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Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)

Recht

Gerichtsentscheidungen zum Asylrecht für geflüchtete LSBTI

Rechtsprechung zur Anerkennung von Verfolgung und Eigenschaft als soziale Gruppe sowie zum Asylverfahren

Asylrecht und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für LSBTI-Geflüchtete: Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), des Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und der (Ober)Verwaltungsgerichte

Dieser Beitrag trägt die Rechtsprechung zur allgemeinen Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund der Verfolgung wegen der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität bzw. Asylrecht für verfolgte Lesben, Schwule, bisexuelle, trans* und intergeschlechtliche Menschen (LSBTI) zusammen. Eine Aufstellung von Gerichtsurteilen zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. Verfolgungssituation nach bestimmten Herkunftsländern haben wir hier zusammengestellt. 

Unseren Ratgeber zum Asylrecht gibt es hier.

Asyl für verfolgte LSBTI

--- Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

1. Art. 8 EMRK kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er eine allgemeine Verpflichtung einem Vertragsstaat gegenüber beinhaltet, die Wahl des gemeinsamen Wohnorts einer Familie zu respektieren und die Niederlassung von ausländischen Ehepartnern im Land zu akzeptieren oder auf seinem Gebiet die Familienzusammenführung zu genehmigen. Dennoch können die von den Staaten im Bereich der Einwanderung getroffenen Entscheidungen in bestimmten Fällen einen Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK begründen, insbesondere wenn die Betroffenen im Aufnahmestaat ausreichend starke persönliche oder familiäre Beziehungen haben, die Gefahr laufen, schwerwiegend geschädigt zu werden, sollte die fragliche Maßnahme angewendet werden (so auch das BVerwG, siehe unten und dort unter "Verwaltungsgerichte").

2. Wenn unverheiratete verschiedengeschlechtliche Paare die Nachzugserlaubnis für den ausländischen Partner dadurch erlangen können, dass sie heiraten oder eine registrierte Partnerschaft eingehen, während unverheiratete gleichgeschlechtliche Paare diese Möglichkeit nicht haben, verstößt die Ablehnung der Nachzugserlaubnis für Partner von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 14 in Verbindung mit 8 EMRK hinsichtlich des Familienlebens.

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Machen Asylsuchende geltend, in ihrem Herkunftsland einer "verletzlichen Gruppe" (hier: Homosexuelle) anzugehören, haben dies die Behörden im Aufnahmeland besonders zu berücksichtigen. Sie müssen Situationen vermeiden, die im Aufnahmeland zur Wiederholung des Verfolgungsschicksals führen können. 

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1. Die Ablehnung des Asylantrags des zum Christentum übergetretenen Beschwerdeführers ist fehlerfrei. Er wurde zu seinem Glaubensübertritt persönlich befragt und sein Asylantrag in mehreren Verfahren von zwei Instanzen geprüft (in Abgrenzung zu EGMR, Urteil F.G. gegen Schweden vom 23.3.2016, Nr. 43611/11, wo keine Prüfung der Konversion stattgefunden hatte).
2. Unter Berücksichtigung einschlägiger Berichte über die Situation von zum Christentum konvertierten Muslime im Iran ist die Einschätzung der Schweizer Behörden adäquat, dass Konvertiten im Iran nur dann dem Risiko einer Misshandlung ausgesetzt sind, wenn sie durch die öffentliche Ausübung ihres Glaubens die Aufmerksamkeit der iranischen Behörden erregen. Zum Christentum Übergetretene, die ihren Glauben diskret pflegten, hätten demgegenüber kein Risiko zu befürchten.
3. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer nicht dargelegt, dass für ihn die öffentliche Ausübung wesentlich ist. Daher unterscheidet sich seine Situation von dem Fall, der dem Urteil des EuGH vom 5.9.2012 in der Rechtssache Deutschland gegen Y. und Z. (C-71/11 und C-99/11) zugrunde lag. In diesem Fall war für die Betroffenen die öffentliche Ausübung ihres Glaubens essentiell für die Bewahrung ihrer religiösen Identität.
4. Die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran würde nicht zu einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK führen.

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Leitsatz: Kein staatlicher Schutz für LSBTI vor nichtstaatlicher Verfolgung in Gambia:

  1. Homosexualität steht in Gambia unter Strafe. Es kommt jedoch darauf an, ob Strafen tatsächlich vollstreckt werden, um zu beurteilen, ob eine Verletzung von Art. 3 EMRK mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Es gibt keine Erkenntnisse, dass die Strafnormen seit dem Regierungswechsel in Gambia weiterhin angewandt werden.
  2. Nach aktuellen Erkenntnissen sind Homophobie und Diskriminierung durch nichtstaatliche Akteure in Gambia weit verbreitet. Der gambische Staat bietet vor dieser Art von Verfolgung keinen Schutz. Die weiterhin bestehende Strafgesetzgebung ist ein wesentlicher Indikator dafür, dass staatlicher Schutz nicht zur Verfügung steht.

(Leitsätze der Asyl.Net Redaktion)

--- Europäischer Gerichtshof (EuGH)

1. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass

  • nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstößt, bereits eine "Verfolgungshandlung" im Sinne dieser Bestimmung der Richtlinie darstellt;
  • eine Verfolgungshandlung sich aus einem Eingriff in die öffentliche Ausübung dieser Freiheit ergeben kann und
  • bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt, eine "Verfolgungshandlung" darstellen kann, die zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Betroffenen prüfen müssen, ob er aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u. a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie 2004/83 genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.

2. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 ist dahin auszulegen, dass eine begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling können die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten, auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten.

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1. Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen wie der in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung erlaubt, dass diese Personen als eine bestimmte soziale Gruppe anzusehen sind.
2. Art. 9 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 ist dahin auszulegen, dass der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, als solcher keine Verfolgungshandlung darstellt. Dagegen ist eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind und die im Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar.
3. Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/83 ist dahin auszulegen, dass vom Geltungsbereich der Richtlinie nur homosexuelle Handlungen ausgeschlossen sind, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten strafbar sind. Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden vernünftigerweise nicht erwarten, dass der Asylbewerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.

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Art. 4 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes und Art. 13 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft sind dahin auszulegen, dass die zuständigen nationalen Behörden, die unter der Kontrolle der Gerichte tätig werden, im Rahmen ihrer Prüfung der Ereignisse und Umstände, die die behauptete sexuelle Ausrichtung eines Asylbewerbers betreffen, dessen Antrag auf die Furcht vor Verfolgung wegen dieser Ausrichtung gestützt ist, dessen Aussagen und die zur Stützung seines Antrags vorgelegten Unterlagen oder sonstigen Beweise nicht anhand von Befragungen beurteilen dürfen, die allein auf stereotypen Vorstellungen von Homosexuellen beruhen.

Art. 4 der Richtlinie 2004/83 ist im Licht von Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen dieser Prüfung keine detaillierten Befragungen zu den sexuellen Praktiken eines Asylbewerbers durchführen dürfen.

Art. 4 der Richtlinie 2004/83 ist im Licht von Art. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen dieser Prüfung keine Beweise der Art akzeptieren dürfen, dass der betreffende Asylbewerber homosexuelle Handlungen vornimmt, sich „Tests“ zum Nachweis seiner Homosexualität unterzieht oder auch Videoaufnahmen solcher Handlungen vorlegt.

Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 und Art. 13 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2005/85 sind dahin auszulegen, dass die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen dieser Prüfung nicht allein deshalb zu dem Ergebnis gelangen dürfen, dass die Aussagen des betreffenden Asylbewerbers nicht glaubhaft sind, weil er seine behauptete sexuelle Ausrichtung nicht bei der ersten ihm gegebenen Gelegenheit zur Darlegung der Verfolgungsgründe geltend gemacht hat.

  • EuGH (Große Kammer), Urt. v. 02.12.2014 - C-148-150/13 (Rs. A, B, C / Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie) - Schlussanträge; InfAuslR 2015, 72; ZAR 2015, 156, m. Anm. Andreas Pfersich, 158, und Bspr. Uwe Berlit, ZAR 2016, 332; Asylmagazin 2015, 30; DVBl 2015, 165, m. Anm. Klaus Ferdinand Gärditz, 167; NVwZ 2015, 132, m. Anm. Nora Markard, 135; EuGRZ 2015, 167; FamRZ 2015, 203; BayVBl 2015, 231

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1. Art. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass er der für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz zuständigen Behörde oder den Gerichten, bei denen gegebenenfalls eine Klage gegen eine Entscheidung dieser Behörde anhängig ist, nicht untersagt, im Rahmen der Prüfung der Tatsachen und Umstände, die sich auf die behauptete sexuelle Orientierung eines Antragstellers beziehen, ein Gutachten in Auftrag zu geben, soweit die Modalitäten eines solchen Gutachtens in Einklang mit den in der Charta garantierten Grundrechten stehen, die Behörde und die Gerichte ihre Entscheidung nicht allein auf die Ergebnisse des Gutachtens stützen und sie bei der Bewertung der Aussagen des Antragstellers zu seiner sexuellen Orientierung nicht an diese Ergebnisse gebunden sind.
2. Art. 4 der Richtlinie 2011/95 ist im Licht von Art. 7 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen, dass er es untersagt, zur Beurteilung der Frage, ob die behauptete sexuelle Orientierung einer um internationalen Schutz nachsuchenden Person tatsächlich besteht, ein psychologisches Gutachten wie das im Ausgangsverfahren streitige zu erstellen und heranzuziehen, das auf der Grundlage eines projektiven Persönlichkeitstests die sexuelle Orientierung dieser Person abbilden soll.

--- Bundesverfassungsgericht

Ein Beweisbeschluss, der eine Sachverhaltsermittlung in dem Staat anordnet, in dem der Asylbewerber wegen seiner Homosexualität verfolgt zu werden angibt, und der dazu führt, dass Informationen über die homosexuelle Orientierung des Asylbewerbers an einen nicht näher umgrenzten Kreis von Personen in diesem Staat preisgegeben werden, verstößt gegen das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Asylbewerbers.

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Leitsatz: Mögliche Verfolgung wegen Homosexualität in Pakistan ist im Folgeverfahren zu prüfen:

  1. Für die Zulässigkeit eines Asylfolgeantrags genügt der glaubhafte und substantiierte Vortrag hinsichtlich der Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland oder der das persönliche Schicksal bestimmenden Umstände. Keine Rolle spielt es, ob der neue Vortrag tatsächlich zutrifft, denn dies muss in einem neuen, mit den Verfahrensgarantien des AsylG ausgestatteten Asylverfahren beurteilt werden.
  2. Die Frage, ob Männern in Pakistan wegen ihrer Homosexualität staatliche oder nichtstaatliche Verfolgung droht, ist weder höchstrichterlich geklärt noch in der Rechtsprechung einheitlich beurteilt. Eine dahingehende Klärung muss im Asylfolgeverfahren erfolgen und darf nicht in die Entscheidung über die Zulässigkeit des Folgeantrags verlagert werden.

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Leitsatz: Geheimhaltung der sexuellen Orientierung unzumutbar:

  1. Die Verfassungsbeschwerde hat wegen unzureichender Substantiierung keine Aussicht auf Erfolg. Die angegriffene Entscheidung hat den Vortrag des Beschwerdeführers zu einer Vorverfolgung und zu der Behauptung, ihm sei es wichtig, seine homosexuelle Beziehung öffentlich zu leben, als unglaubhaft eingestuft. Zudem ist es davon ausgegangen, dass es ihm in den Millionenstädten Nigerias möglich sein werde, dort auch in einer homosexuellen Beziehung zu leben, ohne identifiziert zu werden. Mit dieser Begründung hat sich die Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend auseinandergesetzt.
  2. Die Annahme, eine gleichgeschlechtlich verheiratete bisexuelle Person könne darauf verwiesen werden, ihre homosexuelle Orientierung in ihrem Herkunftsland geheimzuhalten (sogenanntes Diskretionsgebot), ist dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 07.11.2013 - C-199/12; C-200/12; C-201/12 X,Y,Z gg. Niederlande (Asylmagazin 12/2013) - asyl.net: M21260) schlechthin unvertretbar und würde die Willkürschwelle überschreiten.
  3. Zwar mögen die entsprechenden Formulierungen der angegriffenen Entscheidung missverständlich sein, jedoch lässt sich ihr eine solche allgemeine Aussage nicht entnehmen.

--- Bundesverwaltungsgericht

Die nachfolgenden Urteile des Bundesverwaltungsgerichts sind aufgrund der Urteile des EuGH vom 05.09.2012 - C-71/11 und C-99/11 - und vom 7.11.2013 - C-199/12, C-200/12, C-201/12 - siehe oben - überholt. Siehe dazu unten das Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 07.11.2013 - A 9 S 1873/12

Eine politische Verfolgung i.S. des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG (erg.: a.F.) kann unter bestimmten Voraussetzungen auch dann gegeben sein, wenn andere als die in Art. 1 A Nr. 2 GK ausdrücklich genannten Merkmale und Eigenschaften zum Anknüpfung- und Bezugspunkt für Verfolgungsmaßnahmen genommen werden (hier: auf irreversible, schicksalhafte homosexuelle Prägung abzielende Todesstrafe im Iran).

  • BVerwG, Urt. v. 15.03.1988 - 9 C 278.86; BVerwGE 79, 143; InfAuslR 1988, 230; NVwZ 1988, 838; JZ 1988, 709, m. Anm. Kimminich, 713; DVBl. 1988, 747; DÖV 1988, 692 

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Eine homosexuelle Veranlagung, aufgrund derer es immer wieder zu gleichgeschlechtlichen Kontakten kommen wird, stellt unter den im Iran derzeit bestehenden Verhältnissen auch dann ein asylrelevantes Persönlichkeitsmerkmal dar, wenn der Homosexuelle nicht ausschließlich auf Sexualkontakte mit Partnern seines Geschlechts festgelegt ist.

  • BVerwG, Urt. 17.10.1989 - 9 C 25.89; InfAuslR 1990, 104; NVwZ-RR 1990, 375

--- Verwaltungsgerichte

Eine ärztliche Aussage darüber, dass es dem Flüchtling aufgrund seiner Herkunft und Prägung schwerfalle, über seine Homosexualität zu sprechen, ist grds. geeignet, die Widersprüchlichkeiten in Aussagen zu erklären. 

Diskretionsgebot

Tenor:

3. Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/83 ist dahin auszulegen, dass vom Geltungsbereich der Richtlinie nur homosexuelle Handlungen ausgeschlossen sind, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten strafbar sind. Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden vernünftigerweise nicht erwarten, dass der Asylbewerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.

(Korrigierter Tenor, vgl. zum Übersetzungsfehler Artikel des LSVD zum Diskretionsgebot und Artikel des Asylmagazins)

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Redaktioneller Leitsatz:
Angesichts der Auskunftslage, die von einer Strafbarkeit außerehelichen Verkehrs spricht, die die soziale Ächtung bis hin zu Ehrenmorden von Homosexuellen schildert, die Bedrohung durch konfessionelle Milizen sowie den Schutzunwillen des Staates und die Angst der Homosexuellen, die im Regelfall zu einer Geheimhaltung der sexuellen Neigung führt, ist davon auszugehen, dass jeder vernünftig denkende, besonnene Homosexuelle ernsthaft Furcht vor im Rahmen des Asylrechts erheblichen Rechtsgutsverletzungen im Irak haben muss. (Rn. 28) 

Homosexuelle sind durch das Asylrecht nicht nur vor tatsächlichen, aktiven Repressalien geschützt, also wenn sie tatsächlich bereit sind, für die Neigung Verfolgung auf sich zu nehmen, sondern auch dann geschützt, wenn sie ihre Homosexualität im Herkunftsland geheim halten würden oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung üben, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden. 

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Homosexuelle im Irak sind eine soziale Gruppe i.S.v. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Man kann von ihnen nicht verlangen, ihre Neigung zu unterdrücken bzw. geheim zu halten. Von einem Homosexuellen ist insoweit nicht mehr Zurückhaltung als von einem Heterosexuellen zu verlangen (vgl. EuGH, Urteil vom 07. November 2013 – C-199/12 bis C-201/12).

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1. Homosexuelle bilden in Nigeria eine soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG.
2. Maßgebend ist allein das identitätsprägende Merkmal der sexuellen Ausrichtung als solches. Eine Verfolgung bleibt nämlich auch dann eine Verfolgung, wenn der Betroffene nach Rückkehr in sein Herkunftsland die Möglichkeit hat, sich bei der Ausübung seiner Rechte und Freiheiten diskret zu verhalten, indem er seine Sexualität verheimlicht oder davon Abstand nimmt, nach seiner sexuellen Ausrichtung zu leben.
3. Selbst wenn unterstellt wird, dass der Kläger nicht in seinen Heimatort zurückkehren kann, weil ihm dort Homosexualität zugeschrieben würde, steht dem Kläger schon deshalb kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu, weil für ihn eine interne Schutzmöglichkeit i.S. des § 3e AsylG existiert. Es ist dem Kläger möglich, sich einer etwaigen Bedrohung in seiner Heimatregion dadurch zu entziehen, dass er seinen Aufenthalt an einen anderen, ausreichend weit von seiner Heimatstadt entfernten Ort – sei es Lagos, Abuja oder Ibadan – verlagert. 

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Leitsätze:

1. Dem Kläger drohen im Falle seiner Rückkehr nach Kamerun mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrelevante Verfolgungsmaßnahmen in Anknüpfung an seine Homosexualität.

2. Bei Homosexuellen, die in Kamerun offen ihre Veranlagung leben und dort deshalb als solche öffentlich bemerkbar sind, kann nach Auswertung der vorhandenen Erkenntnismittel mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass sie deswegen verfolgt werden. Zudem widersprechen die Haftbedingungen gerade für Personen, die als homosexuell angesehen werden, sehr häufig den Anforderungen aus Art. 3 EMRK. Außerdem ist es beachtlich wahrscheinlich, dass Homosexuelle, die in Kamerun offen ihre Veranlagung leben und dort deshalb öffentlich bemerkbar sind, auch von privater Seite Verfolgungshandlungen erleiden (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 07.03.2013 - A 9 S 1872/12 - Rdnr. 102, juris). 

3. Bei der Gefahrenprognose können nicht bestimmte Verhaltensweisen von vornherein für verzichtbar angesehen werden. Maßgebend ist allein das identitätsprägende Merkmal als solches. Verfolgung bleibt auch dann eine Verfolgung, wenn der Betroffene nach Rückkehr in sein Herkunftsland die Möglichkeit hat, sich bei der Ausübung seiner Rechte und Freiheiten diskret zu verhalten (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 07.03.2013 - A 9 S 1872/12 - Rdnr. 48, juris).

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Homosexuelle werden durch das Asylrecht nicht nur vor tatsächlichen, aktiven Repressalien geschützt, sondern auch dann, wenn sie ihre Homosexualität in ihrem Herkunftsland geheim halten würden ode rZurückhaltung beim Ausleben ihrer sexuellen Ausrichtung üben, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.

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Leitsatz des BVerfG: Geheimhaltung der sexuellen Orientierung unzumutbar

1. Die Verfassungsbeschwerde hat wegen unzureichender Substantiierung keine Aussicht auf Erfolg. Die angegriffene Entscheidung hat den Vortrag des Beschwerdeführers zu einer Vorverfolgung und zu der Behauptung, ihm sei es wichtig, seine homosexuelle Beziehung öffentlich zu leben, als unglaubhaft eingestuft. Zudem ist es davon ausgegangen, dass es ihm in den Millionenstädten Nigerias möglich sein werde, dort auch in einer homosexuellen Beziehung zu leben, ohne identifiziert zu werden. Mit dieser Begründung hat sich die Verfassungsbeschwerde nicht hinreichend auseinandergesetzt.

2. Die Annahme, eine gleichgeschlechtlich verheiratete bisexuelle Person könne darauf verwiesen werden, ihre homosexuelle Orientierung in ihrem Herkunftsland geheimzuhalten (sogenanntes Diskretionsgebot), ist dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 07.11.2013 - C-199/12; C-200/12; C-201/12 X,Y,Z gg. Niederlande (Asylmagazin 12/2013) - asyl.net: M21260) schlechthin unvertretbar und würde die Willkürschwelle überschreiten.

3. Zwar mögen die entsprechenden Formulierungen der angegriffenen Entscheidung missverständlich sein, jedoch lässt sich ihr eine solche allgemeine Aussage nicht entnehmen.

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Flüchtlingsanerkennung für homosexuellen Mann aus Pakistan; Verweis auf "diskreten Lebensstil" rechtsfehlerhaft.

Leitsätze der asyl.net Redaktion:

1. Homosexuelle Männer bilden in Pakistan eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Homosexuelle Handlungen sind in Pakistan unter Strafe gestellt, und die Strafandrohung wird in Einzelfällen auch vollzogen. Zudem existieren zahlreiche Übergriffe nichtstaatlicher Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG gegen Personen, die ihre Homosexualität offen leben.

2. Es besteht kein interner Schutz. Selbst wenn es Personen aus der oberen pakistanischen Mittelschicht möglich sein sollte, in Großstädten wie Lahore, Karachi oder Islamabad "diskret und unter dem Radar zu leben", kann von Betroffenen nicht verlangt werden, ihre sexuelle Orientierung lediglich in Kreisen auszuleben, die ihre sexuelle Orientierung teilen oder tolerieren.

3. Die Argumentation, bei einer "diskreten Lebensweise" seien homosexuelle Personen in Pakistan nicht bedroht, ist rechtsfehlerhaft und verstößt gegen Entscheidungen des BVerfG und des EuGH (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.01.2020 - 2 BvR 1807/19 - Asylmagazin 3/2020, S. 80 f. - asyl.net: M28078 und EuGH, Urteil vom 07.11.2013 - C-199/12; C-200/12; C-201/12 X,Y,Z gegen Niederlande (Asylmagazin 12/2013) - asyl.net: M21260).

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Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft für bisexuellen iranischen Kläger.

Eine Verfolgungsgefahr aufgrund der sexuellen Orientierung darf nicht allein deswegen abgelehnt werden, weil der Betroffene auch in Deutschland seine sexuellen Neigungen im Hinblick auf Männer lediglich diskret bzw. im Verborgenen auslebt (Tenor).

Dem Kläger drohten gerade wegen seiner Bisexualität Verfolgungshandlungen im Herkunftsland. Dem stehe nicht entgegen, dass der Kläger auch in Deutschland seine sexuellen Vorlieben im Hinblick auf Männer lediglich im Verborgenen auslebe. Zum einen führe die diskrete Lebensweise des Klägers nicht dazu, dass die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung abzulehnen wäre, denn die Gefahr einer Verdächtigung oder Entdeckung der Bisexualität bestünde auch dann, wenn der Kläger sich im Iran nur heimlich mit anderen Männern treffe.

Zum anderen sei dem Kläger eine Rückkehr in den Iran wegen seiner diskreten Lebensweise nicht eher zuzumuten als jemandem, der an exponierter Stelle in der deutschen LGBTI-Community aktiv sei oder offen in Partnerschaft mit einem Mann lebe. Die sexuelle Betätigung betreffe die Intimsphäre eines Menschen. Aus einer zurückhaltend ausgelebten Sexualität dürfe daher nicht ohne weiteres auf ein fehlendes oder geringes Bedürfnis dazu geschlossen werden. Dies gelte umso mehr, wenn der Betreffende in einem gesellschaftlichen Umfeld wie im Iran aufgewachsen sei, in dem jedwede Sexualität ein tabuisiertes Thema sei und abweichende sexuelle Orientierungen als krankhaft und kriminell geächtet würden. Es sei zu erwarten, dass für die Betroffenen aufgrund der erlebten Stigmatisierung ihre sexuelle Orientierung auch nach der Flucht noch lange ein scham- oder gar schuldbesetztes Thema bleibe.

Daher seien Prognosen hinsichtlich des zukünftigen Auslebens der sexuellen Neigungen grundsätzlich problematisch. Sie dürften jedenfalls nicht entscheidender Maßstab für die Frage der Zumutbarkeit einer Rückkehr ins Herkunftsland sein.

Das entspreche der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil v. 07.11.2013, Rs. C-199/12 bis C-201/12). Wie sich aus der kürzlich erfolgten Korrektur zweier Übersetzungsfehler des Urteils ergebe, wollte der Gerichtshof mit diesem Urteil den Behörden auch untersagen, eine mögliche Diskretion des Klägers hinsichtlich seiner sexuellen Identität prognostisch zu vermuten – etwa aufgrund einer bisher sexuell zurückhaltenden Lebensweise –  und daraus Schlüsse zu ziehen.

Eine dauerhafte und erzwungene Unterdrückung seiner Neigungen im Iran sei für den Kläger unzumutbar. Die Entscheidung, wie jemand seine sexuelle Orientierung auslebe und insbesondere, ob er sich offen zu seiner sexuellen Orientierung bekennen wolle oder nicht, sei eine höchstpersönliche, deren Bewertung dem Gericht entzogen ist.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei nicht gegeben, denn die oben dargestellte Situation für Homo- und Bisexuelle gelte im gesamten Iran.

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Feststellung der Flüchtlingseigenschaft für schwulen Antragsteller aus Nigeria.

LGBTI Personen in Nigeria könnten ihre sexuelle Orientierung nicht öffentlich ausleben und seien massiven Diskriminierungen und Anfeindungen ausgesetzt. Dem Kläger drohe im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aufgrund seiner Homosexualität.

Hierfür sei unerheblich, inwiefern der Kläger seine Homosexualität in Deutschland auslebe. Im Gegensatz zur politischen oder religiösen Überzeugung betreffe die sexuelle Betätigung die Intimsphäre eines Meschen. Somit dürfe von einer nur zurückhaltend ausgelebten Sexualität nicht ohne weiteres auf ein fehlendes oder geringes Bedürfnis dazu geschlossen werden. Das gelte umso mehr, wenn der Betreffende in einem gesellschaftlichen Umfeld wie Nigeria aufgewachsen sei und geprägt wurde, in dem jedwede Sexualität ein tabuisiertes Thema sei und in dem abweichende sexuelle Orientierungen als krankhaft und kriminell geächtet würden. Auch wenn sich die Betroffenen diesen Einflüssen durch ihre Flucht entzogen hätten, sei zu erwarten, dass ihre sexuelle Orientierung für sie aufgrund der erlebten Stigmatisierung noch lange ein scham- oder gar schuldbesetztes Thema bleibe.

Angesichts dessen seien Prognosen hinsichtlich des zukünftigen Auslebens der sexuellen Neigungen durch eine homo- oder bisexuelle Person grundsätzlich problematisch. Sie dürften jedenfalls nicht entscheidender Maßstab für die Frage der Zumutbarkeit einer Rückkehr ins Herkunftsland sein. Auf Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei anerkannt, dass "bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die zuständigen Behörden von dem Asylbewerber nicht erwarten [können], dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden". Dies sei von der deutschen Rechtsprechung bisher weitgehend dahingehend ausgelegt worden, dass diskretes Verhalten bei der Prüfung eines Asylantrages nicht vom Anntragsteller "verlangt" werden dürfe. Dennoch werde in der Regel eine Prognose dahingehend angestellt, in welchem Umfang der Betroffene voraussichtlich seine Neigungen im Herkunftsland ausleben werde. 

Der Europäische Gerichtshof habe in der Originalfassung des Urteils aber tatsächlich ausgeführt, "bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behörden vernünftigerweise nicht erwarten, dass der Asylbewerber seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden." Der Einschub "von dem Asylbewerber" anstatt "vernünftigerweise" sei eine Veränderung des Urteilstextes in der deutschen Übersetzung, die den Sinn der Aussage verändert. Es müsse angenommen werden, dass der Gerichtshof nicht nur ausschließen wollte, dass die Behörden ein solches Verhalten vom Betroffenen verlangen, sondern klarstellen, dass sie eine solche Diskretion auch nicht - etwa aufgrund einer bisher sexuell zurückhaltenden Lebensweise - unterstellen oder prognostisch vermuten dürfen.

Die sexuelle Orientierung sei zwingend bedeutsamer Bestandteil der Identität eines Menschen. Dies würde man auch einer heterosexuellen Person nicht absprechen, selbst wenn diese seit Jahren ohne Partner oder sexuelle Kontakte lebe. Wie viel Platz Sexualität und Partnerschaft im Leben eines Menschen einnähmen, sei individuell und könne sich jederzeit massiv verändern. Unter dieser Prämisse dürfe ein Geflüchteter nicht in ein Land zurückgeschickt werden, in dem ihm das offene Zusammenleben mit einem frei gewählten Partner der Gefahr staatlicher Verfolgung aussetzen würde. Die Entscheidung, wie jemand seine sexuelle Orientierung auslebe, sei eine höchstpersönliche, deren Bewertung dem Gericht entzogen sei.

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Feststellung der Flüchtlingseigenschaft für bisexuellen Antragsteller aus Nigeria.

Unschädlich sei, dass der Kläger seine Bisexualität - wie das Bundesamt meint - bislang kaum öffentlich wahrnehmbar ausgelebt habe. Denn auf Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sei anerkannt, dass „bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die zuständigen Behörden von dem Asylbewerber nicht erwarten [können], dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden" (EuGH, Urt. v. 07.11.2013 - C-199/12 bis C-201/12).

Dies werde von der deutschen Rechtsprechung bisher weitgehend dahingehend ausgelegt, dass diskretes Verhalten bei der Prüfung eines Asylantrages nicht vom Antragsteller „verlangt" werden, er nicht „darauf verwiesen" werden oder es ihm nicht „zugemutet" werden dürfe. Dennoch werde in der Regel eine Prognose dahingehend angestellt, in welchem Umfang der Betroffene voraussichtlich seine Neigungen im Herkunftsland ausleben wird, ob im Verborgenen oder äußerlich erkennbar, oftmals orientiert an der bisherigen Risikobereitschaft oder der Lebensweise in Deutschland. Es werde von den Klägern mithin erwartet, dass sie in irgendeiner Form unter Beweis stellen, dass ihnen das Verfolgen ihrer Neigungen wichtig und damit relevanter Bestandteil ihrer Identität ist. Die sexuelle Orientierung ist aber zwingend bedeutsamer Bestandteil der Identität eines Menschen. Dies würde man auch einer heterosexuellen Person nicht absprechen, selbst wenn diese seit Jahren ohne Partner oder sexuelle Kontakte lebt.

Der Europäische Gerichtshof habe mit dem Urteil vom 7. November 2013 (C-199/12 bis C-201/12) nicht nur ausschließen wollte, dass die Behörden ein solches Verhalten vom Betroffenen verlangen oder fordern, sondern klarstellen, dass sie eine solche Diskretion auch nicht - etwa aufgrund einer bisher sexuell zurückhaltenden Lebensweise - unterstellen oder prognostisch vermuten und daraus Schlüsse ziehen dürften. Das ergebe sich aus dem Originalwortlaut des Urteils sowie der Urteilsbegründung. 

Die Entscheidung, wie der Antragsteller seine sexuelle Orientierung (öffentlich) auslebe und insbesondere, ob er sich offen zu seiner sexuellen Orientierung bekennen möchte oder nicht, sei eine höchstpersönliche, deren Bewertung dem Gericht entzogen sei.

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Feststellung der Flüchtlingseigenschaft für bisexuellen Antragsteller aus Iran.

Dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 (C-199/12 bis C-201/12) habe ein Übersetzungsfehler zugrunde gelegen. Antragsteller*innen sei nicht zuzumuten, gefahrträchtige Verhaltensweisen zu unterlassen, um eine Verfolgung zu vermeiden, die andernfalls wegen der sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität drohen würde. Der Europäische Gerichtshof habe offensichtlich klarstellen wollen, dass Behörden und Gerichte ein solche Diskretion auch nicht - etwa aufgrund einer bisher sexuellen zurückhaltenden Lebensweise - unterstellen oder prognostisch vermuten und daraus Schlüsse ziehen dürften (vgl. VG Braunschweig, U.v. 9.8.2021 - 2 A 77/18 - juris Rn. 48; siehe auch Reiß in Entscheiderbrief 12/2021, S. 5, nach der es anders lediglich ausnahmsweise in Einzelfällen sein kann, in denen Antragstellende die diskrete Lebensweise „aus eigenem, freien Willen“ akzeptieren). Das gelte auch für Bisexuelle (vgl. BVerfG, B.v. 22.1.2020 - 2 BvR 1807/19).

Unschädlich sei, dass der Antragsteller bisher seine Homosexualität im Privaten und Verborgenen bzw. im Ausland ausgelebt habe, weil er seine Homosexualität zum einen mit Rücksicht auf seine Familie wegen der fehlenden Akzeptanz und der damit verbundenen Folgen sowie auch aus Furcht vor Strafverfolgung und wegen der sozialen und gesellschaftlichen Ächtung im Iran verheimlicht habe. Der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf ein Ausleben der Homosexualität bzw. die Unterdrückung und Verheimlichung der eigenen Homosexualität könne dem Kläger nicht zu seinem Nachteil angelastet werden. Ein unter der im Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf homosexuelle Betätigung hindere die Anerkennung des Flüchtlingsschutzes nicht.

Aus der gleichen Erwägung sei unschädlich, dass der Kläger neben der Angst vor der Verfolgung durch staatliche Behörden bzw. aus Angst vor Repressalien seitens der Gesellschaft, auch aus Angst vor seiner Familie im Iran von einem Ausleben der Homosexualität absehe bzw. dies tunlichst verheimliche. Dem Kläger könne darüber hinaus nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr weiter seine sexuelle Identität zu verheimlichen oder Zurückhaltung zu üben. Der Kläger drohe bei einer Rückkehr vielmehr verfolgt zu werden, wenn er sich seiner Sexualität entsprechend verhalten würde und wie dies bei dem zwei von ihm geschilderten Vorfällen auch schon passiert ist. Im Übrigen wäre selbst eine bisher fehlende Verfolgung wegen Verheimlichung der Homosexualität im Iran unschädlich. Vielmehr sind in der Person des Klägers die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gegeben.

Bundesverfassungsgericht zu Art. 16a GG

Eine landesweite bestehende Gefahr, Opfer von Folter und Misshandlungen durch Sicherheitskräfte zu werden, weist auf eine asylerhebliche stattliche Verantwortung hin.

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Politische Verfolgung ist grundsätzlich staatliche Verfolgung. Dem Staat stehen solche staatsähnliche Organisationen gleich, die den jeweiligen Staat verdrängt haben oder denen dieser das Feld überlassen hat und die ihn daher insoweit ersetzen.
Das Element der "Staatlichkeit" oder "Quasi-Staatlichkeit" von Verfolgung darf nicht nach abstrakten staatstheoretischen Begriffsmerkmalen geprüft werden. Es muss vielmehr in Beziehungen gesetzt bleiben zu der Frage, ob eine Maßnahme den Charakter einer politischen Verfolgung i.S. von Art. 16a Abs. 1 GG aufweist, vor der dem Betroffenen Schutz gewährt werden soll.
Die Frage, ob in einer Bürgerkriegssituation nach dem Fortfall der bisherigen Staatsgewalt von einer Bürgerkriegspartei politische Verfolgung ausgehen kann, beurteilt sich danach, ob diese zumindest in einem "Kernterritorium" ein Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität - i.S. einer "übergreifenden Friedensordnung (vgl. BVerfGE 80, 315, 334 f.) - tatsächlich errichtet hat.
In einem Bürgerkrieg schließt die anhaltende (äußere) militärische Bedrohung das Bestehen eines staatsähnlichen Herrschaftsgefüges im Innern nicht zwingend aus.

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Der bloße Umstand, dass bestimmte Maßnahmen (hier: mehrfache Vergewaltigungen) der Rechtsordnung des Herkunftsstaats widersprechen, berechtigt noch nicht dazu, sie als "Amtswalterexzesse" einzustufen. Vielmehr bedarf es entsprechender verlässlicher tatsächlicher Feststellungen, die auf Einzelexzesse hindeuten.
Der Begriff des Exzesses als das übliche Maß überschreitende Ausschweifung zielt auf vereinzelte und spontane Vorgänge.

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Alleine die Tatsache, dass der Ausländer sich nicht unmittelbar bei seiner Einreise gegenüber der Grenzbehörde als Asylsuchender zu erkennen gegeben hat, vermag ohne Berücksichtigung der weiteren Umstände des Einzelfass - wie dem Zeitpunkt der Meldung als Asylsuchender sowie dem Vortrag des Ausländers zu den Reisemodalitäten und seinem Vorfluchtschicksal - grundsätzlich nicht die Annahme zu rechtfertigen, der gesamte Vortrag zu dessen Vorfluchtschicksal sei unglaubhaft.

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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist eine Verfolgung dann eine politische, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Geht es dabei um Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit, so stellt generell jede derartige nicht ganz unerhebliche Maßnahme staatlicher Stellen, die an die politische Überzeugung oder Betätigung eines Betroffenen anknüpft, politische Verfolgung dar, ohne dass es insoweit noch auf eine besondere Intensität oder Schwere des Eingriffs ankommt (vgl. BVerfGE 54, 341, 357).
Dies gilt jedoch nicht, wenn die staatliche Maßnahme allein dem - grundsätzlich legitimen - staatlichen Rechtsgüterschutz, etwa im Bereich der Terrorismusbekämpfung dient (vgl. BVerfGE 80, 315, 339) oder sie nicht über das hinausgeht, was auch bei der Ahndung sonstiger krimineller Taten ohne politischen Bezug regelmäßig angewandt wird (BVerfGE 81, 142, 151). Das Asylgrundrecht gewährt keinen Schutz vor drohenden (auch massiven) Verfolgungsmaßnahmen, die keinen politischen Charakter haben. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass insbesondere die Anwendung von Folter als schärfste Form der Ausgrenzung aus der staatlichen Friedensordnung ein Indiz für die asylerhebliche Zielrichtung der staatlichen Maßnahme darstellen kann.

Sicherer Drittstaat

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Indirekte Rückführung über einen Durchreisestaat, der ebenfalls ein Vertragsstaat ist, hebt die Verantwortung des Staates nicht auf sicherzustellen, dass ein Asylsuchender als Folge der Abschiebungsentscheidung nicht einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung unterworfen wird. Das Dubliner Übereinkommen ist insofern nicht geeignet, den Staat von einer sorgfältigen Prüfung zu befreien, ob der nach diesem Übereinkommen zuständige Staat angemessene Schutzmöglichkeiten zur Verfügung stellt, um seinerseits eine Verletzung von Art. 3 EMRK zu verhindern (Gefahr der Kettenabschiebung).

