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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Berlin: Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

Gedenkort im Berliner Tiergarten

Seit dem 27. Mai 2008 erinnert in Berlin-Tiergarten das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen an das Schicksal und die Verfolgung von Lesben und Schwulen. Anlässlich des zehnten Jahrestages bat Bundespräsident Steinmeier um Vergebung „für all das geschehene Leid und Unrecht, und für das lange Schweigen, das darauf folgte“.

Bundespräsident Steinmeier und Berliner Bürgermeister Müller am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen: Bu

Die Nationalsozialisten hielten Homosexualität für eine „widernatürliche Veranlagung“. Sie sei eine "Seuche", die den sogenannten „Volkskörper“ schädigt. Daher sollte sie „ausgerottet“ werden. Seit 2008 gibt es in Berlin-Tiergarten das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen in Berlin. Sechzehn Jahre hatten sich die Initiative „Der homosexuellen NS-Opfer gedenken“ und der LSVD dafür eingesetzt.

  1. Hintergrund zum Denkmal: Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus
  2. Chronik: Ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
  3. Gestaltung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen
  4. Festakt zum zehnten Jahrestag des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen (2018)

1. Hintergrund zum Denkmal: Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus

Kränze zum Gedenken am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

Schon kurz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wurden im März 1933 die lesbischen und schwulen Lokale Berlins geschlossen. Lokale, Vereine, Verlage sowie Zeitschriften der ersten deutschen Homosexuellenbewegung wurden aufgelöst, verboten, zerschlagen und zerstört.

Im Herbst 1934 setzte die systematische Verfolgung homosexueller Männer ein. 1935 wurde die totale Kriminalisierung männlicher Homosexualität eingeführt. Paragraph 175 im Strafgesetzbuch des Reiches (RStGB) wurde in der Tatbestandsfassung radikal ausgeweitet. Die Beschränkung des Verbots auf "beischlafähnliche Handlungen" wurde aufgehoben. Nun wurden alle sexuelle Handlungen zwischen Männern strafbar. Selbst Zungenküsse oder nur eine „wolllüstige Absicht“ reichten, um schuldig gesprochen zu werden. Das Strafmaß wurde massiv verschärft.

Bis 1945 gab es ca. 50.000 Verurteilungen. Tausende schwuler Männer wurden in Konzentrationslager verschleppt. Nur eine Minderheit überlebte den Terror der Lager. Der von den Nazis verschärfte § 175 StGB blieb in der Bundesrepublik bis 1969 unverändert in Kraft.

Auch lesbische Frauen wurden in Lagern und Gefängnissen inhaftiert, gefoltert, missbraucht und ermordet. Zur Situation von Lesben im Nationalsozialismus, ihrer Unterdrückung und Verfolgung sind viele Fragen offen. Der nationalsozialistische „Männerstaat“ drängte Frauen aus dem öffentlichen Leben. Sie wurden ideologisch auf die Mutterrolle festgelegt. Die Berufstätigkeit von Frauen war bis zum Kriegsbeginn eingeschränkt. Eine selbstständige Existenz-Sicherung außerhalb einer heterosexuellen Ehe wurde dadurch massiv, wenn nicht gar unmöglich. 

Weiterlesen: Von 1933 bis heute: Geschichte von Lesben und Schwulen in Deutschland und der DDR

2. Chronik: Ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Berliner Tiergarten im Schnee.jpg

Am 27. Mai 2008 war es so weit: In Berlin wird das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen der Öffentlichkeit übergeben. Sechzehn Jahre hatten sich die Initiative „Der homosexuellen NS-Opfer gedenken“ und der LSVD für solch einen Gedenkort eingesetzt

1992/1993
Im Zusammenhang mit der Diskussion um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas werden erste Forderungen und Aktionen zugunsten eines nationalen Gedenkorts für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen erhoben.

1995
Die Denkschrift „Der homosexuellen NS-Opfer gedenken“ wird veröffentlicht

25. Juni 1999
Der Bundestag beschließt, das Denkmals für die ermordeten Juden Europas zu errichten. Die Entscheidung wird verbunden mit der Verpflichtung, „der anderen Opfer des Nationalsozialismus würdig zu gedenken“.

