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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD⁺)

FAQs: Lesbische, schwule, bisexuelle, trans und inter sowie weitere queere Geflüchtete

Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen

Wie viele lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche sowei weitere queere Flüchtlinge gibt es? Wie beantragt man Asyl wegen Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identitäten? Wie läuft das Asylverfahren ab? Welche Probleme stellen sich in den Unterkünften?

Unter den vielen Geflüchteten gibt es natürlich auch lesbische, schwule, bisexuelle, trans* und/oder intergeschlechtliche sowie weitere queere (LSBTIQ*) Flüchtlinge, die vor Krieg, Gewalt und Verfolgung Schutz in Deutschland suchen. Denn in zahlreichen Ländern dieser Welt droht LSBTIQ* Gefahr für Freiheit, Leib und Leben. Einige fliehen vor Verfolgung und Unterdrückung nach Deutschland.

Als Bürgerrechtsverband verteidigt der LSVD⁺ mit Nachdruck das Grundrecht auf Asyl und die Schutzrechte, die in der Genfer Flüchtlingskonvention verbrieft sind. Der LSVD⁺ steht an der Seite all derer in der Gesellschaft, die sich für eine menschenrechtsorientierte Flüchtlingspolitik, für menschenwürdige Aufnahme, Unterstützung, Integration und gesellschaftliche Teilhabe von Geflüchteten stark machen.

Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen.

1. Wie viele LSBTIQ*-Flüchtlinge gibt es?

Unter den vielen Geflüchteten gibt es natürlich auch lesbische, schwule, bisexuelle, trans* und/oder intergeschlechtliche sowie weitere queere (LSBTIQ*) Flüchtlinge, die vor Krieg, Gewalt und Verfolgung Schutz in Deutschland suchen. Die Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität kann ein zusätzliches Motiv oder der Hauptgrund sein. Anders als die Merkmale „Herkunftsland“, „Geschlecht“ und „Alter“ werden die von den Asylbewerber*innen angegebenen Fluchtgründe durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) statistisch nicht erfasst. So gibt es weder verlässliche Zahlen hinsichtlich der Anträge von LSBTIQ* noch hinsichtlich ihrer Anerkennung.

2. Welche Probleme haben LSBTIQ*-Flüchtlinge?

Mittlerweile hat sich die Unterbringungssituation von Geflüchteten verbessert. Dennoch müssen viele von ihnen weiter lange Zeit in Massenunterkünften verbleiben. Das gesellschaftliche Klima ist gespalten. Neben weiterhin großer Hilfsbereitschaft artikuliert sich oft offener Hass und es gibt ein erschreckendes Ausmaß rassistischer Angriffe auf Flüchtlingseinrichtungen und Geflüchtete. Das erleben auch LSBTIQ*-Flüchtlinge so. Zusätzlich machen sie spezifische homo, queer- und trans*feindliche Erfahrungen in den Unterkünften, im öffentlichen Raum oder im Asylverfahren. Weiterhin gibt es einen Antragsstau und oft lange Wartezeiten beim BAMF. Zudem ist die Qualität der BAMF-Entscheidungen oft mangelhaft, sodass Geflüchtete oftmals den Rechtsweg beschreiten müssen.

3. Ist Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität ein Asylgrund?

Ja – eine Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität ist laut der EU-Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU ein anerkannter Asylgrund. Die drohende Verhängung einer Freiheitsstrafe für gleichgeschlechtliche Sexualität ist laut einem Urteil des EuGH vom Herbst 2013 eine asylbegründende Verfolgungshandlung. Die Verfolgungshandlungen durch staatliche oder nicht-staatliche Akteur*innen müssen so gravierend sein, dass sie (mindestens zusammengenommen) eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen. Anerkannt wird auch, wenn der Staat nicht fähig oder willens ist, Schutz vor Verfolgung zu bieten.

