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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Keine sicheren Herkunftsstaaten: Algerien, Marokko und Tunesien

Das bewirkt eine Einstufung von Verfolgerstaaten zu "sicheren Herkunftsstaaten"

Was sind sichere Herkunftsländer? Warum sollten die Verfolger-Staaten Tunesien, Marokko und Algerien nicht zu sicheren Herkunftsstaaten eingestuft werden? Wie ist dort die Menschenrechtslage für queere Menschen?

Ausschnitt aus der ILGA-Weltkarte zeigt, dass Algerien, Marokko und Tunesien Homosexualität verbieten und mit Gefängnis bestrafen

Seit 2016 gibt es regelmäßig Diskussionen darüber, Algerien, Marokko und Tunesien zu sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ zu erklären. In allen 3 Maghreb-Staaten ist Homosexualität verboten und wird mit hohen Gefängnisstrafen bedroht. Eine Einstufung der 3 Länder als "sicher" hätte auch negative Folgen für LSBTIQ*-Geflüchtete aus diesen Ländern.

Daher kritisiert der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) auch eine Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer und fordert zudem, dass Senegal und Ghana von dieser Liste genommen werden. Die beiden afrikanischen Staaten kriminalisieren ebenfalls Homosexualität.

Bislang sind diese Pläne immer wieder gescheitert - auch aufgrund unseres Protests. So verweigerte der Bundesrat 2019 seine Zustimmung zu einem entsprechenden Gesetzesentwurf. Bundesregierung und Bundestag hatten bereits mit den Stimmen der Großen Koalition einer Einstufung von Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsländern zugestimmt. Laut Medienberichten möchte die Ampel-Regierung die Liste der vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten aktuell auf Georgien und Moldau ausweiten. Immer wieder werden auch die Stimmen nach einer Ausweitung der Liste auf nordafrikanische Staaten laut.

In diesem Beitrag erklären wir, warum wir gegen die Einstufung von Verfolgerstaaten zu sicheren Herkunftsländern sind. 

Wenn Verfolgerstaaten wie Tunesien, Marokko und Algerien zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, legitimiert das die politische Verfolgung von LSBTIQ* und ein Verbot von Homosexualität.

In Algerien, Marokko und Tunesien wird einvernehmliche Sexualität unter Erwachsenen gleichen Geschlechts mit hohen Gefängnisstrafen bedroht. Es findet eine offensive Verfolgung, insbesondere von offen lebenden LSBTIQ* statt. Immer wieder kommt es zu Festnahmen und Verurteilungen wegen Homosexualität. Lesben und Schwule sind gezwungen, ihre Homosexualität zu verbergen, da sie andernfalls schwerwiegende Übergriffe und Diskriminierung durch staatliche wie nicht-staatliche Akteure zu befürchten haben. Behörden wenden gegenüber „Verdächtigen“ Folterpraktiken wie zwangsweise Anal-Untersuchungen an, um sie der Homosexualität zu „überführen“. 

Wer Algerien, Marokko und Tunesien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt, rechtfertigt daher die Verfolgung Homosexueller. So wird verharmlost, dass in diesen Maghreb-Staaten Menschen politisch verfolgt, eingesperrt und misshandelt werden, nur weil sie anders lieben. Die staatliche Verfolgung und Unterdrückung von LSBTI in diesen Ländern darf nicht ignoriert werden.

Alle Regierungen von LSBTIQ*-Verfolgerstaaten könnten sich in ihrer Kriminalisierung bestätigt fühlen. Damit würden auch die internationalen Bemühungen zur Entkriminalisierung von Homosexualität massiv zurückgeworfen und Menschenrechts-Verteidiger*innen vor Ort im Stich gelassen. 

Deutschland hat hier auch eine besondere historische Verantwortung. In Deutschland fand im Nationalsozialismus eine Homosexuellen-Verfolgung ohne gleichen in der Geschichte statt. Auch in der Bundesrepublik blieb die menschenrechtswidrige Strafverfolgung von Homosexualität noch jahrzehntelang in Kraft. Erst 2017 haben Bundestag und Bundesrat die Männer rehabilitiert, die in Deutschland wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen nach § 175 StGB verurteilt wurden. Damit haben sie anerkannt, dass eine Bestrafung von Homosexualität gegen die Menschenrechte verstößt

Die gleiche Verletzung ihre Menschenwürde erleben LSBTIQ* in Algerien, Marokko und Tunesien durch die dortige Gesetzgebung und staatliche Verfolgung. Diese Länder zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, stünde im vollständigen Widerspruch zu allen Beschlüssen, die Bundestag und Bundesrat in den vergangenen zwei Jahrzehnten zur Strafbarkeit von Homosexualität gefasst haben.

