Geschlechts-Eintrag schützt auch hier nicht vor Strafverfolgung. Wer sich übergriffig und gewalttätig verhält, begeht eine Straftat, unabhängig davon, ob der Geschlechts-Eintrag weiblich, männlich, divers oder offen ist.
In der Broschüre "Soll Geschlecht jetzt abgeschafft werden?" erfährst du ausführlich, ob die Natur das Geschlecht festlegt, oder ob enge Geschlechter-Vorstellungen nur manchen oder allen Geschlechtern schaden.
2. Welche Gesetze galten bisher zur Änderung des Geschlechtseintrags und Vornamens für trans*, inter* und nicht-binäre Personen?
2.1. Was ist das Transsexuellen-Gesetz (TSG)? Was ist die Kritik daran?
Das Bundesverfassungsgericht hat 1978 entschieden, dass "transsexuelle" (trans*) Menschen rechtlich anerkannt werden müssen. Ihnen muss es möglich gemacht werden, ihr rechtliches Geschlecht und ihren Vornamen ändern zu lassen. Diese Entscheidung hat der Gesetzgeber durch das Transsexuellen-Gesetz (TSG) vom 10. September 1980 umgesetzt. Es ist das Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechts-Zugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz - TSG).
Im TSG wurde definiert, unter welchen Bedingungen trans* Menschen ihren Vornamen und Geschlechtseintrag ändern dürfen.
Dazu gehören bis heute:
- Gutachten von zwei Sachverständigen, "die auf Grund ihrer Ausbildung und ihrer beruflichen Erfahrung mit den besonderen Problemen des Transsexualismus ausreichend vertraut sind". Diese Gutachten müssen bestätigen, dass "sich nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft das Zugehörigkeitsempfinden des Antragstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird". (Paragraph 4, Absatz 3)
Zum anderen sitzen trans* Personen auch immer wieder „Sachverständigen“ gegenüber, die meinen, die geschlechtliche Identität ließe sich mithilfe von grenzüberschreitenden Fragen bestimmen. Diese Gutachter*innen versuchen, möglichst viele intime Details in der Begutachtung auszuforschen und schikanieren trans* Personen mit Fragen zu sexuellen Fantasien, ihrer Unterwäsche, Masturbationsverhalten und sonstigen sexuellen Praktiken.
Diese Fragen verletzen die Intimsphäre und die Grundrechte von trans* Personen. Keine Person sollte derart viel von sich preisgeben müssen, um in der eigenen geschlechtlichen Identität anerkannt zu werden.
Was trans* Personen darüber hinaus im TSG-Verfahren zusetzt, sind die hohen Kosten des Verfahrens. Laut einem Gutachten des Bundes-Familien-Ministeriums fallen im Schnitt 1.868,- € für die Änderung des Namens und Geschlechtseintrags nach TSG an (4). Diese Kosten müssen trans* Personen in der Regel selbst bezahlen.
2020 wurde das TSG durch einen Gerichts-Beschluss so erweitert, dass auch nicht-binäre trans* Personen ihren Geschlechts-Eintrag über das TSG ändern lassen können.
Im Transsexuellen-Gesetz (TSG) wurde bestimmt, unter welchen Bedingungen trans* Menschen ihren Vornamen und Geschlechtseintrag ändern dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat inzwischen die meisten Vorschriften des TSG für verfassungswidrig erklärt. Es hat geurteilt, dass diese Vorschriften massiv gegen die Grundrechte von trans* Personen verstoßen. Da viele Vorschriften bereits außer Kraft gesetzt sind, war es besser, ein neues Gesetz zur Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag einzuführen und das TSG nicht zu reformieren, sondern abzuschaffen.
Dadurch entschieden sich andere Menschen darüber, ob trans* Menschen ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag ändern dürfen. Trans* Menschen müssen heute ein Gerichtsverfahren durchlaufen. Sie mussten dafür der*m Richter*in zwei Gutachten von zwei Sachverständigen vorlegen, die ihnen bescheinigen, transgeschlechtlich zu sein und das sich das mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht ändern wird. Diese Sachverständigen mussten üblicherweise Mediziner*innen oder Therapeut*innen sein. Damit wurde Trans*geschlechtlichkeit weiterhin in den Bereich der Krankheit oder psychischen Störung gerückt, das heißt pathologisiert. Diese Gutachten standen am Ende eines demütigenden und monatelangen Begutachtungsprozess. Trans* Personen waren dabei von den Sachverständigen abhängig und müssen mitunter sehr intime und grenzüberschreitende Fragen beantworten.
Die Berliner Humboldt-Universität hat 2017 im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein Gutachten zum "Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen" erstellt. Auf Seite 11 und 12 werden die Gutachten folgendermaßen bewertet:
"Die Ergebnisse der hier durchgeführten sowie anderer Erhebungen zeichneten ein Bild der Begutachtungsverfahren, das in vielen Fällen von unverhältnismäßigem Zeit- und Kostenaufwand sowie von entwürdigenden und diskriminierenden Erfahrungen geprägt ist und somit die antragstellenden Personen in ihren Grundrechten verletzt. (...)