  • EGMR (Kammer - Dritte Sektion), Zulässigkeitsentscheidung v. 07.03.2000 - 43844/98 (Fall T. I. /Vereinigtes Königreich); InfAuslR 2000, 321, mit Aufsatz Marx, 313; NVwZ 2001, 301, mit Aufsatz Bank, 430  

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Die Bedingungen in der Abschiebehaftanstalt auf Samos waren derartig schlecht, dass sie den nach Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) erforderlichen Grad der Schwere erreicht und diesen Artikel verletzt haben. Dass die Behörden den Beschwerdeführer nicht versorgt haben, verstößt gleichfalls gegen Art. 3 EMRK.
Eine Freiheitsentziehung muss nach Art. 5 EMRK (Recht auf Sicherheit und Freiheit) auf die "gesetzlich vorgesehene Weise" vorgenommen worden sein; insoweit verweist die Konvention auf staatliches Recht. Die Freiheitsentziehung muss aber auch mit dem Ziel der Vorschrift vereinbar sein, den einzelnen vor Willkür zu schützen. Sie kann willkürlich sein und damit gegen die Konvention verstoßen, obwohl sie nach staatlichem Recht "rechtmäßig" ist.
Eine Freiheitsentziehung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. f EMRK muss in gutem Glauben vorgenommen werden und strikt auf den Zweck abgestellt sein, eine unerlaubte Einreise zu verhindern. Außerdem müssen der Ort der Unterbringung und die Haftbedingungen angemessen sein. Schließlich darf ihre Dauer nicht über das hinausgehen, was vernünftigerweise notwendig ist, um das verfolgte Ziel zu erreichen.
Der Beschwerdeführer ist in Haft gehalten worden, obwohl nach griechischem Recht das Verfahren bis zur Entscheidung über seinen Asylantrag ausgesetzt war. Deswegen war die Freiheitsentziehung nicht "rechtmäßig" i. S. von Art. 5 EMRK und verstieß gegen diese Vorschrift.

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Staaten, welche die Außengrenzen der EU bilden, haben zurzeit erhebliche Schwierigkeiten mit der anwachsenden Flut von Migranten und Asylbewerbern. Die Lage wird durch Überstellungen von Asylbewerbern nach der EG-AsylZustVO verschärft.
Nach Berichten internationaler Organisationen und Nichtregierungsorganisationen ist die systematische Inhaftierung von Asylbewerbern eine weit verbreitete Praxis griechischer Behörden.
Die Haftbedingungen in dem Unterbringungszentrum beim Athener Flughafen sind eine erniedrigende Behandlung i.S. von Art. 3 EMRK (Verbot der Folter).
Art. 3 EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten nicht dazu, Flüchtlingen ein Recht auf Unterkunft zu geben oder sie finanziell zu unterstützen. Die griechischen Behörden mussten aber die in das griechische Recht übernommene Richtlinie 2003/09/EG zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten beachten.
Der Beschwerdeführer trägt vor, er habe in Griechenland in extremer Not gelebt, sei obdachlos gewesen und habe nicht einmal seine elementaren Bedürfnisse befriedigen können. Nach den Berichten des Europäischen Kommissars für Menschenrechte und des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) sowie von Nichtregierungsorganisationen ist das ein verbreitetes Phänomen und trifft für viele Asylbewerber in Griechenland zu. Insofern haben die griechischen Behörden Art. 3 EMRK verletzt.
Seit vielen Jahren berichten der UNHCR und der Europäische Kommissar für Menschenrechte sowie viele internationale Nichtregierungsorganisationen, dass die griechischen Gesetze in der Praxis nicht angewendet werden. Das Asylverfahren leide unter erheblichen strukturellen Mängeln und Asylbewerber hätten sehr geringe Chancen, dass ihr Asylantrag und ihre Beschwerde nach der Konvention von den griechischen Behörden ernsthaft geprüft werden. Mangels eines wirksamen Rechtsbehelfs sind sie nicht gegen eine willkürliche Abschiebung in ihr Herkunftsland geschützt. Damit hat Griechenland Art. 13 (Recht auf wirksame Beschwerde) i.V. mit Art. 3 EMRK verletzt.
Wenn Staaten die EG-AsylZustVO anwenden, müssen sie sich vergewissern, dass das Asylverfahren in dem Zwischenstaat ausreichende Garantien gegen ein direktes oder indirektes Zurückschieben des Asylbewerbers in sein Herkunftsland bietet, ohne dass die Gefahr, die dadurch für ihn entsteht, unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 EMRK geprüft worden ist.
Die belgischen Behörden haben den Beschwerdeführer durch die Abschiebung nach Griechenland in Kenntnis der dortigen Haft- und Lebensbedingungen einer erniedrigenden Behandlung ausgesetzt und damit Art. 3 EMRK verletzt.

  • EGMR (Große Kammer), Urt. v. 21.01.2011 - 30696/09 (M.S.S. vs. Belgien u. Griechenland) - deutsche Übersetzung; InfAuslR 2011, 221; NVwZ 2011, 413, m. Anm. Jens Meyer-Ladewig, Herbert Petzold, NVwZ 2012, 1234; ZAR 2011, 395, m. Aufs.  Daniel Thym, 368 u. ZAR 2013, 331; EuGRZ 2011, 243, m. Aufs. Andreas von Arnauld, 238, u. Aufs. Christiane Schmaltz, 606; Aufs. Lara Wolf, ZEuS 2014, 53; Aufs. Marei Pelzer, KJ 2011, 262, u. Aufs. Berenice Böhlo, Klaudia Dolk, KJ 2011, 272

Europäischer Gerichtshof

Die Festlegung der Liste sicherer Drittstaaten durch den Rat bedarf der Mitentscheidung durch das Europäische Parlament.

Bundesverfassungsgericht

1.a) Mit dem Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. Juni 1993 hat der verfassungsändernde Gesetzgeber eine Grundlage geschaffen, um eine europäische Gesamtregelung der Schutzgewährung für Flüchtlinge mit dem Ziel einer Lastenverteilung zwischen den an einem solchen System beteiligten Staaten zu erreichen.
b) Der verfassungsändernde Gesetzgeber ist auch in der Gestaltung und Veränderung von Grundrechten, soweit nicht die Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG berührt sind, rechtlich frei und gibt dem Bundesverfassungsgericht den Maßstab vor. Das Asylgrundrecht gehört nicht zum Gewährleistungsinhalt von Art. 1 Abs. 1 GG. Was dessen Gewährleistungsinhalt ist und welche Folgerungen sich daraus für die deutsche Staatsgewalt ergeben, ist eigenständig zu bestimmen.
2. Art. 16a Abs. 2 GG beschränkt den persönlichen Geltungsbereich des in Art. 16a Abs. 1 GG nach wie vor gewährleisteten Grundrechts auf Asyl. Wer aus einem sicheren Drittstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG anreist, bedarf des Schutzes der grundrechtlichen Gewährleistung des Absatzes 1 in der Bundesrepublik Deutschland nicht, weil er in dem Drittstaat Schutz vor politischer Verfolgung hätte finden können.
3. Die jeweiligen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften sind unmittelbar kraft Verfassung sichere Drittstaaten.
4. a) Die für eine Bestimmung zum sicheren Drittstaat durch Gesetz (Art. 16a Abs. 2 Satz 2 GG) erforderliche Sicherstellung der Anwendung von Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und Europäischer Menschenrechtskonvention (EMRK) setzt insbesondere voraus, daß der Staat den beiden Konventionen beigetreten ist und nach seiner Rechtsordnung einen Ausländer nicht in den angeblichen Verfolgerstaat abschieben darf, ohne vorher geprüft zu haben, ob ihm dort Verfolgung im Sinne von Art. 33 GFK oder Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK drohen.
b) Dem Gesetzgeber steht bei der Bestimmung von Staaten zu sicheren Drittstaaten für die Gewinnung der Tatsachengrundlage ein Spielraum bei der Auswahl seiner Erkenntnismittel zu. Die Beurteilung des Gesetzgebers muß sich als vertretbar erweisen.
5. a) Der Ausländer, der in den Drittstaat zurückgewiesen oder zurückverbracht werden soll, kann den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor einer politischen Verfolgung oder sonstigen schwerwiegenden Beeinträchtigungen in seinem Herkunftsstaat grundsätzlich nicht mit der Begründung einfordern, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort in seinem Einzelfall - trotz normativer Vergewisserung - die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden. Demgemäß kommen für ihn entsprechend dem mit Art. 16a Abs. 2 GG verfolgten Konzept normativer Vergewisserung über die Sicherheit im Drittstaat auch die materiellen Rechtspositionen, auf die ein Ausländer sich sonst gegen seine Abschiebung stützen kann (insbesondere §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG), nicht in Betracht.
b) Die Bundesrepublik Deutschland hat allerdings Schutz zu gewähren, wenn Abschiebungshindernisse nach § 51 Abs. 1 oder § 53 AuslG durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich heraus gesetzt sind.
c) Eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen, kann der Ausländer nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, daß er von einem der im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist. An diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen.
6. a) Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG wendet sich nicht nur an den Gesetzgeber sondern auch unmittelbar an Behörden und Gerichte: Rechtsbehelfe gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen sollen keine aufschiebende Wirkung entfalten; Anträge an die zuständigen Gerichte mit dem Ziel, den Vollzug dieser Maßnahmen vorläufig auszusetzen, sollen ohne Erfolg bleiben.
b) Diese Ausschlußwirkung des Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG reicht nicht über die Grenzen hinaus, die dem Konzept normativer Vergewisserung gesetzt sind.

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Ein Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat einreist, hat gemäß Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a AsylVfG keinen Anspruch auf Asyl (sog. Drittstaatenregelung). Entscheidend für die Asylversagung ist der Nachweis der Einreise aus einem sicheren Drittstaat: der Nachweis, aus welchem sicheren Drittstaat der Ausländer eingereist ist, ist nicht erforderlich.

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Art. 16a Abs. 2 Satz 3 GG gilt nach Wortlaut und Sinnzusammenhang nicht, wenn der Ausländer nicht in einen sicheren Drittstaat, sondern in seinen Herkunftsstaat zurückverwiesen oder zurückverbracht werden soll.

Bundesverwaltungsgericht

Ein Ausländer, der aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist, hat gem. Art. 16a II GG, § 26a AsylVfG keinen Anspruch auf Asyl (sogenannte Drittstaatenregelung). Entscheidend für die Asylversagung ist der Nachweis der Einreise aus einem sicheren Drittstaat; der Nachweis, aus welchem sicheren Drittstaat der Ausländer eingereist ist, ist nicht erforderlich.

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Ein Ausländer hat auch dann keinen Anspruch auf Asyl, wenn er in einem verschlossenen und verplombten Lkw über (irgend-)einen sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist.

  • BVerwG, Urt. v. 02.09.1997 - 9 C 5.97; BVerwGE 105, 194; DVBl. 1998, 273; NVwZ 1999, 313 

Behauptet der Asylbewerber, auf dem Luftweg eingereist zu sein, alle schriftliche Unterlagen aber weggeworfen zu haben, so führen zwar weder die damit verbundene Selbstbezichtigung einer Verletzung der asylverfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten noch der fehlende urkundliche Nachweis der Luftwegeinreise zum Verlust des Asylrechts; den Asylbewerber trifft insoweit keine Beweisführungspflicht. Das Gericht kann aber bei der Feststellung des Reisewegs die behauptete Weggabe wichtiger Beweismittel wie bei einer Beweisvereitelung zu Lasten des Asylbewerbers würdigen.
Bleibt der Einreiseweg unaufklärbar, trägt der Asylbewerber die materielle Beweislast für seine Behauptung, ohne Berührung eines sicheren Drittstaats nach Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a AsylVfG auf dem Luft- oder Seeweg nach Deutschland eingereist zu sein.

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1. Nach Art. 33 Abs. 2 Buchst. b der EU-Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU dürfen die Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann als unzulässig betrachten, wenn der Staat, der nach dem nationalen Recht als sicherer Drittstaat gilt, kein Mitgliedstaat der EU ist. § 26a AsylG muss deshalb entsprechend europakonform ausgelegt werden.
2. Anträge von Asylbewerbern, die über Mitgliedstaaten der EU nach Deutschland eingereist sind. dürfen deshalb nicht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG als unzulässig abgelehnt werden.

Sicherer Herkunftsstaat

1. a) Art. 16a Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 4 GG enthält keine Beschränkung des persönlichen Geltungsbereichs des Grundrechts aus Art. 16a Abs. 1 GG und seines Schutzziels, wohl aber eine Beschränkung seines verfahrensbezogenen Gewährleistungsinhalts.
b) Art. 16a Abs. 3 GG sieht eine "Arbeitsteilung" zwischen dem Gesetzgeber einerseits und den Behörden und Gerichten andererseits vor. Danach verbleibt den Behörden und den Gerichten die Prüfung, ob der einzelne Asylbewerber Tatsachen vorgetragen hat, welche entgegen der Vermutung, die an seine Herkunft aus einem sicheren Staat anknüpft, die Annahme begründen, er werde dort gleichwohl politisch verfolgt.
2. a) Für die Bestimmung eines Staates zum sicheren Herkunftsstaat muß Sicherheit vor politischer Verfolgung landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen bestehen.
b) Die in Art. 16a Abs. 3 Satz 1 GG geforderte Gewährleistung der Sicherheit auch vor unmenschlicher oder erniedrigender Bestrafung oder Behandlung stellt in Anknüpfung an Art. 3 EMRK sicher, daß ein solches staatliches Handeln in die Prüfung einbezogen und so den fließenden Übergängen zu asylrechtlich erheblichen Verfolgungsmaßnahmen Rechnung getragen wird.
3. Für die Bestimmung eines Staates zum sicheren Herkunftsstaat hat sich der Gesetzgeber anhand von Rechtslage, Rechtsanwendung und allgemeinen politischen Verhältnissen aus einer Vielzahl von einzelnen Faktoren ein Gesamturteil über die für politische Verfolgung bedeutsamen Verhältnisse in dem jeweiligen Staat zu bilden.
4. a) Das Gesetz, mit dem ein Staat zum sicheren Herkunftsstaat bestimmt wird, ist ein grundrechtsausfüllendes Gesetz. Es erfordert die Beurteilung der Verhältnisse in einem anderen Staat und - dem vorausgehend - die Erhebung der für die gesetzgeberische Feststellung notwendigen tatsächlichen Grundlagen.
b) Bei der Erhebung und Aufbereitung der zugrunde zu legenden Tatsachen kommt dem Gesetzgeber, insbesondere hinsichtlich der dafür zu beschreitenden Wege, ein Entscheidungsspielraum zu
c) Beurteilt der Gesetzgeber, ob nach den ermittelten tatsächlichen Verhältnissen in einem Staat gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet, und trifft er eine Prognose über die weitere Entwicklung in dem Staat innerhalb eines überschaubaren Zeitraums, so hat er einen Einschätzungs- und Wertungsspielraum.
d) Die verfassungsgerichtliche Prüfung erstreckt sich auf die Vertretbarkeit der vom Gesetzgeber getroffenen Entscheidung; die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes nach Art. 16a Abs. 3 GG kann nur festgestellt werden, wenn eine Gesamtwürdigung ergibt, daß der Gesetzgeber sich bei seiner Entscheidung nicht von guten Gründen hat leiten lassen.
5. Inhalt der in Art. 16a Abs. 3 Satz 2 GG aufgestellten Vermutung ist nicht, daß einem Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat dort keine unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung droht.
Zur Ausräumung der Vermutung ist nur ein Vorbringen zugelassen, das die Furcht vor politischer Verfolgung auf ein individuelles Verfolgungsschicksal des Antragstellers gründet.

Flughafenverfahren

1. Art. 16a Abs. 4 GG nimmt bei eindeutig aussichtslosen Asylanträgen das im Asylgrundrecht wurzelnde Recht des Asylbewerbers, bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung über sein Asylbegehren in der Bundesrepublik Deutschland zu bleiben, ein Stück weit zurück.
2. a) Das Verwaltungsgericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Einschätzung des Bundesamtes, daß der geltend gemachte Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter offensichtlich nicht bestehe, zum Gegenstand seiner Prüfung zu machen.
b) "Ernstliche Zweifel" im Sinne des Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, daß die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält
3. a) Die Begrenzung des Aufenthalts von Asylsuchenden während des Verfahrens nach § 18a AsylVfG auf die für ihre Unterbringung vorgesehenen Räumlichkeiten im Transitbereich eines Flughafens stellt keine Freiheitsentziehung oder Freiheitsbeschränkung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 104 Abs. 1 und 2 GG dar.
b) Die gesetzlichen Vorschriften über das Flughafenverfahren schaffen für die behördliche Entscheidung über Asylanträge einen Rahmen, in dem ein Mindeststandard eines fairen rechtsstaatlichen und im Hinblick auf Art. 16a Abs. 1 GG effektiven Verwaltungsverfahrens gewahrt werden kann.
4. Effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) verlangt im Flughafenverfahren Vorkehrungen des Bundesamtes und der Grenzschutzbehörden, daß die Erlangung gerichtlichen Rechtsschutzes nicht durch die obwaltenden Umstände unzumutbar erschwert oder gar vereitelt wird.
a) Der nicht anwaltlich vertretene Antragsteller muß Gelegenheit erhalten, asylrechtskundige Beratung in Anspruch zu nehmen, um die Erfolgsaussichten einer etwaigen Beschreitung des Rechtsweges beurteilen zu können.
b) Für die Begründung des innerhalb von drei Tagen zu stellenden Eilantrages an das Verwaltungsgericht muß jedenfalls ein Zeitraum von weiteren vier Tagen ab Zustellung der behördlichen Entscheidungen zur Verfügung stehen.
5. a) Die nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG bestehende Verfassungsrechtslage ist nicht so zu verstehen, daß sie dem Beschwerdeführer unter allen Umständen die Möglichkeit gewährleistet, vor Vollzug des angegriffenen Hoheitsaktes eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, sei es im Verfassungsbeschwerde-Verfahren, sei es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 32 BVerfGG, zu erhalten.
b) Die Verfassungsbeschwerde ist nicht ein zusätzlicher Rechtsbehelf zum fachgerichtlichen Verfahren, der sich diesem in gleicher Funktion ohne weiteres anschließt. Demgemäß können die Effektivitätsanforderungen, die sich aus Art. 19 Abs. 4 GG für den vorläufigen Rechtsschutz im Rechtswege ergeben, nicht in gleichem Maße für den verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz nach § 32 BVerfGG gelten.
c) Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 32 BVerfGG wird in Fällen, in denen das Bundesamt den Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt hat, kaum in Betracht kommen.

Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft allgemein

Europäischer Gerichtshof (EuGH)

1. Die Bestimmungen von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes sind dahin auszulegen,

  • dass sie alle Militärangehörigen einschließlich des logistischen und unterstützenden Personals erfassen,
  • dass sie den Fall betreffen, in dem der geleistete Militärdienst selbst in einem bestimmten Konflikt die Begehung von Kriegsverbrechen umfassen würde, einschließlich der Fälle, in denen der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrende Antragsteller nur mittelbar an der Begehung solcher Verbrechen beteiligt wäre, wenn es bei vernünftiger Betrachtung plausibel erscheint, dass er durch die Ausübung seiner Funktionen eine für die Vorbereitung oder Durchführung der Verbrechen unerlässliche Unterstützung leisten würde
  • dass sie nicht ausschließlich Fälle betreffen, in denen feststeht, dass bereits Kriegsverbrechen begangen wurden oder vor den Internationalen Strafgerichtshof gebracht werden könnten, sondern auch solche, in denen der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrende Antragsteller darzulegen vermag, dass solche Verbrechen mit hoher Wahrscheinlichkeit begangen werden,
  • dass die allein den innerstaatlichen Behörden unter gerichtlicher Kontrolle obliegende Tatsachenwürdigung zur Einordnung der bei dem in Rede stehenden Dienst bestehenden Situation auf ein Bündel von Indizien zu stützen ist, das geeignet ist, in Anbetracht aller relevanten Umstände – insbesondere der mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, sowie der individuellen Lage und der persönlichen Umstände des Antragstellers – zu belegen, dass die bei diesem Dienst bestehende Situation die Begehung der behaupteten Kriegsverbrechen plausibel erscheinen lässt,
  • dass bei der den innerstaatlichen Behörden obliegenden Würdigung zu berücksichtigen ist, dass eine militärische Intervention aufgrund eines Mandats des Sicherheitsrats der Organisation der Vereinten Nationen oder auf der Grundlage eines Konsenses der internationalen Gemeinschaft stattfindet, und dass der oder die die Operationen durchführenden Staaten Kriegsverbrechen ahnden, und
  • dass die Verweigerung des Militärdienstes das einzige Mittel darstellen muss, das es dem die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begehrenden Antragsteller erlaubt, der Beteiligung an den behaupteten Kriegsverbrechen zu entgehen, so dass der Umstand, dass er kein Verfahren zur Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer angestrengt hat, jeden Schutz nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 ausschließt, sofern der Antragsteller nicht beweist, dass ihm in seiner konkreten Situation kein derartiges Verfahren zur Verfügung stand.

2. Die Bestimmungen von Art. 9 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie 2004/83 sind dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens nicht davon auszugehen ist, dass die einem Militärangehörigen wegen der Verweigerung des Dienstes drohenden Maßnahmen wie eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder die Entlassung aus der Armee angesichts der legitimen Ausübung des Rechts auf Unterhaltung einer Streitkraft durch den betreffenden Staat als in einem Maß unverhältnismäßig oder diskriminierend angesehen werden könnten, dass sie zu den von diesen Bestimmungen erfassten Verfolgungshandlungen gehören würden. Dies zu prüfen ist jedoch Sache der innerstaatlichen Behörden.

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1. Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass nicht nur dann angenommen werden kann, dass der dort vorgesehene Grund für den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling vorliegt, wenn die Person, die internationalen Schutz beantragt, wegen einer der in Art. 1 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung vorgesehenen terroristischen Straftaten verurteilt worden ist.
2. Art. 12 Abs. 2 Buchst. c und Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83 sind dahin auszulegen, dass Handlungen der Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung – wie jene, wegen deren der Beschwerdegegner des Ausgangsverfahrens verurteilt worden ist – den Ausschluss von der Anerkennung als Flüchtling rechtfertigen können, auch wenn nicht erwiesen ist, dass die betreffende Person eine terroristische Handlung im Sinne der Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen begangen, zu begehen versucht oder angedroht hat. Für die Einzelprüfung der Tatsachen, anhand deren beurteilt werden kann, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass sich eine Person Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, zuschulden kommen ließ, zu solchen Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat, sind sowohl der Umstand, dass diese Person von den Gerichten eines Mitgliedstaats wegen der Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden ist, als auch die Feststellung, dass diese Person ein führendes Mitglied dieser Vereinigung war, von besonderer Bedeutung, ohne dass nachgewiesen werden müsste, dass diese Person selbst zu einer terroristischen Handlung angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat.

Bundesverwaltungsgericht

Wer in einem anderen Staat bereits Schutz vor politischer Verfolgung im Staat seiner Staatsangehörigkeit gefunden hat und weiterhin erlangen kann, hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling nach § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG.

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Über den Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG kann - anders als über Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG - grundsätzlich nur einheitlich entschieden werden, wobei sämtliche Staaten, deren Staatsangehörigkeit der Betroffene möglicherweise besitzt oder in denen er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, in die Prüfung einzubeziehen sind. Der asylrechtliche Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG ist gemäß §§ 3, 4 AsylVfG mit der Zuerkennung der Flüchtingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlinhskonvention verbunden und kann daher grundsätzlich nur bei einer Verfolgung durch denn Staat der Staatsangehörigkeit - oder bei Staatenlosen - des gewöhnlichen Aufenthalts zugesprochen werden.

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Nach § 13 Abs. 1 AsylVfG ist derjenige Schutzsuchende, der sich materiell auf Asylgründe beruft, zwingend auf das alle Schutzersuchen und Schutzformen erfassende Asylverfahren zu verweisen; hiermit ist ausschließlich das besonders sachkundige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu befassen. Ein "Wahlrecht" des Ausländers zwischen asylrechtlichem oder ausländerrechtlichem Schutz vor Verfolgung im Heimatland besteht nicht.

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Zur Frage des Existenzminimums am Ort einer inländischen Fluchtalternative (hier: für Tschetschenen in der Russischen Föderation).

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Die Grundsätze für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung sind prinzipiell auch auf die private Verfolgung (hier: von Christen im Irak) durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie nunmehr durch das Zuwanderungsgesetz ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist.

Droht dem (hier: wegen des subjektiven Nachfluchtgrunds der Asylantragstellung in Deutschland) anerkannten Flüchtling im Falle des Widerrufs bei der Rückkehr in seinen Heimatstaat keine Verfolgungswiederholung, sondern eine gänzlich neue und andersartige Verfolgung (hier: wegen der Religionszugehörigkeit durch Private), ist der allgemeine Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzuwenden.

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Zu den Anforderungen an die tatrichterliche Würdigung, das Gebiet einer inländischen Fluchtalternative sei tatsächlich und in zumutbarer Weise erreichbar (hier: Berg-Karabach über Armenien).
Die Notwendigkeit der Einholung von Transitvisa steht der Annahme einer inländischen Fluchtalternative auch bei der Flüchtlingsanerkennung gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie) grundsätzlich nicht entgegen.
Bei der Prüfung einer inländischen Fluchtalternative im Rahmen der Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 und 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG sind auch nicht verfolgungsbedingte Gefahren zu berücksichtigen.

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Der Begriff der Verfolgungshandlung im Sinne der Richtlinie 2004/83/EG setzt einen gezielten Eingriff in ein nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie geschütztes Rechtsgut voraus.
Eine Vorverfolgung im flüchtlingsrechtlichen Sinne kann nach der neuen Rechtslage im Hinblick auf § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG nicht mehr allein wegen einer zum Zeitpunkt der Ausreise bestehenden Fluchtalternative in einem anderen Teil des Herkunftsstaates verneint werden.

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1. Für die vom Gericht zu treffende Feststellung, aus welchem Herkunftsland ein Asylbewerber stammt, bedarf es der vollen Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies erfordert die Ermittlung und Würdigung aller durch gerichtliche Aufklärungsmaßnahmen erreichbaren relevanten Tatsachen.
2. Lässt sich das Herkunftsland nicht mit der für die behördliche und gerichtliche Überzeugungsbildung erforderlichen Gewissheit feststellen, weil der Kläger die Mitwirkung an der Klärung seiner Identität verweigert, ist dies im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen und gegebenenfalls eine negative Feststellung zum subsidiären Schutz und zum nationalen Abschiebungsschutz zu treffen.

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1. Die Einstellung des Asylverfahrens nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG kann darauf gestützt werden, dass der Asylbewerber der berechtigten Aufforderung zur schriftlichen Darlegung seines Reisewegs bis zur Ankunft in Deutschland und zu einer eventuell bereits erfolgten Asylantragstellung im Ausland nicht fristgerecht nachgekommen ist (im Anschluss an Urteil vom 5. September 2013 - BVerwG 10 C 1.13 - BVerwGE 147, 329).
2. Eine ausländische Flüchtlingsanerkennung entfaltet Bindungswirkung in Deutschland dahin, dass kraft Gesetzes ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG besteht (§ 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Ein Anspruch auf eine erneute Anerkennungsentscheidung oder die Erteilung eines Aufenthaltstitels in Deutschland ergibt sich daraus jedoch nicht (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG).
3. Das Begehren auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz ist unzulässig, wenn dem Ausländer bereits im Ausland die Rechtsstellung eines Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne von § 4 AsylVfG zuerkannt worden ist.
4. Die Dublin III-Verordnung findet auf die nach ihrem Inkrafttreten gestellten Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern - ungeachtet des Zeitpunkts der Asylantragstellung - jedenfalls für das zu beachtende Verfahren Anwendung (Art. 49 Abs. 2).

Verwaltungsgerichte

Die vom BVerwG (BVerwGE 95, 42 = NVwZ 1994, 497) für § 51 Abs. 1 AuslG erkannte Identität zwischen dem Begriff „politische Verfolgung" und den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gilt für § 60 Abs. 1 AufenthG nicht mehr. Maßgebend für die Auslegung des § 60 Abs. 1 AufenthG ist nun der Flüchtlingsbegriff nach Art. I der GenfKonv.
Der in § 60 Abs. 1 AufenthG festgelegte Standard erfordert einen effektiven und angemessenen Schutz vor Verfolgung, und zwar unabhängig davon, ob die Verfolgungshandlung einem staatlichen Träger zugerechnet werden kann oder nicht.

  • VG Stuttgart, Urt. v. 17. 1. 2005 - A 10 K 10359/04; NVwZ 2006, 114
  • VG Karlsruhe, Urt. v. 10. 3. 2005 - A2K 12193/03; NVwZ 2005, 725

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Steht Art. 33 Abs. 1 GenfKonv einer Abschiebung entgegen, kann die Anwendung des diesen umsetzenden § 60 Abs. 1 AufhentG nicht durch die Regel des 28 Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen sein, nach der aus eigenem Entschluss gefasste Nachfluchtgründe im Rahmen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht berücksichtigt werden dürfen.

  • VG Stuttgart, Beschl. v. 13.04.2005 - A 11 K 13268/04; NVwZ 2006, 113

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Der Ablauf der Umsetzungsfrist der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG kann ein Wiederaufgreufen des Verfahrens rechtfertigen.

  • VG Lüneburg, Beschl. v. 11.10.2006 - 1 B 43.06; InfAuslR 2007, 41

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Zum Schutz der Glaubensbetätigung nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG vom 29.4.2004.
Iranischen Staatsangehörigen, die sich vom Islam abgewandt haben und zum Christentum übergetreten sind, droht bei einer Rückkehr in den Iran politische Verfolgung nach § 60 Abs. 1 AufenthG, sofern sie als gläubige Christen anzusehen sind und insbesondere ihre Taufe nicht nur eine bloße plakative Handlung zur Unterstützung ihres Asylgesuchs darstellt.

  • VG Karlsruhe, Urt. v. 19.10.2006, A 6 K 10335/04; ZAR 2007, 201

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1. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darf die Herausgabe von Dokumenten verweigern, die Informationen zu einzelnen Herkunftsländern in einer Art enthalten, dass sie von Asylbewerbern zur Täuschung über ihre Asylgründe genutzt werden könnten. Derartige Informationen können als Verschlusssache (VS-NfD) deklariert und damit nach § 3 Nr. 4 IFG einem Informationsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz entgegengehalten werden.
2. Die Herausgabe von in diesen Dokumenten enthaltenen Beschreibungen und Bewertungen von Zuständen in einzelnen Herkunftsländern darf zudem nach § 3 Nr. 1 a) IFG verweigert werden, wenn deren Bekanntwerden geeignet ist, nachteilige Auswirkungen auf internationale Beziehungen zu erzeugen. Der Bundesregierung steht für die dafür notwendige Prognose ein weiter Beurteilungsspielraum zu.

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Begründete Furcht vor Verfolgung gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG besteht, wenn dem Ausländer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht (zuletzt BVerwG, Urt. v. 19.4.2018 - 1 C 29.17 -, juris Rn. 14). Dieser Maßstab steht in Einklang mit Art. 2 lit. d und Art. 4 Abs. 3 lit. c der Richtlinie 2011/95/EU und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Europarechtlicher Klärungsbedarf, der eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof erfordern könnte, besteht insoweit nicht.

Die Urteile zum früheren Ausländergesetz können hier aufgerufen werden.

--- Gruppenverfolgung

Bundesverfassungsgericht (BVerfG)

Die unmittelbar staatliche Gruppenverfolgung setzt - ebenso wie die mittelbare - grundsätzlich eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus. Der Feststellung dicht und eng gestreuter Verfolgungsschläge bedarf es jedoch nicht, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein staatliches Verfolgungsprogramm bestehen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht.

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1. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer Gruppenverfolgung sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Verfolgung grundsätzlich geklärt (vgl. vor allem Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 m.w.N.).
2. Die Gefahr eigener Verfolgung des Asylbewerbers kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung; vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85 u.a. - BVerfGE 83, 216 und BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 a.a.O. S. 202).
3. Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen (vgl. Beschluss vom 5. Mai 2003 - BVerwG 1 B 234.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 271 und Urteil vom 30. April 1996 - BVerwG 9 C 171.95 - BVerwGE 101, 134 <140 f.>).
4. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt ferner eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. Urteil vom 5. Juli 1994 a.a.O. S. 203). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht.
5. Der Feststellung dicht und eng gestreuter Verfolgungsschläge bedarf es jedoch nicht, wenn hinreichend sichere Anhaltspunkte für ein (staatliches) Verfolgungsprogramm bestehen, dessen Umsetzung bereits eingeleitet ist oder alsbald bevorsteht (Urteil vom 5. Juli 1994 a.a.O.; zu der ferner zu beachtenden Möglichkeit einer „Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit“ vgl. zuletzt etwa Beschluss vom 5. Mai 2003 - BVerwG 1 B 234.02 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 271 sowie BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 a.a.O. S. 234, jeweils m.w.N.).
6. Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Asyl- und Füchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche/inländische Fluchtalternative besteht, die im Falle einer drohenden Rückkehrverfolgung vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.

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Das Berufungsgericht hat - in Anlehnung an die Vorgehensweise zur Feststellung einer Gruppenverfolgung im Bereich des Flüchtlingsrechts (vgl. dazu Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 20 ff.) - aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der Provinz Ninive und deren Hauptstadt Mosul lebenden Zivilpersonen annäherungsweise ermittelt und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung gesetzt. Dabei hat es festgestellt, dass das Risiko, in der Provinz Ninive verletzt oder getötet zu werden, für das gesamte Jahr 2009 ungefähr 1:800 betrug. Einen Trend zur Verschlechterung der Sicherheitslage vermochte es nicht festzustellen. Seine auf der Grundlage dieser Feststellungen gezogene Schlussfolgerung, dass der Kläger bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, ist revisionsgerichtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden.

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1. Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten.
2. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen - der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit - ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen.
3. Besteht für die - möglicherweise zahlenmäßig nicht große - Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist.

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andere Verwaltungsgerichte

1. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 5 AsylG) ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt.
2. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (vgl. BVerwG, U.v. 31.4.2009 – 10 C 11.08 – AuAs 2009, 173; v. 1.2.2007 – 1 C 24.06 – NVwZ 2007, 590; v. 18.7.2006 – 1 C 15.05 – BVerwGE 126, 243 = BayVBl 2007, 151).

--- wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung

Eine durch die Tradition und die gesellschaftlichen Verhältnisse gebilligte und vom Staat tolerierte dauerhafte Diskriminierung und Entrechtung einer bereits beschnittenen jungen togoischen Frau durch ihre Zwangsverheiratung  (Zwangsverkupplung)  auf Lebenszeit mit einem sie dauernd vergewaltigenden und prügelnden Mann, der sie auch durch mehrere bereits getätigte Fluchtversuche nicht entrinnen konnte, stellt im Sinne § 60 Abs 1 Satz 3 u. Satz 4c AufenthG eine nichtstaatliche Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer „sozialen Gruppe" dar, nämlich eine „allein an das Geschlecht" anknüpfende„ "Bedrohungder körperlichen Unversehrtheit und Freiheit". Diese ausgrenzende, weil allein Frauen wegen ihrer vermeintlichen Minderwertigkeit und Rechtlosigkeit betreffende Maßnahme hat nämlichen öffentlichen Charakter, umfasst das Element einer dauerhaft ausweglosen Lage, ist auf das unverfügbare und unverzichtbare Merkmal der sexuellen und körperlichen Selbstbestimmung gerichtet und kann wegen der Schwere der damit verbundenen Menschenrechtsverletzung der Betroffenen nicht mehr als „noch hinnehmbar" zugemutet werden.
Konkreter Einzelfall des Fehlens einer inländischen Fluchtalternative wegen der einflussreichen Stellung des betreffenden Mannes (hochrangiger Gendarmerie-Offizier, Regierungsparteimitglied, Kontakte zu Sohn des Regierungschefs) und wegen des weitverzweigten Clans des Vaters der Klägerin, der sie bereits einmal nach Fluchtversuch aus Nachbarland zurückholte. 

  • VG Freiburg, Urt. v.26.1.2005 - A 1 K 11012/03; STREIT 2005, 79

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Eine lesbische Algerierin muss bei ihrer Rückkehr nach Algerien von ihrer Familie Gewalttaten einschließlich ihrer Tötung befürchten. Jedenfalls ist mit Sicherheit zu erwarten, dass sie aus dem Familienverband ausgeschlossen wird. Dann hat sie kaum eine Chance ihren Unterhalt ohne die Hilfe ihrer Familie zu bestreiten. Diese Gefahren sind dem algerischen Staat zuzurechnen, so dass eine mittelbare statliche Verfolgung vorliegt, die an das Geschlecht i.S.v. § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG anknüpft.

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Die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie - legt Mindeststandards des Flüchtlingsschutzes fest, die auf Grund des eindeutigen Wortlauts des § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nicht zu dessen restriktiver Auslegung herangezogen werden können. Der Bundesgesetzgeber hat den Begriff der sozialen Gruppe insoweit weiter gefasst als der EU-Richtliniengeber, da eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft.
Drohende Genitalverstümmelung wird von § 60 I 3 AufenthG erfasst, wenn sie zwar von nicht staatlichen Akteuren durchgeführt wird, der Staat jedoch erwiesenermaßen nicht willens ist, Schutz vor Verfolgung zu bieten, was in Sierra Leone der Fall ist.
Wird Genitalverstümmelung bei 80 bis 90% der Mädchen und Frauen angewandt, droht diesen Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, wenn nicht gewährleistet ist, dass sie sich ausnahmsweise diesen Maßnahmen entziehen können und sie auch nicht wegen ihres „Nichtbeschnittenseins" sonstigen relevanten Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein werden.

  • VGH Kassel, Urt. v. 23.3.2005 - 3 UE 3457/04.A; NVwZ-RR 2006, 504

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Muss eine Frau in ihrer Heimat eine Zwangsbeschneidung befürchten, liegt eine politische Verfolgung gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vor.
Für Frauen, denen die Genitalverstümmelung droht, gibt es in Nigeria keine inländische Fluchtalternative.

  • Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Aussenstelle Trier, Bescheid v. 02.06.2005 - 51 03536-I-232; SREIT 2005, 160

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Muss eine Frau in ihrer Heimat eine Zwangsverheiratung befürchten, liegt eine politische Verfolgung gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG vor.
Für Frauen, denen eine Zwangsverheiratung droht, gibt es in Afghanistan keine inländische Fluchtalternative.

  • Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Aussenstelle Düsseldorf, Bescheid v. 13.06.2005 - 5135058-423; SREIT 2006, 179

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Passt sich eine Frau islamischen Wertvorstellungen nicht an, sondern zeigt nach außen erkennbar einen westlichen Lebensstil, droht ihr im Irak asylerhebliche geschlechtsspezifische Verfolgung gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG.