Wenn Menschen in ihrem Heimatland nicht als gleichgeschlechtliches Paar zusammenleben können, ist das zwar kein Asylgrund. Es begründet aber ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG, da das gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt.

Flüchtlinge und Beratungsstellen sind hierüber nicht immer ausreichend informiert. Das BAMF erkennt die Rechtsprechung des EuGH zwar an, legte den Entscheider*innen in einer Dienstanweisung „sexuelle Ausrichtung“ aber nahe, wie sie bei unverfolgt ausgereisten Flüchtlingen Antworten produzieren können, die es – nach der Wertung des BAMF – erlauben, die Asylgesuche abzulehnen. Das hat sich inzwischen geändert - es gilt kein "Diskretionsgebot" mehr.

Wir fordern eine LSBTIQ*-inklusive Erstinformationsbroschüre, die Informationen über mögliche Verfolgungsgründe und Beratungsangebote anbietet,  online verfügbar sein sowie in Erstaufnahmeeinrichtungen, im BAMF und den Unterkünften ausliegen sollte. (LSVD⁺-Ratgeber zum Asylrecht aufgrund der Verfolgung wegen der sexuellen Orientierung bzw. Geschlechtsidentität)

4. Welche Schwierigkeiten stellen sich im Asylverfahren?

Noch immer gibt es beträchtliche Hürden für verfolgte LSBTIQ*, in Deutschland anerkannt zu werden. Für das Asylverfahren ist die Anhörung zentral. Oft wissen Geflüchtete nicht, dass eine Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität ein anerkannter Fluchtgrund ist. LSBTIQ* flüchten nach Deutschland aus Ländern, in denen Homosexualität oder Trans*-/ Intergeschlechtlichkeit massiv geächtet und tabuisiert sind. So ist es vielen zunächst (noch) nicht möglich, offen über ihre sexuelle Orientierung und/oder Geschlechtsidentität und entsprechende Verfolgung zu berichten, wenn es ihre bisherige Überlebensstrategie war, diese gegenüber Dritten geheim zu halten. Ein Coming-out vor fremden Behördenmitarbeiter*innen stellt für sie eine immense Barriere dar. Auch befürchten viele eine Weitergabe ihrer Informationen etwa an das Herkunftsland. Damit für LSBTIQ* faire und qualifizierte Asylverfahren tatsächlich gewährleistet sind, muss diese Ausgangssituation umfassend und kultursensibel kompetent berücksichtigt werden. Das ist häufig nicht der Fall.

Zugleich kann es sein, dass sie auf unsensible oder auch homo-, queer- und transfeindliche Mitarbeitende im BAMF treffen. Es ist notwendig, die für das BAMF tätigen Entscheider*innen deutlich stärker für den Umgang mit Asylsuchenden zu sensibilisieren, die wegen erlebter oder drohender Verfolgung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität in Deutschland Schutz suchen. Das muss durch Aus- und Fortbildung und Einarbeitung gewährleistet sein.

Das Gleiche gilt für die bei Befragungen von Asylsuchenden eingesetzten Sprachmittler*innen. Es sind Fälle berichtet worden, bei denen vom BAMF herangezogene Sprachmittler*innen Homosexualität oder Trans*-/Intergeschlechtlichkeit tabuisieren oder gegenüber den Asylsuchenden eine homo- oder transfeindliche Einstellung an den Tag legen und sie damit zusätzlich verunsichern. Auch hier besteht die bisweilen berechtigte Angst vor der Weitergabe der Informationen. Das muss unterbunden werden. LSBTIQ* müssen bei der Befragung über intime und höchstpersönliche Sachverhalte Auskunft geben. Sie sind besonders schutzbedürftige Flüchtlinge im Sinne der EU-Aufnahmerichtlinie. Für sie muss für die Dauer ihres Asylverfahrens ein Rechtsanspruch auf Sprachmittlung durch unabhängige Dolmetscher*innen verankert werden.