Die Begutachtung wird häufig als entwürdigend empfunden. Erwachsene berichten, dass intime Details aus der Kindheit und der sexuellen Vergangenheit abgefragt werden. Nach heute geltenden diagnostischen Kriterien sind aber weder die psychosexuelle Entwicklung in der Kindheit noch die sexuelle Orientierung ausschlaggebend für die Frage, ob aktuell eine transgeschlechtliche Identität besteht. Kleidung, die nicht den Geschlechterstereotypen der zu begutachtenden Geschlechtsidentität entspricht, wird nach den Berichten von transgeschlechtlichen Personen häufig kommentiert, Hobbys und Alltagsgestaltung auf ihre Übereinstimmung mit Geschlechterstereotypen geprüft.
Vonseiten der Begutachtenden selbst wird inzwischen verstärkt vertreten, die Begutachtungspflicht abzuschaffen. Die Begutachtung ergebe nur in unter 1% der Fälle eine Verneinung der nach § 4 TSG zu beantwortenden Frage nach einer höchstwahrscheinlich dauerhaft vorliegenden, seit drei Jahren bestehenden transsexuellen Prägung. Die Geschlechtsidentität eines Menschen könne ohnehin nicht fremdbegutachtet werden, die Begutachtung könne insofern nur wiedergeben, was der Mensch über sich selbst berichtet."
Das TSG sieht kein Mindestalter vor, ab dem eine trans* Person die Änderung ihres Vornamens und ihres Geschlechts-Eintrags beantragen kann.
Die bisherige Rechtslage ist durch Fremdbestimmung und Abhängigkeit geprägt. Von vielen trans* Personen wird das als sehr belastend erlebt. Während der Transition stehen die meisten trans* Personen bereits vor Schwierigkeiten. Ein Coming-out als trans* löst in der Familie, im sozialen Umfeld oder am Arbeitsplatz weiterhin oftmals Abwehr oder Unverständnis aus. Manche erleben das Coming-out und die Transition auch als eine vorübergehende Krise, weil sie plötzlich Trans*feindlichkeit erfahren und sich im Leben grundlegend neu orientieren müssen. Trans* Personen brauchen daher in dieser Zeit Unterstützung und keine zusätzlichen Gängelungen.
Wie kann ich durch meine Worte beweisen, dass ich mich wirklich weiblich, nichtbinär oder männlich identifiziere? Diese Frage ist für alle Personen schwer zu beantworten, egal ob cis oder trans*. Denn es gibt keinen anderen Beweis für die geschlechtliche Identität als die Auskunft der Person selbst. Viele trans* Personen sehen sich unter Druck, gesellschaftlich vorherrschende Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit erfüllen zu müssen. In den Begutachtungen treffen trans* Personen zum einen auf Gutachter*innen, die wissen, dass diese Befragungen überflüssig sind und die Gutachten in mehr als 99 % der Fälle der Selbstauskunft entsprechen (3).
Anstelle des TSG wird von Menschenrechts-Organisationen seit Langem die Einführung eines Selbstbestimmungs-Gesetzes gefordert (5).
2.2. Anpassung durch §45b Personenstandsgesetz für intergeschlechtliche Menschen
Intergeschlechtliche Menschen, also Menschen mit Variante der Geschlechtsentwicklung, können durch §45b Personenstandsgesetz eine Anpassung von Vornamen und Geschlechtseintrag vornehmen lassen. Dafür brauchen sie ein medizinisches Gutachten.
Erfahrungswerte aus Selbsthilfegruppen zeigen, dass die individuelle Geschlechtsidentität bei Personen mit VdG oft nicht mit der offiziellen Eintragung im Personenstandsregister übereinstimmt. Im Jahr 2013 wurde eine neue Möglichkeit geschaffen: Bei Neugeborenen mit einer bestätigten, körperlichen Variante der Geschlechtsentwicklung hatte der Geschlechtseintrag jetzt offen zu bleiben. Intergeschlechtlich geborene Erwachsene konnten ihren „falschen“ männlichen oder weiblichen Eintrag auf Antrag löschen lassen und der Geschlechtseintrag blieb ebenfalls offen.
Gegen diese Regelung hat eine intergeschlechtliche Person geklagt. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte am 10. Oktober 2017, dass ein positiver Eintrag für Personen ermöglicht werden muss, „die die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen“. Das Urteil verdeutlicht, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Artikel 2, Absatz 1 des Grundgesetzes auch die geschlechtliche Identität schützt. Das umfasst die Möglichkeit eines positiven Eintrags im Personenstandsrecht. Der rechtliche Rahmen für die Erfassung von Geschlecht musste neu geregelt werden.