Der LSVD hat daher diese Pläne mit Verweis auf die Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen in den drei Ländern immer wieder als „menschenrechtliche Bankrotterklärung“ verurteilt. 

Wenn Verfolgerstaaten wie Tunesien, Marokko und Algerien zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, verstößt das gegen die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts.

Das Bundesverfassungsgericht verlangt klar und eindeutig: „Für die Bestimmung eines Staates zum sicheren Herkunftsstaat muss Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen“ (BVerfGE 94, 115).

Auch nach Art. 38 Abs. 1 Buchst. a der EU-Richtlinie 2013/32/EU dürfen die Mitgliedstaaten das Konzept des sicheren Herkunftsstaates nur dann anwenden, wenn die zuständigen Behörden sich davon überzeugt haben, dass für eine Person, die um internationalen Schutz nachsucht, in dem betreffenden Herkunftsstaat keine Gefährdung von Leben und Freiheit aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe besteht.

Das ist bei Algerien, Marokko und Tunesien nicht der Fall. Die Menschenrechtslage in diesen Staaten ist prekär. Für die Bevölkerungsgruppe der LSBTI besteht diese Sicherheit in Algerien, Marokko und Tunesien in keiner Weise. Denn die homophoben Strafgesetze werden auch angewandt. Das musste selbst die Bundesregierung einräumen. 

Die Verwirklichung dieses Vorhabens wäre ein eklatanter Verstoß gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts für die Einstufung von Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten und geltendes EU-Recht.

Wenn Verfolgerstaaten wie Tunesien, Marokko und Algerien zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden, verschlechtern sich die Chancen auf ein faires Asylverfahren für geflüchtete LSBTIQ* aus diesen Ländern

Das Konzept der „sichere Herkunftsstaaten“ begegnet größten menschenrechtlichen Bedenken. Qua Gesetz wird vermutet, Geflüchteten drohe dort keine Verfolgung. LSBTI-Geflüchtete aus „sicheren Herkunftsstaaten“ können sich zwar auf ihre Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität berufen, aber das Verfahren ist so verkürzt, dass sie es schwer haben, die ihnen drohende Verfolgung geltend zu machen. Sie haben keinen Zugang zu fachkundiger Beratung und ausreichendem Rechtsschutz. 

Kommen Geflüchtete aus einem sicheren Herkunftsland, dann wird ihr Asylantrag erst einmal grundsätzlich als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Mit dieser der Ablehnung eines Asylantrags als „offensichtlich unbegründet“ wird zudem das Asylverfahren erheblich beschleunigt. Das mindert die Chancen auf Schutz und Asyl für Menschen, die vor brutaler Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität aus eben diesen Ländern fliehen müssen, noch weiter.

Geflüchtete aus angeblich „sicheren Herkunftsländern“ sind während ihres Asylverfahrens zum unbegrenzten Verbleib in Erstaufnahme-Einrichtungen verpflichtet. Es ist ihnen verboten, zu arbeiten. Sie erhalten nur Sachleistungen und sind von Integrations-Maßnahmen ausgeschlossen.

In den überfüllten Erstaufnahme-Einrichtungen sind Menschen unterschiedlichster Herkunft mit häufig traumatischen Erfahrungen gezwungen, lange Zeit praktisch ohne jede Privatsphäre auf engstem Raum zusammenzuleben. Das schafft die Voraussetzungen für Spannungen und Konflikte. Für LSBTIQ* besteht ihr ein erhebliches Risiko, erneut Opfer von Diskriminierung und Gewalt zu werden. Sie suchen in Deutschland Schutz vor Verfolgung und werden dann hier aber einer neuerlichen Bedrohung ausgesetzt.

Zudem bewirkt die Einstufung dieser Länder als sichere Herkunftsstaaten vor allem, dass die Geflüchteten einem beschleunigten Asylverfahren unterliegen. Das birgt gerade für queere Asylsuchende große Probleme. Es ist vielfach belegt, dass es ihnen oft zunächst (noch) nicht möglich ist, offen über ihre sexuelle Orientierung und die entsprechende Verfolgung zu berichten. 