Für die Anerkennung müssen Flüchtlinge in der Anhörung zum einen ihre LSBTIQ*-Identität, zum anderen die (drohende) Verfolgung in ihrem Herkunftsstaat glaubhaft machen.

5. Wie beweisen Flüchtlinge eine LSBTIQ*-Identität und ihre Verfolgung in ihrem Heimatland?

In der Regel können die Entscheider*innen des BAMF und die Verwaltungsgerichte die Asylgesuche nur anhand des Vorbringens der Antragstellenden bewerten, weil keine anderen Beweismittel zur Verfügung stehen. Entscheidend ist deshalb, ob es den Flüchtlingen gelingt, die tatsächliche oder die drohende Verfolgung wegen ihrer LSBTIQ*-Identität glaubhaft zu machen. Das setzt einen schlüssigen Sachvortrag der Antragsstellenden voraus, der detailliert, lückenlos und ohne wesentliche Widersprüche den behaupteten Asylanspruch verdeutlicht, und zwar möglichst schon bei der ersten Anhörung.

Nach der Rechtsprechung des EuGHs dürfen die Entscheider*innen zwar auch nachprüfen, ob die Behauptungen der Flüchtlinge über ihre LSBTIQ*-Identität tatsächlich zutreffen, aber sie müssen dabei die Menschenwürde der Befragten respektieren. Detaillierte Befragungen zu sexuellen Praktiken, psychologische Gutachten und medizinische Tests sowie das Einbeziehen von intimen Fotos sind unzulässig.

Letztlich bleibt ein subjektives Moment. Es ist nicht ausgeschlossen, dass eine Glaubwürdigkeit von den Stereotypen und Vorstellungen im BAMF über „richtige“ LSBTIQ* abhängt.

6. Wann ist eine Verfolgungsgefahr gegeben?

Die Verfolgungshandlungen durch staatliche oder nicht-staatliche Akteur*innen müssen so gravierend sein, dass sie (mindestens zusammengenommen) eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen. Dazu zählen

  • die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt gegen LSBTIQ*,
  • gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen gegen LSBTIQ*, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
  • eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung von Homosexuellen,
  • die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung

Die drohende Verhängung einer Freiheitsstrafe für gleichgeschlechtliche Sexualität ist laut einem Urteil des EuGH vom Herbst 2013 eine asylbegründende Verfolgungshandlung. Die Verfolgungshandlungen durch staatliche oder nicht-staatliche Akteur*innen müssen so gravierend sein, dass sie (mindestens zusammengenommen) eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung darstellen.

Beschimpfungen, Schmähungen und unsubstantiierte Drohungen sowie die Vermittlung eines Gefühls des Unerwünschtseins reichen nach der bisherigen Rechtsprechung als „Verfolgungshandlungen“ nicht aus. Sie gelten als nicht so gravierend, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen.

Wenn Asylbewerber*innen unverfolgt aus ihrem Herkunftsland ausgereist sind, werden sie als Flüchtlinge nur anerkannt, wenn LSBTIQ* in ihrem Heimatland als Gruppe verfolgt werden. Laut Rechtsprechung müssen die Verfolgungshandlungen auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht.

Anerkannt wird auch, wenn der Staat nicht fähig oder willens ist, Schutz vor Verfolgung zu bieten.

7. Was ist, wenn die LSBTIQ*-Geflüchteten aus „sicheren Herkunftsstaaten“ kommen?

In den Westbalkan-Ländern, sowie Georgien und Moldau, die in Deutschland gesetzlich als so genannte sichere Herkunftsstaaten eingestuft sind, gibt es gesellschaftliche, oft von staatlichen Stellen geduldete oder gar unterstützte Unterdrückung von LSBTIQ*, die sich in der Summe zur asylrelevanten Verfolgung verdichten kann. Mit Ghana und Senegal stehen sogar zwei Länder in der Liste „sicherer Herkunftsstaaten“, in denen homosexuelle Handlungen strafbar sind.