Im Zuge des Gesetzgebungsprozesses fand eine Evaluierung der Meinung von intergeschlechtlichen Menschen zu den Möglichkeiten im Personenstandsregister statt. Eine Befragung von Menschen mit VdG in Deutschland aus dem Jahr 2018 zeigt, dass sich 17,4 Prozent der befragten Personen für einen offenen Geschlechtseintrag entschieden hatten, 56,5 Prozent waren als weiblich und 26,1 Prozent als männlich registriert. Die Mehrheit der Personen gab außerdem an, über eine Berichtigung des Personenstands nachzudenken. (14)
Seit dem 01. Januar 2019 gibt es für Menschen mit VdG mit „divers“ eine weitere, positive Möglichkeit im Personenstandsgesetz. Intergeschlechtliche Menschen können nun zwischen „divers“, männlich, weiblich oder einem offenen Personenstand wählen. Die Regelung erhöht die Sichtbarkeit von Menschen mit VdG in der Gesellschaft. Bei Stellenausschreibungen werden jetzt in der Regel drei Personenstände angegeben, nämlich m/w/d. Die Bedeutung dieser Abkürzung wurde allerdings bisher von der Politik nicht genau genug erklärt. Daher wird sie oft missverstanden. Menschen mit einem offenen Personenstand werden in Stellenausschreibungen weiterhin nicht berücksichtigt.
Wenn Menschen mit VdG ihren Eintrag im Personenstandsregister nicht in „divers“ ändern, kann das unterschiedliche Gründe haben:
- Weil eine diverse Geschlechtsidentität in der Breite der Gesellschaft nicht akzeptiert ist, befürchten Betroffene Nachteile und Ausgrenzung im Berufs- und Privatleben.
- Bei Menschen, die gerne reisen, besteht die Sorge, dass sie bei der Einreise in ein anderes Land Probleme bekommen, stigmatisiert werden oder gar nicht einreisen dürfen.
Die Änderung des Personenstandes ist mit Aufwand verbunden: Es muss eine ärztliche Bescheinigung ausgestellt und ein Antrag beim Standesamt gestellt werden.
Der Entschluss, seinen Geschlechtseintrag auf „divers“ zu ändern, ist eine sehr persönliche Entscheidung. Es ist allerdings auch nicht wichtig, wie viele Menschen in Deutschland einen Geschlechtseintrag haben, der nicht männlich oder weiblich ist. Wichtig ist, dass Menschen in Deutschland die Möglichkeit haben, sich selbst positiv zu bezeichnen, wenn sie eine diverse Geschlechtsidentität haben. Die staatliche und gesellschaftliche Herausforderung ist es nun, die verfassungsrechtlichen Feststellungen umzusetzen und die gleichberechtigte Teilhabe für Menschen mit VdG zu gewährleisten.
3. Der lange Weg zur Selbstbestimmung - Welche Schritte führten zur Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes?
3.1. Entwicklung während der Bundesregierung aus SPD, GRÜNE, FDP in der 20. Legislatur
Bereits im Wahlprogramm hatten sich alle drei Parteien für ein Selbstbestimmungs-Gesetz ausgesprochen. Laut dem Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grüne und FDP 2021 auf Folgendes geeinigt:
„Wir werden das Transsexuellengesetz abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Dazu gehören ein Verfahren beim Standesamt, das Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand grundsätzlich per Selbstauskunft möglich macht, ein erweitertes und sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot und eine Stärkung der Aufklärungs- und Beratungsangebote.“ (S. 119)
Der angekündigte Zeitplan zur Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes verschob sich immer wieder. Eckpunkte zum Selbstbestimmungsgesetz wurden im Juni 2022 von Bundesfamilienministerin Lisa Paus und Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann vorgestellt. Der Referent*innenentwurf wurde im Mai 2023 vorgelegt, wozu der LSVD ausfährlich Stellung bezog, und forderte, diskriminierende und gegenüber trans* Personen misstrauische Passagen zu streichen. Im August 2023 stimmte das Bundeskabinett über einen neuen Entwurf ab, der aus vom TSG-Betroffenen-Sicht neue Fallstricke bot. Die erste Lesung und die Ausschussitzung dazu erfolgten im November 2023 (LSVD-Rede bei der Demo am Tag der ersten Lesung).
Der LSVD positionierte sich immer wieder durch Stellungnahmen, Pressestatements und in Lobby-Gesprächen für die Verabschiedung eines möglichst diskriminierungsfreien Selbstbestimmungsgesetzes. Unter anderem veröffentlichte er mit der Prout At Work-Foundation, BVT*, dgti und IMeV und bedeutenden Unternehmen der deutschen Wirtschaft (Ben & Jerry's, Edelman, IKEA, OTTO, Pfizer, Simmons & Simmons, Unilever) ein positives Positonspapier. Von November 2023 bis März 2024 lief die LSVD-Kampagne "Stimmen für ein diskriminierungsfreies Selbstbestimmungsgesetz!" und startete Mailaktionen. Außerdem unterstütze er die Kampagne und Peititon "JaZuSelbstbestimmung", bei der sich insbesondere feministische Organisationen solidarisch zur rechtlichen Selbstbestimmung äußerten.