3. Mai 2001
Der gemeinsame Aufruf der Initiative Der homosexuellen NS-Opfer gedenken und des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD) für „Ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen“ wird veröffentlicht. Der Aufruf bekommt u.a. die Unterstützung von Paul Spiegel, Romani Rose, Günter Grass, Christa Wolf und Lea Rosh.

17. Mai 2002
Der Bundestag beschließt die gesetzliche Rehabilitierung der Opfer des §175 im Nationalsozialismus.

12. Dezember 2003
Der Deutsche Bundestag beschließt den Bau des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen.

2005/2006
Zur Gestaltung des Denkmals wird ein künstlerischer Wettbewerb durchgeführt. 

4. Juni 2007
Einigung zwischen der Bundesregierung, den Initiatoren und den Künstlern Elmgreen & Dragset auf deren Weiterentwicklung ihres prämierten Entwurfs

Sommer 2007
Der Bau des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen beginnt.

27. Mai 2008
Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen wird an die Öffentlichkeit übergeben. 800 Menschen nahmen an der Einweihung teil, darunter viele Bundestagesabgeordnete, einige Botschafter*innen, Vertreter*innen von NS-Verfolgtenverbänden und natürlich viele Aktive aus der Community.

Eingeladen hatte Bundeskulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU). Die Bundesregierung hat auf Beschluss des Bundestags von 2003 die Errichtung des Denkmals finanziert. Neumann hielt auch die Eröffnungsrede. Nach ihm ergriff Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit das Wort.

Für die Initiator*innen sprachen LSVD-Bundesvorstandsmitglied Günter Dworek und Albert Eckert von der Initiative „Der homosexuellen NS-Opfer gedenken“. Linda Freimane aus Lettland und im Vorstand von ILGA-Europa (International Lesbian and Gay Association) überbrachte Grüße der internationalen lesbischen und schwulen Community und erinnerte an die prekäre Menschenrechtslage in vielen Ländern.

3. Gestaltung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen

GedenkenDenkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Berliner Tiergarten

Das Denkmal steht in unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor, dem Reichstagsgebäude, dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas und zu dem iDenkmal für die verfolgten Sinti und Roma. Es wurde vom norwegisch-dänischen Künstlerduo Michael Elmgreen und Ingar Dragset entwickelt.

Das Denkmal nimmt Bezug auf das gegenüber liegende Holocaust-Denkmal. Die Grundform bildet eine vergrößerte Stele. Schräg in eine Ecke des Kubus ist ein Fenster eingeschnitten. Schaut man hindurch, sieht man einen Film. Das zwischen Bundesregierung, Künstler*innen und Initiator*innen vereinbarte Konzept sieht vor, dass der Film regelmäßig gewechselt wird.Künstler*innen präsentieren dort in der Stele ihre Interpretation einer lesbischen oder schwulen Liebesszene. Seit dem 03. Juni 2018 wird in dem Denkmal ein Film der israelischen Videokünstlerin Yael Bartana gezeigt. 

Vor dem Gedenkort informiert eine Tafel über die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus. Dabei wird auch nicht verschwiegen, dass der von den Nazis verschärfte § 175 StGB in der Bundesrepublik Deutschland bis 1969 unverändert in Kraft blieb.

Die Tafel endet mit dem Beschluss des Deutschen Bundestages von 2003: „Mit diesem Gedenkort wollen wir die verfolgten und ermordeten Opfer ehren, die Erinnerung an das Unrecht wachhalten, ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben setzen.“

4. Festakt zum zehnten Jahrestag des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen (2018)

Anlässlich des zehnten Jahrestages der Übergabe des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen an die Öffentlichkeit luden die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, der LSVD und die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld zu einem Festakt am 03.06.2018 ein. Seitdem wird in dem Denkmal nun zudem ein Film der israelischen Videokünstlerin Yael Bartana gezeigt.

Zitat aus der Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

"Die neue freiheitliche Ordnung in unserem Land, sie blieb über viele Jahre für viele noch unvollkommen. Die Würde von Homosexuellen, sie blieb antastbar. Zu lange hat es gedauert, bis auch ihre Würde etwas gezählt hat in Deutschland. Und die Jahre bis dahin, sie waren für Opfer und Aktivisten ein langer Weg, mit mühseligen Auseinandersetzungen. (…) Als Bundespräsident ist mir heute eines wichtig: Ihr Land hat Sie zu lange warten lassen. Wir sind spät dran. Was gegenüber anderen Opfergruppen gesagt wurde, ist Ihnen bisher versagt geblieben. Deshalb bitte ich heute um Vergebung – für all das geschehene Leid und Unrecht, und für das lange Schweigen, das darauf folgte.