LSBTIQ*-Geflüchtete aus „sicheren Herkunftsstaaten“ können sich zwar auf ihre Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität berufen, aber das Verfahren ist so verkürzt, dass sie es schwer haben, die ihnen drohende Verfolgung geltend zu machen. Das Konzept der „sichere Herkunftsstaaten“ begegnet größten menschenrechtlichen Bedenken. Kraft Gesetzes wird vermutet, Flüchtlingen drohe dort keine Verfolgung. Die damit verbundenen Schnellverfahren ohne Zugang zu fachkundiger Beratung und ausreichendem Rechtsschutz bedeuten gerade für Menschen aus dem LSBTIQ*-Personenkreis, dass sie faktisch von einer fairen Prüfung ihrer Asylgründe ausgeschlossen werden. Zudem werden sie verpflichtend in besonderen Aufnahmeeinrichtungen mit Menschen aus ihren Herkunftsländern untergebracht, so dass sie Gefahr laufen, Unterdrückungs- und Ausgrenzungsmechanismen bis hin zur Gewalt wie in ihrer Heimat ausgesetzt zu sein.

Jetzt will die Bundesregierung auch Algerien, Marokko und Tunesien für „sicher“ erklären, obwohl homosexuelle Handlungen dort ebenfalls strafrechtlich verfolgt werden. Die Einwände des Bundesrats hat die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung damit abgetan, dass eine „systematische Verfolgung (verdeckte Ermittlungen etc.)“ nicht stattfinde und Homosexualität für die Behörden (nur) dann strafrechtlich relevant werde, wenn sie offen ausgelebt wird. Damit greift die Bundesregierung auf die frühere Praxis das BAMF und der deutschen Verwaltungsgerichte zurück, dass Asylsuchende ihre Homosexualität zurückgezogen in der Privatsphäre leben könnten und dann nicht gefährdet seien. Das hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 07.11.2013 (C-199/12 bis C-201/12) ausdrücklich für unzulässig erklärt. Wörtlich heißt es in dem dritten Leitsatz des Urteils: „Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden von dem Asylbewerber nicht erwarten, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.“

Der LSVD⁺ protestiert gemeinsam mit anderen Menschenrechtsorganisationen entschieden gegen diese Regierungspläne. Bislang konnten sie dank dem Bundesrat aufgehalten werden. Nach dem grundlegenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1996 (BVerfGE 94,115) dürfen Staaten nur zu sicheren Herkunftsstaaten bestimmt werden, wenn dort landesweit für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen Sicherheit vor politischer Verfolgung besteht. Wenn Deutschland Staaten für „sicher“ erklärt, in denen homosexuelle Handlungen strafrechtlich verfolgt werden, ist das eklatant rechtswidrig. Deutschland macht sich zum Handlanger von Regierungen, die die Menschenrechte von LSBTIQ* verleugnen und mit Füßen treten. Eine solche Politik schwächt den weltweiten Kampf zur Abschaffung der Kriminalisierung von Homosexualität empfindlich.

Verfolgerstaaten können keine „sicheren Herkunftsländer“ sein.

8. Wie sieht die Entscheidungspraxis aus?

Die von den Asylbewerber*innen angegebenen Fluchtgründe werden durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) statistisch nicht erfasst. So gibt es weder verlässliche Zahlen hinsichtlich der Anträge von LSBTIQ* noch hinsichtlich ihrer Anerkennung.

Immer wieder gibt es jedoch Berichte über eine sehr restriktive Vergabe von Asyl aufgrund der Verfolgung wegen der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität. Die Lage im Herkunftsland wird verharmlost. Das galt lange Zeit auch für die „Lageberichte“ des Auswärtigen Amtes. Früher wurden Asylgesuche zudem mit der Begründung abgelehnt, die Antragstellenden bräuchten keine Verfolgung zu befürchten, wenn sie nicht offen leben. Das ist laut einem EuGH-Urteil vom Herbst 2013 nicht mehr zulässig.