3.2. 2021: Das Selbstbestimmungs-Gesetz im Bundestag: Ergebnis der Abstimmungen vom 19. Mai
Am 19. Mai 2021, zwei Tage nach dem Internationalen Tag gegen Homophobie und Transfeindlichkeit (IDAHOT), standen im Deutschen Bundestag mehrere Anträge und Gesetzes-Entwürfe zur Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI) auf der Tagesordnung. Sie wurden alle von den Parteien FDP, Bündnis 90/ Die Grünen und Die Linke eingebracht.
Dabei wurde auch namentlich über die Gesetzes-Entwürfe von FDP und Bündnis 90/ Die Grünen zur Aufhebung des Transsexuellen-Gesetzes und zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung abgestimmt. Beide wurden vom Parlament abgelehnt.
Der Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Transsexuellen-Gesetzes und Einführung des Selbstbestimmungs-Gesetzes (SelbstBestG) der von Bündnis 90/ Die Grünen bekam 118 Ja-Stimmen, 454 Nein-Stimmen und 78 Enthaltungen. Der FDP-Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung bekam 186 Ja-Stimmen, 452 Nein-Stimmen und 11 Enthaltungen.
2017: Bundesrat plädierte für ein Selbstbestimmungs-Gesetz
Der Bundesrat hat sich am 02. Juni 2017 für ein Selbstbestimmungs-Gesetz ausgesprochen und für einen Entschließungs-Antrag des Landes Rheinland-Pfalz gestimmt.
In dem Antrag "Entschließung des Bundesrates zur Aufhebung des Transsexuellengesetzes sowie zur Erarbeitung eines Gesetzes zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung" (Drucksache 362/17) heißt es:
"Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung auf, in einem nächsten Schritt darauf hinzuwirken, dass unverzüglich das TSG in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Gutachten aufgehoben und durch ein entsprechendes modernes Gesetz zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechterzuordnung ersetzt wird. Dabei ist insbesondere die teure und unnötige Begutachtungspflicht vor einer Vornamens- bzw. Personenstandsänderung sofort abzuschaffen und durch ein Verwaltungsverfahren zur Anerkennung der Geschlechtsidentität zu ersetzen."
3.3. 2005/2011: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Selbstbestimmungsgesetz
Im ursprünglichen TSG von 1980 mussten transgeschlechtliche Personen die folgenden Bedingungen neben Gutachten erfüllen, um ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern zu lassen:
- Sie durften dafür nicht verheiratet sein und mussten sich ansonsten scheiden lassen. (Paragraph 8, Absatz 1, Nr. 2 TSG)
- Sie mussten fortpflanzungsunfähig sein und sich sterilisieren lassen. (Paragraph 8, Absatz 1, Nr. 3 TSG)
- Sie mussten sich Operationen an ihren äußeren Geschlechtsmerkmalen unterziehen. (Paragraph 8, Absatz 1, Nr. 4 TSG)
Diese Bedingungen mussten erfüllt sein, selbst wenn trans* Personen gar keine geschlechts-angleichenden Maßnahmen durchführen lassen wollten oder mit den Ehepartner*innen verheiratet bleiben wollten.
Das Bundesverfassungsgericht hat inzwischen die meisten Vorschriften des TSG für verfassungswidrig erklärt. Damit folgt es der medizinischen Erkenntnis, dass die Geschlechts-Zugehörigkeit einer Person nicht allein durch körperliche Geschlechts-Merkmale bestimmt, sondern wesentlich auch durch die geschlechtliche Identität. Daher steht diese auch indirekt unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes, wie z.B. durch das in Art. 2 Abs. 1 formulierte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Denn die Anerkennung der Geschlechts-Identität gehört zu den Grundrechten.
So hat es geurteilt, dass diese Vorschriften massiv gegen die Grundrechte von trans* Personen verstoßen. Sie verletzen trans* Personen in ihrer Würde (Art. 1 GG), in ihrem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2, Abs. 1) sowie ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2, Abs. 2).
Seit 2011 ist die Bedingung außer Kraft gesetzt, sich für eine Änderung des Geschlechtseintrags einer Sterilisation und einer geschlechtsangleichenden Operation unterziehen zu müssen. Seit dem ist die Änderung des Geschlechtseintrags (rechtliches Geschlecht) ohne geschlechtsangleichende medizinische Maßnahmen wie Hormon-Therapien oder chirurgische Eingriffe möglich. Damit müssen sich trans* Personen nicht mehr operieren lassen, um rechtlich anerkannt zu sein und mit ihrem richtigen Geschlecht eingetragen zu sein. Die entsprechenden für unglütig erklärten Paragrafen wurden allerdings nicht aus dem Gesetzestext gestrichen, sondern waren außer Kraft gesetzt.