Dies gilt insbesondere dann, wenn Homosexualität in ihren Herkunftsstaaten tabuisiert und verfolgt wird wie z.B. in den Maghreb-Staaten. Es ist eine Überlebens-Strategie, die eigene homosexuelle Orientierung gegenüber Dritten geheim zu halten. Ein Coming-out vor fremden Mitarbeitenden in den Behörden stellt für sie eine immense Barriere dar. Viele befürchten, dass diese Informationen weitergegeben werden, etwa an Behörden im Herkunftsland. Oft wissen Geflüchtete auch nicht, dass eine Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität ein anerkannter Fluchtgrund ist.

Schnellverfahren ohne Zugang zu fachkundiger Beratung und ausreichendem Rechtsschutz bedeuten für Menschen aus diesem Personenkreis, dass sie faktisch von einer fairen Prüfung ihrer Asylgründe ausgeschlossen werden.

Menschenrechtslage für LSBTIQ* in Algerien, Marokko und Tunesien und positive Asylentscheidungen

In allen drei Staaten sind einvernehmliche homosexuelle Beziehungen zwischen Erwachsenen strafbar, und können mit Haftstrafen von mehreren Jahren geahndet werden. Die Mehrheit der Bevölkerung in den drei Maghreb-Staaten ist LSBTIQ*-feindlich eingestellt. Das Bestehen der Strafgesetze ist entsprechend der Rechtsprechung des EGMR überdies ein starker Indikator dafür, dass die Regierungen auch nicht vor der teils massiven gesellschaftlichen Gewalt schützen. In Tunesien ist die staatlich geförderte Folter an schwulen und bisexuellen Männern durch Zwangsanaluntersuchungen zur angeblichen Feststellung gleichgeschlechtlicher Handlungen bestens dokumentiert. Deutschland hat mit dreißig Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen Zwangsanaluntersuchungen als Folter abgelehnt. Gerade aus Marokko und Algerien wissen wir zudem von zahlreichen Verurteilungen queerer Menschen auf Grundlage der homosexuellenfeindlichen Gesetzgebung.

Zu Algerien:

Das US-Außenministerium äußerte sich in seinem 2022 Country Report on Human Rights Practices: Algeria sehr deutlich:

Kriminalisierung: Das Gesetz kriminalisiert öffentliche Unanständigkeit und einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen erwachsenen Männern oder zwischen erwachsenen Frauen. Die Strafen umfassen eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis drei Jahren und eine Geldstrafe. Das Gesetz definiert keine öffentliche Unanständigkeit, sondern versteht darunter eine „unmoralische“ intime Handlung in der Öffentlichkeit, gemessen an kulturellen oder religiösen Maßstäben. Das Gesetz kriminalisiert auch „homosexuelle Handlungen“, die rechtlich nicht näher bezeichnet sind, aber unter Strafe jegliches Verhalten verstehen, das auf eine homosexuelle Orientierung hindeutet, und sieht Strafen von zwei Monaten bis zwei Jahren Haft und Geldstrafen vor. [...]

Gewalt gegen LSBTQI*-Personen: LSBTQI*-Aktivist*innen berichteten, dass die Feindseligkeit gegenüber der LSBTQI*-Community zunahm und typischerweise von der jüngeren Generation ausging. Aktivist*innen berichteten, dass Mitglieder der LSBTQI*-Gemeinschaft oft verfolgt und eingeschüchtert wurden und die Belästigung manchmal zu körperlicher Gewalt eskalierte.