Antragstellende, die sich im Herkunftsland nicht geoutet haben, müssen das glaubhaft mit einer Angst vor Verfolgung begründen. Wenn sie dagegen angeben, dass sie das aus eigenem Entschluss getan haben, um etwa ihre Familie nicht mit hineinzuziehen, geht das BAMF davon aus, dass sie diesen Lebensstil für sich akzeptieren können. Der Flüchtlingsschutz wird deshalb abgelehnt.

9. Was wäre notwendig?

Der LSVD⁺ setzt sich für kultursensibel geführte und faire qualifizierte Asylverfahren ein. Alle am Asylverfahren Beteiligten sollten um die Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität als anerkannten Asylgrund, den spezifischen Schwierigkeiten und der Rechtsprechung wissen. Dazu gehören Flüchtlinge, Mitarbeitende in den Behörden, Dolmetscher*innen, Beratungsstellen und Verwaltungsgerichte. Für faire und kultursensible Asylverfahren ist eine Sensibilisierung hinsichtlich der Beratungs- und Befragungspraxis sowie der Lagebeurteilung notwendig. LSBTIQ*-Flüchtlinge müssen Zielgruppe und Thema im Aktionsplan "Queer leben" der Bundesregierung sein.

Grundlage für die Befragungspraxis muss das EuGH-Urteil vom 02.12.2014 (C-148-150/13) sein. Es braucht fundierte, ungeschönte Länderberichte zur Situation von LSBTIQ*, um die Glaubwürdigkeit von (drohender) Verfolgung einschätzen zu können. Flüchtlingsstatus sollte gewährt werden, wenn die Antragstellenden aus Ländern kommen, in denen LSBTIQ* mit Hilfe von strafrechtlichen Bestimmungen verfolgt werden. Zudem sollte selbstverständlich sein, dass nicht erwartet werden kann, dass bei nicht-staatlicher Verfolgung in diesen Ländern zuerst Schutz bei den dortigen staatlichen Behörden gesucht werden muss.

Es muss zudem klar sein, dass von den Antragstellenden nicht verlangt werden kann, sich nicht zu outen, um eine Verfolgung zu vermeiden. Eine Flucht im Herkunftsland ist nur eine Alternative, wenn LSBTIQ* in anderen Teilen des Landes nicht verfolgt werden.

Die Erhebung, Koordination, Sicherung und Qualifizierung einer Beratungs- und Unterstützungsstruktur für LSBTIQ*-Flüchtlinge ist Aufgabe der Länder und Kommunen.

10. Welche Schwierigkeiten stellen sich bezüglich der Unterbringung?

Die Flüchtlingsunterkünfte sind teilweise auch heute noch oftmals geprägt von Überbelegung, fehlender Privatsphäre und erheblichen Missständen hinsichtlich Hygiene und Sicherheit. Durchgängig fehlt es in großen Unterkünften an Privatsphäre. Zudem gibt es die Proteste und Angriffe aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Diese Zustände und Erfahrungen von Flüchtlingen führen allgemein zu einem frustrations- und aggressionsfördernden Umfeld.

Für LSBTIQ*-Flüchtlinge sind diese Unterkünfte oftmals kein sicherer Ort, schon gar nicht, wenn sie offen leben bzw. geoutet sind. Konservative und homophobe Einstellungen sind auch unter ihren Mitbewohner*innen verbreitet. Die mangelnde Privatsphäre führt zu einer verstärkten Angst vor Entdeckung, etwa, weil private Gespräche kaum möglich sind, das persönliche Eigentum nicht geschützt werden kann. Es gibt zahlreiche Berichte, dass LSBTIQ* in Aufnahmeeinrichtungen von anderen Flüchtlingen eingeschüchtert, drangsaliert und bedroht wurden. Immer wieder kommt es zu verbalen und körperlichen Attacken. Anzeige wird meist nicht gestellt und wir gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. 