4. Positionen zum Selbstbestimmungsgesetz
4.1. Wie stehen die Parteien zu einem Selbstbestimmungs-Gesetz und zur Selbstbestimmung von trans* und inter* Menschen?
Die SPD und das Selbstbestimmungsgesetz
Die SPD befürwortet das Selbstbestimmungs-Gesetz. In ihrem Programm für die letzte Bundestags-Wahl heißt es dazu:
„Kein Gericht sollte künftig mehr über die Anpassung des Personenstandes entscheiden. Psychologische Gutachten zur Feststellung der Geschlechtsidentität werden wir abschaffen. Jeder Mensch sollte selbst über sein Leben bestimmen können. Wir wollen, dass trans-, inter- und nicht binäre Menschen im Recht gleich behandelt werden, deshalb werden wir das Transsexuellengesetz reformieren“ (S. 44)
In der letzten Legislatur hat die SPD eine Bundesregierung mit der CDU/ CSU gebildet. Mit ihren Bemühungen, die Änderung des Namens und des Geschlechtseintrags für trans* Menschen einfacher zu regeln, sind sie an dem Widerstand der Union gescheitert.
Beinahe alle Abgeordneten der SPD haben die Gesetzes-Entwürfen von FDP und Grünen bei der namentlichen Abstimmung am 19. Mai 2021 im Bundestag abgelehnt. Lediglich die SPD-Abgeordnete Gülistan Yüksel hat sich enthalten, der SPD-Abgeordnete Josip Juratovic hat als einziger dem Entwurf der Grünen zugestimmt. Der SPD-Abgeordnete Mahmut Özdemir hat als einziger dem FDP-Entwurf zugestimmt. Am 12. April 2024 stimmten 179 Mitglieder der SDP mit "Ja", niemand dagegen und zwei enthielten sich (Quelle: Deutscher Bundestag).
Die Grünen und das Selbstbestimmungs-Gesetz
Die Grünen befürworten ein Selbstbestimmungs-Gesetz. Auf unsere Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021 haben die Grünen geantwortet:
„Mit einem Selbstbestimmungsgesetz sorgen wir GRÜNE dafür, dass das überholte Transsexuellengesetz endlich aufgehoben wird. Eine unbürokratische Änderung der Geschlechtsangabe wie der Vornamen auf Antrag der betroffenen Person beim Standesamt werden wir ab 14. Lebensjahr ermöglichen, das Offenbarungsverbot konkretisieren und Verstoße dagegen sanktionieren.“
Die Grünen haben sich bereits seit mehreren Jahren für ein Selbstbestimmungs-Gesetz eingesetzt. In der letzten Legislatur des Bundestags haben sie einen entsprechenden Gesetzes-Entwurf vorgelegt. Die Bundestags-Fraktion der Grünen sind seit 2021 mit Nyke Slawik und Tessa Ganserer auch zwei Frauen, die offen trans* leben.
Dieser Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung des Transsexuellen-Gesetzes und Einführung des Selbstbestimmungs-Gesetzes (SelbstBestG) wurde am 19. Mai 2021 bei der namentlichen Abstimmung im Bundestag abgelehnt. Er bekam 118 Ja-Stimmen, 454 Nein-Stimmen und 78 Enthaltungen. Am 12. April 2024 stimmten 109 Mitglieder der GRÜNEN mit "Ja", ohne Gegenstimmen oder Enthaltungen (Quelle: Deutscher Bundestag).
Die FDP und das Selbstbestimmungs-Gesetz
Die FDP befürwortet ein Selbstbestimmungs-Gesetz. Auf unsere Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021 hat die FDP geantwortet:
„Wir Freie Demokraten wollen das Transsexuellengesetz abschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzen. Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand müssen ohne diskriminierende Hürden grundsätzlich per Selbstauskunft gegenüber dem Standesamt möglich sein. (…) Vornamens- und Personenstandsänderungen sollen auf gleiche Art bereits vor dem 14. Lebensjahr möglich sein.“
Die FDP hat sich in der letzten Legislatur-Periode des Bundestags ebenfalls für ein Selbstbestimmungs-Gesetz eingesetzt und einen entsprechenden Gesetzes-Entwurf vorgelegt.
Der FDP-Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der geschlechtlichen Selbstbestimmung wurde ebenfalls am 19. Mai 2021 bei der namentlichen Abstimmung im Bundestag abgelehnt. Er bekam 186 Ja-Stimmen, 452 Nein-Stimmen und 11 Enthaltungen. Am 12. April 2024 stimmten 69 Mitglieder der FDP mit "Ja", neun dagegen und fünf enthielten sich (Quelle: Deutscher Bundestag).
Die CDU / CSU und das Selbstbestimmungs-Gesetz
Die CDU/ CSU lehnt bislang ein Selbstbestimmungs-Gesetz ab. Auf unsere Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021 hat die Union geantwortet:
„Es wurden viele Fortschritte erzielt, auf denen wir aufbauen und die wir weiterführen wollen. (…) Eingeführt wurde mit dem Begriff "divers" eine dritte Geschlechtsoption. Und noch im Jahr 2021 wurden geschlechtsverändernde Operationen an Kindern weitestgehend verboten. In der anstehenden Legislaturperiode wollen CDU und CSU weitere tragfähige Lösungen entwickeln, die u.a. dem Wunsch zur Selbstbestimmung der Betroffenen gerecht werden.“
Die Union lehnt ein Selbstbestimmungs-Gesetz ab und begründet dies damit, dass sich ein solches Gesetz negativ auf die Gleichstellung von cis Männern und cis Frauen auswirken würde. Gleichzeitig sind in der Unions-Fraktion kaum cis weibliche Abgeordnete vertreten.