  • VG Göttingen, Urt. v. 06.09.2005 - 2 A 90/05; STREIT 2006, 23

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Zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft wegen drohender Zwangsverheiratung.
Zu den Möglichkeiten einer Verweisung auf interne Schutzmöglichkeiten nach Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG.

  • VG Stuttgart, Urt. v. 29.01.2007 - 4 K 1877/06; NVwZ 2007, 1335

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Für psychotraumatologische Fachfragen (Schwere der posttraumatischen Behandlungsstörung, Behandlungsbedürftigkeit, Einschätzung des Krankheitsverlaufs und der gesundheitlichen Folgen im Falle einer Abschiebung) gibt es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts.
Klinische Gutachten zu Fragen nach bestehenden psychischen Traumafolgen analysieren Angaben des Patienten nicht anhand der Kriterien der Aussagepsychologie.
Bei traumatisierten Personen sind Gedächtnisstörungen krankheitsbedingt die Regel.
Traumatisierte Menschen verschweigen oft jene Ereignisse, die als besonders schmerzhaft erlebt wurden oder die stark schambesetzt sind. Dieses Vermeidungsverhalten ist nur bedingt willentlich beeinflussbar. Aussagen zu sexualisierten Gewalterfahrungen kommen bei muslimischen Frauen meistens nur unter größtem Druck, wenn beispielsweise die Abschiebung unmittelbar droht, zustande.
Traumabedingte Störungen einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen können auch mit jahrelanger bis zum Teil jahrzehntelanger Latenz auftreten.
Die konkrete Gefahr der Retraumatisierung bei Rückkehr/Abschiebung in den Heimatstaat begründet für sich allein schon ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Diese Gefahr lässt sich durch eine mögliche medikamentöse Behandlung im Zielstaat der Abschiebung nicht verhindern.
Menschen mit traumatogenen Störungen können in einer Umgebung, die Intrusionen stimuliert und kein Vermeidungsverhalten erlaubt, nicht psychologisch oder psychiatrisch behandelt werden.
Die an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankten Personen, deren Erkrankung auf willentlich durch Menschen verursachte Traumata beruht, sind nicht Teil einer Bevölkerungsgruppe i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG.

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Zum Maßstab der Wahrscheinlichkeit erneuter Verfolgung bei einem Asylwiderruf, wenn eine afghanische Staatsangehörige durch die Mudjaheddin verfolgt wurde und nunmehr Verfolgung als "westlich" geprägte Frau geltend macht.

--- wegen Religionsausübung

Europäischer Gerichtshof

1. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass

  • nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstößt, bereits eine „Verfolgungshandlung“ im Sinne dieser Bestimmung der Richtlinie darstellt;
  • eine Verfolgungshandlung sich aus einem Eingriff in die öffentliche Ausübung dieser Freiheit ergeben kann und
  • bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt, eine „Verfolgungshandlung“ darstellen kann, die zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Betroffenen prüfen müssen, ob er aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u. a. tatsächlich Gefahr läuft, durch einen der in Art. 6 der Richtlinie 2004/83 genannten Akteure verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.

2. Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 ist dahin auszulegen, dass eine begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling können die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten, auf diese religiösen Betätigungen zu verzichten.

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1. Macht eine Person die Gefahr religiöser Verfolgung geltend, so ist sie nicht verpflichtet, zur Stützung ihres Vorbringens zu ihren religiösen Überzeugungen Erklärungen abzugeben oder Schriftstücke vorzulegen, die sich auf alle Bereiche des Begriffs "Religion" beziehen.
2. Jedoch muss eine Person ihr Vorbringen glaubhaft substanziieren, indem sie Anhaltspunkte darlegt, die es der zuständigen Behörde ermöglichen, den Wahrheitsgehalt des Vorbringens zu überprüfen.
3. Das mit Todes- oder Freiheitsstrafe bewehrte Verbot von Handlungen, die der Staatsreligion des Herkunftslandes zuwiderlaufen, kann eine "Verfolgungshandlung" im Sinne der Qualifikationsrichtlinie darstellen, wenn die Behörden Verstöße in der Praxis mit solchen Strafen ahnden.

Bundesverwaltungsgericht

Auch unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG führt nicht jede Einschränkung der Religionsfreiheit zu einer Verfolgung im Sinne des Flüchtlingsrechts. Ob eine Maßnahme an die Religion als Verfolgungsgrund anknüpft, ergibt sich aus Art. 10 der Richtlinie; Art. 9 der Richtlinie ist dagegen zu entnehmen, welches Rechtsgut in welchem Ausmaß geschützt ist.
Ein Eingriff in den Kernbereich der Religionsfreiheit stellt eine schwerwiegende Verletzung eines grundlegenden Menschenrechts im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie dar. Ob und unter welchen Voraussetzungen hierunter auch religiöse Betätigungen in der Öffentlichkeit fallen, stellt eine gemeinschaftsrechtliche Zweifelsfrage dar, die letztlich vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu klären ist.

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a) Wird auf die Entschließungsfreiheit eines Asylbewerbers, seine Religion in einer bestimmten Weise zu praktizieren, durch die Bedrohung mit Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit eingewirkt, ist dies als Eingriff in die Religionsfreiheit zu prüfen.
b) Eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95/EU kann - im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11) - nicht nur in der schwerwiegenden Verletzung der Freiheit liegen, seine Religion im privaten Rahmen zu praktizieren (forum internum), sondern auch in der Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (forum externum).
c) Schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung kann eine beachtliche Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU darstellen, und zwar unabhängig davon, ob sich der davon betroffene Glaubensangehörige tatsächlich religiös betätigen wird oder auf die Ausübung aus Furcht vor Verfolgung verzichtet.
d) Ein solches Verbot hat nur dann die für eine Verfolgungshandlung erforderliche objektive Schwere, wenn dem Ausländer durch die Ausübung seiner Religion mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.
e) Das Verbot weist nur dann die darüber hinaus erforderliche subjektive Schwere auf, wenn die Befolgung der verbotenen religiösen Praxis für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist.
f) Eine Gesamtbetrachtung unterschiedlicher Maßnahmen hat nur dann die Qualität einer Verletzungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Dazu bedarf es einer auf die Situation des einzelnen Antragstellers bezogenen Vergleichsbetrachtung.

Verwaltungsgerichte

Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der RL 2004/83/EG erweitert den Bereich geschützter religiöser Betätigung. Der Begriff der Religion umfaßt die Teilnahme an religiösen Riten in der Öffentlichkeit, aber auch sonstige Betätigungen, Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Dazu zählen insbesondere das offene, nicht nur an die Mitglieder der eigenen Religionsgemeinschaft gewandte Bekenntnis der persönlichen religiösen Überzeugung und missionarische Betätigung.
Im Iran ist eine Gefährdung von Apostaten, insbesondere durch Dritte, bei einer über den bloßen Besuch öffentlicher Gottesdienste hinausgehenden, öffentlichkeitswirksamen religiösen Betätigung oder bei missionarischer Tätigkeit zu befürchten.
Im Fall eines Asylerstantrags ist die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 AufenthG nicht deshalb ausgeschlossen, weil es sich beim Glaubenswechsel des Klägers um einen subjektiven Nachfluchtgrund handelt.

  • Bayerischer VGH, Urt. v. 23.10.2007 - 14 B 06.30315; InfAuslR 2008, 101; DÖV 2008, 164-165

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Die Vorgaben des Art. 10 Abs. 1 b RL 2004/83/EG zum Begriff der Religion gewähren dem Einzelnen einen über das religiöse Existenzminimum hinausgehenden Schutz religiöser Betätigung.
Einem Konvertiten kommt der Schutz des Art. 10 Abs. 1 b RL RL 2004/83/EG vollumfänglich zugute, wenn er die Religion aus religiöser Überzeugung gewechselt hat und durch die neue Religion in seiner religiösen Identität geprägt wird. Ob dies der Fall ist, bedarf der Prüfung im Einzelfall. 
Zur Flüchtlingseigenschaft eines zum Christentum konvertierten iranischen Moslems unter Berücksichtigung der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG.

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Art. 10 Abs. 1 Buchst. b RL 2004/83/EG schützt auch die missionarische Betätigung; den Mitgliedern der jeweiligen Religionsgemeinschaft kann nicht angesonnen werden, öffentliche Glaubensbetätigungen bzw. Praktiken, die nach dem Verständnis der jeweiligen Religion bzw. Weltanschauung, aber auch nach dem des einzelnen Flüchtlings von grundlegender Bedeutung sind, zu unterlassen, um keine entsprechend vorgesehene Sanktionen herauszufordern.
Aus der Notwendigkeit der gerichtlichen Überzeugungsbildung über eine geltend gemachte religiöse Verfolgungsgefährdung ist im Falle einer Konversion eine Prüfung der inneren, religiös-persönlichkeitsprägenden Beweggründe für einen vorgenommenen Glaubenswechsel erforderlich.
Konvertierte Muslime können im Iran keine öffentlichen christlichen Gottesdienste besuchen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, festgenommen und möglicherweise unter konstruierten Vorwürfen zu Haftstrafen verurteilt zu werden.

  • VG Stuttgart, Urt. v. 21. 1. 2008 -11 K 552/07; NVwZ-RR 2008, 577

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Afghanische Moslems, die zum Christentum konvertiert sind, haben bei Rückkehr in ihr Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit schwerste Übergriffe auf ihre Person im Sinne des Art 9 Abs 1 der Richtlinie 2004/93/EG (Qualifikationsrichtlinie) bis zum Tode zu gewärtigen, wenn ihr Abfall vom islamischen Glauben und der Übertritt zum christlichen Glauben im Familienverbund oder in der Nachbarschaft bekannt wird.
Wenn sich ihre christliche Glaubensüberzeugung als identitätsprägend darstellt, ist - da sie die Gefährdung regelmäßig nur vermeiden können, wenn sie ihre Religionszugehörigkeit selbst in diesem Lebensbereich leugnen und effektiv zu verstecken suchen - der menschenrechtlich geforderte Mindestbestand der Religionsfreiheit, zu der auch die Freiheit gehört, seinen Glauben zu wechseln, betroffen und die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs 1 AufenthG begründet. Das setzt voraus, dass der Glaubensübertritt auf einer aus einem inneren Bedürfnis heraus erfolgten Gewissensentscheidung beruht.

--- wegen § 60 Abs. 2 AufenthG bzw. § 4 Abs. 1 AsylG

Ausschuss der UNO gegen Folter

Eine Beschwerde zum Ausschuss der Vereinten Nationen gegen Folter ist nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs zulässig, es sei denn, das Erfordernis der Erschöpfung aller zur Verfügung stehenden.innerstaatlichen Rechtsbehelfe ist offensichtlich nicht gewahrt.
Der Ausschuss untersucht, ob eine Abschiebung gegen Art. 3 des Übereinkommens gegen Folter verstößt, wenn im Zielstaat Folter droht. Es müssen stichhaltige Gründe für diese Feststellung vorliegen. Eine rein theoretische Gefahr oder ein bloßer Verdacht reichen nicht aus. 
Der Ausschuss ist nicht dafür zuständig, zu dem angewandten Beweismaßstab der deutschen Gerichte Stellung zu nehmen.
  • Ausschuss der Vereinten Nationen gegen Folter, Entscheidung vom 12.5.2004 - 214/2002; InfAuslR 2004, 369 

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

Die Abschiebung eines Ausländers in ein Land, in dem er der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt ist, verletzt Art. 3 EMRK, auch wenn der Ausländer im Aufenthaltsstaat die nationale Sicherheit gefährdet. Der Schutz des Art. 3 EMRK ist insoweit umfassender als der Schutz für Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention.
Die Gefahr muss nicht von der Staatsgewalt des Aufnahmelandes ausgehen, sondern kann sich auch aus den Umständen eines  Bürgerkriegs ergeben, in dem verfeindete Clans gegeneinander kämpfen.
Art. 3 EMRK kann sich auch auf Situationen erstrecken, in denen die Gefahr der Misshandlung von Personen oder Personengruppen ausgeht, die kein öffentliches Amt innehaben oder bei Exzessen von Amtswaltern.
Es muss jedoch dargelegt werden, dass das Risiko tatsächlich besteht und dass die Behörden des Aufnahmestaates nicht in der Lage sind, dem Risiko durch angemessenen Schutz vorzubeugen..

  • EGMR, Urt. v. 15.11.1996 - 22414/93 (Fall Chahal v. Vereinigtes Königreich); InfAuslR 1997, 97; NVwZ 1997, 1093, mit Anm. Alleweldt, 1078; ÖJZ 1997, 632
  • EGMR, Urt. v. 17.12.1996 - 25964/94 (Fall Ahmed v. Österreich); InfAuslR 1997, 279; NVwZ 1997, 1100; ÖJZ 1997, 231
  • EGMR, Urt. v. 29.04.1997 - 24573/94 (Fall H.L.R. v. Frankreich); InfAuslR 1997, 333; NVwZ 1998, 163; ÖJZ 1998, 309
  • EGMR, Urt. v. 02.05.1997 - 30240/96 (Fall D. v. Vereinigtes Königreich); InfAuslR 1997, 381; NVwZ 1998, 161; ÖJZ 1998, 354
  • EGMR, Zulässigkeitsentscheidung vom 19.01.1999 - 42367/98 (Fall Ould Barar v. Schweden); InfAuslR 1999, 269
  • EGMR (Kammer - Dritte Sektion), Zulässigkeitsentscheidung v. 07.03.2000 - 43844/98 (Fall T. I. /Vereinigtes Königreich); InfAuslR 2000, 321, mit Aufsatz Marx, 313; NVwZ 2001, 301, mit Aufsatz Bank, 430
  • EGMR (Kammer - Dritte Sektion), Urt. v. 06.02.2001 - 44599/98 (Fall Bensaid ./. Vereinigtes Königreich); InfAuslR 2001, 364; NVwZ 2002, 453

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Die Ausweisung eines Ausländers kann Fragen nach Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) aufwerfen und die Verantwortung des betroffenen Staates nach der Konvention begründen, wenn ernsthafte und unbezweifelbare Gründe dafür vorliegen, dass der Betroffene bei einer Ausweisung in das Zielland dort einer wirklichen Gefahr ausgesetzt ist, einer Art. 3 EMRK verletzenden Behandlung unterworfen zu werden. In diesem Fall ergibt sich aus Art. 3 EMRK die Verpflichtung, den Betroffenen nicht in dieses Land abzuschieben.
Es kann verlangt werden, dass ein Ausländer, dem die Ausweisung in sein Herkunftsland droht, sich in Regionen oder Orte des Landes begibt, wo die Gefahr einer angeblichen Verfolgung weniger wahrscheinlich ist.
Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) ist auf Verfahren wegen Ausweisung oder Abschiebung von Ausländern nicht anwendbar.

  • EGMR (III. Sektion), Entsch. v. 16.09.2004 - 11103/03 (Rs. Ghiban v. Deutschland); NVwZ 2005, 1046

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Die Konventionsstaaten haben nach einem allgemein anerkannten Grundsatz des Völkerrechts unbeschadet ihrer Verpflichtungen aus internationalen Verträgen einschließlich der EMRK das Recht, Einreise, Aufenthalt und Ausweisung von Ausländern zu regeln.
Aus Art. 3 EMRK folgt die Verpflichtung, den Betroffenen nicht abzuschieben, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass er im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Bestimmungsland einer mit Art. 3 EMRK unvereinbaren Behandlung unterworfen zu werden.
Art. 3 EMRK verbietet Folter und unmenschliche oder erniedrigende Strafe oder Behandlung ohne Ausnahme und lässt keine Abweichungen zu, nach Art. 15 EMRK auch nicht bei einem öffentlichen Notstand, der das Leben der Nation bedroht.
Der Gerichtshof prüft die absehbaren Folgen einer Abschiebung unter Berücksichtigung der allgemeinen Lage in dem Aufnahmeland und der besonderen Umstände des Beteiligten.
Bei Prüfung der allgemeinen Lage zieht der Gerichtshof Berichte von unabhängigen Menschenrechtsorganisationen und des State Department der USA heran.
Behauptet jemand, einer Personengruppe anzugehören, die systematischen Misshandlungen ausgesetzt ist, kommt der Schutz nach Art. 3 EMRK ins Spiel, wenn der Betroffene mit Hilfe solcher Berichte beweist, dass es ernsthafte und stichhaltige Gründe für eine solche Praxis im Bestimmungsland gibt und dass er der Gruppe angehört.
Für die Beurteilung kommt es auf den Zeitpunkt der Abschiebung an, wenn der Betroffene im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichtshofs noch nicht abgeschoben worden ist, auf diesen Zeitpunkt.
Der Gerichtshof bekräftigt die Grundsätze in dem Urteil Chahal/Vereinigtes Königreich (NVwZ 1997, 1093), nach denen es unzulässig ist, die Gefahr von Misshandlungen und die für die Abschiebung angeführten Gründe gegeneinander abzuwägen.

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Eine Bestrafung oder die mit ihr verbundene Behandlung ist nur dann "unmenschlich" oder "erniedrigend", wenn das damit verbundene Leid oder die Erniedrigung über das hinausgeht, was unvermeidbar mit einer gerechtfertigten Behandlung oder Strafe verbunden ist. Das Verbringen eines weiblichen Häftlings in ein Krankenhaus zu einer gynäkologischen Untersuchung allein erreicht nicht das erforderliche Mindestmaß an Schwere i.S.d. Art. 3 EMRK.

Europäischer Gerichtshof (EuGH)

Art. 15 Buchst. c in Verbindung mit Art. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist wie folgt auszulegen:

Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person, die die Gewährung des subsidiären Schutzes beantragt, setzt nicht voraus, dass diese Person beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist.

Das Vorliegen einer solchen Bedrohung kann ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden, die mit einem Antrag auf subsidiären Schutz befasst sind, oder der Gerichte eines Mitgliedstaats, bei denen eine Klage gegen die Ablehnung eines solchen Antrags anhängig ist, ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein.

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Art. 2 Buchst. e und Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes sind im Licht von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass ein Drittstaatsangehöriger, der in der Vergangenheit von den Behörden seines Herkunftslands gefoltert wurde und bei der Rückkehr in dieses Land nicht mehr der Gefahr einer Folter ausgesetzt ist, aber dessen physischer und psychischer Gesundheitszustand sich in einem solchen Fall erheblich verschlechtern könnte, wobei die Gefahr besteht, dass er aufgrund eines auf den ihm zugefügten Folterhandlungen beruhenden Traumas Suizid begeht, für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus in Betracht kommt, sofern eine tatsächliche Gefahr besteht, dass ihm in diesem Land eine angemessene Behandlung der physischen oder psychischen Folgeschäden dieser Folterhandlungen vorsätzlich vorenthalten wird; dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts.

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Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ist dahin auszulegen, dass er einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der ausschließlich anhand des Strafmaßes, das für eine bestimmte Straftat nach dem Recht dieses Mitgliedstaats vorgesehen ist, davon ausgegangen wird, dass die Person, die einen Antrag auf subsidiären Schutz gestellt hat, „eine schwere Straftat“ im Sinne dieser Bestimmung begangen hat, derentwegen sie von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen werden kann. Es ist Sache der zuständigen nationalen Behörde bzw. des zuständigen nationalen Gerichts, die oder das über den Antrag auf subsidiären Schutz entscheidet, die Schwere der fraglichen Straftat zu würdigen, wobei eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen ist.

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Art. 46 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist dahin auszulegen, dass der durch mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften wie die des Ausgangsverfahrens zuerkannte subsidiäre Schutzstatus nicht im Sinne dieser Bestimmung „die gleichen Rechte und Vorteile einräumt wie der Flüchtlingsstatus nach dem Unionsrecht und dem nationalen Recht“, so dass ein Gericht dieses Mitgliedstaats einen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung, die einen Antrag in Bezug auf die Flüchtlingseigenschaft als unbegründet betrachtet, aber den subsidiären Schutzstatus zuerkennt, nicht aufgrund mangelnden Interesses des Antragstellers an der Fortsetzung des Verfahrens als unzulässig zurückweisen kann, wenn es sich erweist, dass diese Rechte und Vorteile, die diese beiden Status des internationalen Schutzes nach dem anzuwendenden nationalen Recht einräumen, nicht tatsächlich identisch sind.
Ein solcher Rechtsbehelf kann auch dann nicht als unzulässig abgewiesen werden, wenn im Hinblick auf die konkrete Situation des Antragstellers festgestellt wird, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ihm nicht mehr Rechte und Vorteile verschaffen kann als die Zuerkennung von subsidiärem Schutz, da er sich nicht oder noch nicht auf Rechte beruft, die aufgrund des Flüchtlingsstatus, aber nicht oder nur in geringerem Umfang aufgrund des subsidiären Schutzstatus gewährt werden.

Bundesverfassungsgericht (BVerfG)

1. Erweist sich das Vorbringen eines Asylsuchenden zu den individuellen Vorfluchtgründen (Verfolgung durch die Taliban) wegen Widersprüchlichkeit in wesentlichen Punkten insgesamt als unglaubhaft, kann dies die Abweisung der Klage hinsichtlich der Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder, sofern ein flüchtlingsrelevanter Verfolgungsgrund im Sinne des § 3b AsylG nicht vorliegt, im Hinblick auf die Versagung subsidiären Schutzes wegen eines ernsthaften Schadens in Form von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung durch einen Akteur (§ 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2, § 3c AsylG i.V.m. Art. 3 EMRK) zu begründen.
2. Die Ausführungen zum offensichtlichen Nichtbestehen individueller Verfolgungsgründe sind jedoch nicht geeignet, das Offensichtlichkeitsurteil auch im Hinblick auf die Versagung subsidiären Schutzes zu tragen, soweit dieser Anspruch damit begründet wird, dass dem Beschwerdeführer als Zivilperson aufgrund der schlechten humanitären Verhältnisse in Afghanistan ein ernsthafter Schaden in Form einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (§ 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 AsylG i.V.m. Art. 3 EMRK) oder aufgrund der allgemeinen Gefahrenlage wegen einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht (§ 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG).
3. Indem das Verwaltungsgericht die von dem Beschwerdeführer geltend gemachten allgemeinen Gefahren ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gewürdigt hat (ob der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde), hat es die für die Zuerkennung subsidiären Schutzes maßgebliche Rechtsvorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 AsylG und die dort vorgesehenen rechtlichen Voraussetzungen (unmenschliche oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK sowie ernsthafte Bedrohung für Leib und Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts) vollständig unberücksichtigt gelassen.
4. Zwar wurde in der jüngeren obergerichtlichen Rechtsprechung das Vorliegen der Voraussetzungen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts für Zivilpersonen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG in Bezug auf Afghanistan insgesamt, namentlich in Bezug auf bestimmte Regionen verneint. Es ist jedoch nicht festzustellen, dass es sich hierbei um eine „gefestigte“ Rechtsprechung im Sinne der vorstehenden Maßstäbe handelt.
5. Außerdem kann von einer gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung auch deswegen nicht gesprochen werden, weil die Verwaltungsgerichte bei einem Land, das - wie Afghanistan - aufgrund der Dynamik des dort herrschenden Konflikts von einer äußerst volatilen und zudem regional sehr unterschiedlichen Sicherheitslage geprägt ist und in dem wegen einer stetigen Verschlechterung der Sicherheitslage in den letzten zwei Jahren die Gefahr besteht, dass die Schwelle des § 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 AsylG überschritten sein könnte, verpflichtet sind, sich laufend über die tatsächlichen Entwicklungen zu unterrichten und nur auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse zu entscheiden.

Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)

Bei der Abschiebung in einen anderen Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention besteht eine Mitverantwortung des abschiebenden Staates, die Konverntionsrechte im Zielstaat der Abschiebung zu gewährleisten, nur dann, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den EGMR - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist.

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§ 104 Abs. 13 Satz 1 AufenthG hindert in aller Regel die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses für das mit dem Ziel der Ermöglichung eines Familiennachzuges verfolgte Begehren eines subsidiär schutzberechtigten Ausländers, die Bundesrepublik Deutschland zu verpflichten, zusätzlich die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK festzustellen.

Verwaltungsgerichte (VerwG)

Pflicht der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG trotz laufendem Ermittlungsverfahren wegen Urkundenfälschung. Dabei ist unerheblich, ob eine Verurteilung zu einer Aufhebung des Schutzstatus führen könnte.

--- Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR sichert die Konvention nicht das Recht eines Ausländers zu, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten oder nicht ausgewiesen zu werden.
2. Die Vertragsstaaten haben aufgrund eines allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsatzes das Recht, die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung fremder Staatsangehöriger zu kontrollieren. Außerdem ist weder in der Konvention noch in ihren Protokollen das Recht auf politisches Asyl verankert ( Vilvarajah u.a. ./. Vereinigtes Königreich , Urteil vom 30. Oktober 1991, Serie A, Band 215, Rdnr. 102, S. 34, Mogos und Krifka ./. Deutschland (Entsch.), Nr. 78084/01, 27. März 2003, Shebashov ./. Lettland (Entsch.), Nr. 50065/99, 9. November 2000, und X ./. Schweden , Nr. 434/58, Entscheidung der Kommission vom 30. Juni 1959, Entscheidungssammlung (CD) 1, S. 1).
3. Allerdings können die in der Sache getroffenen Entscheidungen der Staaten die Achtung des nach Artikel 8 Absatz 1 der Konvention geschützten Privat- und Familienlebens verletzen.
4. Diese Bestimmung dürfe aber nicht so ausgelegt werden, als ob sie ein allgemeines Verbot zur Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen beinhaltet und zwar nur deshalb, weil dieser sich über einen bestimmten Zeitraum in dem Hoheitsgebiet des Vertragsstaats aufhält..

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1. bis 4. wie vorstehende Entscheidung Ghiban.   
5. Art. 8 EMRK ist nicht so auszulegen, dass ein Vertragsstaat allgemein verpflichtet ist, die von einem Ehepaar getroffene Wahl des gemeinsamen Wohnsitzes zu achten und die Niederlassung von ausländischen Paaren in dem Land hinzunehmen (Abdulaziz, Cabales und Balkandali ./. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 28. Mai 1985, Serie A Bd. 94, S. 34, Rdnr. 68, und Shebashov ./. Lettland (Entsch.), Nr. 50065/99, 9. November 2000), noch ist er als ein allgemeines Verbot zu verstehen, einen ausländischen Staatsangehörigen nur deshalb nicht abzuschieben, weil dieser sich seit einer gewissen Zeit in dem Hoheitsgebiet des Vertragsstaats aufhält ( Rechtssache Ghiban ./. Deutschland, Nr. 11103/03).

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1. Art. 8 EMRK gewährleistet keinen Anspruch auf einen bestimmten - befristetenm oder unbefristeten - Aufenthaltstitel.
2. Eine andauernde, ungewisse und unsichere aufenthaltsrechtliche Situation kann einen Verstoß gegen Art. 8 EMRK bedeuten.

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Ein zeitweiser Aufenthalt ohne erforderliche Aufenthaltserlaubnis rechtfertigt es nicht, die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis für den engen Umgang mit einem inländischen Kind zu verweigern.

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1. Der Gerichtshof bestätigt erneut, dass die Staaten aufgrund eines allgemein anerkannten völkerrechtlichen Prinzips und unbeschadet der sich für sie aus den Verträgen ergebenden Verpflichtungen das Recht haben, die Einreise fremder Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet zu kontrollieren (siehe unter vielen anderen Abdulaziz, Cabales und Balkandali ./. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 28. Mai 1985, Serie A Bd. 94, S. 34, Rdnr. 67, Boujlifa ./. Frankreich, Urteil vom 21. Oktober 1997, Sammlung der Urteile und Entscheidungen 1997-VI, S. 2264, Rdnr. 42).
2. Die Konvention sichert einem Ausländer nicht das Recht zu, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten, wobei die Vertragsstaaten bei der Erfüllung ihres Auftrags zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung berechtigt sind, einen straffälligen Ausländer auszuweisen.
3. Jedoch müssen sich ihre Entscheidungen in diesem Bereich, soweit sie ein durch Artikel 8 Abs. 1 geschütztes Recht beeinträchtigen, als in einer demokratischen Gesellschaft notwendig herausstellen, d.h. durch ein herausragendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und insbesondere in Bezug auf das rechtmäßig verfolgte Ziel verhältnismäßig sein (Dalia ./. Frankreich, Urteil vom 19. Februar 1998, Sammlung 1998-I, S. 91, Rdnr. 52, Mehemi ./. Frankreich, Urteil vom 26. September 1997, Sammlung 1997-VI, S. 1971, Rdnr. 34, Boultif ./. Schweiz, s.o., Rdnr. 46, und Slivenko ./. Lettland [GK], Nr. 48321/99, CEDH-2003-X, Rdnr. 113).

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1. Art 8 Abs. 1 EMRK schützt auch das Recht, Beziehungen zu anderen Menschen und der Außenwelt herzustellen und zu pflegen, und umfasst bisweilen Aspekte der sozialen Identität eines Menschen. Daher muss akzeptiert werden, dass alle sozialen Bindungen zwischen Einwanderern und der Gemeinschaft, in der sie leben und ihren Platz gefunden haben, Bestandteil des Begriffs "!Familienleben" im Sinne des Artikels 8 sind.
2. Unabhängig davon, ob ein "Familienleben" existiert, gilt die Ausweisung eines Einwanderers, der einen sicheren Platz in der Gemeinschaft gefunden hat, daher als Verletzung seines Rechts auf Achtung seines Privatlebens. Er entscheidet anhand der Umstände der Sache, mit der er befasst wird, ob der Schwerpunkt auf den Aspekt „Familienleben“ oder eher den Aspekt „Privatleben“ zu legen ist.
3. Wenn die Vertragsstaaten ihre Aufgabe der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung wahrnehmen, haben sie das Recht, einen straffälligen Ausländer auszuweisen. Jedoch müssen sich ihre Entscheidungen in diesem Bereich, soweit sie ein durch Artikel 8 Absatz 1 geschütztes Recht beeinträchtigen würden, als in einer demokratischen Gesellschaft notwendig herausstellen, d.h. durch ein herausragendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und insbesondere in Bezug auf das rechtmäßig verfolgte Ziel verhältnismäßig sein (siehe Rechtssache Üner v. Niederlande, 46410/99, Rdnrn. 54-58)

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Ein Gesetz, das bezüglich des Rechts auf Familienzusammenführung zwischen Flüchtlingen differenziert, die vor der Asylbeantragung geheiratet haben, und solchen, die erst danach geheiratet haben, verstößt gegen Art. 14 in Verbindung mit Art. 8 EMRK.

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1. Die Ausweisung eines Ausländers verletzt dessen Recht auf Achtung seines Familienlebens (Art. 8 MRK), wenn zwischen ihm und seinen Kindern tatsächlich eine familiäre Beziehung besteht, er lediglich ein schweres Delikt begangen hat und sein späteres Verhalten einwandfrei war, was eine positive Entwicklung für die Zukunft annehmen lässt.

2. Die Begründung einer Familie zu einem Zeitpunkt, in dem das Aufenthaltsrecht bereits unsicher geworden war, führt nicht zum Schutz des Rechts auf Achtung des Familienlebens.

Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte garantiert die EMRK kein Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen und sich dort aufzuhalten. Maßnahmen im Bereich der Einwanderung können jedoch das Recht auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK berühren. Danach hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens; ein Eingriff ist nur unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK statthaft. In beiden Fällen ist ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den gegenläufigen Interessen des Einzelnen und der Gesellschaft herzustellen. Im Ergebnis verpflichtet damit auch Art. 8 EMRK zu einer Abwägungslösung nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen.

  • BVerwG, Urt. v. 30.03.2010, 1 C 8.09; BVerwGE 136, 231; InfAuslR 2010, 331; NVwZ 2010, 964, m. Anm. Bertold Huber, 701; ZAR 2011, 27, m. Bespr. Reinhard Marx, 15, u. Anm. Andreas Pfersich, 34, u. Aufs. Anne-Kathrin Fricke, ZAR 2010, 253; AuAS 2010, 170; Aufs. Thomas Roeser, EuGRZ 2013, 369; Aufs. Victor Pfaff, FPR 2011, 428
  • BVerwG, Urt. v. 04.09.2012 - 10 C 12/12; BVerwGE 144, 141; InfAuslR 2013, 14 u. 132; NVwZ 2013, 515, m. Aufs. Hannah Tewocht, NVwZ 2014, 1067; ZAR 2013, 74, m. Anm. Andreas Pfersich, 77; AuAS 2012, 266; Aufs. Wolfgang Tiede, Clemens Bogedain, Ray Migge, NJ 2016, 221

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Das nationale Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG wird in Bezug auf Art. 3 EMRK nicht durch das unionsrechtliche Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG verdrängt.

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§ 104 Abs. 13 Satz 1 AufenthG hindert in aller Regel die Annahme eines Rechtsschutzbedürfnisses für das mit dem Ziel der Ermöglichung eines Familiennachzuges verfolgte Begehren eines subsidiär schutzberechtigten Ausländers, die Bundesrepublik Deutschland zu verpflichten, zusätzlich die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK festzustellen.

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1. Der Abschiebung von im Ausland anerkannten Flüchtlingen in den Staat ihrer Anerkennung steht das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegen, wenn die sie dort erwartenden Lebensverhältnisse Art. 3 EMRK widersprechen. Das setzt allerdings voraus, dass im Zielstaat der Abschiebung das für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.d. Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere erreicht wird. Das kann der Fall sein, wenn die anerkannten Flüchtlinge ihren existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern können, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten. Einer weitergehenden abstrakten Konkretisierung ist das Erfordernis, dass ein gewisses "Mindestmaß an Schwere" erreicht sein muss, nicht zugänglich. Vielmehr bedarf es insoweit der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls.
2. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG setzt keine "Extremgefahr" im Sinne der Rechtsprechung zu § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG voraus.

Verwaltungsgerichte

Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen Art. 8 Abs. 1 EMRK (Recht auf Privatleben) wegen der Integration in die Lebensverhältniss in der Bundesrepublik Deutschland zu einem Aufenthaltsrecht führen kann (hier: verneint für einen in Deutschland geborenen minderjährigen vietnamesischen Staatsangehörigen).

  • VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 18.01.2006 - 13 S 2220/05; ZAR 2006, 142

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§ 60 Abs. 5 AufenthG verweist auf die EMRK nur insoweit, als sich aus ihr zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote ergeben.
Eine durch Art. 8 EMRK begründete rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung rechtfertigt deren Aussetzung nach § 60 a Abs. 2 AufenthG und kann zu einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG - nicht nach § 25 Abs. 3 AufenthG - führen.
Eine den weiteren Verbleib eines Ausländers in Deutschland verneinende Entscheidung greift in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens grundsätzlich nur ein, wenn der Ausländer ein Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK faktisch allein in Deutschland führen kann.

  • Hessischer VGH, Beschl. v. 15.02.2006 - 7 TG 106/06; InfAuslR 2006, 217; NVwZ-RR 2006, 826

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Minderjährige Kinder teilen grundsätzlich aufenthaltsrechtlich das Schicksal ihrer Eltern. Steht den Eltern wegen deren mangelnder Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland über Art. 8 EMRK in Verbindung mit § 25 AufenthG kein Aufenthaltsrecht zu, so ist davon auszugehen, dass auch ein Minderjähriger, der im Bundesgebiet geboren wurde oder dort lange Zeit gelebt hatte und vollständig integriert ist, auf die von den Eltern nach der Rückkehr im Familienverband zu leistenden Integrationshilfen im Heimatland verwiesen werden kann. Ausnahmsweise kann etwas anderes gelten, wenn kein Elternteil in der Lage sein wird, diese Hilfen zu erbringen.

  • VG Stuttgart, Urt. v. 20.07.2006 - 4 K 921/06; InfAuslR InfAuslR 2006, 409

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Nach einem Inlandsaufenthalt von 14 Jahren widerspricht die Ausreisepflicht abgelehnter Asylbewerber, die nicht auf Sozialhilfe angeweisen sind, Art. 8 EMRK.

  • VG Lüneburg, Urt. v. 21.07.2006 - 3 A 263/05; InfAuslR 2006, 407

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In § 60 Abs. 5 AufenthG wird auf die EMRK lediglich insoweit verwiesen, als sich aus ihr Abschiebungsverbote ergeben, die in Gefahren begründet liegen, welche dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen. Hindernisse, die einer Vollstreckung der Ausreisepflicht entgegenstehen, weil andernfalls ein geschütztes Rechtsgut im Bundesgebiet (hier: Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK) verletzt würde, fallen nicht unter § 60 Abs. 5 AufenthG; solche inlandsbezogenen Vollstreckungshindernisse sind nicht vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Asylverfahren, sondern von den Ausländerbehörden zu berücksichtigen (im Anschluss an BVerwG, Urteil vom 11.11.1997 - 9 C 13.96 - BVerwGE 105, 322 zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990).

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1. § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK setzt voraus, dass dem Betroffenen im Falle der Abschiebung im Zielgebiet eine erhebliche individuelle Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
2. Eine Verletzung von Art. 3 EMRK kommt infolge im Zielgebiet herrschender allgemeiner / willkürlicher Gewalt (auch im Falle eines bewaffneten Konflikts), wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände fehlen, nur bei Vorliegen einer außergewöhnlichen Situation dann ausnahmsweise in Betracht, wenn diese durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung ausgesetzt wäre.
3. Schlechte humanitäre Verhältnisse können dann eine "Behandlung" im Sinne des Art. 3 EMRK sein, wenn diese ganz oder überwiegend auf staatlichem Handeln, auf Handlungen von Parteien eines innerstaatlichen Konflikts oder auf Handlungen sonstiger, nicht staatlicher Akteure, die dem Staat zurechenbar sind, weil er der Zivilbevölkerung keinen ausreichenden Schutz bieten kann oder will, beruhen. Ganz außerordentliche individuelle Umstände müssen dagegen hinzutreten, um schlechte humanitäre Bedingungen im Zielgebiet, wenn diese nicht überwiegend auf Handlungen der genannten Akteure zurückzuführen sind, als "Behandlung" im Sinne von Art. 3 EMRK qualifizieren zu können.

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Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Über diese Norm werden die Schutzregeln der EMRK in innerstaatliches Recht inkorporiert. Sowohl aus Systematik als auch Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass es insoweit nur um zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz geht. Inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, abgeleitet etwa aus Art. 8 EMRK, ziehen hingegen regelmäßig nur eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG nach sich.

Die früheren Urteile zu § 53 Abs. 4 AuslG können hier aufgerufen werden.

--- Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG

Bundesverfassungsgericht

Die Regelung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG lässt sich so verstehen, dass eine erhebliche konkrete Gefahr für den einzelnen Ausländer im Hinblick auf die bezeichneten Rechtsgüter auch dann zu berücksichtigen sind, wenn sie gleichzeitig für eine Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, oder sogar für die gesamte Bevölkerung eine allgemeine Gefahr darstellen.

  • BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 21.12.1994 - " 2 BvL 81 und 82/92; InfAuslR 1995, 251; DVBl. 1995, 560 

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Die vorläufige Reiseunfähigkeit bzw. Suizidalität eines zur Ausreise verpflichteten Asylbewerbers ist asylrechtlich und auch als "zielstaatsbezogenes" Abschiebungshindernis irrelevant. Bei diesen Umständen handelt es sich um eine Abschiebung regelmäßig nur vorübergehend hindernde Umstände, die im Zusammenhang mit den dem Abschiebestaat zuzurechnenden tatsächlichen Beeinträchtigungen stehen, wie sie typischerweise mit dem Vollzug einer Abschiebung verbunden sind. Es ist Sache der mit dem Vollzug der Abschiebung betrauten Behörde, derartige Gefahren, die der Abzuschiebende bis zur tatsächlichen Durchführung der Abschiebung muss geltend machen können, angemessen zu begegnen.

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1. Nach der - von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden - jüngeren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist es im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG mit Blick auf den Wortlaut dieser Vorschrift Aufgabe allein des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu prüfen, ob "feststeht", dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt
2. Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen. Gegebenenfalls hat das Bundesamt die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von deren Vollziehung abzusehen.

Bundesverwaltungsgericht

Die Gewährung von Abschiebeschutz nach § 53 Abs. 6 Satz 1 setzt das Bestehen individueller Gefahren voraus. Beruft sich ein Ausländer lediglich auf allgemeine Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG, die - wie etwa die typischen Bürgerkriegsgefahren - nicht nur ihm persönlich, sondern zugleich der ganzen Bevölkerung oder einer Bevölkerungsgruppe drohen, wird Abschiebeschutz ausschließlich durch eine generelle Regelung der obersten Landesbehörden gewährt. Einen Anspruch auf Ermessensbetätigung der obersten Landesbehörden hat der Ausländer nicht.
§ 53 Abs. 6 Abs. 1 AuslG erfasst allgemeine Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG auch dann nicht, wenn sie den einzelnen Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betreffen. Nur dann wenn dem einzelnen Ausländer kein Abschiebeschutz nach § 53 Abs. 1, 2, 3, 4 und 6 S. 1 AuslG zusteht, er aber gleichwohl nicht abgeschoben werden darf, weil die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art, 2 Abs. 2 S. 1 GG wegen einer extremen Gefahrenlage die Gewährung von Abschiebeschutz unabhängig von einer Ermessensentscheidung nach § 53 Abs. 6 S. 2, 54 AuslG gebieten, ist § 53 Abs. 6 S. 2 AuslG verfassungskonform einschränkend dahin auszulegen, dass eine Entscheidung nach § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG nicht ausgeschlossen ist.
Das ist der Fall, wenn die obersten Landesbehörden trotz einer extremen allgemeine Gefahrenlage, die jeden einzelnen Ausländer im Falle einer Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausliefern würde, von ihrer Ermessensermächtigung aus § 54 AuslG keinen Gebrauch gemacht haben, einen generellen Abschiebestopp zu verfügen.

  • BVerwG, Urt. v. 17.05.1995 - 9 C 9.95; BVerwGE 99, 324; NVwZ 1996, 199; DÖV 1996, 250
  • BVerwG, Urt. v. 19.11.1996 - 1 C 6.95; BVerwGE 102, 249; InfAuslR 1997, 193; NVwZ 1997, 685; DVBl. 1997, 902; JZ 1997, 508, mit Anm. Rittstieg, 511
  • BVerwG, Urt. v. 08.12.1998 9 - C 4.98; BVerwGE 108, 77; InfAuslR 1999, 266; NVwZ 1999, 666; DVBl 1999, 549; DÖV 1999, 607
  • BVerwG, Urt. v. 12.07.2001 - 1 C 2.01; InfAuslR 2002, 48
  • BVerwG, Urt. v. 12.07.2001 - 1 C 5.01; BVerwGE 115, 1; InfAuslR 2002, 52

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Eine extreme allgemeine Gefahrenlage, bei der die Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ausnahmsweise nicht gilt, setzt nicht voraus, dass im Falle der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Ankunft im Abschiebezielstaat, eintreten. Sie besteht beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde.

  • BVerwG, Beschl. v. 26.01.1999 - 9 B 617.98; InfAuslR 1999, 265; NVwZ 1999, 668

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Bei einer Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG i.V.m. § 51 Abs. 5, §§ 48, 49 VwVfG ist das Ermessen zugunsten des Ausländers regelmäßig auf Null reduziert, wenn er im Zielstaat der drohenden Abschiebung einer extremen individuellen Gefahr ausgesetzt wäre.

  • BVerwG, Urt. v. 20.10.2004 - 1 C 15.03; BayVBl. 2005, 414

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Die Feststellung eines ausländerrechtlichen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Herkunftsstaates ist anders als beim asylrechtlichen Abschiebungsschutz nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Asylbewerber Schutz in einem anderen Staat finden kann, dessen Staatsangehörigkeit er ebenfalls besitzt; unter Umständen kann dem Kläger in einem derartigen Fall aber das Rechtsschutzbedürfnis fehlen.
Der Asylbewerber hat regelmäßig einen Anspruch darauf, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Falle der Ablehnung der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung eine Feststellung über das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich seines Herkunftsstaates trifft.

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Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I 2007, 1970) ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei Asylbewerbern auch für die ausländerrechtliche Ermessensentscheidung zuständig, ob nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen der Vorschrift von der Abschiebung abgesehen werden soll.
Verpflichtet das Verwaltungsgericht das Bundesamt zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich eines bestimmten Staates, so ist auch die Bezeichnung des betreffenden Staates als Zielstaat in der Abschiebungsandrohung rechtswidrig.

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Der Antrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Bezug auf das Herkunftsland ist seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes im Asylprozess sachdienlich dahin auszulegen, dass in erster Linie die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG und hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird.
Der Begriff des internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG (sog. Qualifikationsrichtlinie) ist unter Berücksichtigung des humanitären Völkerrechts auszulegen (vgl. insbesondere die vier Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht vom 12. August 1949 und das Zusatzprotokoll II vom 8. Juni 1977).
Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG muss sich nicht auf das gesamte Staatsgebiet erstrecken.
Die in § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG getroffene Regelung, die Abschiebungsschutz suchende Ausländer im Falle allgemeiner Gefahren auf die Aussetzung von Abschiebungen durch ausländerbehördliche Erlasse verweist, ist richtlinienkonform dahin auszulegen, dass sie nicht die Fälle erfasst, in denen die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes nach Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG erfüllt sind.

Verwaltungsgerichte

§ 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ist trotz der für zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote bestehenden Regelung in § 25 Abs. 3 AufenthG auch auf den Fall anwendbar, dass die freiwillige Rückkehr in den Heimatstaat unmöglich ist, weil für den Ausländer dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht.
In Serbien ist für einen Rückkehrer, der nach einer Nierentransplantation auf die immunsuppressive Therapie mit „Prograf 1 mg“ und Cellcept 500 mg“ angewiesen ist, die erforderliche Behandlung nach dem Ergebnis summarischer Prüfung nur gewährleistet, wenn er über die Mittel verfügt, diese Medikamente aus dem Ausland zu beziehen.

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Dem subsidiären Schutz nach Art. 15 Buchst. c. der Qualifikationsrichtlinie ist eine dem § 60 Abs. 7 AufenthG vergleichbare Differenzierung zwischen allgemeinen Gefahren und solchen nicht allgemeiner Art fremd.           ;
Im Irak findet gegenwärtig ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt statt, der zur Gewährung subsidiären Schutzes verpflichtet.
     Zum internen Schutz im Nordirak.

  • VG Stuttgart, Urt. v. 21.05.2007- 4 K 2563/07; InfAuslR 2007, 321

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Begründungserwägungen - hier die 26. Begründungserwägung zur RL 2004/83/EG (Qualifikationsrichtlinie) -, die einem gemeinschaftlichen Rechtsakt vorangestellt werden, sind integraler Bestandteil des Rechtsakts und deshalb zur Auslegung seiner Regelungen - hier Art. 15 lit. c) RL 2004/83/EG - heranzuziehen.
Nach dem 26. Erwägungsgrund stellen Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen normalerweise keine individuelle Bedrohung dar, die als ernsthafter Schaden zu beurteilen wäre. Damit entspricht die Regelung über die Gewährung eines subsidiären Schutzstatus nach Art. 15 lit.c) der Richtlinie im Kern der bisherigen Rechtslage nach § 60 Abs. 7 AufenthG (ebenso OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 22.12.2006 - 1 LA 125/06 - Juris; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand Mai 2007, § 60 AufenthG, Rdnr. 134; a.A. VG Stuttgart, Urt. v. 21.5.2007 - 4 K 2563/07 -, InfAuslR 2007, 321, wonach "dem subsidiären Schutz nach Art. 15 lit.c) der Richtlinie 2004/83/EG eine dem § 60 Abs. 7 AufenthG vergleichbare Differenzierung zwischen allgemeinen Gefahren und solchen nicht allgemeiner Art fremd" sei).

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1. Genügt ein vorgelegtes Attest nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 60a Abs. 2c und d AufenthG, kann die gesundheitliche Beeinträchtigung dennoch als Umstand gewertet werden, der ein Hindernis bei der Erwirtschaftung des Existenzminimums darstellt.
2. Bei einer 69-jährigen pflegebedürftigen Frau ist davon auszugehen, dass sie intensiver Betreuung durch ihre Angehörigen bedarf und die von ihr benötigten Medikamente, selbst wenn diese in Afghanistan beschafft werden können, die Kosten für die Sicherstellung des Lebensunterhalts für die Familie zusätzlich erhöhen würden.
3. Bilden mehrere Schutzsuchende eine Beistandsgemeinschaft, etwa wegen gemeinsamer Betreuung einer pflegebedürftigen Familienangehörigen, so müssen sie als Gesamtfamilie betrachtet werden.

--- Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 AufenthG wegen Krankheit

Bundesamt für Migration

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen:

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Asylbewerbern, die an einer fortgeschrittenen HIV-Erkrankung leiden, die reglmäßige ärztliche Kontrollen und begleitende therapeutische Maßnahmen notwendig machen, können in Kamerun nicht ausreichend versorgt werden.

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

Die Abschiebung eines Ausländers verletzt Art. 3 EMRK, wenn dieser im Aufnahmeland der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt ist. Dieser Schutz des Art. 3 EMRK ist absolut und gilt daher unabhängig vom Verhalten der abzuschiebenden Person
Die Gefahr einer von Art. 3 EMRK verbotenen Behandlung muss nicht von vorsätzlichen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt des Empfangsstaates oder von solchen nichtstaatlicher Organisationen bei mangelnder behördlicher Schutzgewährung in diesem Staat herrühren. Der Stellenwert des Art. 3 EMRK gebietet es vielmehr, auch dann das Vorliegen einer entsprechenden Gefahr zu prüfen, wenn diese auf Umständen beruht, die weder unmittelbar noch mittelbar in den Verantwortungsbereich der Behörden des Empfangsstaates fallen.
Wenn die Abschiebung eines an AIDS im Endstadium erkrankten straffälligen Ausländers in ein Entwicklungsland, in dem die medizinische und soziale Versorgung solcher Personen unzureichend ist, dazu führen würde, dass dessen ihm verbliebene Lebensqualität erheblich verschlechtert und seine Lebenserwartung verkürzt würde, so würde ihr Vollzug eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK darstellen, sofern der abschiebende Staat Verantwortung für den Ausländer übernommen hat.

  • EGMR, Urt. v. 02.05.1997 - 30240/96 (Fall D. v. Vereinigtes Königreich); InfAuslR 1997, 381; NVwZ 1998, 161; ÖJZ 1998, 354
  • EGMR, Urt. v. 07.09.1998 - 30930/96  (Fall B.B. v. Frankreich); InfAuslR 1999, 1, mit Anm. Zander, Constanze, 2
  • EGMR (Kammer - Erste Sektion), Zulassungsentscheidung v. 15.02.2000 - (Fall S.C.C. v. Schweden); InfAuslR 2000, 421; ÖJZ 2000, 911
  • EGMR (Kammer - Dritte Sektion), Urt. v. 06.02.2001 - 44599/98 (Bensaid v. Vereinigtes Königreich); InfAuslR 2001, 364; NVwZ 2002, 453

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Fremde Staatsangehörige, gegen die ein Abschiebebescheid vorliegt, können ein Recht auf Verbleib in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats grundsätzlich nicht beanspruchen, um so weiter in den Genuss einer medizinischen, sozialen oder anderen Versorgung zu gelangen, die der Abschiebestaat während ihres Aufenthalts gewährt.
Dass eine Person, deren Abschiebung angeordnet worden ist, mit Selbstmord droht, hindert den Vertragsstaat nicht an der Abschiebung, wenn er konkrete Maßnahmen zur Verhinderung des Selbstmords trifft.

  • EGMR (III. Sektion), Entscb. v 7. 10. 2004-33743/03 (Dragan u. a./Deutschland); NVwZ 2005, 1043

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Das auf einer natürlich ausgebrochenen physischen oder psychischen Krankheit beruhende Leiden kann von Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) erfasst werden, wenn es durch Haftbedingungen, Ausweisung oder andere Maßnahmen verschlimmert wird oder zu werden droht, für die Behörden oder Gerichte eines Konventionsstaates verantwortlich gemacht werden können.
Art. 3 EMRK verbietet eine Ausweisung, wenn der Betroffene im Aufnahmeland Gefahr läuft, einer dieser Vorschrift zuwiderlaufenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
Angesichts der grundlegenden Bedeutung von Art. 3 EMRK im System der Konvention ist diese Vorschrift grundsätzlich auch dann anwendbar, wenn sich die Gefahr verbotener Behandlung im Aufnahmeland aus Umständen ergibt, für welche die Behörden oder Gerichte des Landes weder direkt noch indirekt verantwortlich sind oder die für sich allein Art. 3 EMRK nicht verletzen.
Dass bei der Ausweisung einer HlV-infizierten Person deren Lage und Lebenserwartung wegen einer schlechteren medizinischen Versorgung im Aufnahmeland beeinträchtigt würden, reicht allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen. Anders ist es nur in besonderen Ausnahmefällen, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen eine Ausweisung sprechen. Das ist hier nicht der Fall. (Leitsätze der Bearbeiter)

  • EGMR (Große Kammer), Urt. v. 17.05.2008 - 26 565/05 (Fall N. ./. Vereinigtes Königreich); NVwZ 2008, 1334

Europäischer Gerichtshof (EuGH)

1. Im Rahmen der Prüfung, ob eine Überstellung im Dublin-Verfahren rechtmäßig ist, spielen nicht nur zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote eine Rolle, sondern auch inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse (hier Krankheit).
2. Eine Überstellung ist (auch in Abwesenheit systemischer Mängel im Zielstaat) jedenfalls dann rechtswidrig, wenn ihre Durchführung gegen Art. 4 Grundrechtecharta (Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) verstößt (Rn. 75 ff.).
3. Die Überstellung darf im Fall von Krankheit daher nicht zu einer gravierenden und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen.
4. Sofern nicht davon auszugehen ist, dass sich eine solche Gesundheitsverschlechterung durch entsprechende Vorkehrungen und Maßnahmen bei der Überstellung verhindern lassen, ist diese auszusetzen.
5. Sofern nicht damit zu rechnen ist, dass sich der Gesundheitszustand in absehbarer Zeit so verbessert, dass eine (rechtmäßige) Überstellung durchgeführt werden kann, wird angeregt, dass der betreffende Mitgliedstaat sein Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO ausübt.

Bundesverfassungsgericht

Abschiebungshindernisse, die sich möglicherweise aus dem Gesundheitszustand eines ausreisepflichtigen Ausländers ergeben, sind als inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse bei der Ausländerbehörde geltend zu machen.

  • BVerfG (1. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 16.04.2002 - 2 BvR 553/02, NVwZ-Beilage I 2002, 91

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Die vorläufige Reiseunfähigkeit bzw. Suizidalität eines zur Ausreise verpflichteten Asylbewerbers ist asylrechtlich und auch als "zielstaatsbezogenes" Abschiebungshindernis irrelevant. Bei diesen Umständen handelt es sich um eine Abschiebung regelmäßig nur vorübergehend hindernde Umstände, die im Zusammenhang mit den dem Abschiebestaat zuzurechnenden tatsächlichen Beeinträchtigungen stehen, wie sie typischerweise mit dem Vollzug einer Abschiebung verbunden sind. Es ist Sache der mit dem Vollzug der Abschiebung betrauten Behörde, derartige Gefahren, die der Abzuschiebende bis zur tatsächlichen Durchführung der Abschiebung muss geltend machen können, angemessen zu begegnen.

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1. Nach der - von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden - jüngeren Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist es im Rahmen des Verfahrens auf Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG mit Blick auf den Wortlaut dieser Vorschrift Aufgabe allein des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zu prüfen, ob "feststeht", dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Das Bundesamt hat damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde zur Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt
2. Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender, sondern auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen. Gegebenenfalls hat das Bundesamt die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von deren Vollziehung abzusehen.

Verwaltungsgerichte

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG können bereits dann erfüllt sein, wenn sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort faktisch unzureichend sind. Die befürchtete Verschlimmerung der gesundheitlichen Beeinträchtigungen als Folge fehlender Behandlungsmöglichkeiten im Zielland der Abschiebung muss zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führen, also eine „Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität“ erwarten lassen; das wäre der Fall, „wenn sich der Gesundheitszustand wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde“. 

Eine (erhöhte) „existentielle“ oder extreme Gefahr, die den betroffenen Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzung ausliefern würde, hat das Bundesverwaltungsgericht nur für die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (früher: § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG) bei verfassungkonformer Durchbrechung der Sperrwirkung des Satzes 2 wegen sog. Allgemeingefahren gefordert.

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Bei einer individuellen Krankheit wie Sarkoidose liegen die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG schon dann vorl, wenn dem Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr dadurch droht, dass sich seine Erkrankung aufgrund der Verhältnisse im Zielsstaat wesentlich verschlimmert. Eine extreme, lebensbedrohende Gefahr ist dafür nicht erforderlich. 
Dabei sind sämtliche Umstände im Zeilstaat, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung beitragen können, in die Gefahrenprognose mit einzubeziehen, also auch ein mögliches höheres Infektionsrisiko für den Kläger in Angola. 
Etwas anderes gilt lediglich bei Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe im Heimatland allgemein ausgesetzt ist, weil dann zunächst die Innenministerien über die Gewährung von Abschiebungsschutz zu entscheiden haben und eine Einzelfallentscheidung nur bei extremen Allgemeingefahren zulässig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 2, § 60 a Abs. 1 AufenthG).

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1. Zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, gehört regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests, aus dem sich nachvollziehbar ergeben muss, auf welcher Grundlage der Arzt zu seiner Diagnose gelangt ist und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt.
2. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I 2007, 1970) ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei Asylbewerbern auch für die ausländerrechtliche Ermessensentscheidung zuständig, ob nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen der Vorschrift von der Abschiebung abgesehen werden soll.
3. Verpflichtet das Verwaltungsgericht das Bundesamt zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich eines bestimmten Staates, so ist auch die Bezeichnung des betreffenden Staates als Zielstaat in der Abschiebungsandrohung rechtswidrig.

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Eine durch die Ausländerbehörde zugesicherte Finanzierung erforderlicher Medikamente für einen Übergangszeitraum nach der Rückkehr ins Heimatland lässt ein Abschiebungsverbot nach 5 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur entfallen, wenn mit hinreichender Sicherheit erwartet werden kann, dass danach die erforderliche weitere Behandlung im Zielstaat dem Ausländer zur Verfügung steht.

  • OVG Münster, Beschl. v. 22.01.2007- 18 E 274/06; NVwZ 2007, 611

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§ 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ist trotz der für zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote bestehenden Regelung in § 25 Abs. 3 AufenthG auch auf den Fall anwendbar, dass die freiwillige Rückkehr in den Heimatstaat unmöglich ist, weil für den Ausländer dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG besteht.

In Serbien ist für einen Rückkehrer, der nach einer Nierentransplantation auf die immunsuppressive Therapie mit „Prograf 1 mg“ und Cellcept 500 mg“ angewiesen ist, die erforderliche Behandlung nach dem Ergebnis summarischer Prüfung nur gewährleistet, wenn er über die Mittel verfügt, diese Medikamente aus dem Ausland zu beziehen.

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1. Ist eine die Abschiebung beeinträchtigende Erkrankung nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c AufenthG glaubhaft gemacht und die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit damit nicht widerlegt, kommt eine Aussetzung der Abschiebung in der Regel nicht in Betracht. Eine Ermittlungspflicht der Ausländerbehörde besteht in diesem Fall grundsätzlich nicht.
2. Bestehen aber tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Ausländer an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, ist die Ausländerbehörde nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, diese Anhaltspunkte zu berücksichtigen und in Anwendung des § 24 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG LSA eine (erneute) ärztliche Untersuchung anzuordnen, die hinreichenden Aufschluss darüber gibt, ob der Ausländer an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet und diese sich im Fall einer Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
3. Nur wenn der Ausländer in einem solchen Fall einer Anordnung zur Durchführung einer ärztlichen Untersuchung nicht Folge leistet, ist die Behörde entsprechend § 60a Abs. 2d Satz 3 AufenthG berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen.

Die früheren Urteile zu § 53 Abs. 6 AuslG können hier aufgerufen werden.

--- Neuregelung des Abschiebeschutzes wegen Krankheit ab 2016

1. Ist eine die Abschiebung beeinträchtigende Erkrankung nicht durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung nach § 60a Abs. 2c AufenthG glaubhaft gemacht und die gesetzliche Vermutung der Reisefähigkeit damit nicht widerlegt, kommt eine Aussetzung der Abschiebung in der Regel nicht in Betracht. Eine Ermittlungspflicht der Ausländerbehörde besteht in diesem Fall grundsätzlich nicht.
2. Bestehen aber tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Ausländer an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, ist die Ausländerbehörde nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, diese Anhaltspunkte zu berücksichtigen und in Anwendung des § 24 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 VwVfG LSA eine (erneute) ärztliche Untersuchung anzuordnen, die hinreichenden Aufschluss darüber gibt, ob der Ausländer an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet und diese sich im Fall einer Abschiebung wesentlich verschlechtern würde.
3. Nur wenn der Ausländer in einem solchen Fall einer Anordnung zur Durchführung einer ärztlichen Untersuchung nicht Folge leistet, ist die Behörde entsprechend § 60a Abs. 2d Satz 3 AufenthG berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen.

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1. Mit der ab dem 17.03.2016 geltenden gesetzlichen Regelung hat der Gesetzgeber klargestellt, dass eine erhebliche konkrete Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG aus gesundheitlichen Gründen nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch eine Abschiebung wesentlich verschlechtern würden, vorliegt (vgl. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG). Es wird im Falle einer Erkrankung nicht vorausgesetzt, dass die medizinische Versorgung im Herkunftsland mit der Versorgung in Deutschland gleichwertig ist (vgl. § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG).
2. Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG kann sich bei einer psychischen Erkrankung auch (allein) wegen einer im Herkunftsland zu erwartenden Re-Traumatisierung aufgrund der Konfrontation mit den Ursachen des Traumas ergeben. In diesem Fall sind an sich im Zielstaat vorhandene Behandlungsmöglichkeiten unerheblich, wenn sie für den Betroffenen aus für ihn in der Erkrankung selbst liegenden Gründen, nämlich wegen der Gefahr der Retraumatisierung, nicht erfolgversprechend sind (vgl. OVG Lüneburg, U. v.12.9.2007 - 8 LB 210/05 - juris; vgl. auch OVG Lüneburg, U. v. 28.6.2011 - 8 LB 221/09 - juris Rn. 37).
3. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. etwa BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 8/07, juris Rn. 15 ff.).

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Allein mit der Vorlage ärztlicher und psychologischer Bescheinigungen, die nicht den Anforderungen des § 60a Abs. 2 c AufenthG entsprechen, können grundsätzlich keine anderweitigen tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Erkrankung i.S.d. § 60a Abs. 2 d Satz 2 AufenthG begründet werden.

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1. Nach § 60a Abs. 2c Satz 2 AufenthG muss der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten (§ 60a Abs. 2c Satz 3 AufenthG).
2. Hierbei muss es sich nach Sinn und Zweck der Vorschrift in aller Regel um eine Bescheinigung handeln, die über den aktuellen Gesundheitszustand Aufschluss gibt.

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Das Gericht hat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen einen als offensichtlich unbegründet abgelehnten Asylantrag auch die Einschätzung des Bundesamtes, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht vorliegen (§ 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AsylG), zum Gegenstand der Prüfung zu machen.

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Die Regelung in § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG umfasst nach ihrem Wortlaut, ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem Sinn und Zweck auch die Feststellung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 7 AufenthG.

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Die hohen Anforderungen, die im Rahmen der Prüfung eines nationalen Abschiebungsverbots an die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung zu stellen sind, können nicht auf andere Krankheitsbilder übertragen werden. Hier die gleichen Mindestanforderungen zu stellen, würde das Substantiierungserfordernis für Krankheiten überspannen.

--- Abschiebeschutz nach der Verfahrensrichtlinie

Europäischer Gerichtshof (EuGH)

Die Verfahrens-Richtlinie 2005/85/EG a.F. ist in Verbindung mit der Rückführungsrichtlinie-Richtlinie 2008/115/EG dahin auszulegen, dass sie dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115, die sich gegen einen Drittstaatsangehörigen richtet, der internationalen Schutz beantragt hat, und die gleich nach der Ablehnung dieses Antrags durch die zuständige Behörde oder zusammen mit ihr in einer einzigen behördlichen Entscheidung und somit vor der Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ergeht, nicht entgegensteht, sofern der betreffende Mitgliedstaat u. a. gewährleistet, dass alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf gegen die Ablehnung ausgesetzt werden, dass der Antragsteller während dieses Zeitraums in den Genuss der Rechte aus der Aufnahme-Richtlinie 2003/9/EG kommen kann und dass er sich auf jede nach Erlass der Rückkehrentscheidung eingetretene Änderung der Umstände berufen kann, die im Hinblick auf die Richtlinie 2008/115 und insbesondere ihren Art. 5 erheblichen Einfluss auf die Beurteilung seiner Situation haben kann; dies zu prüfen ist Sache des nationalen Gerichts.

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Die Rückführungs-Richtlinie 2008/115/EG und die Verfahrens-Richtlinie 2013/32/EU n.F. sind dahin auszulegen, dass sie dem entgegenstehen, dass ein Drittstaatsangehöriger, dessen Antrag auf internationalen Schutz erstinstanzlich von der zuständigen Verwaltungsbehörde als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, zwecks Abschiebung in Haft genommen wird, wenn er gemäß Art. 46 Abs. 6 und 8 der Richtlinie 2013/32 berechtigt ist, im Hoheitsgebiet zu bleiben, bis über seinen das Recht zum Verbleib im Hoheitsgebiet bis zur Entscheidung über die Klage gegen die Ablehnung seines Antrags auf internationalen Schutz betreffenden Rechtsbehelf entschieden wurde.

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Art. 39 der Verfahrens-Richtlinie 2005/85/EG a.F. und Art. 13 der Rückführungs-Richtlinie 2008/115/EG sind im Licht von Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die zwar ein Rechtsmittel gegen ein erstinstanzliches Urteil, das eine Entscheidung bestätigt, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt wird, vorsieht, diesen Rechtsbehelf jedoch nicht mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung ausstattet, obwohl der Betroffene die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung geltend macht.

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Art. 46 der Verfahrens-Richtlinie 2013/32/EU n.F. und Art. 13 der Rückführungs-Richtlinie 2008/115/EG sind im Licht von Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die zwar ein Rechtsmittel gegen ein erstinstanzliches Urteil, das eine Entscheidung bestätigt, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt wird, vorsieht, diesen Rechtsbehelf jedoch nicht mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung ausstattet, obwohl der Betroffene die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung geltend macht.

Verwaltungsgerichte

1. Das Urteil des EuGH vom 19.06.2018 (C-181/16 Gnandi gg. Belgien) ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, denn der Entscheidung liegt die Auslegung der alten Verfahrensrichtlinie 2005/85/EG zugrunde, während der vorliegende Fall nach der neuen Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU zu beurteilen ist. Anders als die alte Richtlinie erlaubt es Art. 46 Abs. 6 RL 2013/32/EU ausdrücklich auch während des laufenden Verfahrens über den Verbleib der Betroffenen Person im Fall einer Ablehnung als offensichtlich unbegründet zu entscheiden. (Unter Bezug auf VG Hannover, Beschluss vom 12.7.2018 -10 B 4 228/18.)

2. Daher ist der vom EuGH aufgestellte Grundsatz, wonach der Rechtsbehelf gegen eine Rückkehrentscheidung aufschiebende Wirkung haben muss, nicht auf die Ablehnung als offensichtlich unbegründet übertragbar.

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1. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen ernsthafte Zweifel an der Vereinbarkeit der gem. § 75 Abs. 1, § 36 Abs. 3 AsylG automatischen sofortigen Vollziehbarkeit von Abschiebungsandrohungen bei Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet mit höherrangigem europäischen Recht.
2. Die bislang ungeklärten Auswirkungen der Entscheidung des EuGH vom 19.6.2018 (EuGH BeckRS 2018, 11637 - Gnandi) auf die Rechtmäßigkeit der Auslegungs- und Anwendungspraxis des in §§ 75 Abs. 1, 36 Abs. 3 AsylG gesetzlich angeordneten Sofortvollzugs der Abschiebungsandrohung gebieten es im Rahmen der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Rechtslage und unter Berücksichtigung von Art. 18, 19 Abs. 2, 47 GRCh von überwiegenden Bleibeinteressen eines Asylbewerbers auszugehen.

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Die derzeit in der Bundesrepublik Deutschland eröffneten Rechtsschutzmöglichkeiten des vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 80 Abs. 5 VwGO gegenüber der Abschiebungsandrohung in einem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bei Ablehnung der Schutzgesuche als offensichtlich unbegründet (§§ 30, 34 und 36 Abs. 3 AsylG) genügen den europarechtlich abgeleiteten Anforderungen des EUGH-Urteils vom 19. Juni 2018 – C – 181/16 – ("Gnandi").

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1. Der Erlass einer Rückkehrentscheidung zusammen mit einer ablehnenden, noch nicht bestandskräftigen Asylentscheidung ist nur zulässig, wenn das nationale Recht zugunsten des Betroffenen sicherstellt, dass ein Rechtsbehelf gegen die ablehnende Entscheidung volle Wirksamkeit entfaltet.
2. Die Zulässigkeit des Erlasses einer Rückkehrentscheidung im zeitlichen Zusammenhang mit einer Asylantragsablehnung als offensichtlich unbegründet, soll die Aussetzung aller Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung während des Laufs der Rechtsbehelfsfrist bzw. während der Dauer eines eingelegten Rechtsbehelfs voraussetzen.

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1. Der EuGH hat entschieden, dass bei einer Ablehnung eines Antrags als offensichtlich unbegründet im Einklang mit Art. 32 Abs. 2 der Aufnahme-Richtlinie 2013/33/EU dem Betroffenen ein Bleiberecht zunächst nur bis zu dem Zeitpunkt zusteht, bis ein angerufenes Gericht nach Art. 46 Abs. 8 der Verfahrens-Richtlininie 2013/32/EU über das weitere Bleiberecht im Verfahren entschieden hat (EuGH, Beschluss vom 05.07.2018 - C-269/18 PPU - <C, J und S> Rn. 52 - 54).
2. Diese gerichtliche Entscheidung ist im nationalen Kontext diejenige des Verwaltungsgerichts im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung, so dass sich aus der Rückführungsrichtlinie und dem Grundsatz der Nicht-Zurückweisung keine über die hier dargestellten Folgen für die Ausreisefrist hinausgehenden Konsequenzen ziehen lassen (so aber Hruschka, Asylmagazin 2018, 290 (292) und ders. 'Voller Rechtsschutz! Abschiebungen sind auch nach verweigertem Eilrechtsschutz europarechtswidrig', VerfBlog, 2018/11/28, wobei der Autor die Erwägungen des EuGH im Beschluss vom 05.07.2018 - C-269/18 PPU - <C, J und S> Rn. 53 ausblendet)

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1. Nach Art. 16 a Abs. 4 GG und § 36 Abs. 4 S. 1 AsylG darf das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung nur dann anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen. Solche ergeben sich entgegen der Auffassung der Antragssteller nicht bereits aus den Grundsätzen, die der EuGH in seinem Urteil vom 19. Juni 2018 ("Gnandi") aufgestellt hat.
2. Zwar hat gemäß §§ 75 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG eine Klage gegen die in dem Bescheid getroffenen Entscheidungen nicht kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung. Vielmehr ist der Ausländer gehalten, einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO zu stellen. Dies entspricht jedoch dem von Art. 46 Abs. 6 und 8 der Verfahren-Richtlinie 2013/32/EU n.F. ausdrücklich vorgesehenen Regelungssystem. Ferner sind die Folgen der Stellung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes im Ergebnis mit denen einer kraft Gesetzes bestehenden aufschiebenden Wirkung identisch, so dass eine äquivalente Rechtsschutzdichte besteht.

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1. Lehnt das Bundesamt einen Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab und droht es dem Antragsteller im ablehnenden Bescheid die Abschiebung in sein Heimatland für den Fall an, dass er das Bundesgebiet nicht innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids verlässt, ist zweifelhaft, ob diese Praxis mit den Verfahrensgarantien vereinbar ist, die der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. Juni 2018 - C-181/16 - "Gnandi" für diesen Fall vorgesehen sind.
2. Die Abschiebungsandrohung nach §§ 34, 36 AsylG stellt eine Rückkehrentscheidung i. S. d. Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie dar.
3. Wird die Rückkehrentscheidung mit der ablehnenden Entscheidung über den Asylantrag verbunden, müssen die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung sowohl während der Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs, als auch - für den Fall, dass er eingelegt wird - bis zur Entscheidung über ihn ausgesetzt werden (vgl. EuGH, Urteil v. 19. Juni 2018 - C-181/16 - "Gnandi").
4. Die in Art. 7 der Rückführungsrichtlinie vorgesehene Frist für die freiwillige Ausreise darf nicht zu laufen beginnen, solange der Betroffene ein Bleiberecht hat.
5. Bleibt im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung aufgrund der Formulierung der Abschiebungsandrohung unklar, ob dem Antragsteller nach negativem Abschluss des einstweiligen Rechtschutzverfahrens noch eine Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt wird und - wenn ja - in welcher Länge, ist die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen.

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1. Der Antrag nach § 80 Abs 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs 2 S 1 AsylG ist ein den Vorgaben des Europäischen Rechts genügender, wirksamer Rechtsbehelf.
2. Im Anwendungsbereich der Dublin III-VO werden die Anforderungen, die nach Art. 47 EU-GR-Charta und der Rechtsprechung des EuGH an einen wirksamen Rechtsbehelf gestellt werden, von Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufgegriffen und konkretisiert. Diesen Vorgaben wird die nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 34a Abs. 2 AsylG eingeführte Möglichkeit der Überprüfung einer Überstellungsentscheidung gerecht.

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1. Der EuGH hat zwar in seiner Entscheidung in der Rechtssache C-269/18 PPU unter Bezugnahme auf seine Ausführungen in der Rechtssache C-181/16 anerkannt, dass den Betroffenen nach Art. 46 Abs. 5 und 6 Asylverfahrensrichtlinie n. F. kein volles Bleiberecht im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats bis zur Entscheidung über ihren Rechtsbehelf zusteht.
2. Gleichwohl gesteht Art. 46 Abs. 6 Asylverfahrensrichtlinie n. F. ihm das Recht zu, ein Gericht anzurufen, das darüber zu entscheiden hat, ob er im Hoheitsgebiet des jeweiligen Mitgliedstaats verbleiben kann, bis in der Sache über seinen Rechtsbehelf entschieden wird. Darüber hinaus sieht Art. 46 Abs. 8 Asylverfahrensrichtlinie n. F. vor, dass der betreffende Mitgliedstaat dem Betroffenen bis zur Entscheidung über sein Bleiberecht in diesem Verfahren gestatten muss, in seinem Hoheitsgebiet zu verbleiben.
3. Davon abgehen sieht der EuGH eine Inhaftnahme des Betroffenen zum Zwecke der Abschiebung während des dem Betroffenen zur Verfügung stehenden Rechtsschutzzeitraums als unzulässig an.
4. Dies legt es nahe, dass die durch den EuGH in der Rechtssache C-181/16 im Einzelnen formulierten Vorgaben für den gemeinsamen Erlass von Rückkehrentscheidung und Asylantragsablehnung im Ausgangspunkt - jedenfalls während des insoweit zur Verfügung stehenden einstweiligen Rechtsschutzzeitraums - auch in den Fällen einzuhalten sind, in denen der jeweilige Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist.
5. Angesichts der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Abschiebungsandrohung gerichteten Klage endet die Ausreisefrist für den Antragsteller nunmehr gemäß § 37 Abs. 2 AsylG 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens.

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1. Die volle Wirksamkeit eines Antrags gemäß § 36 Abs. 3 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine auf der Grundlage der §§ 34 Abs. 1, 36 Abs. 1 AsylG i. V. m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG verfügte Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Wochenfrist für die freiwillige Ausreise mit Bekanntgabe des Bundesamtsbescheids zu laufen beginnt (im Anschluss an EuGH, Urt. v. 19.06.2018, Gnandi, C-181/16, und Beschl. v. 05.07.2018, C-269/18 PPU).
2. Der Verstoß gegen unionsrechtliche Informationspflichten, die sicherstellen sollen, dass der Betroffene von den Rechten, die die verfahrensrechtlichen Komponenten des Grundsatzes der Nichtzurückweisung absichern, effektiv Gebrauch machen kann, führt nicht automatisch zur Rechtswidrigkeit der nachfolgenden Verwaltungsentscheidung, sondern nur dann, wenn er sich auf den Inhalt der Entscheidung ausgewirkt hat.

Siehe auch Jochen Thiel: "EUGH: Zur Verbindung von Ablehnungs- und Rückkehrentscheidung" in BAMF (Hrsg): Entscheiderbrief 11-12/2018, S. 4

--- Duldung (§ 60a AufenthG)

§ 60 a Abs. 2 Satz 3 AufenthG i.d.F. des AuslRÄndG 2007 ermöglicht die Erteilung einer Duldung, wenn der vorübergehende Aufenthalt zwar aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen erforderlich ist, sich der Aufenthaltszweck jedoch nicht zu einem rechtlichen Abschiebungshindernis nach Abs. 2 Satz 1 verdichtet hat. Daher kann Abschiebungsschutz nach § 60 a Abs. 2 Satz 3 AufenthG auch unterhalb der durch Verfassungsrecht gebotenen Schwelle gewährt werden (hier im Einzelfall bejaht für den vorübergehenden Aufenthalt des werdenden nichtehelichen Vaters).