Mitglieder der LSBTQI*-Community berichteten, dass Mitglieder über Social-Messaging- und Dating-Apps ins Visier von Kriminellen geraten seien. Opfer wurden ungestraft ausgeraubt, erpresst, geschlagen oder ausgebeutet; Die Opfer hatten zu viel Angst, um sich bei der Polizei zu melden, weil sie glaubten, dass sie stattdessen strafrechtlich verfolgt würden. […] (Übersetzung durch LSVD)

Mit Bezug auf Algerien sind uns acht Gerichtsurteile [1] bekannt, in denen Verwaltungsgerichte das Bundesamt dazu verpflichtet haben, LSBTIQ* Kläger*innen einen Schutzstatus zuzusprechen. Hinzu kommen ein positiver Gerichtsbescheid, in dem das VG Minden den Folgeantrag eines Klägers für zulässig befand und dem Bundesamt überdies nahelegte, einen Schutzstatus anzuerkennen und ein Beschluss ebenfalls vom VG Minden über einstweiligen Rechtsschutz für einen schwulen Kläger, dem das BAMF in der Folge auch die Flüchtlingseigenschaft zuerkannte. Hinzu kommen drei weitere positive BAMF-Bescheide, sowie auch den Fall des schwulen Algeriers Abdelkarim Bendjeriou-Sedjerari, der erst, nachdem die Entscheidungen von BAMF und VG Frankfurt in der Öffentlichkeit kritisiert wurden, vom BAMF die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt bekam.

Zu Marokko:

Auch zur Menschenrechtslage für LSBTIQ* in Marokko fand das US-Außenministerium in seinem 2022 Country Report on Human Rights Practices: Morocco klare Worte:

Kriminalisierung: Das Gesetz kriminalisiert einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten und sieht bei Verurteilungen eine Höchststrafe von drei Jahren Gefängnis vor. Nach Angaben der Regierung hat der Staat bis Oktober 283 Personen wegen gleichgeschlechtlicher sexueller Aktivitäten strafrechtlich verfolgt. Aktivist*innen stellten fest, dass die Polizei das Gesetz nutzte, um Personen zu belästigen, die aufgrund ihres Geschlechtsausdrucks ins Visier genommen wurden. NGOs zufolge könnten Personen, die durch ihr Aussehen die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich ziehen, durchsucht werden und harmlose Gegenstände wie ein Kondom als Beweis für einen Verstoß verwendet werden. […]

Gewalt gegen LSBTQI*-Personen: Nach Angaben einiger Menschenrechtsorganisationen wurden LSBTQI*-Opfer von Gewalt in aufsehenerregenden Fällen aus früheren Jahren weiterhin belästigt, wenn sie in der Öffentlichkeit erkannt wurden. Im Oktober berichtete Pan Africa ILGA (PAI), die afrikanische Regionalorganisation der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association, „Kriminalisierung und mangelnder Rechtsschutz führen dazu, dass LSBTIQ*-Personen sehr gefährdet sind und keinen Zugang zu angemessenen Rechtsmitteln oder Rechtsmitteln haben.“ ” PAI erklärte weiter, dass die Gesetze auch dazu dienten, „gesellschaftliche Vorurteile gegen sie aufrechtzuerhalten und Belästigung, Diskriminierung und Gewalt zu befeuern“. Vielen LSBTQI*-Personen war es unangenehm, Probleme der Polizei zu melden, weil LSBTQI*-Aktivitäten illegal sind. Der Grad der Hilfsbereitschaft der Polizei bei der Reaktion auf einen Vorfall schien hauptsächlich auf die persönlichen Gefühlen der Polizeibeamten gegenüber der LSBTQI*-Community zurückzuführen zu sein. Medien berichteten, dass Personen innerhalb der LSBTQI*-Community aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität Gewalt ausgesetzt waren. […] [Übersetzung durch LSVD]

Mit Bezug auf Marokko liegen dem LSVD 22 Gerichtsentscheidungen vor, in denen Verwaltungsgerichte das Bundesamt dazu verpflichtet haben, LSBTIQ* Kläger*innen einen Schutzstatus zuzusprechen [2]. Hinzu kommen ein erfolgreicher Eilantrag gegen eine ablehnende BAMF-Entscheidung bzw. die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylantrags sowie ein Abhilfebescheid, mit dem das BAMF einem homosexuellen Mann aus Marokko die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat, ohne das Verfahren vor dem VG Trier abzuwarten (Der Fall wurde vom LSVD betreut und wir können bestätigen, dass es um das Thema Homosexualität geht).