Die Gesetzes-Entwürfe von FDP und Grüne wurden bei der namentlichen Abstimmung im Bundestag am 19. Mai einstimmig von den Abgeordneten der Unionsfraktion abgelehnt. Am 12. April 2024 stimmte kein Mitglied der CDU/ CSU mit "Ja", ein Mitglied enthielt sich und 171 stimmten dagegen (Quelle: Deutscher Bundestag).
Die LINKE und das Selbstbestimmungs-Gesetz
Die LINKE befürwortet ein Selbstbestimmungs-Gesetz. Auf unsere Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021 hat DIE LINKE geantwortet:
„DIE LINKE will rechtliche und körperliche Selbstbestimmung für alle Geschlechter. Das pathologisierende TSG muss weg und durch ein Selbstbestimmungsrecht ersetzt werden, nötige Regelungen wie das Offenbarungsverbot müssen ins BGB. Wir fordern einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag für alle. Eine Vornamens- und Personenstandsänderung muss mit einer einfachen Erklärung beim Standesamt möglich sein - ohne Zwangs-Beratungen, Gutachten, ärztliche Atteste und Gerichtsverfahren. Und ohne Einschränkungen auf körperliche Merkmale, also für inter* und trans* Personen gleichermaßen.“
Mit deutlicher Mehrheit haben die Abgeordneten der LINKEN den Gesetzes-Entwürfen von FDP und Grüne bei der namentlichen Abstimmung im Bundestag am 19. Mai 2021 zugestimmt. Am 12. April 2024 stimmten 19 Mitglieder der Gruppe DIE LINKE mit "Ja", niemand dagegen und drei enthielten sich (Quelle: Deutscher Bundestag).
AfD und BSW lehnten beide das Selbstbestimmungsgesetz bei der Abstimmung am 12.04.2024 einheitlich ab.
4.2. Welche Organisationen unterstützen die Rechte von trans* und inter* Personen und ein Selbstbestimmungs-Gesetz?
Deutsches Institut für Menschenrechte
Die Ablösung des Transsexuellengesetzes durch eine Regelung zum Geschlechtseintrag im Personenstand auf der Basis der Selbstbestimmung, ist ein zentrales Anliegen des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
Das Institut hat 2017 untersucht, wie der rechtliche Schutz und die Anerkennung von Inter- und Transgeschlechtlichkeit vor dem Hintergrund der Grund- und Menschenrechte verbessert werden können. Das Gutachten "Geschlechtervielfalt im Recht. Status quo und Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt" wurde im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (BMFSFJ) erstellt.
Darin findet sich ein vom Institut erarbeiteter Gesetzentwurf für ein Mantelgesetz zur Anerkennung und zum Schutz der Geschlechtervielfalt. Ausgehend von den grund- und menschenrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands steht im Zentrum des Vorschlags ein neues Gesetz zur Anerkennung und zum Schutz der Geschlechtervielfalt, das zugleich eine Aufhebung des TSG mit sich bringt.
"Danach wird auf den Geschlechtseintrag direkt nach Geburt bei Kindern verzichtet und gleichzeitig das Recht eingeführt, selbstbestimmt den Geschlechtseintrag für das Geburtenregister zu bestimmen. Das Verfahren für diese spätere Beurkundung des Geschlechtseintrags wird dabei leicht zugänglich und im Aufwand gering gestaltet – beruhend auf Selbstauskunft, ohne weitere Nachweise gegenüber dem Standesamt – und ausdrücklich für Kinder geöffnet.
Zusätzlich wird die Möglichkeit geschaffen, einen dritten Geschlechtseintrag zu wählen oder
auf einen Geschlechtseintrag langfristig zu verzichten. Zudem wird die Möglichkeit zur Änderung des Geschlechtseintrags gegenüber dem Standesamt ebenso wie die Möglichkeit zur
Änderung des Vornamens erleichtert und erweiterte Möglichkeiten für die Geschlechtsangabe
im Reisepass geschaffen."
Quelle: Gutachten "Geschlechtervielfalt im Recht. Status quo und Entwicklung von Regelungsmodellen zur Anerkennung und zum Schutz von Geschlechtervielfalt", S. 65.
Antidiskriminierungsstelle des Bundes
"Auch gilt nach wie vor das vom Bundesverfassungsgericht bereits in weiten Teilen als verfassungswidrig verworfene Transsexuellengesetz (TSG) fort, zu dessen Bestimmungen auch die von Betroffenen als demütigend und kostspielig empfundene Begutachtungspflicht vor der Änderung des Geschlechtseintrags gehört. Aus Sicht der Antidiskriminierungsstelle ist ein Gesetz zur geschlechtlichen Selbstbestimmung als TSG-Nachfolgeregelung überfällig, das die Änderung des Geschlechtseintrags durch einfache Selbsterklärung beim Standesamt möglich macht. Eine solche Regelung könnte dann auch intergeschlechtlichen und nicht binären Menschen zugutekommen."