2016

Die Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27.07.2015 (BGBl. I S. 1386) wegen Aufnahme einer Berufsausbildung ist ausgeschlossen, wenn der Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt

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Hat das Bundesamt gegenüber einem Asylfolgeantragsteller eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG erlassen und das Verwaltungsgericht einen hiergegen gerichteten vorläufigen Rechtsschutzantrag abgewiesen, stehen für den Betroffenen "konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung" i.S.v § 59b Abs. 1 Nr. 3 AsylG bevor. 

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1. Gemäß der Gesetzesbegründung § 61 Abs. 1c AufenthG (BT-Drs. 18/3144, S. 13) stehen aufenthaltsbeendende Maßnahmen im Sinne dieser Vorschrift konkret bevor, wenn die Ausländerbehörde konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts unternommen bzw. eingeleitet hat.
2. Dies ist hier der Fall. Die Ausländerbehörde hat auf den Antrag vom 30.08 2016 auf Erteilung einer Dudung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG hin zwar am selben Tag eine Duldung erteilt, dies allerdings nur, weil der Antragsteller nicht im Besitz von Ausreisepapieren ist. Die Duldung wurde unter der auflösenden Bedingung der Bekanntgabe des Abschiebetermins erteilt. Die Ausländerbehörde hat den Antragsteller darüber hinaus am 01.09 2016 zur Beschaffung und Vorlage seines Passes oder Passersatzes bis spätestens zum 15.12.2016 aufgefordert. Die Ausländerberbörde hat damit die ihr derzeit möglichen konkreten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung des Antragstellers bereits getroffen; diese stehen daher nicht mehr nur lediglich bevor.

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Durch die ausdrückliche Differenzierung zwischen "aufnimmt" und "aufgenommen hat" im Wortlaut des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Ausbildungsduldung bereits vor Aufnahme der Ausbildung erteilt werden kann, sofern klar ist, dass der Ausländer die Ausbildung in absehbarer Zeit aufnehmen wird. Diese Prognose wird regelmäßig gerechtfertigt sein, wenn der Ausbildungsvertrag bereits abgeschlossen ist, das Ausbildungsjahr allerdings erst in ein paar Wochen beginnt.

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Ein Anspruch auf Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG setzt voraus, dass die Berufsausbildung eines Asylbewerbers nach den Vorgaben des Ausländerrechts aufgenommen wurde, d.h. dass insbesondere die Ausländerbehörde gemäß § 61 Abs. 2 AsylG bzw. gemäß § 42 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG, § 32 BeschV eine Erlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung erteilt hat.

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1. Die Erteilung der Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG setzt nicht voraus, dass die Ausbildung bereits tatsächlich aufgenommen ist.
2. Unter den Begriff „konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung“ nach § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG fallen alle Maßnahmen, die nach typisierender Betrachtung prognostisch bereits in einem engen sachlichen und vor allem zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung selbst stehen. Hierzu gehören etwa die Buchung des Ausländers auf einen bestimmten Flug, mit dem die Abschiebung erfolgen soll, oder die Erteilung des Vollzugsauftrags gegenüber der Polizei.

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1. Die unzureichende Mitwirkung bei der Passbeschaffung muss kausal dafür sein, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen gem. § 60a Abs. 2 Satz 4 i.V.m. Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht vollzogen werden können.
2. Maßgeblicher Zeitpunkt für bevorstehende konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist der Zeitpunkt der Beantragung der Ausbildungsduldung.

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Ein Asylantrag ist erst dann gestellt im Sinne des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG in Verbindung mit § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG, wenn er vom Asylsuchenden grundsätzlich nach § 14 Abs. 1 Satz 1 AsylG bei der Außenstelle des Bundesamtes, die der für die Aufnahme des Ausländers zuständigen Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, und ausnahmsweise unter den in § 14 Abs. 1 Satz 2 AsylG genannten Voraussetzungen bei einer anderen Außenstelle oder in den in § 14 Abs. 2 AsylG genannten Fällen bei dem Bundesamt förmlich gestellt worden ist

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1. Staatlich anerkannte oder vergleichbar geregelte Ausbildungsberufe sind alle anerkannten Ausbildungsberufe im Sinne des Berufsbildungsgesetzes und im Sinne der Handwerksordnung sowie vergleichbare bundes- oder landesrechtlich geregelte Ausbildungen (siehe das nach § 90 Abs. 3 Nr. 3 BBiG von dem Bundesinstitut für Berufsbildung geführte Verzeichnung der staatlich anerkannten Berufe).
2. Eine qualifizierte Berufsausbildung liegt gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BeschV vor, wenn die generelle Ausbildungsdauer mindestens zwei Jahre beträgt.
3. "Aufgenommen hat" der Ausländer die Ausbildung auch, wenn er die Ausbildung zwar tatsächlich noch nicht "aufgenommen hat", dies aber aufgrund eines bereits geschlossenen Ausbildungsvertrages demnächst zu erwarten ist.
4. Der Gesetzgeber hat bei Neuregelung der Duldung durch das Integrationsgesetz auf das Erfordernis einer Beschäftigungserlaubnis nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht verzichtet, sondern wollte für die Geduldeten und Ausbildungsbetrieben für die Dauer einer Berufsausbildung lediglich mehr Rechtssicherheit schaffen.
5. Konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung stehen bevor, wenn die zuständige Behörde z.B. folgende Maßnahmen ergriffen hat: Kontaktaufnahme mit der deutschen Auslandsvertretung im Abschiebezielstaat zur Vorbereitung der Abschiebung, die Beantragung eines Pass(ersatz)papiers zum Zwecke der Abschiebung, die Erstellung eines Rückübernahmeersuchens, das Abschiebungsersuchen der Ausländerbehörde gegenüber der für die Durchführung der Abschiebung zuständigen Behörde, die Bestimmung eines Abschiebetermins, die Veranlassung einer erforderlichen ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit oder die Beantragung von Abschiebungshaft.
6. Maßgeblich ist insoweit die Sachlage in dem Zeitpunkt, in dem der Ausländer bei der Ausländerbehörde die Erteilung der Duldung zum Zwecke der Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung unter Berufung auf einen bestehenden Ausbildungsvertrag und eine darauf bezogene Beschäftigungserlaubnis beantragt hat.

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1. Die Regelungen über die Erteilung einer Duldung zum Zwecke der Aufnahme oder Fortsetzung einer qualifizierten Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland (Ausbildungsduldung) finden Anwendung auch auf Ausbildungsverhältnisse, die vor dem Inkrafttreten des § 60 a Abs. 2 Satz 4 n.F. AufenthG am 06.08.2016 mit Zustimmung der Ausländerbehörde aufgenommen worden sind.
2. Ist dem ausreisepflichtigen Ausländer eine Duldung nach § 60 a Abs. 2 Satz 4 n. F. AufenthG zu gewähren, ist im Regelfall auch die für eine betriebliche Berufsausbildung erforderliche Beschäftigungserlaubnis, deren Erteilung im Ermessen der Behörde steht (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG i.V.m. § 32 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BeschV i.d.F. vom 31. Juli 2016), zu gewähren, um den gesetzgeberischen Zielen der Ausbildungsduldung Rechnung zu tragen.
3. Eine neben die zwingenden Versagungsgründe des § 60 a Abs. 6 AufenthG tretende Freiheit, ausreisepflichtigen Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsstaaten im Sinne des § 29 a AsylG die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis nach Ermessen zu versagen, wenn der Asylantrag vor dem Stichtag 31. August 2015 gestellt wurde, dürfte der Ausländerbehörde nur in Ausnahmefällen eröffnet sein. 

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1. Die Einleitung eines Verfahrens zur Beschaffung eines Passersatzpapiers steht als konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung der Erteilung einer Duldung zur Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung nach § 60a Abs. 2 S. 3 AufenthG entgegen.
2. Die Voraussetzung, dass "konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen" soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Fälle aus dem Anwendungsbereich des Rechtsanspruchs auf Ausbildungsduldung ausnehmen, in denen die Abschiebung bereits konkret vorbereitet wird.

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1. Zur Konkretisierung des Begriffs der qualifizierten Berufsausbildung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist auf § 6 Abs 1 S 2 BeschV zurückzugreifen, wonach die Ausbildungszeit mindestens zwei Jahre betragen muss.
2. Zur Bestimmung der maßgeblichen Dauer ist, soweit vorhanden, auf die Normen zur Beschreibung des Berufsbildes und zur Festlegung des Ausbildungsganges und der Modalitäten der Prüfung abzustellen. Unerheblich ist, ob der konkrete Ausbildungsvertrag eine längere Dauer vorsieht. Unerheblich ist auch, ob im Falle des erfolgreichen Abschlusses einer ersten Ausbildung hierdurch die Zugangsvoraussetzungen für eine weitere Ausbildung erstmalig erworben werden und ggf. auch Ausbildungsteile auf die zweite Ausbildung angerechnet werden können, sofern es sich um selbstständige Ausbildungen und Berufsbilder handelt.
3. Die Ausbildung zum Altenpflegerhelfer ist nach der Rechtslage in Baden-Württemberg keine qualifizierte Berufsausbildung im aufenthaltsrechtlichen Sinn.

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Der Abschluss eines Vertrages zur Einstiegsqualifizierung gemäß § 54a SGB III begründet kein Abschiebungshindernis gemäß § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG.

2017

1. Eine Qualifizierungsmaßnahme in Gestalt der sog. Einstiegsqualifizierung, die erst an eine Berufungsausbildung heranführt bzw. darauf gerichtet ist, die erforderliche Ausbildungsreife herzustellen, ist keine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG.
2. Die Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG ist jedenfalls dann eine bevorstehende konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung, die der Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG entgegensteht, wenn die Abschiebungsanordnung im Zeitpunkt der Beantragung der Ausbildungsduldung vollziehbar ist.

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1. Zum Ausschluss einer Duldung zu Ausbildungszwecken: Für den Ausschluss einer Duldung zu Ausbildungszwecken kommt es nicht darauf an, dass der Betroffene Kenntnis von den konkret bevorstehenden Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung hat.
2. Der Anspruch auf Duldung bei Aufnahme einer qualifizierten Ausbildung ist nicht dazu bestimmt, bei konkret bevorstehenden Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung eine Bleibeperspektive für die Dauer der Ausbildung (erst) zu begründen.
3. Ausweislich der Gesetzesbegründung wird bereits die Beantragung von Pass(ersatz)papieren als konkrete Vorbereitung zur Aufenthaltsbeendigung qualifiziert (unter Verweis auf BT Drucks. 18/9090, S. 26).

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Aus dem Schreiben des Bundesministeriums des Innern an die Innenministerien der Länder vom 1. November 2016 (siehe unten) ergibt sich kein Rechtsanspruch auf "eine qualifizierte Berufsausbildung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG bereits während eines Asylverfahrens". Vielmehr betont dieses Schreiben die Unterscheidung zwischen der Erteilung der Erlaubnis zur Beschäftigung und der Erteilung der Duldung und legt dar, dass eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG nur erteilt werden kann, wenn dem Ausländer eine Beschäftigungserlaubnis für eine Berufsausbildung nach § 4 Abs. 3 Satz 3 AufenthG i.V.m. § 32 Abs. 1 BeschV erteilt wird oder der Ausländer die Berufsausbildung bereits "mit dem Status einer Aufenthaltsgestattung" und mit einer Erlaubnis nach § 61 Abs. 2 AsylG begonnen hat (vgl. S. 5 des Schreibens).

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Die beabsichtigte Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen begründet im Hinblick auf die durch Art. 6 Abs. 1 GG, Art. 12 EMRK geschützte Eheschließungsfreiheit nur dann ein rechtliches Abschiebungshindernis als Voraussetzung eines Duldungsanspruchs nach § 60a Abs. 2 S. 1 AufenthG, wenn die Eheschließung unmittelbar bevorsteht, was grundsätzlich durch einen zeitnahen Heiratstermin zu belegen ist.

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Das Tatbestandsmerkmal der "Aufnahme" der Ausbildung in § 60 Abs. 2 Satz 4 AufenthG kann auch im Vorfeld des tatsächlichen Ausbildungsbeginns gegeben sein, insbesondere wenn bereits ein Ausbildungsvertrag abgeschlossen wurde. Allein der Abschluss eines Ausbildungsvertrages reicht jedoch nicht aus, wenn das Berufsausbildungsverhältnis erst sechs Monate später beginnen soll.

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1. Für die Ausbildung an der Berufsfachschule bedarf ein geduldeter Ausländer auch dann keiner Erlaubnis, wenn eine Nebenbestimmung in der Duldung die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht gestattet, da nach § 2 Abs. 2 AufenthG i.V.m § 7 Abs. 2 SGB IV nur die betriebliche Berufsbildung, also die duale Berufsausbildung in Ausbildungsbetrieb und Berufsschule, eine Erwerbstätigkeit darstellt.
2. Bei der Prüfung, ob konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorstehen, ist nicht ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen.
3. Die Aufnahme einer Ausbildung mit einer mehrmonatigen Duldung begründet keinen ausländerrechtlichen Vertrauensschutz, dass sie zu Ende gebracht werden kann, wenn nach Stellung des Antrages auf eine Ausbildungsduldung eine Aufenthaltsbeendigung möglich wird und damit bevorsteht. 

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1. Die Erteilung der Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG setzt nicht voraus, dass die Ausbildung bereits tatsächlich aufgenommen ist. Es reicht aus, wenn der Beginn des Ausbildungsjahres in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem abgeschlossenen Ausbildungsvertrag steht.
2. Nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG 2004 scheidet die Erteilung einer Ausbildungsduldung aus, wenn im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorstehen. Dieser Ausschlussgrund trägt dem Umstand Rechnung, dass die Erteilung der Ausbildungsduldung für die Dauer der Ausbildung und eines sich ggf. anschließenden Zeitraums der Suche nach einer Beschäftigung die Vollziehung einer Abschiebung hindert und räumt in Abwägung der widerstreitenden Interessen der Durchsetzung der Ausreisepflicht den Vorrang ein, wenn die Abschiebung bereits konkret vorbereitet wird und ihr Vollzug für die Ausländerbehörde absehbar ist.

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Die Gewährung einer Ausbildungsduldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG erfordert die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis gemäß § 4 Abs. 3 Satz 3 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV.

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Dass eine Ausbildung in Form der Teilzeit über einen Zeitraum von 2 Jahren absolviert wird, genügt zur Erfüllung der Voraussetzungen für eine Ausbildungsduldung nicht.

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1. Wird der Ablehnung einer Ausbildungsaufnahme durch die Ausländerbehörde keine Rechtsbehelfsbelehrung beigegeben, ist nicht von einem möglichen Duldungsanspruch entgegenstehenden bestandskräftigen Bescheid auszugehen (Anschluss an VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.10.2016, 11 S 1991/16, juris, Rz. 2).
2. Gesetzgeberisches Ziel der Ausbildungsduldung nach § 60a Abs 2 Satz 4 AufenthG ist es, mit Blick nicht zuletzt auf wirtschaftliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland und den Bedarf des deutschen Arbeitsmarkts an einer Vielzahl von Fachkräften auch aus dem Kreise ausreisepflichtiger Ausländer Auszubildende gewinnen zu können, ohne aber konkrete behördliche Ausreisevorbereitungen zu unterlaufen.
3. Staatlich anerkannte oder vergleichbar geregelte Ausbildungsberufe sind alle anerkannten Ausbildungsberufe im Sinne des Berufsbildungsgesetzes und der Handwerksordnung sowie vergleichbare bundes- oder landesrechtlich geregelte Ausbildungen.
4. Mit der Variante, dass der Ausländer eine Ausbildung "aufnimmt" (§ 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG), sind auch solche Fälle erfasst, in denen der Ausländer die Ausbildung zwar tatsächlich noch nicht "aufgenommen hat", dies aufgrund eines bereits geschlossenen Ausbildungsvertrages aber demnächst zu erwarten ist (Anschluss an OVG Lüneburg, Beschluss vom 09.12.2016, 8 ME 184/16, juris, Rz. 5).
5. Zu den Voraussetzungen eines Beschäftigungsverbots nach § 60a Abs 6 AufenthG (hier verneint).
6.  Im Rahmen der Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs 2 Satz 4 AufenthG ist es über das Nichtvorliegen eines Beschäftigungsverbots nach § 60a Abs 6 AufenthG nicht erforderlich, dass dem Auszubildenden die Aufnahme der Ausbildung - gewissermaßen als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 60a Abs 2 Satz 4 AufenthG - durch eine gesonderte und selbständige, im Ermessen der Ausländerbehörde stehende Beschäftigungserlaubnis ausdrücklich gestattet wird (str.; a.A. etwa OVG Lüneburg, Beschluss vom 09.12.2016, 8 ME 184/16, juris, Rz. 6); vielmehr ist davon auszugehen, dass im Falle einer qualifizierten Berufsausbildung eine selbständige (ausländerrechtliche) Erlaubnis zur Ausübung der Erwerbstätigkeit entbehrlich ist, weil diese in der rechtlich gebundenen Ausbildungsduldung bereits denknotwendig enthalten ist (Anschluss an VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 13.10.2016, 11 S 1991/16, juris, Rz. 14, und vom 04.01.2017, 11 S 2301/16, juris, Rz. 22).
7. Auch wenn man der Auffassung folgen würde, dass es in den entsprechenden Fällen einer gesonderten Beschäftigungserlaubnis bedarf, so wäre zumindest davon auszugehen, dass die Ausländerbehörde einem ausreisepflichtigen Ausländer, dem nach § 60a Abs 2 Satz 4 AufenthG eine Duldung zusteht, dann im Regelfall auch die für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit und damit auch für die Aufnahme einer betrieblichen Berufsausbildung erforderliche Erlaubnis, deren Erteilung im Ermessen der Ausländerbehörde steht, zu gewähren hat, um den mit der Einführung der Ausbildungsduldung verfolgten Zielen Rechnung zu tragen (vgl. VG Neustadt/Weinstraße, Beschluss vom 12.12.2016, 2 L 993/16, juris, Rz. 12).
8. Eine Beschäftigungserlaubnis für einen über eine Duldung und nicht über eine Aufenthaltsgestattung verfügenden Ausländer richtet sich nicht nach § 61 Abs 1 AsylG, sondern nach §§ 4 Abs 3 Satz 3, 42 Abs 2 Nr 5 AufenthG i.V.m. §§ 1 Abs 1 Satz 2 Nr 3, 32 BeschV (Anschluss an Bayerischer VGH, Beschluss vom 15.12.2016, 19 CE 16.2025, juris, Rz. 14).
9. Syrien ist kein sicherer Herkunftsstaat im Sinne der §§ 61 Abs 2 Satz 4, 29a Abs 2 AsylG; dass der Antragsteller über einen und aus einem sicheren Drittstaat, nämlich Polen (Art 16a Abs 2 Satz 1 GG i.V.m. § 26a Abs 2 und 3 AsylG), nach Deutschland eingereist ist, erfüllt nicht den Tatbestand des § 61 Abs 2 Satz 4 AsylG.
10. Konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung im Sinne des § 60a Abs 2 Satz 4 AufenthG stehen bevor, wenn die Abschiebung durch die Ausländerbehörde oder eine andere für die Aufenthaltsbeendigung zuständige Behörde vorbereitet wird und für diese absehbar durchgeführt werden soll, d.h. entsprechende Maßnahmen nach typisierender Betrachtung prognostisch bereits in einem engen sachlichen und vor allem zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung selbst stehen; maßgeblich ist insoweit die Sachlage in dem Zeitpunkt, in dem der Ausländer bei der Ausländerbehörde die Erteilung der Duldung zum Zwecke der Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung beantragt hat (h.M.).

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1. Der Gesetzgeber misst der Aufnahme einer Ausbildung ein das öffentliche Interesse an der an sich sofort möglichen und zulässigen Aufenthaltsbeendigung überwiegendes Gewicht bei und räumt dem Auszubildenden einen gesetzlichen Anspruch auf eine Duldung ein, wenn der Ausländer eine qualifizierte Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf in Deutschland aufnimmt oder aufgenommen hat, die Voraussetzungen nach Absatz 6 nicht vorliegen und konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen.
2. Dies ändert aber nichts daran, dass die Aufnahme einer Berufsausbildung als dringender persönlicher Grund nicht genügt, um in der Person des Auszubildenden eine rechtliche Unmöglichkeit im Sinne der §§ 25 Abs. 5, 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu begründen.
3. Der gesetzlichen Wertung entsprechend gilt nichts anders für die Familienmitglieder des Auszubildenden. Ihre Bleibeinteressen sind, sofern sie allein vom Auszubildenden abgeleitet werden, nicht höher zu bewerten als die des Auszubildenden selbst. Eine gemeinsame Ausreise ist der Familie vielmehr ungeachtet der aus § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG folgenden Wertung weiterhin grundsätzlich möglich und zumutbar. 

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Zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der Beantragung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG darf der Beginn der Ausbildung nicht mehr von aus der Sphäre des Antragstellers stammenden Umständen und Handlungen abhängen und die Aufnahme der Ausbildung muss zeitlich zu diesem Zeitpunkt unmittelbar bevorstehen (Konkretisierung von VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 13.10.2016 - 11 S 1991/16, InfAuslR 2017, 15).

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Zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Prüfung, ob die Erteilung einer Ausbildungsduldung ausgeschlossen ist, weil konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorstehen.

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1. Eine Ausbildungsduldung i.S.d § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG kommt nur in Betracht, wenn die Zugangsvoraussetzungen für die Ausbildung vorliegen und die Aufnahme der Ausbildung zeitlich unmittelbar bevorsteht (vgl. VGH Baden-Württemberg, B. v. 27.6.2017 – 11 S 1076/17 – juris Rn. 18 und 20), was bei einem Zeitraum von mehr als 6 Monaten zwischen dem Ausbildungsangebot und der Aufnahme der Ausbildung nicht der Fall ist.
2. Die Beschaffung von Passersatzpapieren stellt eine konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung iSd § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG dar, die den Anspruch auf eine Ausbildungsduldung ausschließt.

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1. Die Tatbestandsvoraussetzung des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG, dass „konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen“ dürfen, soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Fälle aus dem Anwendungsbereich des Rechtsanspruchs auf Ausbildungsduldung ausnehmen, in denen die Abschiebung konkret vorbereitet wird, wobei die Gesetzesbegründung die Beantragung eines  Pass(ersatz)papiers , die Terminierung der Abschiebung oder ein laufendes Verfahrens zur Dublin-Überstellung als Beispiele aufführt. Im Falle der Absehbarkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen soll der Durchsetzung der Ausreisepflicht Vorrang eingeräumt werden. Für den Ausschluss einer Duldung zu Ausbildungszwecken kommt es nicht darauf an, dass der Betroffene Kenntnis von den konkret bevorstehenden Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung hat.
2. In der unzureichenden Mitwirkung bei der Passbeschaffung ist grundsätzlich ein Versagungsgrund für die Erteilung einer Duldung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu sehen.

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1. Die Aufnahme einer Berufsausbildung durch einen Ausländer, der eine entsprechende Berufsqualifikation bereits durch langjährige, einschlägige Berufserfahrung erworben hat, ist rechtsmissbräuchlich und deshalb nicht geeignet, dringende persönliche Gründe im Sinne des § 60a Abs 2 S 4 AufenthG zu belegen, die ansonsten bereits durch die Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung in gesetzlich typisierter Weise als vorhanden gelten.
2. Eine qualifizierte Ausbildung im Sinne des § 60a Abs 2 S 4 AufenthG ist darauf gerichtet, die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit in einer sich wandelnden Arbeitswelt notwendigen beruflichen Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten (berufliche Handlungsfähigkeit) in einem geordneten Ausbildungsgang zu vermitteln und den Erwerb der erforderlichen Berufserfahrungen zu ermöglichen (vgl. § 1 Abs 3 BBiG, § 32 HWO i.V.m. § 1 Abs 3 BBiG). In Abgrenzung dazu handelt es sich um berufliche Fortbildung, wenn es darum geht, die berufliche Handlungsfähigkeit zu erhalten und anzupassen oder zu erweitern (vgl. § 1 Abs 4 BBiG).
3. Ein nur formales Ausbildungsverhältnis, in dem ein bereits einschlägig berufsqualifizierter Ausländer - gegebenenfalls nach kurzer Einarbeitung - wie eine ausgebildete Fachkraft eingesetzt werden kann, der Privilegierung des § 60a Abs 2 S 4 AufenthG zu unterstellen, würde einen Fehlanreiz schaffen, unter den Bedingungen eines Ausbildungsverhältnisses einschlägig ausgebildete ausländische Fachkräfte zu beschäftigen, die dies aufgrund der Aussicht auf eine Duldung und die Möglichkeit, sodann einen Aufenthaltstitel nach § 18a Abs 1a AufenthG zu erhalten, trotz ihrer bereits vorhandenen Berufsqualifikationen akzeptieren.

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Ein Asylantrag ist im Sinne von § 60 a Abs. 6 S. 1 Nr. 3 AufenthG auch dann schon bis zum 31.08.2015 gestellt worden, wenn bis dahin lediglich formlos im Sinne von § 13 AsylG um Asyl nachgesucht wurde und eine förmliche Asylantragstellung nach § 14 AsylG lediglich aus von dem Bewerber nicht zu vertretenden Gründen unterblieben ist.

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Ausländer, die bereits über eine berufliche Qualifikation verfügen, haben keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung nach § 60 a Abs 2 S 4 AufenthG.

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1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage, ob konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung bevorstehen, ist im Zusammenhang mit die Erteilung einer Duldung zu Ausbildungszwecken nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist - sofern das Ausbildungsverhältnis nicht in das durch die Handelskammer geführte Verzeichnis der Berufsausbildungsverhältnisse eingetragen werden muss und die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm erfüllt sind - die Beantragung der Ausbildungsduldung unter Vorlage des unterzeichneten Ausbildungsvertrages sowie die unmittelbar bevorstehende Aufnahme der Ausbildung (Anschluss an VGH Mannheim, Beschl. v. 13.10.2016, 11 S 1991/16, juris).
2. Die Aufnahme der Ausbildung i.S.d. § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG setzt nicht voraus, dass die Ausbildung bereits begonnen wurde. Hinreichend ist vielmehr, dass - sofern die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen für deren Erteilung erfüllt sind - die Aufnahme des rechtswirksam begründeten Ausbildungsverhältnisses unmittelbar bevorsteht, und die nach § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG erforderliche Beschäftigungserlaubnis erteilt wurde oder zu erteilen ist (Anschluss an: VGH Koblenz, Beschl. v. 11.7.2017, 7 B 11079/17, juris Rn. 38; VGH Mannheim, Beschl. v. 27.6.2017, 11 S 1067/17, juris 16 ff.; Beschl. v. 13.10.2016, 11 S 1991/16, juris Rn. 12 ff.; OVG Münster, Beschl. v. 13.3.2017, 18 B 148/17, juris Rn. 10 ff.).
3. Das in § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG normierte Beschäftigungsverbot für Ausländer, die Staatsangehörige eines sicheren Herkunftsstaats i.S.d. § 29a AsylG sind und deren nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt wurde, ist nicht erweiternd dahingehend auszulegen, dass das Beschäftigungsverbot für alle Ausländer gilt, die Staatsangehörige eines sicheren Herkunftsstaats i.S.d. § 29a AsylG sind.
4. Das der Ausländerbehörde bei Erteilung der Beschäftigungserlaubnis nach § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG zustehende Ermessen kann - sofern kein Fall des Beschäftigungsverbots des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG vorliegt - nicht allein deshalb negativ ausgeübt werden, weil der Ausländer Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaats i.S.d. § 29a AsylG ist.
5. Die für die Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG nach § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG erforderlich Beschäftigungserlaubnis für eine Berufsausbildung kann aus einwanderungspolitischen Gründen nur aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls, z.B. wegen der vorsätzlichen Verletzung der Passbeschaffungspflicht, einer möglichen Umgehung der in § 60a Abs. 6 AufenthG normierten Ausschlussgründe oder einer missbräuchlichen Ausnutzung der Regelung, versagt werden.

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In der Rücknahme des Asylantrags kann eine Umgehung des Ausschlusstatbestandes des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zu sehen sein mit der Folge, dass das Ermessen der Ausländerbehörde für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG nicht auf Null reduziert ist, obwohl die Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG vorliegen.

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Bei den in § 60a Abs. 6 Satz 2 AufenthG angegebenen Fällen einer Täuschungshandlung oder der Kundgabe falscher Angaben handelt es sich nur um Beispielsfälle für das Vertretenmüssen i. S. d. Satzes 1 Nr. 2. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung sind auch dann nicht gegeben, wenn der Ausländer bei der Passbeschaffung oder bei der Beschaffung von Identitätspapieren vorwerfbar nicht mitwirkt.

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Der hinreichend konkretisierte Nachweis über die Ausbildungsstelle setzt grundsätzlich die Vorlage eines bereits abgeschlossenen Ausbildungsvertrages voraus.

2018

1. Die eingeleitete Beschaffung von Passersatzpapieren stellt eine konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung dar, die den Anspruch auf eine Ausbildungsduldung ausschließt.
2. Die zeitnahe und ergebnisoffene Überprüfung der Reisefähigkeit von ausreisepflichtigen Ausländern mittels einer ärztlichen Untersuchung zur Abklärung von etwaigen inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen gehört zu den konkreten Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung, welche die Erteilung einer Ausbildungsduldung ausschließen.
3. Dies gilt auch dann, wenn die Abklärung der Reisefähigkeit nicht den Ausländer selbst, sondern einzig seinen Ehepartner betrifft.

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1. Der Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach AufenthG 2004 § 60a Abs 2 S 4 ist ausgeschlossen, wenn konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung im Sinne des AufenthG 2004 § 60a Abs 2 S 4 vorliegen.
2. Dazu zählt auch die Einleitung eines Verfahrens zur Beschaffung von Passersatzpapieren.
3. Es könnte an einer konkreten Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung fehlen, wenn die Vollziehung der Abschiebung trotz der im Raum stehenden Maßnahme nicht absehbar ist.
4. Eine dementsprechende "Unabsehbarkeit" der Abschiebung trotz bereits ergriffener konkreter Vorbereitungsmaßnahmen dürfte nur in eng begrenzten Ausnahmefällen gegeben sein, etwa dann, wenn ein Verfahren zur Passersatzpapierbeschaffung nur "pro forma" eingeleitet wird oder sogar nur mit dem Ziel, eine Ausbildungsduldung zu verhindern.

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1. Die in § 60a Abs. 2 S. 4 ff., Abs. 6 AufenthG zum Ausdruck kommende einwanderungspolitische Grundentscheidung, dass unter den dort genannten Voraussetzungen eine Duldung zu erteilen ist und die Ausübung der Erwerbstätigkeit nicht untersagt ist, wirkt grundsätzlich ermessensleitend bei der Erteilung der hierfür notwendigen Beschäftigungserlaubnis.
2. Die Voraussetzung, dass "konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung nicht bevorstehen", soll nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Fälle aus dem Anwendungsbereich des Rechtsanspruchs auf Ausbildungsduldung ausnehmen, in denen die Abschiebung bereits konkret vorbereitet wird. Dies erfordert aber nicht, dass konkrete Maßnahmen bereits angeordnet oder ausgeführt worden sind. Es genügt vielmehr, dass die Abschiebung durch die Ausländerbehörde oder eine andere für die Aufenthaltsbeendigung zuständige Behörde vorbereitet wird und für diese absehbar durchgeführt werden soll (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 09.12.2016 – 8 ME 184/16). Das bedeutet auch, dass der betreffende Ausländer nicht unbedingt über diese Vorbereitungshandlungen informiert sein muss.

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1. Hinsichtlich der Beurteilung der Frage, ob nach § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen, ist maßgeblich auf den Zeitpunkt der Beantragung einer zeitnah aufzunehmenden, konkret bezeichneten Berufsausbildung unter Vorlage geeigneter Nachweise abzustellen.
2. Ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer ist im Rahmen seiner ihm obliegenden Mitwirkungspflichten gefordert, bezüglich seiner Identität und Staatsangehörigkeit zutreffende Angaben zu machen, an allen zumutbaren Handlungen mitzuwirken, die die Behörden von ihm verlangen, und darüber hinaus eigeninitiativ ihm mögliche und bekannte Schritte in die Wege zu leiten, die geeignet sind, seine Identität und Staatsangehörigkeit zu klären und die Passlosigkeit zu beseitigen.

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1. Der Anwendungsbereich des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG ist eröffnet, wenn ein berufsqualifizierter Ausländer durch eine Ausbildung in Deutschland eine andere als die bereits erworbene Berufsqualifikation anstrebt; eine rechtsmissbräuchliche Umgehung des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG liegt dann nicht vor (anknüpfend an OVG RP, Beschluss vom 31.7.2017 - 7 B 11276/17 -, juris).
2. Zu den konkret bevorstehenden Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG.

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1. Der Gesetzgeber hat mit § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG bei Aufnahme einer qualifizierten Berufsausbildung - anders als in der bis zum 5. August 2016 geltenden Vorgängerfassung des § 60a AufenthG - einen gebundenen Anspruch geschaffen.
2. Das der Ausländerbehörde in § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG für die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis eingeräumte Ermessen ist in Bezug auf die Ausbildungsduldung intendiertes Ermessen. Sofern die in § 60a Abs. 2 Satz 4, Abs. 6 AufenthG normierten Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausbildungsduldung vorliegen, ist im Regelfall eine Beschäftigungserlaubnis zu erteilen.
3. Eine negative Ermessensausübung im Rahmen der Erteilung der Beschäftigungserlaubnis ist nur in Fällen möglich, die nicht bereits durch die Regelung zur Ausbildungsduldung erfasst werden. Weder die illegale Einreise noch die Herkunft aus einem sicheren Herkunftsstaat können für sich allein der Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis entgegengehalten werden.
4. Arbeitsmarktpolitische Erwägungen dürfen in Anbetracht der Tatsache, dass die Aufnahme der Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf gemäß § 32 Abs. 2 Nr. 2 BeschV keiner Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit bedarf, nicht in das Ermessen eingestellt werden.
5. Konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung liegen vor, wenn nach typisierender Betrachtung prognostisch die Maßnahmen in einem engen sachlichen und vor allem zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung selbst stehen.
6. Soweit sich aus dem Beschluss des Hess.VGH vom 21.04. 2017 (3 B 826/17, 3 D 828/17, juris) hinsichtlich der zulässigerweise einzustellenden Ermessenserwägungen etwas anderes ergibt, hält der Senat hieran nicht fest.

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Ein aufgenommenes Studium wird von § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG nicht erfasst.

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Es entspricht der gesetzlichen Zielsetzung, wenn der mit der Unzulässigkeitsentscheidung gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zeitgleich erfolgende Erlass einer Abschiebungsanordnung gem. § 34a Abs 1 Satz 1 AsylG bewirkt, dass der jeweils betroffene und im sog. "Dublin-Verfahren" abzuschiebenede Asylbewerber im Regelfall keinen Anspruch auf eine Ausbildungsduldung erwerben kann.

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War das wahrheitswidrige Behaupten, nicht im Besitz von Identitätspapieren zu sein, ursächlich im Sinne von § 60a Abs 6 S 1 Nr 2 AufenthG dafür, dassder Ausländer nicht abgeschoben wurde, scheidet die Erteilung einer Ausbildungsduldung aus.

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1. Das nach § 4 Abs. 2 S. 3 AufenthG i.V.m. § 32 BeschV bestehende Ermessen zur Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis für Personen mit Duldung ist auf Null zu reduzieren, wenn diese bei summarischer Prüfung einen Anspruch auf Erteilung einer Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 1 S. 4 AufenthG zur Fortsetzung einer bereits während des laufenden Asylverfahrens begonnenen Berufsausbildung haben (vgl. HessVGH BeckRS 2018, 3531).
2. Zeitlich verzögerte Mitwirkungshandlungen stehen in ihrer Intensität den in § 60a Abs. 6 S. 2 AufenthG genannten Regelbeispielen nicht annähernd gleich. Ein Verhalten, das nur zu einer unswesentlichen Verzögerung bei der Aufstellung einer Tazkira aus Afhganistan geführt hat und nicht kausal für die Unmöglichkeit der Aufenthaltsbeendigung, weil diese erst nach Ablauf der Ausreisefrist hätte vollzogen werden können, begründet daher für sich noch keinen Ausschlussgrund

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Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren dann nicht, wenn ein Antragsteller seine Ausbildung wegen weiteren Zuwartens nicht beginnen könnte, da dieser dadurch möglicherweise seinen Berufsausbildungsplatz verlieren würde.

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Die Erteilung einer Ausbildungsduldung ist wegen des Bevorstehens konkreter Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung ausgeschlossen in einem Fall, in dem bei Vorliegen gültiger Reisedokumente eine Abschiebungsankündigung gemäß § 60a Abs 5 Satz 4 AufenthG unter Nennung eines Termins ergeht, ab dem die Abschiebung zu erwarten ist.

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1. Die Erteilung einer sog. Ausbildungsduldung nach § 60a Abs. 2 Sätze 3 ff. AufenthG setzt über die darin geregelten Anforderungen hinaus voraus, dass die Aufnahme der staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten qualifizierten Berufsausbildung nach Maßgabe der zu beachtenden aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen erfolgt, das heißt insbesondere dem Ausländer eine darauf bezogene Beschäftigungserlaubnis nach § 4 Abs. 2 Satz 3 AufenthG erteilt worden ist oder werden muss. Letzteres ist bei gleichzeitigem Begehren nach Ausbildungsduldung und Beschäftigungserlaubnis ausgeschlossen, wenn (wie hier) nicht alle übrigen Voraussetzungen für die Erteilung der Ausbildungsduldung als solcher erfüllt sind.
2. Die Erteilung einer Ausbildungsduldung ausschließende "konkrete Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung" (§ 60a Abs. 2 Satz 4 a.E. AufenthG) können auch dann bevorstehen, wenn die Ausländerbehörde mangels absehbarer (weiterer) Duldungsgründe "vorausschauend" ein Abschiebungsersuchen an die für die Durchführung der Abschiebung zuständige Behörde mit der Bemerkung gerichtet hat, die Abschiebung könne erst ab einem bestimmten zukünftigen Zeitpunkt erfolgen, bis zu dem der Ausländer wegen derivativer, dann wegfallender Duldungsgründe (hier: bis zur Volljährigkeit eines Kindes des Ausländers) geduldet werde.