Ihnen allen hier am Denkmal, und allen Schwulen, Lesben und Bisexuellen, allen Queers, Trans- und Intersexuellen in unserem Land, Ihnen allen rufe ich heute zu: Auch Ihre sexuelle Orientierung, auch Ihre sexuelle Identität stehen selbstverständlich unter dem Schutz unseres Staates. Auch Ihre Würde ist so selbstverständlich unantastbar, wie sie es schon ganz am Anfang hätte sein sollen."

(ganze Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier anlässlich des zehnten Jahrestages der Übergabe des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen 2018)

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim Festakt zum zehnten Jahrestag des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen 

Zitat aus der Rede von Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin

"Vor zehn Jahren wurde der Erinnerungskultur in unserem Land ein bedeutender Teil hinzugefügt: Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen ist ein wichtiger Ort für das mahnende Gedenken an die Opfer dieses menschenverachtenden, totalitären Regimes. Mitten in Berlin ruft es uns auch dazu auf, entschieden für eine vielfältige Gesellschaft einzustehen."

Berlins Regierender Bürgermeister Müller beim Festakt zum zehnten Jahrestag des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen 

Ziata aus der Rede von LSVD-Bundesvorstand Günter Dworek

"Auch in der Bundesrepublik hatte es für Homosexuelle lange Jahre keine Freiheit gegeben. 1963 prägte Hans-Joachim Schoeps den bitteren Satz: „Für die Homosexuellen ist das Dritte Reich noch nicht zu Ende.“ Der Rechtlosigkeit folgte eine lange Phase widerwilliger Duldung. Aber wir haben uns durchgebissen, Schritt für Schritt mehr Akzeptanz und Rechte erkämpft. Und ich sage in aller Unbescheidenheit: Das hat unsere ganze Gesellschaft freier und unser Land lebenswerter gemacht.

Die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus führt vor uns Augen, was geschehen kann, wenn Hass und Hetze eine Gesellschaft vergiften, wenn eine Mehrheit gleichgültig wird gegenüber dem Leben Anderer, wenn sie Ausgrenzung und Entrechtung zulässt. Es gibt kein Ende der Geschichte. Um Freiheit, Gleichheit und Respekt muss täglich neu gerungen werden. Ein Ort wie dieser, ein Tag wie dieser geben uns Kraft dafür. Die Zukunft gehört der offenen, demokratischen Gesellschaft und nicht der Vergangenheit."

LSVD-Bundesvorstand Günter Dworek Berlins Regierender Bürgermeister Müller beim Festakt zum zehnten Jahrestag des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen 

Zitat aus der Rede von Gulya Sultanova, Organisatorin des LGBT-Filmfestival “Side by Side”, Sankt Petersburg

"Ich komme aus Russland und bei uns ist die Situation leider ganz anders. Aber ich möchte jetzt kein Schwarz-Weiß-Bild liefern und möchte etwas über den historischen Kontext erzählen. Das Denkmal ist jetzt zehn Jahre alt und ich kann mir sehr gut vorstellen wie viel Arbeit und Energie von Aktivistinnen und Aktivisten seit 20, 30 Jahren investiert wurde, damit dieses Denkmal vor zehn Jahren überhaupt eröffnet werden konnte und die Initiative die Unterstützung der Politik bekommen hat.

Wir in Russland haben diese Bewegung erst seit zehn Jahren und das erklärt sehr viel. Aber: Die Bewegung ist sehr dynamisch, sie ist jung. Wir haben immer neue Gruppen von Aktivisten und Aktivistinnen. Wir haben Demonstrationen, wir versuchen, öffentliche Events durchzuführen, wir versuchen mit der breiten Öffentlichkeit zu sprechen, mit Journalisten, um Zugang zu den Menschen zu finden, die von der staatlichen Medienpropaganda nicht verblödet sind – und das klappt."

Gulya Sultanova LSVD-Bundesvorstand Günter Dworek Berlins Regierender Bürgermeister Müller beim Festakt zum zehnten Jahrestag des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen 

Fotos:  Stiftung Denkmal / Marko Priske

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