Quelle: Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle 2020, S. 55.
Human Rights Watch
"Die deutschen Parteien, die über Koalitionsvereinbarungen zur Bildung einer neuen Regierung verhandeln, sollten sich verpflichten, das Gesetz zur rechtlichen Anerkennung des Geschlechts zu ändern, so dass es auf Selbstbestimmung und nicht auf sogenannten Gutachten basiert, sagte Human Rights Watch heute. Während die Parteien versuchen, Vereinbarungen zu Schlüsselthemen wie Klima- und Außenpolitik, Migration und Wirtschaft zu treffen, sollten sie auch das derzeitige, pathologisierende und belastende Verfahren für transsexuelle Menschen zu Änderung ihres eingetragenen Namens und Geschlechts ansprechen.
'Das derzeitige Verfahren zur Anerkennung des Geschlechts in Deutschland entspricht nicht den Entwicklungen des internationalen Rechts und der medizinischen Wissenschaft', sagte Cristian González Cabrera, LGBT-Rechtsforscher bei Human Rights Watch. 'Alle politischen Parteien sollten sich in der nächsten Legislaturperiode auf eine Änderung des Status quo einigen und das Verfahren für alle Trans-Menschen unkompliziert und leicht zugänglich gestalten, ohne dass ein Gericht involviert werden muss. Grundlage des Verfahrens sollte die Selbstbestimmung sein.'"
Quelle: Pressemitteilung von Human Rights Watch, 21. Oktober 2021
Amnesty international
Anlässlich der Bundestagswahl 2021 hat auch amnesty international ein Selbstbestimmungs-Gesetz gefordert:
"Die Bundesregierung entwickelt einen Gesetzesvorschlag, der darauf abzielt, das sogenannte Transsexuellengesetz (TSG) von 1980 sowie die derzeitige Praxis zu ändern. Ziel ist dabei, ein schnelles, zugängliches und transparentes Verfahren zu etablieren, mit dem den einzelnen Personen auf Grundlage ihrer Selbsterklärung die Angleichung des Personenstandes und Namens ermöglicht wird. Die derzeitige Praxis, die transgeschlechtliche und nicht-binäre Menschen dazu verpflichtet, sich externen Beurteilungen, einer psychiatrischen Begutachtung, einem "Alltagstest", gerichtlichen Verfahren oder anderen Untersuchungen zu unterziehen, wird beendet. (...)
Die Bundesregierung stellt sicher, dass es keine pauschalen Altersbeschränkungen für das Verfahren zur rechtlichen Geschlechtsanerkennung gibt. Sie gewährleistet, dass die rechtliche Anerkennung für Minderjährige zugänglich ist. Dabei werden die frei geäußerten Ansichten des Kindes hinsichtlich des eigenen Wohls im Einklang mit den sich entwickelnden Fähigkeiten beachtet. (...)
Die Bundesregierung stellt sicher, dass nicht-staatliche Institutionen und Einrichtungen schnelle, zugängliche und transparente Verfahren einrichten, die darauf abzielen, transgeschlechtlichen Personen Dokumente, wie z.B. Diplome oder andere Bildungsnachweise, auszustellen, die ihre Geschlechtsidentität widerspiegeln."
Quelle: #BTW21: Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht! www.amnesty.de vom 23.08.2021
Paritätischer Wohlfahrtsverband
Bereits in seiner Stellungnahme zur Einführung des dritten Geschlechtseintrags 2018 hat der Paritätische gefordert:
"Geschlechtliche Identität ist von fundamentaler Bedeutung für ein jedes Individuum, eine höchstpersönliche Angelegenheit und steht deshalb unter dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Der Paritätische Gesamtverband tritt deshalb für einen weiteren Geschlechtseintrag im Personenstandsrecht ein. Anstelle von Fremdbestimmung in Form stigmatisierender medizinischer oder psychiatrischer Begutachtungen ist es geboten, dass die Selbsterklärung der Person als Verfahren etabliert wird. Ein nicht-binärer Geschlechtseintrag muss allen Menschen offen stehen, insbesondere transgeschlechtlichen sowie auch intergeschlechtlichen Menschen."
Quelle: Paritätische Stellungnahme zur Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur "Dritten Option" beim Geschlechtseintrag (15. Juni 2018)
Deutscher Psychotherapeutentag (DPT)
In der Resolution "Abbau von struktureller Diskriminierung gegenüber trans Menschen" vom Mai 2022 unterstützt der Deutsche Psychotherapeutentag das Vorhaben der Bundesregierung, das aktuelle Transsexuellengesetz abzuschaffen und durch ein Selbstbestimmungsgesetz zu ersetzen.
"Der DPT spricht sich dafür aus, dass künftig auch die Änderung des Geschlechtseintrags bei
Transidentität über eine Erklärung gegenüber dem Standesamt und nicht länger über ein Gerichtsverfahren mit zwei Gutachten geregelt wird. Der Deutsche Psychotherapeutentag regt zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts von transidenten Personen an, den Geschlechtseintrag im Wesentlichen nur vom Geschlechtsempfinden der antragstellenden Person abhängig zu machen."