2019

1. Der Ausschlussgrund des § 60a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 AufenthG für die Erlaubnis einer Erwerbstätigkeit setzt voraus, dass ein finaler Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz besteht. Bei mehreren Motiven muss der Zweck der Inanspruchnahme von Sozialleistungen für den Einreiseentschluss von prägender Bedeutung sein.
2. Bei einer Abschiebungsandrohung handelt es sich nicht um eine konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung i. S. des § 60a Abs. 2 Satz 4 AufenthG, selbst dann, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Abschiebungsandrohung statt einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG im Fall einer beabsichtigten Abschiebung in einen sicheren Drittstaat nach § 26a AsylG erlassen hat.
3. Für die Beurteilung der Frage, ob konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen, ist maßgeblich auf den Zeitpunkt der Beantragung einer zeitnah aufzunehmenden, konkret bezeichneten Berufsausbildung abzustellen. Für eine in diesem Sinne vollständige Antragstellung ist es nicht erforderlich, dass die Bescheinigung über die Eintragung des Ausbildungsverhältnisses in das Verzeichnis der Berufsausbildungs­verhältnisse nach §§ 34 bis 36 BBiG der Ausländerbehörde bereits vorliegt.

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1. Zu den Anspruchsvoraussetzungen des § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG gehört nicht, dass Zweifel über die Person, das Lebensalter oder die Staatsangehörigkeit  nicht (mehr) bestünden (so aber BayVGH, Beschl. v. 30.01.2019 – 19 CE 18.1725 –, juris RdNr. 18). Hierfür gibt es im Wortlaut des § 60a Abs. 2 S. 4 bis 12 AufenthG keine hinreichenden Anhaltspunkte.
2. Mangelnde Mitwirkung als Versagungsgrund für die Beschäftigungserlaubnis muss ein gewisses Gewicht erreichen, so dass es gerechtfertigt erscheint, sie aktivem Handeln gleichzustellen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 09.05.2018 – 10 CE 18.738 –, juris RdNr. 6; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 23.10.2018 – 2 M 112/18 Unterrichtung über den Gesetzesbeschluss des BT, BR-Drs. 278/19 v. 07.06.2019– juris). Zeitlich verzögerte Mitwirkungshandlungen stehen in ihrer Intensität den in § 60a Abs. 6 S. 2 AufenthG genannten Regelbeispielen nicht annähernd gleich (vgl. BayVGH, Beschl. v. 09.05.2018 – 10 CE 18.738 –, a.a.O. RdNr. 8).
3. Soweit alle übrigen Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 S. 4 AufenthG für die Erteilung einer Ausbildungsduldung vorliegen, ist Ermessen für die Erteilung der Beschäftigungserlaubnis im Regelfall auf "Null" reduziert. Die in § 60a Abs. 2 S. 4, Abs. 6 AufenthG erfassten Lebenssachverhalte sind (spezial-gesetzlich) abschließend geregelt. Diese Regelungen sind auch bei der Ermessensausübung nach § 4 Abs. 2 S. 3 AufenthG als ermessensleitend zu beachten.

Siehe auch

altes Recht

Die Strafgerichte dürfen sich nicht mit der Feststellung begnügen, der Ausländer sei nicht im Besitz einer Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG. Die Duldung ist eine gesetzlich zwingende Reaktion auf ein vom Verschulden des Ausländers unabhängiges Abschiebungshindernis. Insofern dient § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG nicht der Strafbewehrung eines Verwaltungsakts und bindet den Strafrichter nicht an die unterlassene oder verspätet getroffene Entscheidung einer Verwaltungsbehörde. Die Strafgerichte sind deshalb von Verfassungs wegen gehalten, selbständig zu prüfen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer ausländerrechtlichen Duldung im Tatzeitraum gegeben war. Kommen sie zu der Überzeugung, die Voraussetzungen hätten vorgelegen, scheidet eine Strafbarkeit des Ausläbders nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG aus.

  • BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats) Beschl. v. 06.03.2003 - 2 BvR 397/02; DVBl. 2003, 662 

55 Abs. 2 AuslG gewährt - anders als § 55 Abs. 3 AuslG - einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung, solange eine Abschiebung aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist oder aus rechtlichen Gründen nicht durchgeführt werden darf, weil ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 1 AuslG oder ein zwingendes Abschiebungshindernis nach § 53 AuslG gegeben ist. Darüber hinaus gewährt § 55 Abs. 2 AuslG einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung, solange die Abschiebung nach § 53 Abs. 6 oder § 54 AuslG ausgesetzt werden soll.
Steht es nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG im Ermessen der Behörde, die Abschiebung auszusetzen, kann die Erteilung einer Duldung gemäß § 55 Abs. 2 AuslG erst dann beansprucht werden, wenn sich die Behörde erkennbar zur Aussetzung der Abschiebung entschlossen hat. Der Anspruch auf Erteilung einer Duldung wird demnach grundsätzlich erst dadurch begründet, dass die Behörde eine positive Entscheidung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG über die Aussetzung der Abschiebung trifft. Diese Entscheidung kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Erforderlich ist, dass die Entscheidung erkennbar auf die Gründe des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG gestützt wird.
Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG schließt gleichsam den Antrag auf Entscheidung nach § 55 Abs. 2 AuslG ein, ob die Abschiebung des Ausländers nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ausgesetzt werden soll.

  • BVerwG, Urt. v. 08.04.1997 - 1 C 12.94; BVerwGE 104, 210; DVBl. 1997, 1381; NVwZ  1997, 1112 

Der Gesetzgeber geht von der zügigen Durchführung der Abschiebung aus. Ergeben sich Hindernisse, die eine erhebliche Verzögerung der Abschiebung nach sich ziehen, ist nach § 55 Abs. 2 AuslG zu verfahren. Erscheint die Abschiebung nach den Gegebenheiten des Falles nichts aussichtslos, darf andererseits ein fehlgeschlagener Abschiebungsversuch vorausgesetzt werden, bevor tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung angenommen werden kann.
Für die Erteilung einer Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG wegen Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen Gründen kommt es nicht darauf an, ob der Ausländer freiwillig ausreisen könnte.

  • BVerwG, Urt. v. 25.09.1997 - 1 C 3.97; BVerwGE 105, 232; InfAuslR 1998, 12; NVwZ 1998, 297; DVBl. 1998, 278; DÖV 1998, 247
  • BVerwG, Urt. v. 21.03.2000 - BVerwG 1 C 23.99; BVerwGE 111, 62; InfAuslR 2000, 366; DVBl. 2000, 1527; BayVBl. 2000, 566 

Der Erteilung einer Duldung nach § 55 Abs. 2 AuslG wegen Unmöglichkeit der Abschiebung aus tatsächlichen Gründen steht nicht entgegen, dass die Identität des Ausländers ungeklärt ist.

  • BVerwG, Urt. v. 21.03.2000 - BVerwG 1 C 23.99; BVerwGE 111, 62; InfAuslR 2000, 366; DVBl. 2000, 1527; BayVBl. 2000, 566 

Es beeinträchtigt nicht die durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistete Eheschließungsfreiheit, wenn dem Ausländer eine längerfristige oder unbefristete Aufenthaltserlaubnis in Fällen versagt wird, in denen der Zeitpunkt der geplanten Eheschließung völlig ungewiss ist. In diesen Fällen ist die Eheschließungsfreiheit in der Regel gewahrt, wenn dem Ausländer das kurzfristige Betreten des Geltungsbereichs des Ausländergesetzes zum Zwecke der Eheschließung ermöglicht wird.

  • BVerwG, Beschl. v. 02.10.1984 - 1 B 114.84; InfAuslR 1985, 130 

Die Eheschließung erscheint im allgemeinen als sicher und unmittelbar bevorstehend, wenn die Beteiligten bereits beim Standesamt einen zeitnahen Termin vereinbart haben, an dem die Ehe geschlossen werden soll. Dem ist - ausnahmsweise - der Fall gleichzustellen, dass ein heiratswilliger Ausländer allein deshalb von dem Standesbeamten einen Termin zur Eheschließung nicht erhält, weil er eine Duldung nicht besitzt, er diese Duldung aber von der Ausländerbehörde nicht erhält mit der Begründung, dass der Termin zur Eheschließung nicht festgesetzt sei.

  • VG Dessau, Beschl. v. 06.10.2003 - 3 B 135/03; InfAuslR 2004, 163; NVwZ-RR 2004, 299

--- Duldung bei nachhaltiger Integration (§ 25b AufenthG)

1. Eine ausreisepflichtige Person ist für die Unmöglichkeit einer Passbeschaffung auch im Verfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels trotz schwieriger Beweissituation darlegungs- und beweispflichtig, da es sich dabei um eine für sie günstige Tatsache handelt, die in ihrem alleinigem Einflussbereich liegt (im Anschluss an OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss vom 18.09.2006 - 18 A 2388/06 - asyl.net: M9644, Beschluss vom 05.06.2008 - 18 E 471/08 - asyl.net: M13407).
2. Dies gilt auch für die Versagungsnorm des § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, da diese an die allgemeinen Obliegenheiten und Mitwirkungspflichten der ausreisepflichtigen Person anknüpft, die ausschließlich in deren Einflussbereich liegt.
3. Zwar ist gem. § 25b Abs. 1 AufenthG bei Erfüllung der tatbestandlichen Vorrausetzungen und Nichtvorliegen der Versagungsgründe regelhaft von einer gelungenen Integration im Sinne dieser Vorschrift auszugehen. Allerdings bedarf es auf Rechtsfolgenseite - weil es sich bei der Vorschrift um eine Sollbestimmung handelt - einer Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls. Hier ist das bisherige Verhalten der ausreisepflichtigen Person und somit auch frühere Verstöße gegen die Mitwirkungspflichten zu berücksichtigen. Verstöße gegen Mitwirkungspflichten sind somit doppelt zu prüfen, der Ausschlusstatbestand des § 25 Abs. 2 Nr. 1 Alt. 3 AufenthG entfaltet keine dahingehende Sperrwirkung.

--- Kirchenasyl

Der Aufenthalt im sogenannten Kirchenasyl führt nicht dazu, dass die Abschiebung im Sinne von § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist.

1. Weder der bloße Eintritt in ein Kirchenasyl noch die bloße Untätigkeit der Ausländerbehörde führen zum Wegfall einer Strafbarkeit wegen unerlaubten Aufenthalts gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2c AufenthG.
2. Kirchenasyl ist kein in der geltenden Rechtsordnung anerkanntes Rechtsinstitut. Der Eintritt in ein Kirchenasyl begründet deshalb keinen Anspruch auf Erteilung einer Duldung.
3. Unterlässt die Ausländerbehörde die Vollziehung der Abschiebung, weil sie Kirchenasyl grundsätzlich als christlich-humanitäre Tradition toleriert, so liegt darin weder eine Ermessensduldung noch eine stillschweigende bzw. faktische Duldung und führt dies auch nicht zu einem Wegfall der Strafbarkeit.
4. Tritt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aufgrund einer mit Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche am 24. Februar 2015 getroffenen Vereinbarung in eine erneute Einzelfallprüfung ein, so liegt darin ein rechtliches Abschiebungshindernis, das einen Anspruch auf Erteilung einer Duldung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG begründet, solange die Einzelfallprüfung anhält.

1. Die sog. Überstellungsfrist wird nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO verlängert, wenn die betroffene Person "flüchtig" war bzw. ist und der Überstellungsstaat darüber nach Art. 9 Abs. 2 der Dublin III-VO (EG) 1560/2003 rechtzeitig, vor Ablauf der (ersten) Überstellungsfrist informiert worden ist. Ein Übergang der Zuständigkeit auf Deutschland wird bereits durch die rechtzeitige Information an den zuständigen Mitgliedstaat (hier: Dänemark) abgewendet. Zur Verlängerung der Überstellungsfrist bedarf es weder einer ergänzenden "Verlängerungsentscheidung" der Beklagten noch eines "Einvernehmens" mit dem Überstellungsstaat zur verlängerten Frist.
2. Wenn sich jemand dem staatlichen Zugriff durch Änderung seines Aufenthaltsortes bzw. einen "unbekannten Aufenthalt" zu entziehen versucht, fragt sich, ob die betreffende Person "flüchtig"  ist. Ist es der betreffenden Person  bekannt, dass sie in einen anderen EU-Mitgliedsstaat überstellt werden soll, kann schon ein (nicht nur kurzzeitiger) unbekannter Aufenthalt die Bewertung begründen, dass sie "flüchtig" ist. Das gilt insbesondere nach einer ausdrücklich erfolgten Belehrung i. S. d. § 50 Abs. 4 AufenthG und so lange die Pflicht gilt, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (§ 47 Abs. 3 AsylG). Die betroffene Person ist dann gehalten, einen nicht nur kurzzeitigen Aufenthalt außerhalb der Wohnung oder Aufnahmeeinrichtung der zuständigen Behörde mitzuteilen, damit diese den aktuellen Aufenthalt rasch und in zumutbarer Weise feststellen kann.
3. Befindet sich ein Asylsuchender im Kirchenasyl und ist seine Anschrift bekannt, ist der Asylsuchende weder "flüchtig" i.S.v. Art. 29 Abs. 2 S. 2 [2. Alt.] der Dublin-III-VO, noch liegt ein faktisches oder gar ein rechtliches Vollzugshindernis vor. Bei einem sog. "Kirchenasyl" ist die zuständige Behörde weder rechtlich noch tatsächlich an der Durchführung einer Überstellung gehindert. Der Kirchenraum ist nicht exemt.

Allein der Umstand, dass der Asylbewerber sich der Überstellung entziehen will und sich dazu in das Kirchenasyl begeben hat, reicht nicht für die Annahme, dass er flüchtig im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO ist, wenn das Kirschenasyl der Durchführung der Überstellung an den anderen Mitgliedstaat nicht entgegensteht.

Befindet sich ein Asylsuchender im Kirchenasyl und ist seine Anschrift bekannt, so tritt keine Fristverlängerung in analoger Anwendung des Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin III-VO ein, denn es kann weder davon ausgegangen werden, dass der Asylsuchende „flüchtig“ i.S.d. genannten Vorschrift wäre, noch liegt ein faktisches oder gar ein rechtliches Vollzugshindernis vor.

Siehe auch die "Rechtsprechungsübersicht zum Kirchenasyl in Dublin-Fällen" von www.asyl.net vom 27.02.2019

--- Widerruf der Flüchtlingsanerkennung

Europäischer Gerichtshof

1. Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist wie folgt auszulegen:

  • Die Flüchtlingseigenschaft erlischt, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände in dem fraglichen Drittland diejenigen Umstände, aufgrund deren der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 haben muss.
  • Für die Beurteilung einer Veränderung der Umstände müssen sich die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats im Hinblick auf die individuelle Lage des Flüchtlings vergewissern, dass der oder die nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83 in Betracht kommenden Akteure, die Schutz bieten können, geeignete Schritte eingeleitet haben, um die Verfolgung zu verhindern, dass diese Akteure demgemäß insbesondere über wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, verfügen und dass der betreffende Staatsangehörige im Fall des Erlöschens seiner Flüchtlingseigenschaft Zugang zu diesem Schutz haben wird.
  • Zu den in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83 genannten Akteuren, die Schutz bieten können, können internationale Organisationen gehören, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, und zwar auch mittels der Präsenz multinationaler Truppen in diesem Gebiet.    

2. Wenn die Umstände, aufgrund deren die Anerkennung als Flüchtling erfolgt ist, weggefallen sind und die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats nachprüfen, ob nicht andere Umstände vorliegen, aufgrund deren die betreffende Person die begründete Furcht haben muss, entweder aus dem gleichen Grund wie dem ursprünglichen oder aus einem anderen der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83 genannten Gründe verfolgt zu werden, ist der Wahrscheinlichkeitsmaßstab, der der Beurteilung der aus diesen anderen Umständen resultierenden Gefahr zugrunde zu legen ist, der gleiche wie der bei der Anerkennung als Flüchtling angewandte.
3. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83 kann, soweit ihm Anhaltspunkte hinsichtlich der Beweiskraft früherer Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung zu entnehmen sind, anwendbar sein, wenn die zuständigen Behörden die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83 in Betracht ziehen und der Betreffende, um das Fortbestehen einer begründeten Furcht vor Verfolgung darzutun, andere Umstände als die geltend macht, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt wurde. Dies wird jedoch normalerweise nur der Fall sein können, wenn der Verfolgungsgrund ein anderer ist als der zum Zeitpunkt der Anerkennung als Flüchtling festgestellte und wenn frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung vorliegen, die eine Verknüpfung mit dem in diesem Stadium geprüften Verfolgungsgrund aufweisen.

Bundesverwaltungsgericht

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung insbesondere zu widerrufen, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. Diese Vorschrift entspricht ihrem Inhalt nach Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK.
§ 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG enthält eine einzelfallbezogene Ausnahme von der Beendigung der Flüchtlingseigenschaft, die unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen von Satz 1 der Vorschrift gilt.
Ob dem Ausländer wegen allgemeiner Gefahren im Herkunftsstaat eine Rückkehr unzumutbar ist, ist beim Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht zu prüfen, sondern im Rahmen der allgemeinen ausländerrechtlichen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu berücksichtigen.
§ 73 Abs. 2 a AsylVfG findet auf vor dem 1. Januar 2005 ergangene Widerrufsentscheidungen keine Anwendung.

Der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG i.V.m. Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG setzt voraus, dass in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände weggefallen sind, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung hatte und als Flüchtling anerkannt worden war (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505).
Eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände liegt vor, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland deutlich und wesentlich geändert haben. Durch neue Tatsachen muss sich eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben, so dass keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung mehr besteht (Änderung der bisherigen Rechtsprechung).
Dauerhaft ist eine Veränderung, wenn eine Prognose ergibt, dass sich die Änderung der Umstände als stabil erweist, d.h. der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält.

1. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist nach § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG i.V.m Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG zu widerrufen, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände im Herkunftsland diejenigen Umstände, aufgrund derer der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor „Verfolgung“ im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG haben muss (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - InfAuslR 2010, 188).
2. Die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände ist nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG erheblich und nicht nur vorübergehend, wenn feststeht, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann. Dauerhaft ist die Veränderung in der Regel nur, wenn im Herkunftsland ein Staat oder ein sonstiger Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG vorhanden ist, der geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung zu verhindern.
3. Macht der Flüchtling im Widerrufsverfahren unter Berufung auf den gleichen Verfolgungsgrund wie den bei seiner Anerkennung als Flüchtling festgestellten geltend, dass nach dem Wegfall der Tatsachen, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden war, andere Tatsachen eingetreten seien, die eine Verfolgung aus dem gleichen Verfolgungsgrund befürchten ließen, ist dies normalerweise bereits bei Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG zu beachten.

1. Das Verwaltungsgericht hat im Anfechtungsprozess gegen den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung (§ 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) den Widerrufsbescheid umfassend auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen. In diese Prüfung hat es auch vom Kläger nicht geltend gemachte Anfechtungsgründe und von der Behörde nicht angeführte Widerrufsgründe einzubeziehen.
2. Ein Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung wegen einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe (§ 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG) kommt bei einer Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe (§§ 53 bis 55 StGB) nur in Betracht, wenn eine der in die Gesamtstrafe einbezogenen Einzelstrafen eine mindestens dreijährige Freiheitsstrafe ist.

1. Die Rechtskraft eines zur Flüchtlingsanerkennung verpflichtenden Urteils steht der Rücknahme der Anerkennung jedenfalls dann nicht entgegen, wenn das Urteil sachlich unrichtig ist, die von dem Urteil Gebrauch machenden Personen dies wissen und besondere Umstände hinzutreten, die die Ausnutzung des Urteils als sittenwidrig erscheinen lassen (Rechtsgedanke des § 826 BGB)
2. Ein sittenwidriger Missbrauch der auf einem Urteil beruhenden Flüchtlingsanerkennung liegt jedenfalls dann vor, wenn das Gericht über den Kern des Verfolgungsschicksals gezielt getäuscht wurde, insbesondere über die Identität und die Staatsangehörigkeit der Asylbewerber sowie die Akteure, von denen Verfolgung droht.
3. Die einjährige Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG findet auf die Rücknahme nach § 73 Abs. 2 AsylVfG keine Anwendung (im Anschluss an Urteil v. 05.06.2012 - 10 C 4.11 - BVerwGE 143, 183 für den Widerruf).

Einreiseverweigung

1. Eine Einreiseverweigerung im Fall der Unbeachtlichkeit eines Asylantrages ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 18a AsylG nicht vorgesehen.
2. Für eine analoge Anwendung des § 18a Abs. 2 AsylG auch auf unzulässige Asylanträge gibt es keinen Anlass.
3. Im Fall der Ablehnung als unzulässig ist daher die Einreise immer zuzulassen.

Asylantrag

Art. 1 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 610/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass für einen Antrag auf ein Visum mit räumlich beschränkter Gültigkeit, der von einem Drittstaatsangehörigen aus humanitären Gründen auf der Grundlage von Art. 25 dieses Kodex bei der Vertretung des Zielmitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines Drittstaats in der Absicht gestellt wird, sogleich nach seiner Ankunft in diesem Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen und sich infolgedessen in einem Zeitraum von 180 Tagen länger als 90 Tage dort aufzuhalten, nicht der Visakodex gilt, sondern beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts allein das nationale Recht.

1. Ein Asylantragsteller, über dessen Asylantrag ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Frist entschieden worden ist, hat jedenfalls dann ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Untätigkeitsklage mit dem Ziel, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Bescheidung seines Antrages zu verpflichten, wenn noch keine Anhörung beim Bundesamt stattgefunden hat.
2. Es bleibt offen, ob der Asylantragsteller auf die Möglichkeit der Bescheidungsklage beschränkt ist oder er die Untätigkeitsklage auch mit dem Ziel erheben kann, das Bundesamt zur Gewährung internationalen Schutzes zu verpflichten.

1. Die Überstellungsfrist von sechs Monaten (Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO) wird durch eine vor ihrem Ablauf verfügte Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (§ 80 Abs. 4 VwGO) jedenfalls dann unterbrochen, wenn diese aus sachlich vertretbaren Erwägungen erfolgt ist.
2. Eine sachlich gerechtfertigte behördliche Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung darf auch dann erfolgen, wenn eine erste gerichtliche Überprüfung der Überstellungsentscheidung nicht zur Gewährung aufschiebender Wirkung geführt hat, über den Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung aber noch nicht endgültig entschieden ist.

1. Ein Antragsteller ist mit einem Schutzersuchen, mit dem er zielstaatsbezogene Gefahren geltend macht, die ihrer Art nach objektiv geeignet sind eine Anerkennung als Asylberechtigter oder eine Zuerkennung internationalen Schutzes zu begründen (materielles Asylbegehren im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylG), auf das Asylverfahren vor dem Bundesamt zu verweisen. Er hat kein Wahlrecht zwischen einer Prüfung durch die Ausländerbehörde und einer Prüfung durch das Bundesamt (Bestätigung der Rechtsprechung zu § 13 Abs. 1 AsylVfG a.F., vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2009 - 1 C 11.08 - BVerwGE 134, 124 Rn. 34).
2. Nimmt ein Asylbewerber seinen Antrag auf internationalen Schutz unter Aufrechterhaltung eines Antrags auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zurück, setzt die Wirksamkeit der Rücknahme die Darlegung voraus, dass das aufrechterhaltene Abschiebungsschutzbegehren nicht auf Gründe gestützt wird, die dem internationalen Schutz (Flüchtlingsschutz und subsidiärer Schutz) unterfallen.
3. Über die Wirksamkeit der Rücknahme eines Asylantrags befindet für die Zwecke des Dublin-Verfahrens der Mitgliedstaat, der dieses Verfahren durchführt, nach seinem nationalen Recht.

1. Eine Verbindung der Asylklageverfahren von Familienmitgliedern zur gemeinsamen Entscheidung findet nicht statt, wenn diese unterschiedlicher Staatsangehörigkeit sind und nach dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts je nach Herkunftsstaat unterschiedliche Kammern zur Entscheidung berufen sind.
2. Eine Untätigkeitsklage im Asylrecht ist zulässig, wenn über den Asylantrag seit mehr als drei Monaten nicht entschieden ist.
3. Die Untätigkeitsklage im Asylrecht ist als Verpflichtungsklage auf Bescheidung des Asylantrages zulässig.
4. Das von der Asylbehörde behauptete Fehlen eines Dolmetschers für die philippinische Sprache "Tagalog" stellt keinen zureichenden Grund für die Behörde dar, über den Asylantrag nicht in angemessener Frist zu entscheiden.
5. Die besondere Geschäftsbelastung der Asylbehörde im Jahr 2015 kann ebenso einen zureichenden Grund für die fehlende Entscheidung über einen Asylantrag darstellen, wie das Fehlen einer gesicherten Identität des Asylbewerbers.
6. Die vom Gericht im Falle der Aussetzung des Klageverfahrens zu bestimmende Frist zur Entscheidung über den Asylantrag darf nicht dazu führen, dass das Asylverwaltungsverfahren insgesamt länger als 21 Monate dauert.

1. Hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einem Asylsuchenden 16 Monate lang keine Möglichkeit zur Stellung eines förmlichen Asylantrags im Sinne des § 14 Abs 1 AsylG eingeräumt, so muss es sich, wenn der Asylsuchende nach 13 Monaten Untätigkeitsklage auf Bescheidung seines Asylantrags erhebt, so behandeln lassen, als ob der förmliche Asylantrag innerhalb von drei Monaten nach Äußerung des formlosen Asylgesuchs gestellt worden sei.
2. Bei einer derartigen Untätigkeitsklage, bei der keine Veranlassung zur Aussetzung des Verfahrens nach § 75 Satz 3 VwGO besteht, ist das Verwaltungsgericht nicht verpflichtet, im Wege des so genannten Durchentscheidens über den geltend gemachten Asylanspruch zu entscheiden. Vielmehr kommt nur eine Verpflichtung der Beklagten zur Fortführung des Asylverfahrens und Bescheidung des Asylantrags in Betracht.

1. Das Verwaltungsgericht hat die Streitsache grundsätzlich in vollem Umfange spruchreif machen, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dieser allgemeine Grundsatz findet auch im Asylverfahren Anwendung. Für das Asylerstverfahren ist hiervon eine Ausnahme im Falle eines Unterlassens der gebotenen Sachentscheidung durch die Beklagte anzunehmen (sog. Untätigkeitsklage). Hier besteht lediglich ein Anspruch auf eine Verpflichtung der Beklagten zur Entscheidung über den Asylerstantrag, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
2. Ein Anhaltspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit der Frist bzw. eines zureichenden Grundes im Sinne des § 75 Satz 1 VwGO ergibt sich aus Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 3 lit. b) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zum gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (hier: 15-monatige Entscheidungsfrist), dies gilt unbeschadet der insoweit noch nicht abgelaufenen Umsetzungsfrist der Richtlinie.

Bei einer Nichtentscheidung des Bundesamtes über einen Asylantrag ist die Untätigkeitsklage als Bescheidungsklage zulässig und dem Gericht ein "Durchentscheiden" verwehrt.

Rechtsbehelfsbelehrungen

1. Der Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, dass die Klage "in deutscher Sprache abgefasst" sein muss, macht diese nicht unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO.
2. Eine fehlende oder unrichtige Übersetzung der Rechtsbehelfsbelehrung in eine Sprache, die der Kläger versteht oder deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann, macht diese nicht unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO und bewirkt auch sonst nicht dessen Anwendung.

1. Die Formulierung in den Rechtsbehelfsbelehrungen des BAMF: "Die Klage muss den Kläger, die Beklagte und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen und in deutscher Sprache abgefasst sein." ist unrichtig mit der Folge, dass die Klagefrist gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz VwGO ein Jahr beträgt.
2. Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist auch dann unrichtig im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen.
3. Die Formulierung, dass die Klage "in deutscher Sprache abgefasst sein" muss, ist geeignet, bei dem Betroffenen den Eindruck zu erwecken, dass die Klage gegen den Bundesamtsbescheid bei dem Verwaltungsgericht schriftlich eingereicht werden muss und dass der Betroffene selbst für die Schriftform zu sorgen hat. Dies steht aber in Widerspruch zu § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach die Klage beim Verwaltungsgericht auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann.
4. Auf die Möglichkeit, dass die Klage auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann, wird in den Rechtsmittelbelehrungen des BAMF nicht hingewiesen.

Hinweis: Das BAMF hat seine Rechtsmittelbelehrungen inzwischen geändert, siehe Legal Tribune Online vom 08.05.2017

Beschleunigtes Verfahren

Die Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU ist nach Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbar anwendbar. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Richtlinie nicht vollständig umgesetzt. Die Untätigkeit des Gesetzgebers verhindert das beschleunigte Asylverfahren. Auch Klagen abgelehnter Asylsuchender aus sicheren Herkunftsstaaten haben aufschiebende Wirkung.

anderer Ansicht

Dublin-Verfahren

Europäischer Gerichtshof (EuGH)

Art. 20 Abs. 1 Buchst. d und Art. 20 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, sind dahin auszulegen, dass die Frist für die Durchführung der Überstellung, wenn die Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats vorsehen, dass ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, nicht bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung läuft, mit der die Durchführung des Überstellungsverfahrens ausgesetzt wird, sondern erst ab der gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann.

1. Für die Zwecke von Art. 6 EUV und/oder Art. 51 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union wird mit der Entscheidung, die ein Mitgliedstaat auf der Grundlage des Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, darüber trifft, ob er einen Asylantrag prüft, für den er in Ansehung der Kriterien des Kapitels III dieser Verordnung nicht zuständig ist, das Unionsrecht durchgeführt.
2. Das Unionsrecht steht der Geltung einer unwiderlegbaren Vermutung entgegen, dass der im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 343/2003 als zuständig bestimmte Mitgliedstaat die Unionsgrundrechte beachtet.               Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedstaat“ im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden.
Ist die Überstellung eines Antragstellers an einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, wenn dieser Staat nach den Kriterien des Kapitels III der Verordnung Nr. 343/2003 als zuständiger Mitgliedstaat bestimmt worden ist, nicht möglich, so hat der Mitgliedstaat, der die Überstellung vornehmen müsste, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne des Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung selbst zu prüfen, die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines der weiteren Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann.
Der Mitgliedstaat, in dem sich der Asylbewerber befindet, hat jedoch darauf zu achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte des Asylbewerbers verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach den Modalitäten des Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 343/2003 selbst prüfen
3. Die Art. 1, 18 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union führen nicht zu einer anderen Antwort.
4. Soweit sich die vorstehend beantworteten Fragen in Bezug auf Verpflichtungen des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland stellen, hat die Berücksichtigung des Protokolls (Nr. 30) über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf die Republik Polen und das Vereinigte Königreich keinen Einfluss auf die Beantwortung der Fragen 2 bis 6 in der Rechtssache C-411/10.

  • EuGH (Große Kammer), Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 (Rs. N. S.) und C-493/10 (Rs. M. E. u.a.) - Schlussanträge; Slg 2011, I-13905; InfAuslR 2012, 108, m. Bespr. Bertold Huber 376; NVwZ 2012, 417, m. Aufs. Kay Hailbronner, Daniel Thym, 406, u. Aufs. Reinhard Marx, 409; ZAR 2012, 115,m. Aufs. Thomas Groß, ZAR 2013, 106, u. Anm. Lutz Römer, 120, u. Aufs. Roland Bank, Constantin Hruschka, 182, u. Bespr. Anna Lübbe, ZAR 2014, 105, EuGRZ 2012, 24; BayVBl 2012, 655; AuAS 2012, 56; Aufs. Michaela Ecker, Betrifft Justiz 2012, 317 Reinhard Marx, Betrifft Justiz 2012, 319

Art. 6 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass er unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen ein unbegleiteter Minderjähriger, der keinen sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats rechtmäßig aufhaltenden Familienangehörigen hat, in mehr als einem Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat, denjenigen Mitgliedstaat als „zuständigen Mitgliedstaat“ bestimmt, in dem sich dieser Minderjährige aufhält, nachdem er dort einen Asylantrag gestellt hat.

Art. 19 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat, d. h. als der Mitgliedstaat der ersten Einreise des Asylbewerbers in das Gebiet der Europäischen Union, der Asylbewerber der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden.

Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen, dass in einem Sachverhalt wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen ein Asylbewerber im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung die fehlerhafte Anwendung eines in Kapitel III dieser Verordnung festgelegten Zuständigkeitskriteriums und insbesondere des in Art. 12 der Verordnung festgelegten Kriteriums einer Visumserteilung geltend machen kann.

1. Art. 19 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass diese Bestimmung, insbesondere ihr Unterabs. 2, auf einen Drittstaatsangehörigen anwendbar ist, der nach der Stellung eines ersten Asylantrags in einem Mitgliedstaat den Nachweis erbringt, dass er das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, bevor er einen neuen Asylantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt hat.
2. Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 ist im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen, dass in einem Sachverhalt wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen ein Asylbewerber im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine Entscheidung über seine Überstellung einen Verstoß gegen die Regelung des Art. 19 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung geltend machen kann.

1. Im Rahmen der Prüfung, ob eine Überstellung im Dublin-Verfahren rechtmäßig ist, spielen nicht nur zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote eine Rolle, sondern auch inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse (hier Krankheit).
2. Eine Überstellung ist (auch in Abwesenheit systemischer Mängel im Zielstaat) jedenfalls dann rechtswidrig, wenn ihre Durchführung gegen Art. 4 Grundrechtecharta (Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) verstößt (Rn. 75 ff.).
3. Die Überstellung darf im Fall von Krankheit daher nicht zu einer gravierenden und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen.
4. Sofern nicht davon auszugehen ist, dass sich eine solche Gesundheitsverschlechterung durch entsprechende Vorkehrungen und Maßnahmen bei der Überstellung verhindern lassen, ist diese auszusetzen.
5. Sofern nicht damit zu rechnen ist, dass sich der Gesundheitszustand in absehbarer Zeit so verbessert, dass eine (rechtmäßige) Überstellung durchgeführt werden kann, wird angeregt, dass der betreffende Mitgliedstaat sein Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO ausübt.

1. Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt, im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine ihr gegenüber ergangene Überstellungsentscheidung auf den Ablauf einer in Art. 21 Abs. 1 der Verordnung genannten Frist berufen kann, wobei dies auch dann gilt, wenn der ersuchte Mitgliedstaat bereit ist, diese Person aufzunehmen.
2. Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass es nicht möglich ist, ein Aufnahmegesuch mehr als drei Monate nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz wirksam zu unterbreiten, auch wenn dies weniger als zwei Monate nach Erhalt einer Eurodac-Treffermeldung im Sinne dieser Vorschrift geschieht.
3. Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass ein Antrag auf internationalen Schutz als gestellt gilt, wenn der mit der Durchführung der sich aus dieser Verordnung ergebenden Verpflichtungen betrauten Behörde ein Schriftstück zugegangen ist, das von einer Behörde erstellt wurde und bescheinigt, dass ein Drittstaatsangehöriger um internationalen Schutz ersucht hat, und, gegebenenfalls, wenn ihr nur die wichtigsten in einem solchen Schriftstück enthaltenen Informationen, nicht aber das Schriftstück oder eine Kopie davon, zugegangen sind.

1. Bei der faktisch geduldeten Einreise in einen EU-Mitgliedstaat, die allein dem Zweck der Durchreise in einen anderen EU-Staat dienen sollte, handelt es sich nicht um ein "Visum" i.S.d. Art. 2 Buchst. m und Art. 12 Dublin-III-Verordnung. Eine solche Einreise stellt auch keine visafreie Einreise im Sinne des Art. 14 Dublin-III-VO dar.
2. Auch die Einreise, die aufgrund einer außergewöhnlich hohen Zahl von Schutzsuchenden aus humanitären Gründen zur Durchreise geduldet wird, ist als "illegal" im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO einzustufen. Daher ist das Zuständigkeitskriterium der ersten Einreise anwendbar.
3. Andere Mitgliedsstaaten können jedoch im "Geist der Solidarität" vom Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin-III-VO Gebrauch machen, auch wenn sie nach den Zuständigkeitskriterien nicht zuständig sind.
4. Asylsuchende dürfen nicht an den zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden, wenn ihnen dort infolge einer außergewöhnlich hohen Zahl an ankommenden Schutzsuchenden eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.

1. Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung dahin auszulegen, dass sich eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen eine ihr gegenüber ergangene Überstellungsentscheidung darauf berufen kann, dass das in Art. 13 Abs. 1 der Verordnung aufgestellte Zuständigkeitskriterium des illegalen Überschreitens der Grenze eines Mitgliedstaats falsch angewandt worden sei.
2. Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass ein Drittstaatsangehöriger, dessen Einreise von den Behörden eines Mitgliedstaats in einer Situation geduldet wird, in der sie mit der Ankunft einer außergewöhnlich hohen Zahl von Drittstaatsangehörigen konfrontiert sind, die durch diesen Mitgliedstaat, dessen grundsätzlich geforderte Einreisevoraussetzungen sie nicht erfüllen, durchreisen möchten, um in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz zu beantragen, die Grenze des erstgenannten Mitgliedstaats im Sinne von Art. 13 Abs. 1 „illegal überschritten“ hat.
3. Art. 13 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 604/2013 ist in Verbindung mit ihrem Art. 7 Abs. 2 dahin auszulegen, dass die Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung keine Auswirkung auf den Ablauf der in Art. 13 Abs. 1 vorgesehenen Frist hat.
Art. 29 Abs. 1 und 2 der Verordnung ist dahin auszulegen, dass die Einlegung eines solchen Rechtsbehelfs impliziert, dass die in diesen Bestimmungen genannte Frist – auch wenn das angerufene Gericht beschlossen hat, den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung zu ersuchen – erst zu laufen beginnt, wenn die endgültige Entscheidung über den Rechtsbehelf ergangen ist, sofern der Rechtsbehelf gemäß Art. 27 Abs. 3 der Verordnung aufschiebende Wirkung hat.

1. Art. 29 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass die Zuständigkeit von Rechts wegen auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht, sofern die Überstellung nicht innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung festgelegten sechsmonatigen Frist durchgeführt wird, ohne dass es erforderlich ist, dass der zuständige Mitgliedstaat die Verpflichtung zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person ablehnt.
2. Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013, betrachtet vor dem Hintergrund ihres 19. Erwägungsgrundes, sowie Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass eine Person, die internationalen Schutz beantragt hat, über einen wirksamen und schnellen Rechtsbehelf verfügen können muss, der es ihr ermöglicht, sich auf den nach dem Erlass der Überstellungsentscheidung eingetretenen Ablauf der in Art. 29 Abs. 1 und 2 der Verordnung festgelegten sechsmonatigen Frist zu berufen. Das aufgrund einer innerstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden einem solchen Antragsteller zustehende Recht, sich im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung auf nach ihrem Erlass eingetretene Umstände zu berufen, genügt dieser Verpflichtung, einen wirksamen und schnellen Rechtsbehelf vorzusehen.

1. Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist im Licht des 19. Erwägungsgrundes dieser Verordnung und von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, die vorsehen, dass für die gerichtliche Überprüfung der Überstellungsentscheidung die Sachlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem angerufenen Gericht oder, wenn keine mündliche Verhandlung stattfindet, der Zeitpunkt maßgeblich ist, in dem das Gericht über die Klage entscheidet.
2. Art. 24 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in der ein Drittstaatsangehöriger nach der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in einem ersten Mitgliedstaat in diesen Mitgliedstaat überstellt wurde, nachdem ein erneuter, bei einem zweiten Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen worden war, und dann ohne Aufenthaltstitel in das Hoheitsgebiet des zweiten Mitgliedstaats zurückgekehrt ist, dieser Drittstaatsangehörige Gegenstand eines Wiederaufnahmeverfahrens sein kann und dass es nicht möglich ist, ihn ohne Durchführung eines solchen Verfahrens erneut in den ersten Mitgliedstaat zu überstellen.
3. Art. 24 Abs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in der ein Drittstaatsangehöriger ohne Aufenthaltstitel in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zurückgekehrt ist, der ihn zuvor in einen anderen Mitgliedstaat überstellt hatte, das Wiederaufnahmegesuch innerhalb der in dieser Bestimmung vorgesehenen Fristen an den anderen Mitgliedstaat gerichtet werden muss und dass diese Fristen nicht zu laufen beginnen können, bevor der ersuchende Mitgliedstaat von der Rückkehr der betreffenden Person in sein Hoheitsgebiet Kenntnis erlangt hat.
4. Art. 24 Abs. 3 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich die betreffende Person ohne Aufenthaltstitel aufhält, für die Prüfung des neuen Antrags auf internationalen Schutz, dessen Stellung dieser Person gestattet werden muss, zuständig ist, wenn das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der in Art. 24 Abs. 2 der Verordnung vorgesehenen Fristen unterbreitet wird.
5. Art. 24 Abs. 3 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass die Tatsache, dass das gegen eine Entscheidung, mit der ein erster in einem Mitgliedstaat gestellter Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wurde, eingeleitete Rechtsbehelfsverfahren noch anhängig ist, der Stellung eines neuen Antrags auf internationalen Schutz in diesem Mitgliedstaat im Sinne dieser Bestimmung nicht gleichzustellen ist.
6. Art. 24 Abs. 3 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass, wenn das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der in Art. 24 Abs. 2 der Verordnung vorgesehenen Fristen unterbreitet wird und die betreffende Person nicht von der Befugnis zur Stellung eines neuen Antrags auf internationalen Schutz – über die sie verfügen muss – Gebrauch gemacht hat,
–        der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich diese Person ohne Aufenthaltstitel aufhält, noch ein Wiederaufnahmegesuch unterbreiten kann und–        diese Bestimmung die Überstellung der betreffenden Person in einen anderen Mitgliedstaat nicht gestattet, ohne dass ein solches Gesuch unterbreitet wird.

Art. 26 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist dahin auszulegen, dass er es dem Mitgliedstaat, der bei einem anderen Mitgliedstaat, den er aufgrund der in der Verordnung festgelegten Kriterien dafür zuständig hält, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, ein Gesuch um Aufnahme oder Wiederaufnahme einer Person im Sinne des Art. 18 Abs. 1 der Verordnung gestellt hat, verwehrt, eine Überstellungsentscheidung zu erlassen und dieser Person zuzustellen, bevor der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat.

1. Lehnt ein Mitgliedstaat das Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch eines anderen Mitgliedstaats innerhalb der vorgesehenen Frist ab, kann der ersuchende Mitgliedstaat innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Ablehnung eine neuerliche Prüfung beantragen, wenn er der Meinung ist, das Gesuch sei zu Unrecht abgelehnt worden.
2. Der ersuchte Mitgliedstaat ist im Geist der loyalen Zusammenarbeit unter den Mitgliedstaaten verpflichtet, das erneute Gesuch so schnell wie möglich - spätestens jedoch innerhalb von zwei Wochen - zu prüfen und zu beantworten.
3. Antwortet er nicht, hat dies keine Auswirkungen auf die Zuständigkeit. Der ersuchende Mitgliedstaat bleibt zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens. Das zusätzliche Verfahren der neuerlichen Prüfung ist dann endgültig abgeschlossen.

1. Die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass sie nicht verlangt, dass für die Bestimmung des zuständigen Staates nach den in dieser Verordnung definierten Kriterien und für die Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Ermessensklausel dieselbe nationale Behörde zuständig ist.
2. Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass er einen Mitgliedstaat, der nach den in dieser Verordnung genannten Kriterien für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz unzuständig ist, nicht dazu verpflichtet, das Wohl des Kindes zu berücksichtigen und diesen Antrag in Anwendung von Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung selbst zu prüfen.
3. Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass er nicht dazu verpflichtet, einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, von der in Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Befugnis keinen Gebrauch zu machen, vorzusehen, wovon die Möglichkeit unberührt bleibt, diese Entscheidung im Rahmen eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung anzufechten.
4. Art. 20 Abs. 3 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass er, soweit kein Beweis für das Gegenteil vorliegt, die Vermutung begründet, dass es dem Wohl des Kindes dient, seine Situation als untrennbar mit der seiner Eltern verbunden anzusehen.

Das Verfahren wird ausgesetzt, um nach Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichthofs der Europäischen Union zu folgenden Fragen einzuholen:
1. Ist ein Asylbewerber nur dann flüchtig im Sinne von Art. 29 Abs. 2 Satz 2 VO (EU) 604/2013, wenn er sich gezielt und bewusst dem Zugriff der für die Durchführung der Überstellung zuständigen nationalen Behörden entzieht, um die Überstellung zu vereiteln bzw. zu erschweren, oder genügt es, wenn er sich über einen längeren Zeitraum nicht mehr in der ihm zugewiesenen Wohnung aufhält und die Behörde nicht über seinen Verbleib informiert ist und deshalb eine geplante Überstellung nicht durchgeführt werden kann?
Kann sich der Betroffene auf die richtige Anwendung der Vorschrift berufen und in einem Verfahren gegen die Überstellungsentscheidung einwenden, die Überstellungsfrist von sechs Monaten sei abgelaufen, weil er nicht flüchtig gewesen sei?
2. Kommt eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 1 UA 1 VO (EU) 604/2013 allein dadurch zustande, dass der überstellende Mitgliedstaat noch vor Ablauf der Frist den zuständigen Mitgliedstaat darüber informiert, dass der Betreffende flüchtig ist, und zugleich eine konkrete Frist benennt, die 18 Monate nicht übersteigen darf, bis zu der die Überstellung durchgeführt werden wird, oder ist eine Verlängerung nur in der Weise möglich, dass die beteiligten Mitgliedstaaten einvernehmlich eine verlängerte Frist festlegen?
3. Ist eine Überstellung des Asylbewerbers in den zuständigen Mitgliedstaat unzulässig, wenn er für den Fall einer Zuerkennung eines internationalen Schutzstatus dort im Hinblick auf die dann zu erwartenden Lebensumstände einem ernsthaften Risikos ausgesetzt wäre, eine Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh zu erfahren?
Fällt diese Fragestellung noch in den Anwendungsbereich des Unionsrechts?
Nach welchen unionsrechtlichen Maßstäben sind die Lebensverhältnisse des anerkannten international Schutzberechtigten zu beurteilen?

Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)

2014

1. Die Einstellung des Asylverfahrens nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG kann darauf gestützt werden, dass der Asylbewerber der berechtigten Aufforderung zur schriftlichen Darlegung seines Reisewegs bis zur Ankunft in Deutschland und zu einer eventuell bereits erfolgten Asylantragstellung im Ausland nicht fristgerecht nachgekommen ist (im Anschluss an Urteil vom 5. September 2013 - BVerwG 10 C 1.13 - BVerwGE 147, 329).
2. Eine ausländische Flüchtlingsanerkennung entfaltet Bindungswirkung in Deutschland dahin, dass kraft Gesetzes ein Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG besteht (§ 60 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Ein Anspruch auf eine erneute Anerkennungsentscheidung oder die Erteilung eines Aufenthaltstitels in Deutschland ergibt sich daraus jedoch nicht (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG).
3. Das Begehren auf Zuerkennung von unionsrechtlichem subsidiärem Schutz ist unzulässig, wenn dem Ausländer bereits im Ausland die Rechtsstellung eines Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne von § 4 AsylVfG zuerkannt worden ist.
4. Die Dublin III-Verordnung findet auf die nach ihrem Inkrafttreten gestellten Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern - ungeachtet des Zeitpunkts der Asylantragstellung - jedenfalls für das zu beachtende Verfahren Anwendung (Art. 49 Abs. 2).

2015

1. Die Regelungen der Dublin-Verordnungen geben keine Rangfolge hinsichtlich der drei von ihnen vorgesehenen Überstellungsmodalitäten vor (vgl. Art. 7 Abs. 1 VO <EG> Nr. 1560/2003). Es besteht insbesondere kein Vorrang zugunsten einer Überstellung auf eigene Initiative des Asylantragstellers.
2. Die Regelung des § 34a Abs. 1 AsylVfG, wonach vom Bundesamt nur die Abschiebung als Möglichkeit der Überstellung eines Ausländers in den für die Prüfung seines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat angeordnet werden kann, ist mit Unionsrecht vereinbar. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist von der mit dem Vollzug der Abschiebung betrauten Ausländerbehörde Rechnung zu tragen.
3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird dadurch gewahrt, dass die Überstellung zwar regelmäßig in Gestalt der Abschiebung vollzogen wird, im Ausnahmefall aber auch eine Überstellung ohne Verwaltungszwang möglich ist. Eine Überstellung ohne Verwaltungszwang ist dem Asylbewerber von der Vollzugsbehörde dann zu ermöglichen, wenn gesichert erscheint, dass er sich freiwillig in den für die Prüfung seines Antrags zuständigen Mitgliedstaat begibt und sich dort fristgerecht bei der verantwortlichen Behörde meldet.
4. Eine Überstellung ohne Verwaltungszwang ist keine Abschiebung und führt folglich nicht zu einem gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG.

1. Die Regelungen der Dublin-Verordnungen geben keine Rangfolge hinsichtlich der drei von ihnen vorgesehenen Überstellungsmodalitäten vor (vgl. Art. 7 Abs. 1 VO <EG> Nr. 1560/2003). Es besteht insbesondere kein Vorrang zugunsten einer Überstellung auf eigene Initiative des Asylantragstellers (BVerwG, wie Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 26.14).
2. Die Regelung des § 34a Abs. 1 AsylVfG, wonach vom Bundesamt nur die Abschiebung als Möglichkeit der Überstellung eines Ausländers in den für die Prüfung seines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaat angeordnet werden kann, ist mit Unionsrecht vereinbar. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist von der mit dem Vollzug der Abschiebung betrauten Ausländerbehörde Rechnung zu tragen (BVerwG, wie Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 26.14).
3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird dadurch gewahrt, dass die Überstellung zwar regelmäßig in Gestalt der Abschiebung vollzogen wird, im Ausnahmefall aber auch eine Überstellung ohne Verwaltungszwang möglich ist. Eine Überstellung ohne Verwaltungszwang ist dem Asylbewerber von der Vollzugsbehörde dann zu ermöglichen, wenn gesichert erscheint, dass er sich freiwillig in den für die Prüfung seines Antrags zuständigen Mitgliedstaat begibt und sich dort fristgerecht bei der verantwortlichen Behörde meldet (BVerwG, wie Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 26.14).
4. Eine Überstellung ohne Verwaltungszwang ist keine Abschiebung und führt folglich nicht zu einem gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG (BVerwG, wie Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 26.14).
5. Ist die Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrags gemäß § 27a AsylVfG unanfechtbar geworden, ist für die von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vorausgesetzte Durchführung der Abschiebung mit Blick auf die internationale Zuständigkeit nur noch von Bedeutung, ob eine Überstellung an den ersuchten Mitgliedstaat tatsächlich möglich ist.enthG.

1. Stimmt ein von Deutschland ersuchter EU-Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylantragstellers im Rahmen des Dublin-Verfahrens zu, so kann sich der Asylbewerber gegen seine Überstellung in diesen Mitgliedstaat nicht mit dem Argument wehren, dass die in der Dublin II-Verordnung geregelte Frist für ein Aufnahmegesuch abgelaufen sei.
2. Die Drei-Monats-Frist für die Stellung eines Aufnahmegesuchs nach Art. 17 Abs. 1 Dublin II-Verordnung gilt nur für den Rechtsverkehr zwischen den am Dublin-Verfahren beteiligten Staaten, dient aber nicht dem Schutz des einzelnen Asylbewerbers.
3. Asylbewerber können in solchen Fällen einer Überstellung an einen anderen Mitgliedstaat nur unter Hinweis auf systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylantragsteller im ersuchten Staat entgegentreten. Das gilt jedenfalls dann, wenn der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme zugestimmt hat.

1. Ein unbegleiteter Minderjähriger hat einen Anspruch darauf, dass über seinen Asylantrag in dem Staat entschieden wird, der nach den Dublin-Bestimmungen für ihn zuständig ist. Insoweit sind die Bestimmungen der Dublin-Verordnungen individualschützend.
2. Dies gilt auch, wenn der Minderjährige nach Abschluss eines Asylverfahrens erneut in einem anderen Mitgliedstaat Asyl beantragt. In diesem Fall ist es dem Aufenthaltsmitgliedstaat allerdings nicht verwehrt, den Zweitantrag aus anderen Gründen als unzulässig zu behandeln, etwa weil es sich um einen identischen Antrag ohne neue Gründe handelt.

2016

1. Stimmt ein von Deutschland ersuchter EU-Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylantragstellers auf der Grundlage der Dublin II-Verordnung zu, ist eine Überstellung in den um Aufnahme ersuchten Mitgliedstaat auch dann noch möglich, wenn ein Antragsteller nach der Zustimmung seinen Antrag auf die Gewährung subsidiären Schutzes beschränkt.
2. Die Anwendbarkeit der Dublin II-Verordnung entfällt nicht deshalb rückwirkend, weil Art. 2 Buchst. c der Dublin II-Verordnung - anders als nunmehr die Dublin III-Verordnung - auf den unionsrechtlichen subsidiären Schutz gerichtete Anträge nicht mit umfasst. Denn mit der Erteilung der Zustimmung zur Aufnahme des Asylantragstellers ist das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats abgeschlossen worden. Die Antragsbeschränkung lässt die Anwendbarkeit der Dublin II-Verordnung und die bereits erfolgte Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nicht nachträglich entfallen.

Ist ein Mitgliedstaat nach den einschlägigen Dublin-Bestimmungen für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig, kann sich der Schutzsuchende im gerichtlichen Verfahren gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig nach § 27a AsylG jedenfalls dann auf die Zuständigkeit dieses Mitgliedstaats berufen, wenn die (Wieder-)Aufnahmebereitschaft eines anderen (unzuständigen) Mitgliedstaats nicht positiv feststeht. Denn der nach den Dublin-Bestimmungen zuständige Mitgliedstaat (hier: Deutschland) darf einen Schutzsuchenden jedenfalls dann nicht auf die Prüfung seines Asylantrags durch einen anderen Mitgliedstaat (hier: Ungarn) verweisen, wenn dessen Aufnahmebereitschaft nicht positiv feststeht. Dies ergibt sich als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal schon aus Sinn und Zweck der Dublin-Bestimmungen, durch die gerade die Situation eines „refugee in orbit“, für den sich kein Mitgliedstaat zuständig fühlt, vermieden werden soll.

Ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen eine Abschiebungsanordnung (§ 34a Abs. 1, 2 Satz 1 AsylG) unterbricht den Lauf der Frist für eine Überstellung nach den Regelungen der Dublin II/III-VO. Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts über einen solchen Antrag wird die Frist auch dann neu in Lauf gesetzt, wenn der Antrag abgelehnt wird.

1. In Dublin-Verfahren beginnt die Überstellungsfrist mit dem Ende der aufschiebenden Wirkung nach § 80b VwGO neu zu laufen.
2. Ist ein Mitgliedstaat nach den einschlägigen Dublin-Bestimmungen für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig, kann sich der Schutzsuchende im gerichtlichen Verfahren gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG jedenfalls dann auf die Zuständigkeit dieses Mitgliedstaats berufen, wenn die (Wieder-)Aufnahmebereitschaft eines anderen (unzuständigen) Mitgliedstaats nicht positiv feststeht (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2016 - 1 C 24.15 - zur Vorgängerregelung in § 27a AsylG a.F.).

2017

Ist in einem Asylverfahren zweifelhaft, ob dem Schutzsuchenden bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (hier: Italien) internationaler Schutz gewährt worden ist, müssen die Verwaltungsgerichte diesen Sachverhalt aufklären, soweit die Zulässigkeit eines erneuten Schutzantrags davon abhängt. Das gilt auch dann, wenn ein an den anderen Mitgliedstaat gerichtetes Auskunftsersuchen nach den Dublin-Vorschriften (sog. Info-Request) unbeantwortet geblieben ist.

2019

1. Die Überstellungsfrist von sechs Monaten (Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO) wird durch eine vor ihrem Ablauf verfügte Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (§ 80 Abs. 4 VwGO) jedenfalls dann unterbrochen, wenn diese aus sachlich vertretbaren Erwägungen erfolgt ist.
2. Eine sachlich gerechtfertigte behördliche Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsanordnung darf auch dann erfolgen, wenn eine erste gerichtliche Überprüfung der Überstellungsentscheidung nicht zur Gewährung aufschiebender Wirkung geführt hat, über den Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung aber noch nicht endgültig entschieden ist.

1. Ein Antragsteller ist mit einem Schutzersuchen, mit dem er zielstaatsbezogene Gefahren geltend macht, die ihrer Art nach objektiv geeignet sind eine Anerkennung als Asylberechtigter oder eine Zuerkennung internationalen Schutzes zu begründen (materielles Asylbegehren im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylG), auf das Asylverfahren vor dem Bundesamt zu verweisen. Er hat kein Wahlrecht zwischen einer Prüfung durch die Ausländerbehörde und einer Prüfung durch das Bundesamt (Bestätigung der Rechtsprechung zu § 13 Abs. 1 AsylVfG a.F., vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2009 - 1 C 11.08 - BVerwGE 134, 124 Rn. 34).
2. Nimmt ein Asylbewerber seinen Antrag auf internationalen Schutz unter Aufrechterhaltung eines Antrags auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zurück, setzt die Wirksamkeit der Rücknahme die Darlegung voraus, dass das aufrechterhaltene Abschiebungsschutzbegehren nicht auf Gründe gestützt wird, die dem internationalen Schutz (Flüchtlingsschutz und subsidiärer Schutz) unterfallen.
3. Über die Wirksamkeit der Rücknahme eines Asylantrags befindet für die Zwecke des Dublin-Verfahrens der Mitgliedstaat, der dieses Verfahren durchführt, nach seinem nationalen Recht.

Verwaltungsgerichte

Die Anwendung des § 34 a AsylVfG für eine Aufenthaltsbeendigung in einem Mitgliedstaat der EG wird weder der innerstaatlichen Gesetzessystematik gerecht, noch werden die unmittelbar geltenden Vorgaben der Verordnung (EG) 343/2003 des Rates vom 18. 2. 2003 (Dublin II-VO) sowie der hierzu erlassenen Verordnung (EG) 1560/2003 der Kommission vom 2.9. 2003 erfüllt. Vor allem liegt eine gesetzgeberische Entscheidung dahin gehend, die früheren Vertragsstaaten des Dubliner Übereinkommens als Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften und Adressaten der Verordnung (EG) 343/2003 nunmehr - im Gegensatz zur Rechtslage vor In-Kraft-Treten der Verordnung - der Drittstaatenkonzeption, d. h. dem Instrument der Abschiebungsanordnung ohne Fristsetzung und ohne die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes zu unterstellen, nicht vor.

Soweit die Bundesrepublik Deutschland für die Prüfung des Asylbegehrens nicht zuständig ist, ist gegen eine Abschiebungsanordnung in den Mitgliedstaat vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 V VwGO, § 36 AsylVfG im Hinblick auf die Ermöglichung einer freiwilligen Ausreise zu gewähren.

Verzögert das Bundesamt die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs nach Art. 20 Dublin-II-VO unangemessen lange (hier 12 Monate betr. Italien), muss es den Asylantrag gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO selbst prüfen.

Die Anwendung der Grundsätze der Familieneinheit und der Humanität, die sich insbesondere aus den Erwägungen Nr. 14, 15 und 17 sowie Art. 16 und 17 Dublin III-VO herleiten lassen, können bei einer ernsthaften gelebten eheähnlichen Gemeinschaft im Wege der Ermessensreduzierung auf Null zu einem Selbsteintritt nach Art. 17 Abs.1 Dublin III-VO führen.

Nach Aufhebung einer Überstellungsentscheidung wegen der Nachholung des persönlichen Gesprächs wird durch eine wiederholende Überstellungsentscheidung kein neuer Lauf für die Überstellungsfrist in Gang gesetzt.

Nimmt ein Mitgliedstaat Asylbewerber im Rahmen des sog. Relocation-Verfahrens auf, so wird er der für die Bearbeitung der Asylanträge zuständige Mitgliedstaat. Fand die Umsiedlung nicht nach Deutschland statt, sind hier gestellte Asylanträge unzulässig.

Eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Bst. a AsylG wegen Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats nach der Dublin-III-VO ist rechtswidrig, wenn kein persönliches Gespräch stattgefunden hat, auch wenn dieses die Entscheidung nicht beeinflusst hätte.

1) Die sog. Überstellungsfrist wird nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO verlängert, wenn die betroffene Person "flüchtig" war bzw. ist und der Überstellungsstaat darüber nach Art. 9 Abs. 2 der Dublin III-VO (EG) 1560/2003 rechtzeitig, vor Ablauf der (ersten) Überstellungsfrist informiert worden ist. Ein Übergang der Zuständigkeit auf Deutschland wird bereits durch die rechtzeitige Information an den zuständigen Mitgliedstaat (hier: Dänemark) abgewendet. Zur Verlängerung der Überstellungsfrist bedarf es weder einer ergänzenden "Verlängerungsentscheidung" der Beklagten noch eines "Einvernehmens" mit dem Überstellungsstaat zur verlängerten Frist.
2) Wenn sich jemand dem staatlichen Zugriff durch Änderung seines Aufenthaltsortes bzw. einen "unbekannten Aufenthalt" zu entziehen versucht, fragt sich, ob die betreffende Person "flüchtig"  ist. Ist es der betreffenden Person  bekannt, dass sie in einen anderen EU-Mitgliedsstaat überstellt werden soll, kann schon ein (nicht nur kurzzeitiger) unbekannter Aufenthalt die Bewertung begründen, dass sie "flüchtig" ist. Das gilt insbesondere nach einer ausdrücklich erfolgten Belehrung i. S. d. § 50 Abs. 4 AufenthG und so lange die Pflicht gilt, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (§ 47 Abs. 3 AsylG). Die betroffene Person ist dann gehalten, einen nicht nur kurzzeitigen Aufenthalt außerhalb der Wohnung oder Aufnahmeeinrichtung der zuständigen Behörde mitzuteilen, damit diese den aktuellen Aufenthalt rasch und in zumutbarer Weise feststellen kann.
3) Befindet sich ein Asylsuchender im Kirchenasyl und ist seine Anschrift bekannt, ist der Asylsuchende weder "flüchtig" i.S.v. Art. 29 Abs. 2 S. 2 [2. Alt.] der Dublin-III-VO, noch liegt ein faktisches oder gar ein rechtliches Vollzugshindernis vor. Bei einem sog. "Kirchenasyl" ist die zuständige Behörde weder rechtlich noch tatsächlich an der Durchführung einer Überstellung gehindert. Der Kirchenraum ist nicht exemt.

Dublin-Familienzusammenführung innerhalb der Überstellungsfrist

Die Anwendung der Grundsätze der Familieneinheit und der Humanität, die sich insbesondere aus den Erwägungen Nr. 14, 15 und 17 sowie Art. 16 und 17 Dublin III-VO herleiten lassen, können bei einer ernsthaften gelebten eheähnlichen Gemeinschaft im Wege der Ermessensreduzierung auf Null zu einem Selbsteintritt nach Art. 17 Abs.1 Dublin III-VO führen.

1. Art. 22 Abs. 7, 29 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung i.V.m. Art. 8 Abs. 1 Dublin-III-Durchführungs-Verordnung vermitteln ein subjektives Recht auf Überstellung innerhalb der Überstellungfrist.
2. Der Inhalt des Anspruchs ist abhängig davon, ob er sich gegen den ersuchenden oder den aufnehmenden Mitgliedstaat richtet.
3. Die Vorschriften der Art. 22 Abs. 7, 29 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung i.V.m. Art. 8 Abs. 1 Dublin-III-Durchführungs-Verordnung sind dergestalt drittschützender Natur, dass auch das im Aufnahmemitgliedstaat ansässige Familienmitglied die Überstellung der in einem anderen Mitgliedstaat untergebrachten Angehörigen verlangen kann, sofern diese aus den genannten Vorschriften einen Anspruch auf Überstellung haben.
4. Fristbeginn für die Überstellungfrist nach Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-Verordnung ist der auf den Tag der Erstellung der Eingangsbescheinigung nach Art. 15 Abs. 3 Dublin-III-Durchführungs-Verordnung folgende Tag.

1. Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO beschränkt die Pflicht des zur Aufnahme verpflichteten Mitgliedstaates ausdrücklich darauf, die Person in seinem Hoheitsgebiet aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen. Die Überstellung selbst fällt gem. Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO ausdrücklich in den Verantwortungsbereich des ersuchenden Mitgliedstaates.
2. Ein Anspruch auf fristgerechte Überstellung ist der Rechtsprechung des EuGH weder ausdrücklich, noch von ihrem Sinngehalt her zu entnehmen. Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO bietet die Möglichkeit, dem Schutz von Ehe und Familie auch nach Ablauf der Überstellungsfrist im Einzelfall hinreichend Rechnung zu tragen.

1. Das BAMF wird verpflichtet, die Dublin-Überstellung des Ehemanns und Kindes einer sich mit einem weiteren Kind in Deutschland im Asylverfahren befindlichen Frau vor Ablauf der Überstellungsfrist (innerhalb einer Woche) zu ermöglichen.
2. Die Regelungen zum Nachzug zu Asylsuchenden nach Art. 10 Dublin-III-VO sind drittschützender Natur (unter Bezug auf VG Wiesbaden, Beschluss vom 15.09.2017 - 6 L 4438/17.WI - asyl.net: M25517, Asylmagazin 10-11/2017).
3. Der Anordnungsgrund ergibt sich aus dem drohenden Übergang der Zuständigkeit für die Angehörigen von Deutschland auf Griechenland bei Ablauf der Überstellungsfrist. Die Zusage Deutschlands, die Überstellung auch nach Fristablauf noch zu ermöglichen, lässt als reine Erweiterung des Rechtskreises das Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen.

1. Das BAMF wird verpflichtet, die Dublin-Überstellung der Ehefrau und des Kindes eines in Deutschland als Flüchtling anerkannten Mannes aus Griechenland vor Ablauf der Überstellungsfrist (am folgenden Tag) zu ermöglichen.
2. Wegen der besonderen Eilbedürftigkeit wird zur Begründung der Anordnung in entsprechender Anwendung von § 117 Abs. 5 VwGO (Absehen von Entscheidungsgründen) auf die Ausführungen in der Antragsschrift verwiesen.
3. Die Überstellung zur Familienzusammenführung muss rechtzeitig vor Ablauf der Überstellungsfrist erfolgen, um den Verlust der subjektiven Rechte der Betroffenen auf Nachzug zu Schutzberechtigten aus Art. 9 Dublin-III-VO zu verhindern. Neben der Antwort Deutschlands auf das griechische Aufnahmegesuch ist hierfür zusätzlich eine Mitteilung des BAMF, dass die Betroffenen zeitnah überstellt werden können, erforderlich.

1. Die örtliche Zuständigkeit für Rechtsschutzbegehren minderjähriger Asylsuchender, gerichtet auf eine Überstellung von Angehörigen nach Art. 29, 18, 10 Dublin III-VO, richtet sich nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO.
2. Minderjährige Asylbewerber haben einen Anspruch darauf, dass die Bundesrepublik Deutschland, sofern sie einem Ersuchen eines Mitgliedstaats hinsichtlich der Übernahme von Familienangehörigen zugestimmt, aber mit diesem Mitgliedstaat Absprachen zur Begrenzung von Überstellungen getroffen hat, gegenüber dem Mitgliedstaat vor Ablauf der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO erklärt, dass die Überstellung erfolgen kann und soll (im Anschluss an VG Wiesbaden, Beschluss vom 15.09.2017 - 6 L 4438/17 -, juris).
3. Dieser Anspruch besteht fort, wenn die Bundesrepublik Deutschland eine solche Erklärung nicht vor Ablauf der Überstellungsfrist abgegeben hat.

1. Das BAMF wird verpflichtet, sich für das Asylverfahren des minderjährigen Bruders eines in Deutschland subsidiär Schutzberechtigten für zuständig zu erklären und die Ablehnungen der wiederholten Aufnahmegesuche Griechenlands aufzuheben.
2. Die Betroffenen haben ein subjektives Recht auf Familienzusammenführung aus Art. 8 Abs. 1 Dublin-III-VO, wonach unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zu ihren sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhaltenden Angehörigen zusammengeführt werden müssen.
3. Der Ablauf der Frist für die Stellung des Aufnahmegesuchs (Art. 21 Abs. 1 Dublin-III-VO) und für das Verlangen, die Ablehnung zu überprüfen (sog. Remonstration, Art. 5 Abs. 2 DVO) durch Griechenland ist unbeachtlich. Die Zuständigkeit fällt nicht nach Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3 Dublin-III-VO zurück an den ersuchenden Staat (hier: Griechenland), da die Versäumung der Fristen den Betroffenen nicht zuzurechnen ist und die Zuständigkeitsregelung zur Wahrung der Familieneinheit und des Kindeswohls vor Fristenregelungen vorrangig ist.
4. Die Frage, ob eine minderjährige Person "unbegleitet" i.S.d. Art. 2 Bst. j Dublin-III-VO ist, richtet sich nach dem Recht des Aufenthaltsstaats derselben (hier: Griechenland).

Muster-Eilrechtsschutzantrag zur Durchsetzung der fristgerechten Überstellung von Angehörigen zur Familienzusammenführung nach der Dublin-Verordnung - Stand November 2017.

Diakonie - Stand 02.2018: Familienzusammenführungen im Rahmen der Dublin-III - Verordnung nach Deutschland Anspruch – Verfahren – Praxistipps. Eine Handreichung für die Beratung.

Familienzusammenführung

1.  Die Familienzusammenführungsrichtlinie 2003/86/EG (FamZRL) ist nicht auf Familienangehörige von subsidiär Schutzberechtigten anwendbar, da sie diese in Art. 3 Abs. 2 Bst. c ausdrücklich ausnimmt.
2. Da aber durch niederländisches Gesetz die Vorschriften, die für Flüchtlinge in der FamZRL gelten, auch für subsidiär Schutzberechtigte für unmittelbar und unbedingt anwendbar erklärt wurden und ihnen dadurch eine bessere als die in der FamZRL vorgesehene Behandlung garantieren, ist der EuGH für die Entscheidung über das Vorabersuchen zuständig.
3. Eine nationale Regelung, wonach ein Antrag auf Familiennachzug nach den günstigeren Bestimmungen für Flüchtlinge (Art. 9 bis 12 FamZRL) abgelehnt werden kann, weil er mehr als drei Monate nach Schutzzuerkennung gestellt wurde, ist vereinbar mit Art. 12 Abs. 1 FamZRL, der eine Abweichung von den allgemeinen Voraussetzungen für den Nachzug zu anderen Drittstaatsangehörigen vorsieht.
4. Allerdings muss die Möglichkeit bestehen, im Rahmen einer anderen Regelung einen neuen Antrag zu stellen.
5. Darüber hinaus muss vorgesehen werden, dass bei unverschuldeter Verspätung keine solche Ablehnung erfolgt, dass Betroffene über die Möglichkeit einer erneuten Antragstellung informiert werden und dass die Flüchtlinge begünstigenden Regelungen in Art. 10, 11 und 12 Abs. 2 FamZRL in solchen Fällen weiterhin gelten.

Gewährung internationalen Schutzes in einem anderen Mitgliedstaat

Europäischer Gerichtshof (EuGH)

Art. 35 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 ist dahin auszulegen, dass im Fall einer beim Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) registrierten Person, der von dieser Organisation in einem Drittstaat, der nicht dem Gebiet entspricht, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, aber zum Einsatzgebiet der Organisation gehört, tatsächlich Schutz oder Beistand gewährt wird, davon auszugehen ist, dass ihr in diesem Drittstaat ausreichender Schutz im Sinne der genannten Bestimmung gewährt wird, sofern der Drittstaat

  • sich verpflichtet, den Betroffenen wieder aufzunehmen, nachdem dieser sein Hoheitsgebiet verlassen hat, um internationalen Schutz in der Europäischen Union zu beantragen, und
  • den Schutz oder Beistand des UNRWA anerkennt und dem Grundsatz der Nicht-Zurückweisung zustimmt, so dass sich der Betroffene in seinem Hoheitsgebiet in Sicherheit und unter menschenwürdigen Lebensbedingungen so lange aufhalten kann, wie es die im Gebiet des gewöhnlichen Aufenthalts bestehenden Gefahren erfordern.
  • EuGH (Große Kammer), Urt. v. 25.07.2018 - C-585/16 (Rs. Alheto) - Schlussanträge

Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)

Ist in einem Asylverfahren zweifelhaft, ob dem Schutzsuchenden bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union internationaler Schutz gewährt worden ist, müssen die Verwaltungsgerichte diesen Sachverhalt aufklären. Dies gilt auch dann, wenn ein an den anderen Mitgliedstaat gerichtetes Auskunftsersuchen nach den Dublin-Vorschriften (sog. Info-Request) unbeantwortet geblieben ist.

Folge- und Zweitanträge

Bundesverfassungsgericht (BVerfG)

1. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte die Prüfung der Beachtlichkeit oder Relevanz des Folgeantrags grundsätzlich auf das beschränken, was der Antragsteller als Wiederaufnahmegrund vorträgt.
2. Bei der Beachtlichkeits- oder Relevanzprüfung geht es zunächst - im ersten Prüfungsschritt - darum festzustellen, ob das Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss, also die erforderlichen Voraussetzungen für die Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheides erfüllt sind (vgl. auch BVerwGE 106, 171 <173>). Dafür genügt bereits ein schlüssiger Sachvortrag, der freilich nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung zu verhelfen; es genügt mithin schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe.
3. Ist festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen und der Antragsteller deshalb einen Anspruch auf eine erneute Sachprüfung hat, so besteht im Rahmen der dann vorzunehmenden Asylerfolgsprüfung aufgrund der Feststellungsbedürftigkeit des Asylgrundrechts die verfassungsrechtliche Pflicht, den Sachverhalt umfassend aufzuklären und die erforderlichen Beweise zu erheben (vgl. BVerfGE 94, 166 <199 f.>, vgl. auch BVerwGE 106, 171 ff., wonach bei Bejahung der Wiederaufgreifensvoraussetzungen eine Verpflichtung der Verwaltungsgerichte zum "Durchentscheiden" besteht).

1. Soll ein Asylsuchender in ein Land abgeschoben werden, in dem wegen einer stetigen Verschlechterung der Sicherheitslage die Gefahr besteht, dass die Schwelle des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG oder des § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG überschritten sein könnte, so müssen sich Behörden und Gerichte laufend über die tatsächlichen Entwicklungen unterrichten und dürfen nur auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse entscheiden (vgl. BVerfG, 21.04.2016, 2 BvR 273/16 <Rn 11>). Anderenfalls droht eine Verletzung von Art 103 Abs. 1 GG, Art 2 Abs. 1 GG bzw. § 77 Abs. 1 AsylG, Art 19 Abs. 4 GG.

2. Hieraus folgt jedoch keine verfassungsrechtliche Pflicht der Fachgerichte, sich in den Entscheidungsgründen mit jeder von den Verfahrensbeteiligten angeführten Erkenntnisquelle ausdrücklich zu befassen. Maßgeblich ist, dass das Gericht inhaltlich auf die relevanten und die von den Verfahrensbeteiligten vorgetragenen Gesichtspunkte eingeht.

1. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts verletzt die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG dadurch, dass das auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach Ablehnung seines Folgeantrags gerichtete Begehren des Beschwerdeführers mit sämtlichen Anträgen als mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig oder wegen unzulässiger Vorwegnahme der Hauptsache unbegründet angesehen wurde.
2. Auch im Eilverfahren darf sich der fachgerichtliche Eilrechtsschutz nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpfen, sondern muss zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führen (Art 19 Abs 4 S 1 GG, vgl BVerfG, 29.10.1975, 2 BvR 630/73, BVerfGE 40, 272 <275>; BVerfG, 11.06.2003, 2 BvR 1724/02, BVerfGK 1, 201 <204 f>).
3. Im Einzelfall kann auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung, die die Hauptsache zugunsten des Antragstellers vorwegnimmt, zulässig und geboten sein (vgl BVerfG, 25.10.1988, 2 BvR 745/88, BVerfGE 79, 69 <77 f>; BVerfG, 15.03.2006, 2 BvR 917/05, BVerfGK 7, 403 <409>).
4. Wenn der Eilantrag erst kurzfristig anlässlich der Abschiebung gestellt wird, darf das Rechtsschutzbedürfnis nicht mit der Begründung verneint werden, der Betroffene habe die Eilbedürftigkeit selbst herbeigeführt.

Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)

1. Die Verwaltungsbehörde kann nach ständiger Rechtsprechung ein Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen auch dann wieder aufgreifen und über einen unanfechtbaren Verwaltungsakt erneut sachlich entscheiden, wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen im engeren Sinne nach Art. 51 Abs. 1 VwVfG nicht vorliegen. Rechtsgrundlage hierfür ist die Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, der nach § 51 Abs. 5 VwVfG unberührt bleibt.
2. Das Wiederaufgreifen steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Dieses Ermessen kann sich bei besonders gelagerten Sachverhalten "auf Null" verengen, so dass es ausnahmsweise zu einem Anspruch auf das Wiederaufgreifen kommen kann.
3. Die behauptete Rechtswidrigkeit des unanfechtbar gewordenen Erstbescheides begründet allein keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen; sie ist vielmehr lediglich eine Voraussetzung für eine Ermessensentscheidung der Behörde. Dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit kommt nämlich prinzipiell kein größeres Gewicht zu als dem Grundsatz der Rechtssicherheit, sofern dem anzuwendenden Recht nicht ausnahmsweise eine ausdrückliche andere gesetzliche Wertung zu entnehmen ist.
4. Ein Anspruch auf erneute Sachbehandlung ist allerdings zu bejahen, falls die Aufrechterhaltung des Erstbescheides schlechthin unerträglich wäre oder Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit des Erstbescheides als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen lassen.

Sind nach Auffassung des im Asylfolgeverfahren angerufenen Verwaltungsgerichts die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens erfüllt, darf es die Sache nicht zur Entscheidung über das begehrte Asyl an das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge "zurückverweisen", sondern muß auch hierüber selbst entscheiden ("durchentscheiden").

1. Bei einer Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens zur Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 6 AuslG (= § 60 Abs. 7 AufentG) i.V.m. § 51 Abs. 5, §§ 48, 49 VwVfG ist das Ermessen zugunsten des Ausländers regelmäßig auf Null reduziert, wenn er im Zielstaat der drohenden Abschiebung einer extremen individuellen Gefahr ausgesetzt wäre.
2. Die Verwaltungsgerichte sind auch in solchen Verfahren gehalten, die Sache zulasten oder zugunsten des Ausländers so weit wie möglich spruchreif zu machen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO), bevor sie das Bundesamt zu einer Neubescheidung verpflichten.

1. Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folge- und Zweitanträgen, die nach aktueller Rechtslage als Unzulässigkeitsentscheidung gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ergeht, ist mit der Anfechtungsklage anzugreifen (Fortentwicklung von BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171).
2. Wenn das Bundesamt die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG gemäß § 31 Abs. 3 AsylG mit der Feststellung verbunden hat, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorliegen, kann diese Feststellung durch den Schutzsuchenden - zusätzlich zu der gegen die Unzulässigkeitsentscheidung gerichteten Anfechtungsklage - hilfsweise mit der Verpflichtungsklage zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung gestellt werden.
3. Ein asylrechtlicher Zweitantrag, der bei Fehlen neuen Vorbringens ohne Sachprüfung als unzulässig abgelehnt werden kann, setzt gemäß § 71a Abs. 1 AsylG ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat voraus.
4. Ein in einem anderen EU-Mitgliedstaat betriebenes und wegen Fortzugs ohne Sachprüfung eingestelltes Asylverfahren ist nicht in diesem Sinne erfolglos abgeschlossen, wenn das Verfahren nach der Rechtsordnung dieses Staates in der Weise wiederaufgenommen werden kann, dass eine volle sachliche Prüfung des Antrags stattfindet.

1. Die nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG zu treffende Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen, bezieht sich in Fällen unzulässiger Asylanträge nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AsylG nicht auf den Herkunftsstaat des Asylbewerbers, sondern auf den Zielstaat der Überstellung bzw. Abschiebung.
2. Eine Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG ist nicht allein deswegen rechtswidrig, weil in dem Bescheid die gemäß § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG vorgesehene Feststellung zu nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG fehlt.

Lehnt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - einen Asylantrag als unzulässig ab, weil dem Ausländer bereits in einem anderen Mitgliedstaat der EU internationaler Schutz gewährt worden ist, wird diese Entscheidung mit einer stattgebenden Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts unabhängig von den Gründen der Stattgabe kraft Gesetzes unwirksam. Das Asylverfahren ist in dem Stadium, in dem es sich vor der Ablehnung befunden hat, vom Bundesamt fortzuführen; dabei ist auch eine neuerliche Unzulässigkeitsentscheidung nicht ausgeschlossen.

andere Verwaltungsgerichte

1. Es liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vor. Der Kläger war ohne grobes Verschulden außer Stande, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen.
2. Auf Grund der vom Kläger geschilderten Umstände und des persönlichen Eindrucks, den sich das Gericht von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung verschaffen konnte, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger es aus bis zum Zeitpunkt des Stellens seines Zweitantrags nicht überwindbaren Schamgefühle unterlassen hatte, eine Verfolgungsgefahr in Afghanistan wegen seiner homosexuellen Veranlagung geltend zu machen.

1. Es liegen hier aber hinsichtlich des vorrangig zu prüfenden Abschiebungsverbots des § 60 Abs. 2 bzw. des nachrangig zu prüfenden Abschiebungsverbots des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne vor. Auch in den von § 51 (Abs. 1 bis 3) VwVfG nicht erfassten Fällen ist ein Wiederaufgreifen zwar grundsätzlich zulässig, steht jedoch im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (BVerwG, B.v. 22.10.1984 – 8 B 56/84 – juris). Die Rechte aus § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG und aus §§ 48 ff. VwVfG stehen selbstständig und unabhängig nebeneinander.
2. Bei ihrer Ermessensentscheidung hat die Behörde die Gründe der Rechtssicherheit, die für die Aufrechterhaltung des bestandskräftigen Bescheids sprechen, gegen die Gründe der materiellen Einzelfallgerechtigkeit abzuwägen, die für seine Aufhebung streiten. Dabei kommt es vor allem auf die Schwere und Offensichtlichkeit des Rechtsverstoßes, die Zumutbarkeit der durch den Verwaltungsakt eingetretenen Situation und die Umstände an, warum keine Rechtsbehelfe gegen den Erstbescheid ergriffen wurden.
3. Es ist daher in der Regel nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Behörde in den von § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfassten Fällen die Eröffnung eines Verfahrens nach §§ 48, 49 VwVfG von Amts wegen unter Hinweis auf die Möglichkeit der Antragstellung nach § 51 VwVfG bzw. die Rücknahme oder den Widerruf mit der Begründung ablehnt, dass der Betroffene von dieser Möglichkeit nicht rechtzeitig Gebrauch gemacht hat.

Es ist nicht nachzuvollziehen, inwiefern die seit der Jugend des Klägers bestehende sexuelle Neigung eine Änderung einer Sachlage im Sinne von § 51 Abs. 1 VwVfG im Verhältnis zum ersten Asylverfahren darstellt. Der Umstand, dass diese Neigung dem Kläger peinlich ist, mag nachzuvollziehen sein, reicht indes nicht aus, um belegen, dass es dem Kläger ohne grobes Verschulden nicht möglich war, diesen Grund in dem früheren Verfahren geltend zu machen.

1. Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 AsylG stellt sich nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes als Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG dar, die mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist.
2. Ist gegen die Ablehnung eines Folgeantrags nach § 71 AsylG in der Hauptsache eine Anfechtungsklage statthaft, dann kann und - wegen § 123 Abs. 5 VwGO - muss vorläufiger Rechtsschutz gegen eine drohende Abschiebungsmaßnahme hinsichtlich der Ablehnung des Folgeantrags auch dann in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gewährt werden, wenn das Bundesamt anlässlich der Entscheidung über den Folgeantrag keine erneute Abschiebungsandrohung erlassen hat.
3. Vorläufiger Rechtsschutz gegen drohende Abschiebungsmaßnahmen anlässlich der Ablehnung eines Folgeantrags, den der Ausländer darauf stützt, dass entgegen der Entscheidung des Bundesamts nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 S. 1 AufenthG vorliegen, muss durch einen Antrag nach § 123 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gewährt werden, wenn keine Abschiebungsandrohung seitens des Bundesamtes erlassen wurde.

1. Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Ermessensweg nach § 51 Abs. 5 i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 1, § 49 Abs. 1 VwVfG (vgl. (BVerwG, Urt. v. 21. März 2000 - 9 C 41.99 -, juris Rn. 9 = BVerwGE 111, 77; BVerfG, Beschl. v. 20. Dezember 2006 - 2 BvR 2063/06 -, juris Rn. 16) besteht nicht. Das BAMF hat das ihm eingeräumte Ermessen ausgeübt und hat über den Anspruch rechtsfehlerfrei entschieden.
2. Eine Behörde handelt bei der Entscheidung zum Wiederaufgreifen des Verfahrens in der Regel nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie gegenüber einem Betroffenen, der die Möglichkeit einer Antragstellung nach § 51 VwVfG hatte, diese jedoch nicht genutzt hat, die Rücknahme oder den Widerruf ablehnt (vgl. BVerwG, Urt. v. 22. Oktober 2009 - 1 C 26.08 -, juris Rn. 20 = BVerwGE 135, 137).
3. Das private Interesse der Klägerin an einer erneuten Sachentscheidung ist nicht höher einzustufen als das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung des bestandskräftigen Bescheides aus Gründen der Rechtssicherheit. Die Aufrechterhaltung des ablehnenden bestandskräftigen Bescheides ist nicht "schlechthin unerträglich", so dass hier weder ein Anspruch auf eine erneute fehlerfreie Ausübung des Ermessens zur Wiederaufnahme des Verfahrens noch gar eine Ermessensreduzierung der Beklagten zum Wiederaufgreifen besteht (vgl. OVG NRW, Beschl. v. 27. Juni 2011 - 12 A 2096/10 -, juris Rn. 4 sowie Beschl. v. 1. Juni 2011 - 12 A 1901/10 -, juris Rn. 11 jeweils m. w. N.).

1. Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG ist in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Ein Asylantrag ist u.a. unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist (§ 29 Abs.1 Nr. 5 AsylG).
2. Dies bedeutet, dass in noch anhängigen Asylverfahren, die einen Asylfolgeantrag zum Gegenstand haben, nach dem eindeutigen Wortlaut der genannten Regelung die Feststellung, ob die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots vorliegen, entgegen der bis zum 5. August 2016 geltenden Rechtslage unabhängig davon zu treffen ist, ob die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen oder das Bundesamt gemäß § 51 Abs. 5 VwVfG i. V. m. den §§ 48, 49 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat, ob die bestandskräftige frühere Entscheidung zu § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG oder zu den bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Vorschriften des § 53 Abs. 4 und Abs. 6 Satz 1 Ausländergesetz zurückgenommen oder widerrufen wird.
3.  Das Gericht ist ggf. verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3. April 2017 - 1 C 9.16 -, juris Rn. 10, Beschl. v. 27. April 2017 - 1 B 6.17 -, juris Rn. 6, und Urt. v. 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, juris Rn. 20 a. E.; vgl. auch VG Berlin, Urt. v. 20. April 2017 - 28 K 176.15 A -, juris Rn. 17 und VG Oldenburg, Beschl. v. 16. März 2017 - 3 B 1322/17 -, juris Rn. 4 und 11).

1. Gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ist über die Aufhebung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sachlage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat.
2. Eine neue Tatsache kann im Verhalten des Adressaten liegen und auch eine innere Einstellung sein. So liegt dies beim Kläger. Seine Homosexualität stellt eine innere Tatsache der sexuellen Identität bzw. Orientierung dar.
3. Auch wenn der Kläger diesen inneren Umstand bereits im ersten Asylverfahren „in sich trug“, so liegt in der jetzt erstmals erfolgten Offenbarung eine Änderung der Sachlage vor, da die Fähigkeit hierzu bzw. Zumutbarkeit, dies zu äußern, als untrennbar hiermit verbundener Aspekt erst nach Aufklärung über die Asylrelevanz dieser Tatsache eingetreten ist.

1. Auch in den nicht von § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG erfassten Fällen ist ein Wiederaufgreifen grundsätzlich zulässig, steht jedoch im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.
2. Das Ermessen der Behörde kann sich „auf null" reduzieren, so dass es ausnahmsweise zu einem Anspruch auf Wiederaufgreifen kommen kann.
3. Dies ist dann anzunehmen, wenn die Aufrechterhaltung des Erstbescheides schlechthin unerträglich wäre, der Erstbescheid über seine Rechtswidrigkeit hinaus offensichtlich fehlerhaft wäre oder Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit des Erstbescheides als ein Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen lassen.
4. Dabei ist maßgeblich auf die einschlägige materielle Rechtslage abzustellen, also auf § 60 Abs. 7 AufenthG. Nach Satz 1 der Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht Es müssen konkrete andere stichhaltige Gründe dafür vorliegen, dass der Ausländer im Falle seiner Abschiebung einem echten Risiko oder einer ernsthaften Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre.

1. Wird die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 AsylG abgelehnt, stellt sich dies nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes als Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG dar, die in der Hauptsache mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist. Vorläufiger Rechtsschutz ist in diesem Fall über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu erlangen.
2. Gemäß § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG muss das Bundesamt bei einer Entscheidung über unzulässige Asylanträge feststellen, ob nationale Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG beim Betroffen vorliegen. Insoweit ist vorläufiger Rechtsschutz nach § 123 VwGO zu gewähren und dem Bundesamt ggf. aufzugeben, gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde zu erklären, dass die Abschiebung des betroffenen Ausländers bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht vollzogen werden darf; allein auf die Mitteilung nach § 71 Abs. 5 S. 2 AsylG kann insoweit nicht abgestellt werden.

1. In Bezug auf § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG hat sich das Bundesamt anlässlich einer Entscheidung über einen Folgeantrag sachlich mit dem Schutzbegehren zu befassen. Es darf sich nicht mit der Prüfung begnügen, ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG für ein Wiederaufgreifen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen. Vielmehr hat es – so ausdrücklich § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG – festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 AufenthG vorliegen.
2. Stellt das Bundesamt fest, dass keine nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen oder trifft es entgegen § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG die vorgesehene Feststellungsentscheidung nicht, dann kann der betroffene Ausländer zusätzlich zu der gegen die Ablehnung des Folgeantrags als unzulässig gerichteten Anfechtungsklage (hilfsweise) eine Verpflichtungsklage auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG erheben.

Das Bundesamt kann sich bei der erforderlichen Aufklärung, ob ein Asylverfahren erfolglos abgeschlossen ist, auf das im europäischen Asylsystem vorgesehene Informationsaustauschverfahren, insbesondere auf Art. 34 der Verordnung EU (Nr. 604/2013) stützen. Auch eine solche Antwort im Antwort-Request-Verfahren kann ausreichend sein (so auch VG München v. 4.9.2017 – M 21 S 17.45996-,juris).

Nachfluchttatbestände

Der am 1. Januar 2005 in Kraft getretene § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG löst die Sperre für eine Erteilung von Aufenthaltstiteln auch dann aus, wenn ein zuvor erlassener, auf § 30 Abs. 3 AsylVfG gestützter Bescheid des Bundesamtes zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestandskräftig war.
Die gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG eingetretene Sperrwirkung entfällt nicht durch nachträgliche Rücknahme des Asylantrags.
Ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 3 AufenthG muss ein strikter Rechtsanspruch sein, der sich unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Ein Anspruch aufgrund einer Ermessensvorschrift genügt auch dann nicht, wenn das Ermessen im Einzelfall „auf Null“ reduziert ist. Ob Regelansprüche oder Ansprüche aufgrund von Sollvorschriften dazu zählen, bleibt offen.

Nach Abschluss eines Asylverfahrens selbst geschaffene Nachfluchttatbestände führen nach § 28 Abs. 2 AsylVfG in der Regel nicht zur Flüchtlingsanerkennung. Für eine Ausnahme von dieser Regel ist in Fällen exilpolitischer Betätigung die inhaltliche und zeitliche Kontinuität der nach außen betätigten Überzeugung zwar ein wichtiges Indiz, reicht aber zur Widerlegung der gesetzlichen Regelvermutung allein nicht aus. Vielmehr muss der Asylbewerber gute Gründe dafür anführen, warum er nach einem erfolglosen Asylverfahren erstmalig exilpolitisch aktiv geworden ist oder seine bisherigen Aktivitäten intensiviert hat.

Die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - entfaltet vor Ablauf der Umsetzungsfrist am 10.10.2006 keine unmittelbare Wirkung.
Die Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylVfG i. d. F. vom 30. 7.2004 befindet sich im Gleichklang mit Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004.

  • Niedersächsisches OVG, Urt. v. 16.06.2006 - 9 LB 104/06; InfAuslR 2006, 421

1. Es liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vor. Der Kläger war ohne grobes Verschulden außer Stande, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen.
2. Auf Grund der vom Kläger geschilderten Umstände und des persönlichen Eindrucks, den sich das Gericht von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung verschaffen konnte, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger es aus bis zum Zeitpunkt des Stellens seines Zweitantrags nicht überwindbaren Schamgefühle unterlassen hatte, eine Verfolgungsgefahr in Afghanistan wegen seiner homosexuellen Veranlagung geltend zu machen.

Nicht überwindbare Schamgefühle reichen nach Ansicht des Gerichts nicht aus (aA VG Frankfurt/Main, U.v. 23.11.2010 – 7 K 2790/10.F.A – juris und VG Augsburg, U. v. 29.7.2013 – Au 6 K 13.30158 – juris). Abgesehen davon, dass solche hier schon nicht vorliegen dürften, muss vom Asylbewerber grundsätzlich verlangt werden, dass er sich entsprechend offenbart, weshalb nur die absolute Unzumutbarkeit hierzu, etwa wenn er als Opfer von Gewalt (aufgrund der Umstände des Einzelfalls) nicht fähig war, die erlittenen Misshandlungen vorzutragen, ihn entschuldigen kann.

Aufnahmeeinrichtung

Aus § 47 Abs. 1 Satz 1 AsylG folgt kein Anspruch eines Asylbewerbers, der mehr als sechs Monate in einer Aufnahmeeinrichtung wohnt, auf Umverteilung.

Beschränkung der Aufenthaltsgestattung

Zur Verfassungsmäßigkeit einer räumlichen Beschränkung der Aufenthaltsgestattung für Asylbewerber und ihrer Strafbewehrung für Fälle wiederholter Zuwiderhandlung.

Wohnsitzauflage und -zuweisung

1. Art. 33 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass eine Wohnsitzauflage, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus erteilt wird, auch dann eine Einschränkung der durch diesen Artikel gewährleisteten Freizügigkeit darstellt, wenn sie es dieser Person nicht verbietet, sich frei im Hoheitsgebiet des den Schutz gewährenden Mitgliedstaats zu bewegen und sich dort vorübergehend außerhalb des in der Wohnsitzauflage bezeichneten Ortes aufzuhalten.
2. Die Art. 29 und 33 der Richtlinie 2011/95 sind dahin auszulegen, dass sie einer Wohnsitzauflage entgegenstehen, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen erteilt wird, um eine angemessene Verteilung der mit der Gewährung dieser Leistungen verbundenen Lasten auf deren jeweilige Träger zu erreichen, wenn in der anwendbaren nationalen Regelung nicht vorgesehen ist, dass eine solche Maßnahme Flüchtlingen, Drittstaatsangehörigen, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, und Angehörigen dieses Mitgliedstaats im Fall des Bezugs der genannten Leistungen auferlegt wird.
3. Art. 33 der Richtlinie 2011/95 ist dahin auszulegen, dass er einer Wohnsitzauflage nicht entgegensteht, die wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Person mit subsidiärem Schutzstatus im Fall des Bezugs bestimmter Sozialleistungen mit dem Ziel erteilt wird, die Integration von Drittstaatsangehörigen in den Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, zu erleichtern – während die anwendbare nationale Regelung nicht vorsieht, dass eine solche Maßnahme Drittstaatsangehörigen auferlegt wird, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten und die genannten Leistungen beziehen –, sofern sich die Personen mit subsidiärem Schutzstatus nicht in einer Situation befinden, die im Hinblick auf das genannte Ziel mit der Situation von Drittstaatsangehörigen, die sich aus anderen als humanitären, politischen oder völkerrechtlichen Gründen rechtmäßig im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhalten, objektiv vergleichbar ist; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.

1. Eine Wohnsitzzuweisung für Schutzberechtigte innerhalb des Bundeslands nach § 12a Abs. 2 oder Abs. 3 AufenthG (wie sie in Nordrhein-Westfalen standardmäßig erfolgt) ist ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig, wenn die Ausländerbehörde nicht begründet, warum die Integration am zugewiesenen Wohnort besser gelingen soll als an anderen Orten.
2. Eine Heilung dieses Verfahrensfehlers durch nachträgliches Ergänzen von Ermessenserwägungen nach § 114 S. 2 VwGO ist wegen Ermessenstotalausfalls ausgeschlossen (hier: standardmäßige Wohnsitzzuweisung innerhalb Nordrhein-Westfalen ohne Einzelfallbegründung).

1. § 5 Abs. 4 AWoV NRW hält sich nicht im Rahmen der bundesrechtlichen Ermächtigungsnorm des § 12a Abs. 9 AufenthG und ist damit unwirksam.
2. Es spricht Vieles dafür, dass § 12a Abs. 1 AufenthG mit höherrangigem Recht vereinbar ist.

1. Bei der Entscheidung über die Änderung einer Wohnsitzauflage gem. § 60 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AsylG sind die europarechtlichen Vorgaben von Art. 18 Abs. 6 Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU zu beachten. Danach haben die Mitgliedsstaaten und damit die für sie handelnden Ausländerbehörden dafür Sorge zu tragen, dass Asylsuchende nur dann in eine andere Einrichtung verlegt werden, wenn dies notwendig ist.
2. Die Aufnahmerichtlinie hat seit Juli 2015 eine unmittelbare Rechtswirkung, da sie bis Juli 2015 nicht ins innerdeutsche Recht umgesetzt wurde.

Asylbewerberleistungsgesetz

Europäischer Gerichtshof (EuGH)

1. Die Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten ist dahin auszulegen, dass ein mit einem Asylantrag befasster Mitgliedstaat die in der Richtlinie 2003/9 vorgesehenen Mindestbedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern auch einem Asylbewerber gewähren muss, bei dem er gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, beschließt, einen anderen Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags dieses Antragstellers zuständigen Mitgliedstaat um dessen Aufnahme oder Wiederaufnahme zu ersuchen.
2. Die Verpflichtung des mit einem Asylantrag befassten Mitgliedstaats, die in der Richtlinie 2003/9 vorgesehenen Mindestbedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern einem Asylbewerber zu gewähren, bei dem er gemäß der Verordnung Nr. 343/2003 beschließt, einen anderen Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags dieses Antragstellers zuständigen Mitgliedstaat um dessen Aufnahme oder Wiederaufnahme zu ersuchen, endet mit der tatsächlichen Überstellung des Asylbewerbers durch den ersuchenden Mitgliedstaat; die mit der Gewährleistung dieser Mindestbedingungen verbundene finanzielle Belastung ist vom ersuchenden Mitgliedstaat zu tragen, den diese Verpflichtung trifft.

1. Art. 13 Abs. 5 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten ist dahin auszulegen, dass Geldleistungen oder Gutscheine, wenn ein Mitgliedstaat dafür optiert hat, die materiellen Aufnahmebedingungen in dieser Form zu gewähren, gemäß Art. 13 Abs. 1 dieser Richtlinie ab dem Zeitpunkt der Stellung des Asylantrags zu gewähren sind und den in Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie festgelegten Mindestnormen genügen müssen. Der betreffende Mitgliedstaat hat darauf zu achten, dass der Gesamtbetrag der Geldleistungen, durch die die materiellen Aufnahmebedingungen gewährt werden, für ein menschenwürdiges Leben ausreicht, bei dem die Gesundheit und der Lebensunterhalt der Asylbewerber gewährleistet sind, indem sie insbesondere in die Lage versetzt werden, eine Unterkunft zu finden, wobei gegebenenfalls die Wahrung der Interessen besonders bedürftiger Personen im Sinne von Art. 17 der Richtlinie zu berücksichtigen ist. Die Mitgliedstaaten sind nicht an die in Art. 14 Abs. 1, 3, 5 und 8 der Richtlinie 2003/9 vorgesehenen materiellen Aufnahmebedingungen gebunden, wenn sie entschieden haben, diese Bedingungen ausschließlich in Form von Geldleistungen zu gewähren. Die betreffenden Leistungen müssen jedoch so hoch sein, dass minderjährige Kinder von Asylbewerbern bei ihren Eltern wohnen können, so dass die familiäre Gemeinschaft der Asylbewerber aufrechterhalten werden kann
2. Die Richtlinie 2003/9 ist dahin auszulegen, dass sie die Mitgliedstaaten nicht daran hindert, Asylbewerber im Fall der Vollauslastung der Strukturen für ihre Unterbringung auf Einrichtungen des allgemeinen Sozialhilfesystems weiterzuverweisen, sofern dieses System dafür sorgt, dass die in dieser Richtlinie vorgesehenen Mindestnormen für Asylbewerber beachtet werden.

1. Art. 29 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, die vorsieht, dass Flüchtlinge, denen in einem Mitgliedstaat ein befristetes Aufenthaltsrecht zuerkannt wurde, geringere Sozialhilfeleistungen erhalten als die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats und als Flüchtlinge, denen dort ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zuerkannt wurde.
2. Ein Flüchtling kann sich vor den nationalen Gerichten auf die Unvereinbarkeit einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden mit Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95 berufen, um die Beseitigung der in dieser Regelung enthaltenen Beschränkung seiner Rechte zu erreichen.

Bundesverfassungsgericht (BVerfG)

Es ist mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, dass Asylbewerber auf Grund von § 7 Abs. 1 Satz 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes Schmerzensgeld nach § 253 Abs. 2 BGB für ihren Lebensunterhalt einsetzen müssen, bevor sie staatliche Leistungen erhalten.

1. Die Höhe der Geldleistungen nach § 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes ist evident unzureichend, weil sie seit 1993 nicht verändert worden ist.
2. Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG garantiert ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. BVerfGE 125, 175). Art. 1 Abs. 1 GG begründet diesen Anspruch als Menschenrecht. Er umfasst sowohl die physische Existenz des Menschen als auch die Sicherung der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Das Grundrecht steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu.
3. Falls der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, darf er bei der konkreten Ausgestaltung existenzsichernder Leistungen nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren. Eine Differenzierung ist nur möglich, sofern deren Bedarf an existenznotwendigen Leistungen von dem anderer Bedürftiger signifikant abweicht und dies folgerichtig in einem inhaltlich transparenten Verfahren anhand des tatsächlichen Bedarfs gerade dieser Gruppe belegt werden kann.

Sozialgerichte

1. Das Verfassungsrecht gebietet keine abweichende Auslegung von § 1a Nr 2 AsylbLG aF (jetzt § 1a Abs. 2 AsylbLG). Die Vorschrift verstößt insbesondere nicht gegen das aus Art 1 Abs 1 i.V.m. Art 20 Abs 1 GG folgende Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Der Gesetzgeber ist im Rahmen seines Gestaltungsspielraums von Verfassungs wegen nicht gehindert, die uneingeschränkte Gewährung existenzsichernder Leistungen nach dem AsylbLG an die Einhaltung ausländerrechtlicher Pflichten zu knüpfen.
2. Diesen Gestaltungsspielraum füllt § 1a Nr 2 AsylbLG aF  (jetzt § 1a Abs. 2 AsylbLG) verfassungsrechtlich zulässig aus; insbesondere wahrt die Vorschrift den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Durch sie werden Leistungsansprüche nicht (typisierend) ? im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG - "migrationspolitisch relativiert". Sie knüpft vielmehr die Leistungseinschränkung an ein missbräuchliches Verhalten in der Verantwortung des einzelnen Leistungsberechtigten, dessen Aufgabe dieser - mit der Folge wieder uneingeschränkter Leistungsansprüche jederzeit in der Hand hat.
3. Zudem verlangt § 1a Nr 2 AsylbLG aF  (jetzt § 1a Abs. 2 AsylbLG), den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Vor diesem Hintergrund durfte die Leistungsminderung vorliegend auch über Jahre hinweg erfolgen; denn der Kläger war sich seiner Möglichkeiten zur Abkehr von der Leistungsminderung bewusst. Nach den Feststellungen des SG war er regelmäßig und unter Hinweis auf zumutbare Handlungsmöglichkeiten zur Mitwirkung aufgefordert und mehrfach der kamerunischen Botschaft vorgeführt worden.

1. Der Begriff der „im Einzelfall unabweisbar gebotenen“ Leistungen in § 1a AsybLG ist verfassungskonform so auszulegen ist, dass Leistungsberechtigten selbst bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Absenkung der Leistungen das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum erhalten bleiben muss.
2. Solange der Gesetzgeber nicht tätig wird, richten sich Art und Umfang des nach dem Grundgesetz nicht zu unterschreitenden Existenzminimums für Leistungsberechtigte im Sinne des § 1 AsylbLG nach de rÜbergangsregelung des BVerfG. Die „unabweisbar gebotenen“ Leistungen fallen mit dem so umschriebenen Existenzminimum zusammen.

Zum Begriff des Familienangehörigen i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 u. 2 AsylbLG (Anrechung von Einkommen und Vermörgen).

1. Die in § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG, § 1a Abs. 2 AsylbLG in der Fassung vom 30.07.2016 vorgesehene Absenkung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auf Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege (sog. reduziertes physisches Existenzminimum) hält die Kammer nicht für unvereinbar mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Anschluss an: Bayerisches LSG, Beschluss vom 11.11.2016, L 8 AY 29/16 B ER; SG Landshut, Beschluss vom 10.08.2016, S 11 AY 69/16 ER). Einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG bedarf es deshalb nicht.
2. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 1 GG) ist nicht absolut zu verstehen. Es kann in Teilen von der Erfüllung von Obliegenheiten - auch von ausländerrechtlichen Mitwirkungsobliegenheiten bei der Beschaffung von Pass(ersatz)papieren - abhängig gemacht werden (Anschluss an: BSG, Urteil vom 12.05.2017, B 7 AY 1/16 R). 
3. Die Kammer hält die in § 1a Abs. 2 AsylbLG vorgesehene Nichtberücksichtigung von Leistungen zur gesellschaftlichen und sozialen Teilhabe (Abteilung 7-12) im Fall der Absenkung der Leistungen für nicht verfassungswidrig.
4. Die Beschränkung des Leistungsumfangs auf ein abgesenktes physisches Existenzminimum (ohne Abteilung 3: Bekleidung) hält die Kammer für noch verhältnismäßig, da § 1a Abs. 2 Satz 3 AsylbLG insoweit eine Härtefallregelung vorsieht.

1. Seit der Änderung des § 7 Abs. 5 SGB II zum 1. August 2016 durch das 9. SGB II-ÄndG, nach dem hilfebedürftige Personen, die eine förderungsfähige Berufsausbildung absolvieren, grundsätzlich aufstockende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beziehen können, bedarf es der näheren Prüfung der Reichweite des seit 2005 unveränderten Leistungsausschlusses für Auszubildende nach § 22 Abs. 1 SGB XII (analoge Anwendung des § 7 Abs. 5 SGB II), auch bei einer Anspruchsberechtigung nach § 2 AsylbLG.
2. Bei einer nach § 2 AsylbLG leistungsberechtigten Person kann ein Härtefall i.S. von § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB XII vorliegen, wenn der Ausländer eine förderungsfähige Berufsausbildung abbrechen müsste, weil er mit der typischerweise geringen Vergütung und einer ggf. gewährten Berufsausbildungsbeihilfe seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann.
3. Ein Entschließungsermessen ist dem Leistungsträger in derartigen Fällen nicht eingeräumt.

Wegen Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG sind die Tatbestandsmerkmale der Unerlässlichkeit und der Sicherung der Gesundheit in § 6 Abs. 1 Satz 1 2. Var. AsylbLG weit auszulegen. Hinreichend ist die Erforderlichkeit zur Sicherung der Gesundheit im Sinne eines Behandlungsbedarfs, der über Bagatellerkrankungen hinausgeht. Geboten ist dann zumindest bei Personen, die sich nicht nur kurzzeitig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, die medizinische Versorgung mit allen Leistungen nach §§ 47 ff. SGB XII bzw. nach dem SGB V.

1. Die fehlende Mitwirkung bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten stellt einen typischen Anwendungsfall des § 1a AsylbLG (Fassung ab 24. Oktober 2015) dar.
2. Eine fehlende Mitwirkung liegt auch vor, wenn der Ausländer über Jahre hinweg nur unzureichende Bemühungen zur Beschaffung von Heimreisedokumenten unternimmt.
3. Gegen die Neuregelung in § 1a Abs 3 AsylbLG bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

Der Beklagte hätte die durch das Gesetz vorgesehene Listungsanpassung nach § 3 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 AsylbLG bei der Leistungsberechnung berücksichtigen müssen. Danach werden zum 1. Januar eines Jahres die Leistungen entsprechend der Veränderungsrate nach dem SGB XII angepasst. Die sich dabei ergebenden Beträge sind zu runden. Zum 1. Januar 2018 ist es zu einer Erhöhung der Regelbedarfe nach dem SGB XII gekommen. Wie sich aus der korrekten Proberechnung des Beklagten ergibt, führt eine entsprechende Anwendung der Veränderungsrate auf die Leistungen nach § 3 AsylbLG zu einen um 6,00 EUR höheren Anspruch. Diese Erhöhung des Leistungsanspruchs ergibt sich direkt aus dem Gesetz. Die Leistungserhöhung ist an die Erhöhung der Regelbedarfe nach dem SGB XII gekoppelt. Soweit die Leistungsveränderung nach dem SGB XII feststeht, sind die Leistungen nach § 3 AsylbLG entsprechend anzupassen. Durch die Fortschreibung der Regelbedarfe liegt eine den Leistungsberechtigten zugutekommende Dynamik vor, um ein jahrelanges statistisches Festhalten an nicht mehr realitätsgerechten Festsetzungen zu vermeiden. Der Leistungsbezieher hat daher einen einklagbaren Anspruch darauf, dass ihm die Leistungen auch in angepasster Höhe bewilligt werden.

Passbeschaffung

Die Frage der Zumutbarkeit einer Mitwirkungshandlung nach § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG 2004 lässt sich nicht - wie für eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung erforderlich - verallgemeinerungsfähig beantworten. Über die Zumutbarkeit der dem Ausländer obliegenden Handlungen ist unter Berücksichtigung aller Umstände und Besonderheiten des Einzelfalles zu entscheiden. Mit der Verwendung dieses Begriffes will das Gesetz es gerade ermöglichen, den Eigenheiten des Einzelfalles Rechnung zu tragen.

Die Erfüllung der Passpflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG dient nicht allein der Feststellung der Identität des Passinhabers. Vielmehr gewährleisten ein gültiger Pass oder Passersatz wie der Reiseausweis nach Art. 28 GFK auch die Verpflichtung zur Wiederaufnahme der betreffenden Person durch den das Dokument ausstellenden Staat.

1. Zu den zumutbaren Anstrengungen eines Ausländers zur Aufklärung seiner Identität und zur Beschaffung eines Passes oder Passersatzpapieres gehört es jedenfalls nach dem Fehlschlagen aller sonstigen Anstrengungen zum Nachweis der Ernsthaftigkeit der Bemühungen regelmäßig, in Deutschland und im Herkunftsland einen Rechtsanwalt zu beauftragen.
2. Es ist nicht Aufgabe der Ausländerbehörde sondern des Ausländers, sich gegebenenfalls die dafür erforderlichen finanziellen Mittel auf der Grundlage etwa von § 6 AsylbLG zu beschaffen.

1. Die Obliegenheit eines Ausländers nach § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG, alle zumutbaren Anstrengungen hinsichtlich der Passbeschaffung zu unternehmen, die nicht erkennbar aussichtslos sind, umfasst es auch, alle zumutbaren Anstrengungen zur Erlangung einer Finanzierung der notwendigen Maßnahmen für eine Passbeschaffung zu unternehmen.Ein Ausländer, der Sozialleistungen bezieht, muss sich ausreichend und nachhaltig um die Übernahme der Kosten durch den Sozialleistungsträger bemüht haben.
2. Ein Antrag gegenüber dem Sozialleistungsträger zur Übernahme der Kosten für die Einschaltung eines Vertrauensanwaltes ist nicht erkennbar aussichtslos. Die Übernahme der Kosten kommt nach § 6 Abs. 1 Alt. 4 AsylbLG, § 37 Abs. 1 oder § 73 Satz 1 SGB XII in Betracht. Die Erfolgsaussichten eines solchen Antrags sind offen.

Haft und Unterbringung

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

Wenn Asylbewerber angeben, dass sie wegen ihrer Verfolgung als Homosexuelle oder aus Angst vor Verfolgung als Homosexuelle aus ihrem Heimatland geflohen sind, müssen die staatlichen Stellen bei der Inhaftierung dieser Asylbewerber mit besonderer Sorgfalt darauf achten, dass diese in der Haft nicht mit derselben Situation konfrontiert werden, vor der sie geflohen sind, weil die anderen inhaftierten Asylbewerber aus Ländern kommen, in denen die religiösen und kulturellen Vorurteile gegen Homosexuelle weit verbreitet sind.

Europäischer Gerichtshof (EuGH)

Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat auch dann verpflichtet ist, illegal aufhältige Drittstaatsangehörige grundsätzlich in einer speziellen Hafteinrichtung dieses Staates in Abschiebungshaft zu nehmen, wenn er föderal strukturiert ist und die nach nationalem Recht für die Anordnung und Vollziehung einer solchen Haft zuständige föderale Untergliederung über keine solche Hafteinrichtung verfügt.

Bundesgerichtshof (BGH)

a) Im Hinblick auf das Gebot einer möglichst wirksamen Anwendung des Rechts der Union (effet utile) muss der Haftrichter die Anordnung von Sicherungshaft ablehnen, wenn absehbar ist, dass der Betroffene entgegen den Vorgaben des Unionsrechts untergebracht werden wird.
b) In Deutschland darf Ab- und Zurückschiebungshaft nach Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG nur in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen werden.
c) Die Unterbringung der von Ab- oder Zurückschiebung Betroffenen in einem besonderen Gebäude auf dem Gelände einer gewöhnlichen Haftanstalt ist keine Unterbringung in einer speziellen Hafteinrichtung im Sinne von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG. 

1. Die verspätete Vorlage des Passes begründet für sich noch keine Fluchtgefahr i.S.d. § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 i.V.m. § 2 Abs. 14 Nr. 3 AufenthG wegen Mitwirkungspflichtverletzung; vielmehr ist für ein "aktives Entgegenwirken" notwendig, dass die betroffene Person gezielt die Abschiebung verhindert.
2. Das Vorbringen von Gründen, die einer Abschiebung nach Afghanistan entgegenstehen könnten (hier: keine Familienangehörigen in Afghanistan; die gesamte Familie befinde sich im Iran) begründet keine Fluchtgefahr i.S.d. § 62 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 i.V.m. § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG wegen Entziehungsabsicht. Daraus lässt sich möglicherweise noch schließen, dass keine freiwillige Ausreise erfolgen werde, jedoch nicht, dass sich die betroffene Person der zwangsweisen Überstellung entziehen werde.