Zu Tunesien:

Auch in Tunesien findet gemäß dem 2022 Country Report on Human Rights Practices: Tunisia weiterhin Verfolgung statt:

Kriminalisierung: Das Gesetz stellt einvernehmliches gleichgeschlechtliches Sexualverhalten zwischen Erwachsenen unter Strafe; Allerdings setzte die Polizei das Gesetz durch, als würde es auch LSBTQI*-Identität ohne sexuelle Aktivität unter Strafe stellen. Verurteilungen wegen gleichgeschlechtlichen Sexualverhaltens zwischen Erwachsenen können mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden. NGOs zufolge nutzten die Behörden gelegentlich das Gesetz, um Personen zu ihren sexuellen Aktivitäten und ihrer sexuellen Orientierung festzunehmen und zu befragen, Berichten zufolge zuweilen allein aufgrund ihres Aussehens.

NGOs berichteten in einigen Fällen, dass LSBTQI*-Personen im Rahmen des Artikels des Strafgesetzbuchs ins Visier genommen wurden, der „Verletzung der Moral oder der öffentlichen Moral“ unter Strafe stellt; Eine Verurteilung wird mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und einer Geldstrafe geahndet. Die vage Formulierung des Strafgesetzbuchs sowie das Fehlen einer rechtlichen Definition der öffentlichen Moral lassen der Polizei einen weiten Ermessensspielraum bei der Frage, was eine Moral oder ein Verbrechen der öffentlichen Moral darstellt. In einem Juni-Bericht der NGO Democracy for the Arab World Now erklärte Mounir Baatour, ein Anwalt und Aktivist, Mitbegründer und Präsident von Shams, einer NGO, die sich für LSBTQI*-Rechte einsetzt, dass Gesetze, die öffentliche Bloßstellung und unsittliche Übergriffe unter Strafe stellen, „eine Bedrohung für die LSBTIQ*-Community“ darstellten. Er gab an, dass es aufgrund des Strafgesetzbuchs jedes Jahr etwa 120 Verfahren gegen LGBTQI*-Personen gebe.

Menschenrechtsgruppen berichteten von einer Zunahme der Verhaftungen von LSBTQI*-Personen sowie einer Zunahme von Fällen gesellschaftlicher Belästigung. Zu den Vorwürfen gehörten Berichte, dass einige Polizeigewerkschaften bei Protesten im Januar und Februar LSBTQI*-Teilnehmende schikaniert und gefährdet hätten, indem sie ihre Privatadressen oder Bilder online veröffentlichten (Doxxing) und sich an Online-Hassreden beteiligten. Die Polizei musste keine Konsequenzen für das Doxxen friedlicher Demonstranten erleiden. Nach Angaben der Damj Association, einer NGO für LSBTQI*-Rechte, verhaftete die Polizei im Mai und Juni 14 Personen wegen Sodomievorwürfen und 45 nicht-binäre Personen wegen Vorwürfen im Zusammenhang mit „öffentlicher Moral“. In diesen Fällen gaben Personen an, dass sie aufgrund von Wahrnehmungen bezüglich ihres Aussehens, unschuldiger Zurschaustellung von Zuneigung wie Händchenhalten und nachdem sie sich gegenüber der Polizei als LSBTQI* identifiziert hatten, verhaftet wurden. Die Damj-Vereinigung berichtete, dass einige Personen strafrechtlich verfolgt und nach Verurteilung zu Gefängnisstrafen zwischen zwei Monaten und einem Jahr verurteilt wurden, während andere Verfahren bis Ende des Jahres noch andauerten.

Gewalt gegen LSBTQI*-Personen: Polizei und andere Regierungsbeamte verübten und tolerierten Gewalt gegen LSBTQI*-Personen oder diejenigen, die solchen Missbrauch meldeten. LSBTQI*-Personen waren Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt, einschließlich Mord- und Vergewaltigungsdrohungen sowie gesellschaftlicher Stigmatisierung; Die Angst vor Strafverfolgung hielt Einzelpersonen davon ab, Gewalt und Drohungen anzuzeigen. LSBTQI*-Personen berichteten von Diskriminierung und Belästigung bei der Suche nach Arbeit, Gesundheitsdiensten, Bildung, Interaktionen mit der Gemeinschaft und Interaktionen mit der Polizei aufgrund ihrer Identität.

Behörden und medizinische Beamte setzten die Praxis der erzwungenen Analuntersuchungen, insbesondere bei schwulen Männern, fort, um angeblich Beweise für gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten zu sammeln. Menschenrechtsorganisationen kritisierten die Verfahren weithin als invasiv, demütigend und ohne wissenschaftlichen Wert, es gibt jedoch kein gesetzliches Verbot gegen sie. Nach Angaben der NGO Anwälte ohne Grenzen wurde eine Person nach dem Vorwurf der Homosexualität zu einer Analuntersuchung gezwungen.