Der Deutsche Psychotherapeutentag (DPT) ist die Bundesdelegiertenversammlung der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtk). Die BPtK ist die Arbeitsgemeinschaft der Landeskammern der Psychologischen Psychotherapeut*innen und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen. Ihr gehören alle zwölf Landespsychotherapeutenkammern an. Sie vertritt damit auf Bundesebene die Interessen von rund 55.000 Psychologischen Psychotherapeut*innen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*innen.
Fraueninteressensvereinigungen
- Frauenhauskoordinierungsstelle: FHK-Positionierung: Gewaltschutz für ALLE Frauen - Frauenhauskoordinierung
- Deutscher Frauenrat: DF-Beschluesse-2022.pdf (frauenrat.de); Hintergrundpapier-zum-Recht-auf-Selbstbestimmung.pdf (frauenrat.de)
- Deutscher Juristinnenbund: Susanna Roßbach, Geschlechtliche Selbstbestimmung: Ein Thema für den djb!, in: djbZ 1/2023, 11-13 und Anna Katharina Mangold, Geschlechtliche Freiheit, in: djbZ 1/2023, 13-16 Deutscher Juristinnenbund e.V.: Heft 1 (djb.de)
Kinder und Jugend
- Kinderschutzbund Position des Kinderschutzbund Bundesverbands zu den Eckpunkten des Selbstbestimmungsgesetzes 2022 - Der Kinderschutzbund
- Deutscher Bundesjugendring DBJR: zum aktuellen RefE Junge Menschen beim Selbstbestimmungsgesetz stärken (dbjr.de) und von 2018: Rechte von trans* und inter*geschlechtlichen Kindern und Jugendlichen stärken (dbjr.de)
- Stellungnahme des Zukunftsforum Familie zum Selbstbestimmungsgesetz
Kirchen/ Glauben
- Zentralkommitee deutsche Katholiken: ZdK - Zentralkomitee der deutschen Katholiken | Veröffentlichungen | Erklärungen | Detailseite | Eckpunktepapier der Bundesregierung zum Selbstbestimmungsgesetz: paradigmenwechsel bei Namensänderung und Geschlechtseintrag umsetzen
- BDKJ: BDKJ begrüßt die geplante Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes
- Evangelische Frauen in Deutschland EFiD: positionspapier_efid_positionierung_zum_transsexuellengesetz_13_oktober_2022.pdf (evangelischefrauen-deutschland.de)
5. Fußnoten
(1) Zum Weiterlesen "Dies Sache mit dem Geschlecht", Interview mit Heinz-Jürgen Voß
(2) Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 10. Oktober 2017 - 1 BvR 2019/16 -, Rn. 26
(3) Meyenburg, B., Renter-Schmidt, K., & Schmidt, G. (2015). Begutachtung nach dem Transsexuellengesetz. Zeitschrift für Sexualforschung, 28, 107-120.
(4) Adamietz, L., Bager, K. (2016). Gutachten: Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche
Menschen. Begleitmaterial zur Interministeriellen Arbeitsgruppe Inter- & Transsexualität – 7. Band Berlin, S.13. Herausgegeben vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
(5) Siehe beispielsweise Pressemitteilung von Human Rights Watch vom 21.10.21 zu Beginn
der Koalitionsverhandlungen
(6) Für eine Übersicht siehe Adamietz & Bager (2016), S. 205.
(7) Jeja Klein (11.10.21). Aus Provokation: Grüner kandidiert für Frauenplatz.
(8) Frohn, D., Wiens, M., Buhl, S., Peitzmann, M. & Heiligers, N. (2021). „Out im Office! Out vor Kunden_innen?“ Die Arbeitssituation von LSBT*I*Q+ Personen in Kunden_innen-Kontakt. « IDA | Institut für Diversity- & Antidiskriminierungsforschung (Hrsg.).
(9) de Vries, L., Fischer, M., Kasprowski, D., Kroh, M., Kühne, S., Richter, D., & Zindel, Z. (2020). LGBTQI*-Menschen am Arbeitsmarkt: hoch gebildet und oftmals diskriminiert, DIW/Wochenbericht 36/2020
(10) SURT Foundation (2020). Transvisible. Ein Leitfaden zur besseren Arbeitsintegration
und zum wirtschaftlichen Empowerment von trans* Frauen
(11) „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen und häuslicher Gewalt“.
(12) Weitere Informationen
(13) In einer Erhebung der Fundamental Rights Agency (FRA) wurde 2020 festgestellt,
dass ein hoher Anteil der trans* Frauen sexualisierte Gewalt (28%) und Belästigung (61%)
innerhalb der letzten fünf Jahre erfahren haben.
(14) https://www.bundestag.de/resource/blob/565996/50dee81f312fc665923f7068f834a8dd/WD-7-098-18-pdf-data.pdf S. 6-7 [abgerufen am 29.05.2020]