Behörden und Träger müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit Flüchtlinge keine Gewalt erfahren, weder außer- noch innerhalb der Unterkünfte. Fraglich ist auch, ob LSBTIQ*-Geflüchtete allerorten Heimleitungen und Personal vertrauen können bzw. sich diesen anvertrauen.

11. Was würde LSBTIQ*-Flüchtlinge in den Unterkünften unterstützen?

Die Behörden müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit Geflüchtete keine Gewalt erfahren, ob außer- oder innerhalb der Unterkünfte. Menschenwürdige Unterkünfte mit einem ausreichenden Betreuungsschlüssel würden zudem alle Flüchtlingen zu gute kommen und zu einem weniger angespannten Umfeld führen. Für die Unterbringung sind die Bundesländer und die Kommunen verantwortlich.

Für die Aufnahmeeinrichtungen müssen Gewaltschutzkonzepte umgesetzt werden, um den negativen Folgen des beengten Lebens ohne Privatsphäre entgegenzuwirken. Diese müssen Gruppen mit erhöhtem Diskriminierungsrisiko wie LSBTIQ* besser berücksichtigen. Sie müssen als besonders schutzbedürftige Gruppe anerkannt werden. Alle Träger der Einrichtungen müssen verbindliche Mindeststandards einhalten, etwa verbindliche und kommunizierte Hausordnungen in mehreren Sprachen, die ein rücksichtsvolles und diskriminierungsfreies Zusammenleben einfordern. Als Orientierung sollten dabei die im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz genannten Merkmale dienen. Hier gibt es bereits gute Vorbilder. Hier gibt es gute Ansätze einzelner Träger. Besonders vorbildlich ist der z.B. Arbeitersamariterbund NRW, der gemeinsam mit dem LSVD⁺ eine Handreichung zum Thema LSBTIQ*-Flüchtlinge herausgegeben hat.

Zu einem LSBTIQ*-inklusiven Gewaltschutzkonzept gehört sensibilisiertes Personal. Bei einer Gefährdungslage oder Gewaltvorfällen müssen Schutzräume zur Verfügung stehen und eine zügige Verlegung in Einzelzimmer oder andere Unterkünfte ermöglicht werden. Straftaten müssen geahndet werden. Auch um Gefährdungen vorzubeugen, vor allem aber um soziale Kontakte zu stärken, Integration und freie Entfaltung zu fördern, fordert der LSVD⁺ die Aufhebung der Residenzpflichten für Flüchtlinge.

LSBTIQ*-Flüchtlinge werden in der Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU nicht ausdrücklich als „besonders schutzbedürftige Gruppe“ erwähnt. Das muss Behörden aber nicht davon abhalten, diese trotzdem als solche zu behandeln. Es ist zu empfehlen, dass LSBTIQ*-Geflüchtete vorzugsweise in größeren Städten, dezentral statt in Gemeinschaftsunterkünften und/oder in Unterkünfte speziell für diese Gruppe untergebracht werden.

12. Wie stehen deutsche Lesben und Schwule Flüchtlingen gegenüber? Haben sie mehr Angst?

Dazu gibt es keine Erhebungen. Es ist aber anzunehmen, dass sich die Bandbreite an Einstellungen zu Geflüchteten in der Gesamtbevölkerung auch unter deutschen LSBTIQ* wiederfindet. Bislang gibt es keine Belege für eine Zunahme an homo- und transphoben Vorfällen. In solch einem Fall wäre es dann immer noch fraglich, ob das auf die vermehrte Anzahl an Geflüchteten zurückzuführen wäre.