Diskriminierung: Das Gesetz verbietet keine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität oder des Geschlechtsausdrucks oder der Geschlechtsmerkmale und erkennt LSBTQI*-Personen, -Paare oder deren Familien nicht an. [...] (Übersetzung durch LSVD)

Mit Bezug auf Tunesien sind uns acht Gerichtsurteile bekannt, in denen Verwaltungsgerichte das Bundesamt dazu verpflichtet haben, LSBTIQ* Kläger*innen einen Schutzstatus zuzusprechen [3]. Hinzu kommen zwei Bescheide, mit denen das Bundesamt LSBTIQ* Asylsuchenden direkt die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat.

Weiterlesen

[1] VG Cottbus, Urt. v. 04.10.2017 - 5 K 1908/16.A, VG Karlsruhe, Urt. v. 14.08.2018 - A1 K 6549/16, VG Würzburg, Urt. v. 15.06.2020 - W 8 K 20.30255, VG Freiburg, Urt. v. 08.10.2020 - 4 K 945/18, VG Karlsruhe, Urt. v. 10.05.2021 - A 12 K 6896/19, VG Würzburg, Urt. v. 18.06.2021 - Az. W 5 K 21.30141, VG Gießen, Urt. v. 23.05.2022 - 10 K 1338/20.GI.A und VG Cottbus, Urt. v. 09.02.2023 - 5 K 755/18.A

[2] VG Gelsenkirchen, Urt. v. 24.11.2015 - 7a K 2425/15.A, VG Düsseldorf, Urt. v. 21.12.2016 - 23 K 8700/16.A, VG Saarland, Beschl. v. 02.06.2016 - 3 K 1984/15, VG Düsseldorf, Urt. v. 26.09.2016 - 23 K 4809/16.A, VG Düsseldorf, Urt. v. 21.12.2016 - 23 K 8700/16.A, VG Köln, Urt. v. 14.07.2017 — 3 K 10801/16.A, VG Hamburg, Urt. v. 10.08.2017 - 2 A 7784/16, VG  Dresden, Urt. v. 01.03.2018 - 7 K 1327/17.A, Juris, VG Aachen, Urt. v. 13.03.2019 - 8 K 4456/17.A, Juris , VG Berlin, Urt. v. 02.05.2019 - 34 K 74.19 A, VG Gießen, Urt. v. 12.06.2019 - 1 K 6628/17.GI.A, VG Würzburg, Urt. v. 17.06.2019 - W 8 K 19.30609, VG Würzburg, Urt. v. 01.07.2019 - W 8 K 19.30264, VG Köln, Urt. v. 14.07.2017 - 3 K 10801/16.A, VG Münster, Urt. v. 11.08.2017, Az. 4 K 3193/16.A, VG Gießen, Urt. v. 29.05.2020 - 1 K 5389 18.GI.A, VG Düsseldorf, Urt. vom 31.05.2021 - 23 K 3997/19.A, VG Berlin, Urt. v. 06.10.2021, VG 34 K 1081.17 A, VG Saarlouis, Urteil vom 27.01.2023 - 3 K 1165/22, VG Hannover, Urt. v. 21.04.2022, 3 A 1700/18, VG Freiburg, Urt. v. 21.01.2022, A 8 K 1348/21 und VG Frankfurt a. M., Urt. v. 18.11.2021, 2 K 1772/20.F.A.

[3] VG Cottbus, Urt. v. 04.10.2017 - 5 K 1908/16.A, VG Karlsruhe, Urt. v. 14.08.2018 - A1 K 6549/16, VG Würzburg, Urt. v. 15.06.2020 - W 8 K 20.30255, VG Freiburg, Urt. v. 08.10.2020 - 4 K 945/18, VG Karlsruhe, Urt. v. 10.05.2021 - A 12 K 6896/19, VG Würzburg, Urt. v. 18.06.2021 - Az. W 5 K 21.30141, VG Gießen, Urt. v. 23.05.2022 - 10 K 1338/20.GI.A und VG Cottbus, Urt. v. 09.02.2023 - 5 K 755/18.A