13. Flüchtlinge sind doch auch homophob. Wie geht man damit um?

Viele Flüchtlinge kommen aus Ländern, in denen sich demokratische Traditionen kaum entfalten konnten, in denen gleichgeschlechtliche Beziehungen strafrechtlich verboten sind und LSBTIQ* staatlich und gesellschaftlich massiv verfolgt werden. Auch wenn die Menschen vor Unterdrückung, vor undemokratischen Zuständen oder Krieg in ihrer Heimat flüchten, haben viele von ihnen gesellschaftliche Prägungen ihrer Herkunftsländer mit im kulturellen Gepäck, z.B. hinsichtlich Geschlechterrollen oder Einstellungen zu unterschiedlichen sexuellen Orientierungen und geschlechtlichen Identitäten. Das schmälert nicht ihren Anspruch auf menschenwürdige Aufnahme und ihr Recht, Asyl zu beantragen und bei Vorliegen der Voraussetzungen Schutz zu erhalten. Es bedeutet aber, dass es eine Politik des Hinsehens und gezielte Integrationsangebote geben muss.

Dass sich Flüchtlinge in Deutschland auch an das Grundgesetz und die anderen Gesetze halten müssen, ist eine Selbstverständlichkeit. Niemand bestreitet das. Einstellungen können nicht verordnet werden, sondern verändern sich durch Kritik, Argumente und Vorleben. Die Bereitschaft zur Integration und Identifikation ist zudem maßgeblich von der Erfahrung einer menschenrechtskonformen Flüchtlingspolitik und von den Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe abhängig.

Zusätzlich zur Integrationsunterstützung bei Bildung, Arbeitsmarkt und Wohnen ist ein unabdingbarer Aspekt von Integration auch das gesellschaftliche Miteinander und das Sichern eines dem Grundgesetz verpflichteten Zusammenlebens. Sämtliche Programme zur Integration sowie Materialien zum Spracherwerb sind auch darauf auszurichten, dass sie für Demokratie, Vielfalt und individuelle Freiheitsrechte einschließlich des Respekts für LSBTIQ* werben. Die Rechte und die Situation von LSBTIQ* müssen verpflichtendes Thema in den Integrationskursen sein und dort angemessen breit thematisiert werden. Das stärkt auch LSBTIQ* unter den Flüchtlingen dabei, sich in unserer Gesellschaft zu entfalten. Es ist sicherzustellen, dass Sprach- und Orientierungskurse ausreichend und überall angeboten sowie von interkulturell qualifiziertem, für LSBTIQ* sensibilisiertem Personal durchgeführt werden. Integrationskurse müssen zudem von Anfang an allen Schutzsuchenden offenstehen, sonst geht wertvolle Zeit verloren. Um die notwendige Qualität der Integrationskurse zu gewährleisten, bedarf es einer angemessenen Honorierung der Dozent*innen.

Integration verstanden als gesellschaftlicher Zusammenhalt und Teilhabe ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Denn auch in Deutschland sind gleiche Rechte, Vielfalt und Respekt weder verwirklicht noch gesichert. Die beste Möglichkeit, Neuankommenden den Anspruch von LSBTIQ* auf Respekt zu vermitteln, ist, auch in Deutschland endlich die volle rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung zu verwirklichen. 

Auch viele Alteingesessene in Deutschland haben großen Nachholbedarf in Sachen Respekt und Akzeptanz für LSBTIQ*. Deshalb muss die Bundesregierung endlich den versprochenen Nationalen Aktionsplan gegen Homo-, Queer- und Transfeindlichkei auf den Weg bringen.

Wer mit den Themen LSBTIQ*-Feindlichkeit Ängste vor Flüchtlingen schürt, gleichzeitig aber volle rechtliche Gleichstellung blockiert oder gegen eine Pädagogik der Vielfalt kämpft, handelt scheinheilig. Der LSVD⁺ verwahrt sich entschieden gegen eine solche Instrumentalisierung des Themas LSBTIQ*-Feindlichkeit.

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